Autor im Porträt
Christoph Hein
zur AutorenweltToptitel von Christoph Hein
Unterm Staub der Zeit
Broschiertes Buch
Vom Erwachsenwerden in einer geteilten Stadt
Der vierzehnjährige Daniel kommt 1958 aus seiner ostdeutschen Heimatstadt, wo ihm als Pfarrerssohn das Abitur verwehrt wird, nach Berlin. Er zieht in ein Schülerheim in Grunewald, wo er auch das Gymnasium besucht, und lebt sich in der neuen Umgebung rasch ein. Mit seinen Zimmergenossen - die alle, wie er, aus der DDR stammen - drückt er nicht nur die Schulbank, sondern sie erkunden gemeinsam die Stadt: Als Zeitungsverkäufer ziehen sie allabendlich durch die Kneipen, und wenn das Essen im Schülerheim allzu fade schmeckt, geht es auf eine Erbsensuppe in Aschingers »Stehbierhalle«. Sie erleben den Erweckungsprediger Billy Graham, der die Massen im Tiergarten in Verzückung versetzt, und Bill Haley, der den Sportpalast zum Kochen bringt.
…mehr
Der vierzehnjährige Daniel kommt 1958 aus seiner ostdeutschen Heimatstadt, wo ihm als Pfarrerssohn das Abitur verwehrt wird, nach Berlin. Er zieht in ein Schülerheim in Grunewald, wo er auch das Gymnasium besucht, und lebt sich in der neuen Umgebung rasch ein. Mit seinen Zimmergenossen - die alle, wie er, aus der DDR stammen - drückt er nicht nur die Schulbank, sondern sie erkunden gemeinsam die Stadt: Als Zeitungsverkäufer ziehen sie allabendlich durch die Kneipen, und wenn das Essen im Schülerheim allzu fade schmeckt, geht es auf eine Erbsensuppe in Aschingers »Stehbierhalle«. Sie erleben den Erweckungsprediger Billy Graham, der die Massen im Tiergarten in Verzückung versetzt, und Bill Haley, der den Sportpalast zum Kochen bringt.
…mehr
13,00 €
Landnahme
Broschiertes Buch
Christoph Hein erzählt die Lebensgeschichte Bernhard Habers, eines Außenseiters in der Provinz, der mit der großen Geschichte scheinbar nichts zu tun hat und doch den Verlauf deutscher Geschichte vom Zweiten Weltkrieg bis zur Jahrtausendwende exemplarisch spiegelt.
Bernhard Haber ist zehn, als er 1950 mit seinen Eltern aus Breslau in eine sächsische Kleinstadt kommt, wo man Vertriebene und Ausgebombte lieber heute als morgen wieder abreisen sähe. Zwar werden Handwerker gebraucht, und Bernhards Vater ist Tischler, aber die Einheimischen bestellen ihre Möbel natürlich nicht bei dem Fremden.
Dem Jungen begegnet man in der Schule nicht viel besser, sich durchbeißen und immer wieder Schläge einstecken - das erkennt er rasch als den einzigen Weg. Dass Bernhard nach der 8. Klasse eine Tischlerlehre beginnt, wundert niemanden, eher schon, dass er später zeitweise als Karussellbesitzer sagenhaft viel Geld verdient. Peter Koller, der in einem selbstgebauten Auto zahlende Gäste nach Westberlin gebracht hat und dafür ein paar Jahre ins Gefängnis muss, weiß genauer, woher Bernhards Wohlstand stammt, aber er verpfeift ihn nicht.
Überhaupt hat Haber Glück mit den Leuten um sich herum: mit seiner Frau Friederike, die ihn anhimmelt, mit seiner Schwägerin Katharina, die ihm beigebracht hat, was Liebe ist, mit dem Sägereibesitzer Sigurd, der dafür sorgt, dass Bernhard als Tischlermeister in den Kegelklub aufgenommen wird, wo die Selbständigen sich treffen, um den nötigen Einfluss auf die Politik des Ortes zu nehmen - vor 1989 und erst recht in den wilden Jahren danach.
