Sofort per Download lieferbar
Statt: 22,00 €**
**Preis der gedruckten Ausgabe (Gebundenes Buch)
Alle Infos zum eBook verschenkenWeitere Ausgaben:
PAYBACK Punkte
0 °P sammeln!
**Preis der gedruckten Ausgabe (Gebundenes Buch)
Sylvie Schenks neuer Roman - "Ein tief berührendes Lesevergnügen." Franziska Hirsbrunner, SRF2 Kultur Eine Annäherung an die eigene Mutter und eine schmerzhafte Abrechnung: 1916 wird Sylvie Schenks Mutter geboren, die Großmutter stirbt bei der Geburt. Angeblich war diese eine Seidenarbeiterin, wie schon die Urgroßmutter. Aber stimmt das? Und welche Geschichte wird den Nachkommenden mit auf den Weg gegeben? Als Kind leidet Sylvie Schenk unter dieser Unklarheit, als Schriftstellerin ist sie deshalb noch immer von großer Unruhe geprägt. Mit poetischer Präzision spürt sie den Fragen nach,...
Sylvie Schenks neuer Roman - "Ein tief berührendes Lesevergnügen." Franziska Hirsbrunner, SRF2 Kultur Eine Annäherung an die eigene Mutter und eine schmerzhafte Abrechnung: 1916 wird Sylvie Schenks Mutter geboren, die Großmutter stirbt bei der Geburt. Angeblich war diese eine Seidenarbeiterin, wie schon die Urgroßmutter. Aber stimmt das? Und welche Geschichte wird den Nachkommenden mit auf den Weg gegeben? Als Kind leidet Sylvie Schenk unter dieser Unklarheit, als Schriftstellerin ist sie deshalb noch immer von großer Unruhe geprägt. Mit poetischer Präzision spürt sie den Fragen nach, die die eigene Familiengeschichte offenlässt. "Maman" ist waghalsiges Unterfangen und explosive Literatur zugleich. Nach "Schnell, dein Leben" hat die Autorin erneut einen Text voll Schönheit und Temperament geschrieben.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, L ausgeliefert werden.
- Geräte: eReader
- ohne Kopierschutz
- eBook Hilfe
- Größe: 2.67MB
- FamilySharing(5)
- Text-to-Speech
Sylvie Schenk wurde 1944 in Chambéry, Frankreich, geboren, studierte in Lyon und lebt seit 1966 in Deutschland. Sylvie Schenk veröffentlichte Lyrik auf Französisch und schreibt seit 1992 auf Deutsch. Sie lebt bei Aachen und in La Roche-de-Rame, Hautes-Alpes. Bei Hanser erschienen ihre Romane Schnell, dein Leben (2016), Eine gewöhnliche Familie (2018), Roman d'amour (2021) und Maman (2023).
Produktdetails
- Verlag: Carl Hanser Verlag
- Seitenzahl: 176
- Erscheinungstermin: 20. Februar 2023
- Deutsch
- ISBN-13: 9783446276994
- Artikelnr.: 66829472
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Judith von Sternburg ist beeindruckt von Sylvie Schenks Roman, in dem es unter anderem darum geht, wie Männer reagieren, wenn sie erfahren, dass ihre Freundinnen schwanger sind. Das Buch setzt bei der Großmutter der Erzählerin an, erfahren wir, die im 19. Jahrhundert in ärmlichen Verhältnissen lebt und eine Tochter in eine Pflegefamilie gibt. Diese Tochter, Renée, ist die Mutter Schenks, über deren Leben die Autorin hier schreibt, ohne, wie Sternburg ausführt, dabei ihre eigene Unsicherheit über die Wahrheit des Dargestellten zu verbergen. In ihrer Kindheit findet diese Renée bei anderen Kindern kaum Anschluss und auch später selten ein Verhältnis zu dem Leid, mit dem sie konfrontiert ist. Sternburg fühlt sich bisweilen an Annie Ernaux erinnert, doch kommt ihr diese tastende Auslotung der Erinnerung poetischer vor.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Bosheit hat noch Milchzähne
Sylvie Schenk hat mit "Maman" ein faszinierendes literarisches Porträt ihrer Mutter geschaffen
Wie kann es sein, dass diese deutsche Autorin immer noch als Geheimtipp gilt? Mit ihren Büchern "Schnell, dein Leben" (2016) und "Eine gewöhnliche Familie" (2018) hatte sich Sylvie Schenk, geboren 1944 im französischen Chambéry, zuletzt im autofiktionalen Genre als Pendant zu Annie Ernaux profiliert, ohne uns über ihren höchst individuellen Zugang im Zweifel zu lassen: fragmentarisch wie die Erinnerung, skeptisch gegen das eigene Ressentiment, zweifelnd an der eigenen Rolle im Familienspiel und am Schreibtisch, präzise, klug und voll Witz, hart und doch zart. Am Anfang von "Maman", der
Sylvie Schenk hat mit "Maman" ein faszinierendes literarisches Porträt ihrer Mutter geschaffen
Wie kann es sein, dass diese deutsche Autorin immer noch als Geheimtipp gilt? Mit ihren Büchern "Schnell, dein Leben" (2016) und "Eine gewöhnliche Familie" (2018) hatte sich Sylvie Schenk, geboren 1944 im französischen Chambéry, zuletzt im autofiktionalen Genre als Pendant zu Annie Ernaux profiliert, ohne uns über ihren höchst individuellen Zugang im Zweifel zu lassen: fragmentarisch wie die Erinnerung, skeptisch gegen das eigene Ressentiment, zweifelnd an der eigenen Rolle im Familienspiel und am Schreibtisch, präzise, klug und voll Witz, hart und doch zart. Am Anfang von "Maman", der
Mehr anzeigen
Geschichte ihrer Mutter, weiß die Erzählerin nicht, ob das, was sie schreibt, ein Roman sein wird, doch sie weiß: "Es wird ein approximativer Text." Aber weil Sylvie Schenk ihre Annäherung vollzieht, indem sie die Lücken der Überlieferung und des Gedächtnisses mittels Imagination und Einfühlung füllt, kommt eben doch ein Roman heraus.