…mehr
Bernhard Haber ist zehn, als er 1950 mit seinen Eltern aus Breslau in eine sächsische Kleinstadt kommt, wo man Vertriebene und Ausgebombte lieber heute als morgen wieder abreisen sähe. Zwar werden Handwerker gebraucht, und Bernhards Vater ist Tischler, aber die Einheimischen bestellen ihre Möbel natürlich nicht bei dem Fremden.
Dem Jungen begegnet man in der Schule nicht viel besser, sich durchbeißen und immer wieder Schläge einstecken - das erkennt er rasch als den einzigen Weg. Dass Bernhard nach der 8. Klasse eine Tischlerlehre beginnt, wundert niemanden, eher schon, dass er später zeitweise als Karussellbesitzer sagenhaft viel Geld verdient. Peter Koller, der in einem selbstgebauten Auto zahlende Gäste nach Westberlin gebracht hat und dafür ein paar Jahre ins Gefängnis muss, weiß genauer, woher Bernhards Wohlstand stammt, aber er verpfeift ihn nicht.
Überhaupt hat Haber Glück mit den Leuten um sich herum: mit seiner Frau Friederike, die ihn anhimmelt, mit seiner Schwägerin Katharina, die ihm beigebracht hat, was Liebe ist, mit dem Sägereibesitzer Sigurd, der dafür sorgt, dass Bernhard als Tischlermeister in den Kegelklub aufgenommen wird, wo die Selbständigen sich treffen, um den nötigen Einfluss auf die Politik des Ortes zu nehmen - vor 1989 und erst recht in den wilden Jahren danach.
…mehr
12,00 €
© Heike Steinweg / Suhrkamp Verlag
Christoph Hein
Hein, ChristophChristoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs.Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle "Der fremde Freund / Drachenblut".Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.Quasthoff, ThomasFast vier Jahrzehnte lang hat Thomas Quasthoff als Sänger auf internationalen Bühnen Maßstäbe gesetzt und unzählige Menschen mit seiner Kunst erreicht und bewegt. Im Januar 2012 beendete er seine beispiellose Karriere als Sänger. Dem Gesang und der Kunst bleibt er weiter eng verbunden: unter anderem als Lehrender an der Musikhochschule "Hanns Eisler" in Berlin oder bei Meisterkursen. Darüber hinaus entdeckte er manch neue Talente an sich und steht als Rezitator, Kabarettist, Moderator und sogar als Schauspieler auf der Bühne.Kundenbewertungen
Verwirrnis
Christoph Hein, Verwirrnis, Suhrkamp 2018, ISBN 978-3-51842822-1
Der neue Roman von Christoph Hein erzählt auf dem Hintergrund der Nachkriegsgeschichte der DDR die Geschichte zwei homosexueller Freunde.
Friedeward Ringeling und Wolfgang Zernick wachsen beide in Heiligenstadt im streng katholischen Eichsfeld auf. In beiden Elternhäusern spielt die Religion auch im neuen sozialistischen Staat eine große Rolle. Friedewards Vater ist ein strenger Lehrer, der ihn und seinen Bruder Hartwig bei jedem möglichen Vergehen mit dem Siebenstriemer schlägt. Wolfgangs Vater ist Kantor der örtlichen Kirchengemeinde und regiert in seiner Familie weitaus weniger streng.
Friedewald und Wolfgang lieben sich und erleben auf vielen Zelturlauben an der Ostsee ihr Coming-Out. Natürlich darf keiner im katholischen Heiligenstadt von ihrer verbotenen Liebe erfahren. Würde ihre Beziehung entdeckt, würden die beiden in der Schule sehr erfolgreichen jungen Männer alles verlieren.