"Sie war ein stummer Mensch mit blauen Augen und einem Verstand, der damit beschäftigt war, seine Mängel zu kaschieren." Ein solcher Satz über die eigene Mutter ist unerhört, mag die Ich-Erzählerin auch noch so glaubwürdig betonen, sie "habe sie geliebt, wie man ein seltsames Wesen liebt, das zu einem gehört, ein Geheimnis, das man bewahrt". Doch Sylvie Schenk hat sich nun einmal für Klartext entschieden, sie verzichtet auf den biographischen Weichzeichner, und "Geheimnis" ist ein Schlüsselwort des Romans: Dass die Herkunft der Renée Gagnieux im Dunkeln lag, auch für sie selbst, dass das Rätsel darum die Kindheit der fünf Geschwister verdüstert und "das Leben meiner Mutter ausgehöhlt hat, eine mittelalterliche Tropffolter", setzt für die Tochter Recherche und Selbstbefragung in Gang: "Mamans Leben und mein Leben sind miteinander verflochten wie zwei unterschiedlich gefärbte Wollfäden im schlecht gestrickten Pullover einer Penelope, die auf sich selbst wartet."
Renée ist diese Penelope, die auf sich selbst wartet, lebenslang und vergeblich. Sie strickt mit mechanischer Hingabe, liest, wenn überhaupt, Trivialliteratur, macht sich nichts aus Wandern und Schifahren, ihr Mann, kein Odysseus, sondern Zahnarzt aus gutem Hause, unternimmt seine Touren allein. Das Paar ist von Lyon in die Berge gezogen, nach Gap in Hautes-Alpes. Die Geschwister erinnern sich später an einen ganz mit sich selbst beschäftigten Vater und an eine lieblose und gleichgültige Mutter, die "keine Moral" hatte, aber zwei eherne Prinzipien der Erziehung: nur ja nicht zu spät zum Essen kommen und nur ja kein uneheliches Kind kriegen! Das entspricht durchaus dem Comme-il-faut der bürgerlichen Familie, doch bei Renée steckt mehr dahinter: Sie ist ein Adoptivkind, was ihre dünkelhaften Schwiegereltern sie zeit ihres Lebens spüren lassen. Und sie kennt nicht einmal den Namen ihrer Mutter, geschweige denn den ihres Vaters.
Da setzt die Erzählerin mit ihrer (sub-)proletarischen Genealogie der alleinerziehenden Mütter an, mit Renées Großmutter, der arbeitslosen Seidenweberin aus Lyon, die ihre uneheliche Tochter Cécile durchbringen muss und irgendwann auf dem Strich landet wie viele und später auch Cécile, die bei der Geburt ihrer Tochter Renée am 29. Dezember 1916 stirbt. Das Mädchen durchläuft die traurige Karriere einer Waise, kommt zu hartherzigen Bauern in Pflege, ehe sie mit sechs das große Los zieht: eine liebevolle und geduldige Adoptivmutter, einen freundlichen Adoptivvater. Renées Urvertrauen in die Welt ist freilich erschüttert, die Schule überfordert sie, für ihre Mitschüler ist sie die Idiotin: "Sie lachen, die Bosheit hat noch Milchzähne." Schenk schildert ein diffuses Fremdheitsgefühl, das Bewusstsein einer untilgbaren fundamentalen Minderwertigkeit, aus dem heraus die Ehe mit einem einsilbigen, etwas gehemmten Zahnarzt als Ausweg erscheint.
Tatsächlich gerät Renée in die freudlose Fron ehelicher Pflichten: Die Tochter erkennt in der erzwungenen sexuellen Gemeinschaft mit dem Vater einen Hauptgrund für das Unglück der Mutter. Erst mit der Geburt der Nachzüglerin Lisa spielt Renée sich frei und kann sich diesem Kind ganz anders zuwenden. Was sie über ihrer Herkunft weiß, bleibt unklar: "Sah sie sich selbst als Schandfleck, als Sprössling einer Hure?"
Da ist der unzulänglich verborgene Hass der Mutter gegen den Vater, aber auch "ein tiefes, andauerndes Grollen". In kurzen Kapiteln mit prägnanten Überschriften ("Die Unglückliche", "Merci, Madame", "Das Mädchen ohne Talente") zeichnet die Tochter sie scharfsichtig als ein "angerichtetes Wesen. Als habe man ihre Seele und ihren Körper in den ersten sechs Jahren zum Schweigen gebracht. Danach wurde zwar eine Notreparatur vorgenommen. Das Wesentliche hatte man aber nicht wiederherstellen können."
Stets ist die Erzählerin nahe dran an ihren Figuren, ohne sich selbst als - imaginierte oder teilnehmende - Beobachterin aus der Szenerie auszusparen. So betont sie das Gemachte, Kalkulierte, Subjektive ihrer Geschichte. Ihre Schwestern, denen sie Teile zu lesen gibt, werfen ihr vor, die Mutter bloß als Opfer zu sehen. So bemüht sie sich darum, auch das Positive wahrzunehmen, eine Leerstelle zu füllen, sie zitiert Racine: "'Jede Erfindung besteht darin, aus nichts etwas zu machen.' Will ich das? Ich schöpfe doch ständig aus dem Nichts. Ich mache ihr einen luftigen Sarg aus Worten." Letztlich entscheidet Sylvie Schenk sich gegen das Luftige und für das Handfeste, ganz ohne Rührseligkeit, dafür umso rührender, sie widmet sich der nur oberflächlich honetten Damenrunde der Mutter, ihrem ominösen Fehltritt, den man Fauxpas nennt, dem späten Aufeinanderzugehen während ihrer Krebserkrankung. Zuletzt ist das Buch für sie "meine erste und letzte Umarmung. Schreiben. Streicheln. Festhalten."