Nach ihrem erfolgreichen Abitur gehen beide nach Leipzig zum Studium. Während Friedeward nach einem Semester in Jena schon sein Fach wechselt, nach Leipzig zieht und schließlich mit wachsender Begeisterung und großem Erfolg Germanistik studiert, widmet sich Wolfgang dem Studium der Musik und wird später mit wechselndem Erfolg als Kantor arbeiten.
In Leipzig entfliehen sie der Enge des Eichsfelds, tauchen ein in eine Welt von berühmten und gefeierten Intellektuellen und erleben eine vorher nicht gekannte Freiheit. Sie lernen die sympathische Jacqueline kennen, die eine heimliche Beziehung zu einer älteren Dozentin namens Herlinde hat, die sie ein Leben lang führen wird. Diese Freundschaft zu Jacqueline wird Friedeward lange schützen und auch die junge Frau hat mit ihrer Beziehung zu dem bald zum Assistenten aufsteigenden Friedeward ein willkommenes Alibi.
Später, als nach dem 17. Juni 1953 und erst recht nach dem Mauerbau 1963 die Verhältnisse rigider werden und auch der berühmte Hans Mayer, der bald schon zum väterlichen Mentor von Friedeward geworden ist, seine Privilegien verliert und schließlich in den Westen flieht, kann nur noch die Heirat Friedewards mit Jacqueline ihn in der Fakultät weiter schützen.
Christoph Hein nimmt seinen Leser mit in die Geschichte Leipzig zwischen 1950 und 1993, seine berühmte Universität und ihre auch im Westen bekannten und anerkannten Gelehrten, "auf die ganz Leipzig stolz war und die überall in der Stadt, in jedem Café mit bewundernden Blicken bedacht wurden und deren Namen selbst den Taxifahrern vertraut waren…, die heimlichen, die eigentlichen Fürsten von Leipzig".
Sein Roman ist eine berührende Geschichte zweier homosexueller Männer, die sich später trotz verschiedener Wege nie aus den Augen verlieren und gleichzeitig ein lebendiges Panorama deutschen Geisteswesens.
Er wirft, wenn er die Zeit nach der Wende beschreibt, einen sehr kritischen Blick darauf, wie nach der Wende auch die Universitäten abgewickelt und unzählige wissenschaftliche Existenzen für immer zerstört wurden. Gleichzeitig ist es eine Hommage an den unvergessenen Germanisten Hans Mayer, in dessen geistige Nähe Hein seinen Protagonisten Friedeward angesiedelt hat.
Friedewards trauriges Lebensende 1993 zeigt nicht nur die persönlichen Folgen einer rigiden Wendepolitik, sondern auch, wie noch vor 25 Jahren bei aller Liberalität Homosexuelle ihre Sexualität und Liebe verstecken mussten.
„Verwirrnis“ ist deshalb ein doppeldeutiger Titel eines Buches, das nüchtern erzählt ist und doch zu seinen Figuren eine große Nähe spüren lässt.
Nicht nur wegen diesem neuen Buch zählt Christoph Hein zu den wichtigsten Zeitzeugen der Geschichte der DDR und der Wendezeit.
Trutz
Ein Meisterwerk.
Sehr unterhaltsam und leicht lesbar, dabei überaus kenntnisreich schildert Christoph Hein deutsche (und russische) Geschichte von unten, als Familien- und Freundschaftsgeschichte. Sein Ton ist geadezu westernhaft lakonisch, was die Bitterkeit der Schicksale ganz besonders unterstreicht. Der Leser erfährt hautnah, wie es sich für den rechtschaffenen Normalbürger anfühlt, wenn Kriminelle an der Macht sind, die mittels irgend eines perfiden Glaubens (ganz gleich ob links oder rechts oder sonstwie bigott) andere gnadenlos terrorisieren. Hört diese Geschichte jemals auf? fragt sich der Leser am Ende. Hein lässt es offen.