Sylvie Schenk erzählt in diesem Porträt nicht nur eindringlich von bourgeoiser Verlogenheit und Entmündigung, sondern auch von französischem Klassendenken und Gesinnungskollaboration im Zweiten Weltkrieg, vom komplizenhaften Schweigen der Frauen und vom Schweigen der Sieger, die sich mit ihrer Scham hinter dem Nimbus der Résistance versteckten. Und nicht zuletzt vom Eigensinn einer jungen Schriftstellerin in kunstfeindlicher Umgebung. DANIELA STRIGL
Sylvie Schenk: "Maman". Roman.
Hanser Verlag,
München 2023. 173 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Sie war ein stummer Mensch mit blauen Augen und einem Verstand, der damit beschäftigt war, seine Mängel zu kaschieren." Ein solcher Satz über die eigene Mutter ist unerhört, mag die Ich-Erzählerin auch noch so glaubwürdig betonen, sie "habe sie geliebt, wie man ein seltsames Wesen liebt, das zu einem gehört, ein Geheimnis, das man bewahrt". Doch Sylvie Schenk hat sich nun einmal für Klartext entschieden, sie verzichtet auf den biographischen Weichzeichner, und "Geheimnis" ist ein Schlüsselwort des Romans: Dass die Herkunft der Renée Gagnieux im Dunkeln lag, auch für sie selbst, dass das Rätsel darum die Kindheit der fünf Geschwister verdüstert und "das Leben meiner Mutter ausgehöhlt hat, eine mittelalterliche Tropffolter", setzt für die Tochter Recherche und Selbstbefragung in Gang: "Mamans Leben und mein Leben sind miteinander verflochten wie zwei unterschiedlich gefärbte Wollfäden im schlecht gestrickten Pullover einer Penelope, die auf sich selbst wartet."
Renée ist diese Penelope, die auf sich selbst wartet, lebenslang und vergeblich. Sie strickt mit mechanischer Hingabe, liest, wenn überhaupt, Trivialliteratur, macht sich nichts aus Wandern und Schifahren, ihr Mann, kein Odysseus, sondern Zahnarzt aus gutem Hause, unternimmt seine Touren allein. Das Paar ist von Lyon in die Berge gezogen, nach Gap in Hautes-Alpes. Die Geschwister erinnern sich später an einen ganz mit sich selbst beschäftigten Vater und an eine lieblose und gleichgültige Mutter, die "keine Moral" hatte, aber zwei eherne Prinzipien der Erziehung: nur ja nicht zu spät zum Essen kommen und nur ja kein uneheliches Kind kriegen! Das entspricht durchaus dem Comme-il-faut der bürgerlichen Familie, doch bei Renée steckt mehr dahinter: Sie ist ein Adoptivkind, was ihre dünkelhaften Schwiegereltern sie zeit ihres Lebens spüren lassen. Und sie kennt nicht einmal den Namen ihrer Mutter, geschweige denn den ihres Vaters.
Da setzt die Erzählerin mit ihrer (sub-)proletarischen Genealogie der alleinerziehenden Mütter an, mit Renées Großmutter, der arbeitslosen Seidenweberin aus Lyon, die ihre uneheliche Tochter Cécile durchbringen muss und irgendwann auf dem Strich landet wie viele und später auch Cécile, die bei der Geburt ihrer Tochter Renée am 29. Dezember 1916 stirbt. Das Mädchen durchläuft die traurige Karriere einer Waise, kommt zu hartherzigen Bauern in Pflege, ehe sie mit sechs das große Los zieht: eine liebevolle und geduldige Adoptivmutter, einen freundlichen Adoptivvater. Renées Urvertrauen in die Welt ist freilich erschüttert, die Schule überfordert sie, für ihre Mitschüler ist sie die Idiotin: "Sie lachen, die Bosheit hat noch Milchzähne." Schenk schildert ein diffuses Fremdheitsgefühl, das Bewusstsein einer untilgbaren fundamentalen Minderwertigkeit, aus dem heraus die Ehe mit einem einsilbigen, etwas gehemmten Zahnarzt als Ausweg erscheint.
Tatsächlich gerät Renée in die freudlose Fron ehelicher Pflichten: Die Tochter erkennt in der erzwungenen sexuellen Gemeinschaft mit dem Vater einen Hauptgrund für das Unglück der Mutter. Erst mit der Geburt der Nachzüglerin Lisa spielt Renée sich frei und kann sich diesem Kind ganz anders zuwenden. Was sie über ihrer Herkunft weiß, bleibt unklar: "Sah sie sich selbst als Schandfleck, als Sprössling einer Hure?"
Da ist der unzulänglich verborgene Hass der Mutter gegen den Vater, aber auch "ein tiefes, andauerndes Grollen". In kurzen Kapiteln mit prägnanten Überschriften ("Die Unglückliche", "Merci, Madame", "Das Mädchen ohne Talente") zeichnet die Tochter sie scharfsichtig als ein "angerichtetes Wesen. Als habe man ihre Seele und ihren Körper in den ersten sechs Jahren zum Schweigen gebracht. Danach wurde zwar eine Notreparatur vorgenommen. Das Wesentliche hatte man aber nicht wiederherstellen können."
Stets ist die Erzählerin nahe dran an ihren Figuren, ohne sich selbst als - imaginierte oder teilnehmende - Beobachterin aus der Szenerie auszusparen. So betont sie das Gemachte, Kalkulierte, Subjektive ihrer Geschichte. Ihre Schwestern, denen sie Teile zu lesen gibt, werfen ihr vor, die Mutter bloß als Opfer zu sehen. So bemüht sie sich darum, auch das Positive wahrzunehmen, eine Leerstelle zu füllen, sie zitiert Racine: "'Jede Erfindung besteht darin, aus nichts etwas zu machen.' Will ich das? Ich schöpfe doch ständig aus dem Nichts. Ich mache ihr einen luftigen Sarg aus Worten." Letztlich entscheidet Sylvie Schenk sich gegen das Luftige und für das Handfeste, ganz ohne Rührseligkeit, dafür umso rührender, sie widmet sich der nur oberflächlich honetten Damenrunde der Mutter, ihrem ominösen Fehltritt, den man Fauxpas nennt, dem späten Aufeinanderzugehen während ihrer Krebserkrankung. Zuletzt ist das Buch für sie "meine erste und letzte Umarmung. Schreiben. Streicheln. Festhalten."
Sylvie Schenk erzählt in diesem Porträt nicht nur eindringlich von bourgeoiser Verlogenheit und Entmündigung, sondern auch von französischem Klassendenken und Gesinnungskollaboration im Zweiten Weltkrieg, vom komplizenhaften Schweigen der Frauen und vom Schweigen der Sieger, die sich mit ihrer Scham hinter dem Nimbus der Résistance versteckten. Und nicht zuletzt vom Eigensinn einer jungen Schriftstellerin in kunstfeindlicher Umgebung. DANIELA STRIGL
Sylvie Schenk: "Maman". Roman.
Hanser Verlag,
München 2023. 173 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
"Fragmentarisch wie die Erinnerung, skeptisch gegen das eigene Ressentiment, zweifelnd an der eigenen Rolle im Familienspiel und am Schreibtisch, präzise, klug und voller Witz, hart und doch zart." Daniela Strigl, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.06.23 "Trotzdem ist 'Maman' kein trauriges Buch. Seine Genauigkeit, seine Schärfe, die gänzliche Abwesenheit von Larmoyanz und Sentimentalität und der gelegentliche Schalk machen es zu einem tief berührenden Lesevergnügen." Franziska Hirsbrunner, SRF2 Kultur, 23.05.23 "Unglaublich packend, hochliterarisch, sehr reflektiert." Elke Heidenreich, SPIEGEL Bestseller, 14.05.23 "Sylvie Schenks Kunst besteht darin, dieser unscheinbaren, fast wesenlosen Mutter 'einen luftigen Sarg aus Worten' zu machen,
Mehr anzeigen
sie durch ihr Schreiben aus dem Nichts zu retten. Schon die zärtliche Anrede 'Maman' zeigt, dass Sylvie Schenk ihrer Mutter, dieser lebenslang ungeliebten Frau, die immer fror, ein Denkmal setzen, ihr Momente von Zuneigung und Zärtlichkeit schenken möchte." Barbara Machui, Der Standard, 13.05.23 "'Maman' ist nicht einfach nur ein Buch über eine Mutter, sondern ein Buch über das Leben selbst." Jörg Magenau, SWR2 Lesenswert, 04.05.2023 "'Maman' ist ein packendes, kluges Buch, das die Epoche der 1940er- bis 1960er-Jahre ebenso scharf konturiert wie die Psyche seines Personals. Sylvie Schenk, die im kommenden Jahr 80 Jahre alt wird, wird noch immer unter Wert gehandelt. 'Maman' wäre eine weitere Chance, daran etwas zu ändern." Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung, 22.04.23 "Gekonnt balanciert die Autorin zwischen Anmaßung und Wahrhaftigkeit." Brigitte Woman, 05/23 "'Maman' [ist] ein starker Aussöhnungstext geworden, der uns Töchtern beibringt, liebevoller auf die Frauen der Generationen über uns zu schauen." Mareike Ilsemann, WDR 5 Bücher, 20.03.23 "'Maman' ist ein bestürzendes und gleichzeitig brillantes Buch, das tiefe Abgründe im Verhältnis einer Tochter und ihrer Mutter, zu ihrer gesamten Familie erahnen lässt. ... Sylvie Schenk (ver-)urteilt nicht, sondern sie stellt dar, beschreibt, hält fest. Und das in einem transparenten, einnehmenden, schnörkellosen und doch eleganten Stil." Dirk Fuhrig, Deutschlandfunk Lesart, 06.03.23 "Der Roman von Sylvie Schenk über 'Maman' ist eine behutsame Annäherung an ein schweres Schicksal. Aber er ist kein Klagelied, sondern erzählt auch mit Temperament und Witz einfach von dem alltäglichen Stress von Leuten, die sich lieben. [...] Gerade die bedingungslose Suche nach Wahrheit macht ein solches Schreibprojekt auch für andere Leser zu einer wertvollen Lektüre - wie in diesem Fall." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 21.02.23 "Diese Muttergeschichte ist eine der gleichermaßen lebendigsten, klügsten und berührendsten seit langem." Gerrit Bartels, Tagesspiegel, 17.02.23
Schließen
Ein Sarg aus Worten
Die in Frankreich geborene Sylvie Schenk bedient mit ihrem autofiktionalen Roman «Maman» ein beliebtes Genre der Belletristik, die Suche nach der eigenen Identität. Der schmale Band befasst sich mit dem Leben von nicht weniger als vier Frauen, beginnend bei …
Mehr
Ein Sarg aus Worten
Die in Frankreich geborene Sylvie Schenk bedient mit ihrem autofiktionalen Roman «Maman» ein beliebtes Genre der Belletristik, die Suche nach der eigenen Identität. Der schmale Band befasst sich mit dem Leben von nicht weniger als vier Frauen, beginnend bei der Urgroßmutter über die Großmutter, die Mutter und schließlich die Ich-Erzählerin selbst als deren Tochter. Überhaupt stehen Frauen im Fokus, allein aus der eigenen Familie sind es fast ein Dutzend. Dabei stoßen die zweihundert Jahre zurück reichenden Recherchen auf eine extrem spärliche Faktenlage, bedingt unter anderem durch die zwei Weltkriege. Wie der Buchtitel zeigt, geht es um die Mutter der namenlos bleibenden, in Frankreich geborenen Tochter. Das lebenslang distanzierte Verhältnis der verstorbenen Mutter zu ihrer Tochter ist jedenfalls sehr ungewöhnlich und lässt ihr keine Ruhe. Als Schriftstellerin will sie nun ein Buch schreiben, in dem sie das Leben ihrer Mutter rekapituliert, ein aktuell häufig anzutreffendes Roman-im-Roman-Konstrukt, auf das man auch hier bei der Lektüre immer wieder mal stößt.