Trutz
Bewertung von Winfried Stanzick am 22.05.2017
Christoph Heins Roman Überspannt eine Zeit zwischen dem Berlin der 1920er-Jahre, über das Moskau der Kriegs- und Nachkriegsjahre, über sibirische Straflager bis hin zum heutigen Berlin, in dem sich die Söhne der Familien Trutz und Gejm wiederbegegnen, und auch Hein durch die Begegnung mit Maykl Trutz und die Gespräche mit ihm erst jenen Stoff erhält für sein Buch, für das er viele Jahre vor allem in russischen Archiven ein intensives Aktenstudium absolvierte.
Die Geschichte beginnt mit Rainer Trutz, dem Vater von Maykl, der aus der Provinz und einem engen Elternhaus in das Berlin der 20-er Jahre flieht und durch einen Zufall jene Russin Lilija Simonaitis, Mitarbeiterin der russischen Botschaft, kennenlernt, die dem angehenden Schriftsteller nicht nur die Türen zur Berliner Gesellschaft öffnet, sondern auch später in der Sowjetunion lange zu einer Helferin und Unterstützerin der Familien Trutz wird, bis sie selbst in die grausamen Mühlen der Stalin`schen Säuberungen gerät.
Nachdem der erste Roman von Rainer Trutz, ein frivoles Erstlingswerk, einiges Aufsehen erregt, gerät er mit seinem zweiten Buch in das Viser der Gestapo und flieht mit Hilfe von Lillija mit seiner Familie nach Moskau.
Doch dort im als sicherer Ort phantasierten Exil warten herbe Enttäuschungen auf sie. Rainer Trutz begegnet dort Waldemar Geijm, einem Professor für Mathematik und Sprachwissenschaften an der Lomonossow- Universität, der ein neues Forschungsgebiet begründet, wobei er sich auf alte Vorgänger beruft: die Mnemotechnik, die Lehre von Ursprung und Funktion der Erinnerung. Dieser Prof. Geijm, der bald in Ungnade fällt und später in einem sibirischen Arbeitslager stirbt, unterrichtet mehrere Jahre seinen eigenen Sohn und den Sohn von Rainer Trutz, den kleinen Maykl in dieser Technik, deren Kunst Christoph Hein dann über sechs Jahrzehnte in Berlin bestaunen sollte.
Auch Rainer Trutz, der die harte Arbeit als Pionier beim U-Bahn-Bau in Moskau einigermaßen überlebt, wird nach dem Krieg plötzlich denunziert. Eine alte Rezension, die er noch in Berlin schrieb und in der er sich lustig machte über die Lobhudelei einiger berühmter Schriftsteller, die die Sowjetunion als Paradies darstellten, wird ihm zu Verhängnis. Er kommt in ein Besserungslager im Ural und wird dort von einem Wärter erschlagen.
Auch Maykl und seine Mutter werden drangsaliert, und als Gudrun stirbt, geht er in die DDR. Doch auch dort wird er drangsaliert und versucht als Archivar zu überleben. Nach der Wende wird er Gem, den Sohn von Professor Geijm wiedertreffen und sie stellen fest: sie haben fast dieselben Erfahrungen gemacht wie ihre Väter.
Am Beispiel zweier Familien hat Christoph Hein ein Jahrhundert der Diktaturen wieder aufstehen lassen und lebendig gemacht. In einer Zeit, in der die jüngeren Generation auch von intellektuell geprägten Menschen kaum noch etwas wissen über diese Zeit, ist es sehr zu begrüßen, dass und wie Hein dieses Jahrhundert verstehbar und auch erlebbar macht, am Schicksal realer Menschen.
All das, was im Maykl Trutz in den vielen Gesprächen nicht erzählen konnte, weil er es nicht wissen konnte, hat Hein in endloser Recherchearbeit in zunächst verschlossenen Archiven gefunden.
Er hat es zu einem beeindruckenden literarischen Werk verarbeitet, das einen Platz auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2017 verdient hätte.
Verwirrnis
Bewertung von kaffeeelse am 15.11.2018
Dieses Buch ist ein Roman über das Leben eines homosexuellen Mannes. Friedeward Ringeling wurde am 1. September 1933 in Heiligenstadt als Sohn eines frommen Englischlehrers und einer Krankenschwester geboren. Er wuchs mit seinen beiden Geschwistern in einem recht lieblosen Elternhaus auf, dafür werden die Kinder kontrolliert und jede Unerzogenheit der Kinder wird bestraft, die Schwester Magdalena mit einem "Klaps auf den Hintern" oder einer "Kopfnuss", die beiden Brüder Hartwig und Friedeward bekommen schon den Siebenstriemer zu spüren. Die Folge ist, dass die beiden älteren Geschwister ihr Heil außerhalb des Elternhauses suchen. Friedeward ist recht gut in der Schule, sondert sich von den anderen ab, nur ein Junge findet Zugang zu ihm. Wolfgang Zernick, der Sohn des Pastors, ebenso gut in der Schule und ein Sonderling. Beide freunden sich an, werden unzertrennlich, fangen an Gefallen aneinander zu finden. In den Sommerferien fahren Beide mit den Fahrrädern an die Ostsee zum Zelten und da haben sie ihre ersten erotischen Erfahrungen miteinander. Aus Friedeward und Wolfgang werden Friedl und Wölfchen. Doch beide wissen, dass sie sich verstecken müssen, es ist nicht die Zeit für offene homosexuelle Handlungen. Darauf steht noch eine fünfjährige Gefängnisstrafe, eine Gefängnisstrafe für die Liebe ?!?! Sie versuchen es zu verbergen, Friedewards Vater bekommt es trotzdem heraus und sorgt durch Drohungen dafür, dass sich ihre Wege trennen, natürlich nicht ohne seinen siebzehnjährigen Sohn ein weiteres Mal mit dem Siebenstriemer blutig zu schlagen. Friedl und Wölfchen treffen sich später beim Studium in erst Jena/dann Leipzig wieder, hier in Leipzig treffen sie auf das lesbische Paar Jacqueline und Herlinde, und alle vier werden zu einer eingeschworenen Gemeinschaft, verstecken sich und ihre Neigungen weiter gemeinsam und schützen sich gegenseitig. Weiterhin ist dieser Roman ein guter Blick auf die Geschichte Deutschlands, besonders die Geschichte Leipzigs und seiner Universität und einige Größen dieser schönen Stadt, ein Blick auf die Geschichte Leipzigs bis 1993 führend. Und natürlich ein schöner Blick auf ein verstecktes Leben. Wobei ich mir und hier die Frage stelle, warum sollte sich Liebe verstecken müssen?
Dieser Roman ist nicht gefühlsüberbordend geschrieben, fast nüchtern und etwas kühl. Ich hatte erst Angst ob ich Zugang zum Geschehen finden werde. Aber diese Ängste waren unbegründet. Den Zugang fand ich recht schnell und trotz des recht sachlichen Schreibstil berührte mich das Geschilderte tief. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wieso Liebe, das Beste was Menschen anderen Menschen geben können, bestraft wird, weil Bornierte und Kleingeister unter uns das so möchten und gerade diese Liebe verdammen. Das ist einfach nur traurig und leider auch immer noch ein Thema. Die historischen Informationen des Romans fand ich aufschlussreich und interessant. Der Schreibstil entwickelt einen recht hohen Sog, ich hatte es an einem Tag durch und fand das Buch sehr schön.
Trutz
Der mit Preisen üppig dekorierte Schriftsteller Christoph Hein erzählt in seinem Roman «Trutz», wie zwei Familien in Deutschland und Russland ins Mahlwerk der Geschichte geraten. Im Vorwort erfahren wir: «In diesen Roman geriet ich aus Versehen oder vielmehr durch eine Bequemlichkeit». Bei einem Vortrag nämlich trifft er zufällig auf Maykl Trutz, der ganz offensichtlich ein phänomenales Gedächtnis hat und aus dem Stehgreif mit seinen gezielten Fragen die Rednerin arg in Verlegenheit bringt. Von dem verblüfften Ich-Erzähler angesprochen, woher er denn seine Detailkenntnisse habe, erklärt er: «Ich habe es irgendwann einmal gelesen. Und was ich gelesen habe, weiß ich. Und wenn ich es aufgeschrieben habe, weiß ich es für alle Zeiten». Von ihm stammt die Geschichte, die hier erzählt wird, und ihm hat der Autor sein Epos auch gewidmet.