Wo Fakten fehlen, werden sie in dieser verzweifelten Aufarbeitung der Vergangenheit kurzerhand durch Vermutungen und emotionale Ergänzungen ersetzt. In nicht weniger als 62 kurzen Kapiteln (bei 173 Seiten!) wird hier eine sehr engagierte, persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft geschildert. Durch viele Gespräche mit den Verwandten, Recherchen bei allerlei Behörden, mit nur wenigen Dokumenten und Fotos versucht die Protagonistin verzweifelt, Licht in das fast schon unheimliche Dunkel zu bringen, welches die seltsam gestörte Empathie ihrer Mutter für sie persönlich bedeutet. Was hat dazu geführt, dass die Mutter so anders war als andere Mütter? Und es kommen zuweilen sogar Selbstzweifel auf: Ist sie womöglich selber schuld an dem gestörten Verhältnis? Jene jedoch, die ihr erzählen könnten, was vor vielen Jahren war, was ihrer Mutter widerfahren ist, sind schon lange tot und haben ihr Wissen mit ins Grab genommen. Die Mutter selbst war ja immer wortkarg, hat nie von ihrem Leben erzählt, hat die vermeintlichen Geheimnise auch auf Nachfrage immer bei sich behalten.
In den miteinander verschachtelten Kapiteln werden mutmaßliche Ereignisse und alle - die vielen Lücken ergänzenden - Gedankengänge der Autorin kurz angerissen, eine angesichts der Faktenlage sinnvolle, fraktionelle Erzählweise für diese Thematik. Weil aber all das, auch zeitlich, ziemlich sprunghaft geschieht, ist man sich nie ganz sicher, was hier Dichtung und was Wahrheit ist. Gleich in den ersten Kapiteln erfahren wir von den Nöten einer ungewollten Schwangerschaft in jenen Zeiten, wo es noch selbstverständlich war, dass ungewollte Kinder einfach den Behörden übergeben wurden, wo man sie dann möglichst bald zur Adoption weitergereicht hat. Erschütternd zu lesen, wie man da mit Babys umgegangen ist, welche freudlose Kindheit ihnen bevorstand, wenn sie als Kleinkind an arme Bauern «vermietet» wurden, für die sie nur eine billige Arbeitskraft waren und kein neues Familienmitglied. Genau das ist der Mutter widerfahren, und die Ich-Erzählerin berichtet mangels Fakten sehr emotional davon. Es wird aber auch deutlich gemacht, dass die prekäre Lage der Mütter sich in der weiblichen Ahnenreihe häufig weitervererbt. Die Mutter hat genau dieses, ihr ganzes Leben prägende Schicksal erlitten.
Unklare Herkunft und zweifelhaftes Selbstbild werden hier in einem erschütternden «Sarg aus Worten», beginnend mit dem Tod der Großmutter, glaubhaft als Ursachen verschiedener seelischer Bedrängnisse dargestellt. Die Fülle der angerissenen Themen steht unter der ständigen Frage nach dem «Was wäre wenn?» Für die gewählte erzählerische Kurzform wirkt die Thematik des Romans eindeutig überambitioniert, zumal hier ja ein ernstes seelisches Problem verhandelt wird, das für verschiedene psychische Erkrankungen ursächlich ist. Diese Überforderung schmälert leider ebenso wie das oft unklare Zusammenspiel von Fakten und Fiktionen in einer sprunghaften Erzählweise den Lesegenuss erheblich.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Mysterium Mutter
Sylvie Schenk widmet sich in ihrem Buch "Maman" der Frage, wer ihre Mutter wirklich gewesen ist und setzt dabei bei den Leser:innen unweigerlich auch einen Prozess in Gang. Denn wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, fragen wir unsere Eltern einfach viel zu wenig …
Mehr
Mysterium Mutter
Sylvie Schenk widmet sich in ihrem Buch "Maman" der Frage, wer ihre Mutter wirklich gewesen ist und setzt dabei bei den Leser:innen unweigerlich auch einen Prozess in Gang. Denn wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, fragen wir unsere Eltern einfach viel zu wenig über ihre eigene Vergangenheit und verpassen so die Gelegenheit, den Mensch hinter der Mutter- oder Vaterrolle kennenzulernen.
Die Autorin versucht in diesem Buch, das Mysterium Mutter aufzuklären und aus den Nebeln der Vergangenheit Antworten auf ihre Fragen zu finden, die das manchmal doch recht abweisende und in sich gekehrte Verhalten ihrer Mutter rechtfertigen. Es ist eine Reise zurück in das beginnende 20. Jahrhundert, in dem die Stellung der Frau in der Gesellschaft noch eine ganz andere gewesen ist.