Die Mnemonik, die Kunst des Gedächtnistrainings also, zieht sich wie ein roter Faden durch den Plot, der von der Weimarer Republik bis ins neue Jahrtausend hinein insbesondere die verheerenden Auswirkungen der durch die Nazis und Stalin, aber auch durch die SED errichteten Diktaturen am Beispiel seiner Protagonisten verdeutlicht. Da ist zunächst Maykls Vater Rainer, der nach der Schule aus seinem kleinen Dorf nach Berlin geht, um dort als Schriftsteller sein Glück zu versuchen. Er schreibt eine kritische Rezension für die «Weltbühne» über die Reise einer Gruppe von Schriftstellern durch die Sowjetunion und hat mit einem kleinen Roman seinen ersten Erfolg, bis plötzlich im «Stahlhelm», dem Kampfblatt der Nazis, eine bösartige Kritik erscheint, der sich alle anderen Zeitschriften geflissentlich anschließen, - er ist als Autor damit vernichtet. Mit seiner Lebensgefährtin, die einer christlichen Gewerkschaft angehört und ebenfalls unter politischen Druck gerät, emigriert er schließlich nach Moskau. Sie bauen sich dort unter großen Mühen ein bescheidenes Leben auf und bekommen 1934 einen Sohn, Maykl.
Bei einer Weihnachtsfeier mit ihrer russischen Freundin lernen sie Waldemar Gejm kennen, Professor für Mathematik und Sprachwissenschaft, der als Pionier der Mnemonik in Russland erfolgreiche Studien betreibt. Selbst sein kleiner Sohn Rem und Maykl werden darin einbezogen, als sie zwei Jahre alt sind, beide machen begeistert mit, die Knirpse profitierten deutlich erkennbar von dem neuartigen Gedächtnistraining. Bis plötzlich beide Familien Opfer der stalinschen Säuberungen werden und man sie unter völlig unhaltbaren Anschuldigungen zur Zwangsarbeit im Osten verurteilt, die beide Elternpaare letztendlich nicht überleben. Auch in der DDR leidet der später nach Deutschland zurückgekehrte Maykl erneut unter politischer Willkür, er trifft Rem schließlich erst nach 48 Jahren wieder, als beide schon pensioniert sind.
Dramaturgisch geschickt erzählt Hein in drei Teilen seine ebenso spannende wie bewegende Geschichte von der oft abstrusen politischen Willkür dieses für das Menschsein eher katastrophalen, rückschrittlichen Jahrhunderts. Wobei er sich einer geradezu «zweckdienlichen», schnörkellos klaren Sprache bedient, die besonders in den lebensechten Dialogen überzeugt. Auch die Verstrickung der beiden Familienschicksale ist glaubwürdig dargestellt. Allerdings hat man all das, wovon berichtet wird, schon anderswo gelesen, sieht man mal von der Mnemonik ab, und es wird leider auch so manches Klischee bemüht. Zuweilen stellt sich - auch durch einige unnötige Wiederholungen - Langeweile ein bei den detailverliebten, aber eben auch ausufernden Schilderungen. Ironie mithin, weil Maykls Verleger im Roman ihn ermahnt, nicht mehr als 150 Seiten zu schreiben bei seinem zweiten Romanprojekt, - Hein selbst braucht 477, Suhrkamp ist da deutlich großzügiger. Und das Couplet «Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist» am Ende von Rems Trauerfeier, das auch den letzten Satz des Romans bildet, den Maykl da vor sich hinträllert, ist geradezu unglaublich kitschig. Schade!
Mehr anzeigen »