Auch wenn sich Frauen als Arbeiterinnen ihr Geld verdient haben, so hat es hinten und vorne nicht zum Leben gereicht und viele haben sich prostituiert. Der "Makel" scheint wie Pech zu kleben und zieht sich kontinuierlich durch die Lebensgeschichte. Als Adoptivtochter erfährt sie erst sehr spät was es heißt , in Liebe und Geborgenheit aufzuwachsen. Doch dieses umsorgt sein fühlt sich "falsch" an, nie gehört sie richtig dazu und wird zum Gespött in der Schule.
Auch im Verlauf ihrer Ehe sind große Gefühle eher Mangelware und es ist vielmehr ein miteinander arrangieren, als ein liebevolles Zusammenleben. Schließlich werden verzerrte Bilder aus der Erinnerung allzu präsent und geben die Erklärung ab, warum das eigene Verhalten so negativ geprägt ist.
Sylvie Schenk versucht, sich in liebevollen Worten an ihre Mutter zu erinnern, aber es fällt ihr schwer, zwischen all den negativen Gedanken auch positive Eigenschaften und warmherzige Beschreibungen für ihre Mutter zu finden. Ein sehr gewagter Spagat, denn hier legt sie für ihre Leser;innen ganz intime Einblicke offen. Mitunter sehr lyrisch und poetisch, dann aber wieder derb und auch mal zynisch - ein sehr wechselvolles Porträt einer Frau, die ihren Platz im Leben nie wirklich gefunden hat.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Wie das Leben so spielt
Schlechter kann ein Leben gar nicht beginnen. Die Mutter stirbt bei der Geburt, einen Vater gibt es nicht, da sie womöglich Prostituierte war. Also Adoption in eine Bauernfamilie, die aber nur am Geld für die Pflege interessiert ist und keinerlei Liebe …
Mehr
Wie das Leben so spielt
Schlechter kann ein Leben gar nicht beginnen. Die Mutter stirbt bei der Geburt, einen Vater gibt es nicht, da sie womöglich Prostituierte war. Also Adoption in eine Bauernfamilie, die aber nur am Geld für die Pflege interessiert ist und keinerlei Liebe gegenüber dem Säugling zeigt. Ja einem tritt sie sogar eine Kuh, weshalb ihre Nase ihr Leben lang eine Macke behält.
Doch dann kommt die Wende. Den Behörden fällt auf, dass das Kind vernachlässigt wird und sie wechselt zu einer Mutter, deren Mann sie gerade verlässt. So sorgt sie für ihr Kind und nimmt sich die Zeit, sie nun bestmöglich auf das Leben vorzubereiten.
Ja, trotz ihrer ungeklärten Herkunft gelingt es ihr für die Tochter einen Zahnarzt zu angeln und mit ihm – obwohl echte Liebe wahrscheinlich fehlt – sechs Kinder zu haben. Dass sie später noch einen Seitensprung hatte, ist geschenkt.
Trotz des weniger spannenden Schlussteil hat mich gerade der Anfang so bewegt, die unbekannte Großmutter der Autorin und der ersten Jahre von Mamam so bewegt, dass ich 5 Sterne verschenke. Ich gebe zu, dass ich nicht weiß, ob das Buch mit dem deutschen Titel „Mama“ auch so gut geworden wäre. Aber das bleibt Spekulation. Keine Spekulation ist, dass diese Buch besser ist, als alle Bücher der Shortlist von 2022.
Zitat: „Mädchen, passt auf, alle Männer sind Schweine“, als wäre auch unser Vater ein Schwein, dieser mal melancholische, mal cholerische Mensch ein Schwein. (22)
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Eigentlich hatte ich ehrlich gesagt nach Helga Schuberts "Vom Aufstehen", Kim de l`Horizons "Blutbuch" und Annie Ernauxs "Der junge Mann" die Nase voll von autofiktionalen Erzählungen. Dieses oft weinerliche Um-sich-selbst-Kreisen geht mir im Privatleben schon auf …
Mehr
Eigentlich hatte ich ehrlich gesagt nach Helga Schuberts "Vom Aufstehen", Kim de l`Horizons "Blutbuch" und Annie Ernauxs "Der junge Mann" die Nase voll von autofiktionalen Erzählungen. Dieses oft weinerliche Um-sich-selbst-Kreisen geht mir im Privatleben schon auf die Nerven, und auch als zeitgenössische Literaturgattung kann ich dieser Art sich auszudrücken meist wenig abgewinnen.
Doch bei diesem Roman von Sylvie Schenk, einer französischen Autorin, die in Deutschland lebt und seit einigen Jahrzehnten auch auf Deutsch schreibt, ist das anders. Sie erzählt auf sehr berührende und intensive Weise über ihre verstorbene Mutter. Dabei ist vieles unweigerlich Fiktion, denn "Maman" war sehr verschlossen, und auch von der weitläufigen Verwandtschaft sind nur noch spärliche Gerüchte in Erfahrung zu bringen. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil die Mutter der Autorin ein Adoptivkind ungewisser Abstammung war und somit zeitlebens unter Standesdünkeln der französischen Klassengesellschaft zu leiden hatte.
Gut gefällt mir daran, dass Schenk deutlich abgrenzt, was an wenigen Fakten über Großmutter und Mutter vorhanden ist, welche Erinnerungen mündlich überliefert wurden und was sie letztlich für ihren Roman dazu erdichtet hat. Letzteres taucht oft als interessante Erzählperspektive auf, nämlich indem sie sich selbst als kleines Mädchen auf eine Art Zeitreise schickt und beispielsweise neben ihrer Mutter deren eigene Kindheit miterlebt. So manches Mal stockte mir der Atem, weniger aufgrund des harten Lebenswegs der Protagonistin als vielmehr wegen der schonungslos ehrlichen Darstellung durch die Autorin. So beschreibt Schenk ihre Mutter unter anderem wie folgt: "Sie war ein stummer Mensch mit blauen Augen und einem Verstand, der damit beschäftigt war, seine Mängel zu kaschieren." Oder: "Sollte ich mir nicht eingestehen, dass ich sie als einen einfachen, leicht zurückgebliebenen Menschen ansah ..., von dem ich mich vor allem abgrenzen wollte." Darf man so über die eigene Mutter schreiben? Ja, denn Schenk reflektiert ihr Verhältnis zur Mutter, hat beim Schreiben die nötige Distanz und zeigt überdies klar auf, welchen Anteil die erbarmungslose Gesellschaft an diesem armen, zerbrochenen Leben hatte. Ein unschuldiges Kind leidet bis ins Erwachsenenalter darunter, nicht dazu zu gehören, allein aufgrund der Abstammung als minderwertig zu gelten. Ein weiterer roter Faden, den Schenk durch ihre Erzählung spinnt, dreht sich um uneheliche Kinder und deren Väter, die sich aus der Verantwortung stehlen. Laut ihrer Beobachtung hat sich hier über die letzten Jahrzehnte nur wenig geändert, oder zumindest noch nicht genug.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Mamans Name war Renée Gagnieux. Soviel ist wahr. Sie war die Tochter von Cécile, die vielleicht eine Seidenspinnerin war und wurde in Lyon geboren. Die Autorin macht sich auf den Weg, in den Schuhen ihrer Mutter zu laufen, zu der sie keine intensive Bindung hatte.
Maman mochte alle …
Mehr
Mamans Name war Renée Gagnieux. Soviel ist wahr. Sie war die Tochter von Cécile, die vielleicht eine Seidenspinnerin war und wurde in Lyon geboren. Die Autorin macht sich auf den Weg, in den Schuhen ihrer Mutter zu laufen, zu der sie keine intensive Bindung hatte.
Maman mochte alle ihre sechs Kinder, solange sie klein waren. Solange wir abhängig von ihr waren, zauberten wir ein Lächeln auf ihr Gesicht, dann fand sie Ruhe, sonst war ihr Leben Scham und Ausgrenzung. Sie ist eine stille Frau, die mit ernstem Gesicht, leise mit sich selbst spricht. Den Vater hasst sie womöglich.
Renées eigene Maman musste sich prostituieren, weil sie von ihrem Hungerlohn und ohne Mann, keine fünf Kinder ernähren konnte. Nach Renées Geburt verblutete sie.
Renée kam in ein Pflegeheim, gefolgt von einer Pflegefamilie, einem Bauernehepaar, das sich mit einem Pflegekind ein Zubrot verdienten. Als Renée dann sprach- und verwahrlost zu einer anderen Pflegefamilie kam, war ihr soviel Unglück widerfahren, dass sie schon ganz verkorkst war.
Das, was Maman dann später an ihre Mädchen weitergab war Verachtung und Selbstverachtung, eine obskure Angst vor Männern, vor der Liebe, vor der Schande.
Alle Männer sind Schweine, dem Mann haftet die Geilheit an. Die Männer bumsten und zahlten, die Frauen entbanden und starben. S.126
Erst in Hochzeitsnacht erinnert sich Renée an den Bauern, der sie damals Bastard nannte und sich anschließend an ihr verging. Ein Umstand, der ihr nachträglich die eigene Sexualität vermieste und sie einzig den ehelichen Pflichten nachkommen ließ.
Fazit: Ich mochte diese Ich-Erzählung sehr, die ganz klar den Anspruch erhebt, aufzuzeigen, wie schwer Frauen das Leben gemacht wurde. Entweder sie waren schmückendes Beiwerk, wertlose Anhängsel, oder Huren. Die Geschichte der Autorin macht gut verständlich, wie Mütter ihre Traumen an die nächsten Generationen weitergegeben haben und macht fassbar, welche Schwierigkeiten das weibliche Geschlecht bis in meine Generation mit ihrem Selbst-Wert hat. Ein wirklich wichtiges Buch, mit einer großartigen Klangfarbe. Ungeschönt, ehrlich und auch berechtigterweise wütend. Es ist völlig zurecht auf der Shortlist des deutschen Buchpreises zu finden.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Traumata und Folgen
Dieses Buch ist ein Versuch der Aufarbeitung. Berührend und zugleich distanziert. Ein Versuch der Nähe, eine Nähe, die nie stattgefunden hat. Maman. Eine Mutter. Die eigene Mutter. Ein Mutter-Tochter-Verhältnis voller Distanz. Eine andere Zeit. Sicher. …
Mehr
Traumata und Folgen
Dieses Buch ist ein Versuch der Aufarbeitung. Berührend und zugleich distanziert. Ein Versuch der Nähe, eine Nähe, die nie stattgefunden hat. Maman. Eine Mutter. Die eigene Mutter. Ein Mutter-Tochter-Verhältnis voller Distanz. Eine andere Zeit. Sicher. Dennoch hat die fehlende Nähe ja auch was mit dem Kind, mit den Kindern gemacht. Von daher ist die Intention zu diesem Buch interessant. So distanziert, wie die Mutter war, dies hat die Tochter sicher nie losgelassen. Mütter und Töchter. Ein immerwährendes Thema. Wenn man in einer gefühlsarmen Umgebung aufgewachsen ist, macht das was mit einem. Man könnte loslassen und das eigene Leben führen. Das tut man auch. Aber lässt einen das Erlebte kalt, kann man das vergessen. Mitnichten. Und so vergisst auch die Autorin nicht. In diesem Buch versucht sie dem Erlebten einen Raum zu geben, versucht die Mutter zu verstehen, gibt ihrem eigenen Trauma einen Raum, ergeht sich in dem Warum, erörtert die Möglichkeiten, gibt den vorhandenen Fakten einen Schuss Fiktion dazu. Die Autorin möchte verarbeiten, was schwer zu verarbeiten ist. Was für eine Kraft hinter diesem Versuch steckt, kann man nur erahnen. Wie schwer solch ein Buch sein muss. Chapeau vor dieser Leistung.
Die Mutter Renée wird 1916 geboren, Renées Mutter stirbt bei der Geburt, ein Vater ist nicht bekannt. Und so beginnt Renées Leben im Waisenhaus, bevor sie das „Glück“ hat in einer Familie aufgenommen zu werden. Sie kommt zu einer Bauersfamilie in der Ardèche, doch hier wird sie nur wegen finanzieller Ziele aufgenommen, Liebe, Fürsorge und Empathie sind hier Fremdwörter. Nach einer traumatisierenden Zeit kommt sie nun zu einer Apothekerfamilie. Hier ist das Leben sonniger, jedoch wie kann ein traumatisiertes Kind voller Bindungsstörungen und bisher fehlender Liebe plötzlich ein glückliches Leben führen. Renée wird erwachsen und heiratet, bekommt selbst Kinder. Was gibt sie diesen Kindern mit, was kann sie ihnen mitgeben?
Vor diesem Hintergrund schaut Sylvie Schenk auf ihre Mutter. Sie schaut empathisch. Versucht zu verstehen. Und gibt damit den erlittenen Traumata nicht weiter Nahrung. Was für eine Stärke! In dem Buch ist nichts gefühlsüberfrachtet. Sachlich, ruhig und still schaut Sylvie Schenk auf das Vergangene und berührt damit umso mehr. Man erahnt das Gefühlschaos, durch das sie gegangen sein wird und empfindet Hochachtung vor dieser Frau, dass sie die Kraft hatte dieses Buch zu schreiben. Denn auch ihre erlittenen Traumata sind greifbar. Doch verbleibt sie nicht darin, sie versucht zu verstehen, ob darin auch die Kraft zum Verzeihen liegt, man kann es erahnen. Und ich wünsche es ihr. Denn die eigenen Verletzungen weiter zu nähren, vergiftet das eigene Leben und dass deiner Umgebung.
Lesen!
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Sylvie Schenk hat in ihrem Buch „Maman“ eine Romanform entwickelt, mit der sie versucht, sich der Persönlichkeit ihrer längst verstorbenen Mutter Renée zu nähern. Deren Herkunft blieb der Tochter zeitlebens ein Rätsel.
Erst durch die Recherche ihrer Schwester …
Mehr
Sylvie Schenk hat in ihrem Buch „Maman“ eine Romanform entwickelt, mit der sie versucht, sich der Persönlichkeit ihrer längst verstorbenen Mutter Renée zu nähern. Deren Herkunft blieb der Tochter zeitlebens ein Rätsel.
Erst durch die Recherche ihrer Schwester erfuhren sie den Namen ihrer Großmutter Cécile, einer Arbeiterin in einer der Fabriken zur Seidenherstellung in Lyon, die unter der Geburt im Jahr 1916 verstarb. Sie wurde nur 45 Jahre alt. Der Vater von Renée ist unbekannt. Einige Jahre lang wuchs die Mutter der Autorin mit wenig Liebe auf dem Land auf, bevor sie von einem gut betuchten Ehepaar in Pflege genommen wurde. Dennoch hat sie aufgrund ihrer unklaren Abstammung nie die gewünschte Anerkennung in ihrer Schwiegerfamilie gefunden.
In ihrer Fantasie blickt die Autorin ihren Vorfahren über die Schulter. Auf diese Weise malt sie sich Situationen aus, die ihre Großmutter Cécile und ihre Mutter erlebt haben und lässt sie für den Lesenden lebendig werden. Sie stellt sich das Sterben ihrer Großmutter vor und ergründet in diesem Zusammenhang das Umfeld, in dem Cécile gelebt hat.
Sylvie Schenk versetzt sich in die Gefühlswelt ihrer Mutter, erkundet ihr Schweigen, ihre Ansprüche bis hin zur Vorstellung ihres Liebeslebens. Die ersten Jahre bleiben im Dunkeln, weil Renée verdrängt, was ihr widerfahren ist. Aber dennoch bleibt das Erlebte tief in ihr, denn es lässt sich nicht ungeschehen machen. Für ihre neue Pflegemutter ist es schwierig, ihr Sicherheit zu vermitteln und ihr Vertrauen zu gewinnen. Die seelischen Wunden heilen langsam.
Untrennbar ist das Leben von Renée mit dem ihrer Kinder verbunden, die sich von ihr wenig geliebt fühlten. Sie hat durch Erfahrung oder Beobachtung gelernt, wie man sich wann verhält, aber nicht, wie man Freude vermittelt. Wenn sie eine Meinung kundtat, auch gegenüber dem Dienstmädchen und dem Vater, empfanden die Geschwister sie oft als ungerecht.
Es gelingt der Autorin nicht, alle Schleier über dem Leben der Mutter zu lüften wie beispielsweise Teile eines von der Familie als Fauxpas bezeichneten Ereignisses. Dabei verbleibt ein Spielraum für eine weitere Facette, die jedes der Kinder nach eigener Vorstellung füllt. Die innere Zerrissenheit der Mutter zwischen Pflicht und der Suche nach Identität begleitet sie ein Leben lang.
In ihrem Roman „Maman“ nähert sich Sylvie Schenk anhand ihrer eigenen und der Erinnerungen ihrer Verwandtschaft einem Bild ihrer Mutter an, das sie mit ihrer Fantasie ausgemalt, aber dennoch nicht vollständig sein kann. Eine Recherche führt sie über einhundert Jahre in der Zeit zurück und verbindet sich mit der Familiengeschichte über Jahrzehnte hinweg. Es war ein aufwühlendes und bewegendes Lesen für mich, während ich mehr über die Autorin und ihrer Angehörigen erfahren durfte. Gerne empfehle ich das Buch weiter.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Andere Kunden interessierten sich für