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Wie wird ein Kind zu einem mitfühlenden sozialen Wesen, wenn es die Verwundbarkeit nicht kennt? Wenn es nicht versteht, wie sehr etwas wehtun kann? In eindringlichen Bildern erzählt Valerie Fritsch von einem Trauma, das über die Generationen weiterwirkt.Alma und Friedrich bekommen ein Kind, das keinen Schmerz empfinden kann. In ständiger Sorge um ihren Jungen kontrolliert Alma unaufhörlich seine körperliche Unversehrtheit. Halt findet Alma bei ihrer hochbetagten Großmutter, die nach lebenslangem Schweigen zu erzählen beginnt: vom Krieg, von Flucht, Hunger und Entbehrungen. Mit dem Kind...
Wie wird ein Kind zu einem mitfühlenden sozialen Wesen, wenn es die Verwundbarkeit nicht kennt? Wenn es nicht versteht, wie sehr etwas wehtun kann? In eindringlichen Bildern erzählt Valerie Fritsch von einem Trauma, das über die Generationen weiterwirkt.
Alma und Friedrich bekommen ein Kind, das keinen Schmerz empfinden kann. In ständiger Sorge um ihren Jungen kontrolliert Alma unaufhörlich seine körperliche Unversehrtheit. Halt findet Alma bei ihrer hochbetagten Großmutter, die nach lebenslangem Schweigen zu erzählen beginnt: vom Krieg, von Flucht, Hunger und Entbehrungen. Mit dem Kind auf dem Schoß, das keinen Schmerz kennt, sitzt Alma am Bett der alten Frau, die sich nichts mehr wünscht, als ihren Schmerz zu überwinden. Und in den Geschichten der Großmutter findet sie eine Erklärung für jene Gefühle der Schuld, der Ohnmacht und der Verlorenheit, die sie ihr Leben lang begleiten.
Alma und Friedrich bekommen ein Kind, das keinen Schmerz empfinden kann. In ständiger Sorge um ihren Jungen kontrolliert Alma unaufhörlich seine körperliche Unversehrtheit. Halt findet Alma bei ihrer hochbetagten Großmutter, die nach lebenslangem Schweigen zu erzählen beginnt: vom Krieg, von Flucht, Hunger und Entbehrungen. Mit dem Kind auf dem Schoß, das keinen Schmerz kennt, sitzt Alma am Bett der alten Frau, die sich nichts mehr wünscht, als ihren Schmerz zu überwinden. Und in den Geschichten der Großmutter findet sie eine Erklärung für jene Gefühle der Schuld, der Ohnmacht und der Verlorenheit, die sie ihr Leben lang begleiten.
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Valerie Fritsch, geboren 1989, arbeitet als freie Autorin und bereist die Welt. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2015 wurde sie mit dem Kelag-Preis und dem Publikumspreis ausgezeichnet. 2020 erhielt sie den Brüder-Grimm-Preis für Literatur. Sie lebt in Graz und Wien.
Produktdetails
- Verlag: Suhrkamp Verlag
- Seitenzahl: 220
- Erscheinungstermin: 17. Februar 2020
- Deutsch
- ISBN-13: 9783518764640
- Artikelnr.: 57920422
Oh Stellvertreterweh!
Vom Schmerz erzählen? Valerie Fritschs Roman "Herzklappen von Johnson & Johnson"
Mit der Erzählkunst sei es endgültig zu Ende, schrieb Walter Benjamin 1936, weil sich nach dem ersten Weltkrieg die Erfahrungsqualität so drastisch verändert habe, dass den Zeugen nur das Schweigen übrig blieb. Ob die österreichische Autorin und Fotokünstlerin Valerie Fritsch Benjamin gelesen hat, darüber kann nur spekuliert werden. Dennoch: Wollte man Benjamins melancholischen Blick auf den Verlust der Mitteilbarkeit von Erfahrung in eine literarische Form gießen, käme vielleicht ein Roman wie "Herzklappen von Johnson & Johnson" dabei heraus.
Dem Personal nach handelt es sich um einen klassischen
Vom Schmerz erzählen? Valerie Fritschs Roman "Herzklappen von Johnson & Johnson"
Mit der Erzählkunst sei es endgültig zu Ende, schrieb Walter Benjamin 1936, weil sich nach dem ersten Weltkrieg die Erfahrungsqualität so drastisch verändert habe, dass den Zeugen nur das Schweigen übrig blieb. Ob die österreichische Autorin und Fotokünstlerin Valerie Fritsch Benjamin gelesen hat, darüber kann nur spekuliert werden. Dennoch: Wollte man Benjamins melancholischen Blick auf den Verlust der Mitteilbarkeit von Erfahrung in eine literarische Form gießen, käme vielleicht ein Roman wie "Herzklappen von Johnson & Johnson" dabei heraus.
Dem Personal nach handelt es sich um einen klassischen
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Familienroman. Da ist der Großvater, der erst den Zweiten Weltkrieg als Soldat, dann die Lagerhaft, wie er meint, nur durch Zufall überlebt hat und der fortan jeden Tag unter dem Auserwähltsein leiden wird. Da ist die Großmutter, die seinem Schweigen einen Reigen an "Stell dir vor"-Geschichten entgegensetzt und in deren Wohnung Zeit und Aufmerksamkeit einer anderen Ordnung gehorchen. Da ist die Mutter, penible Matriarchin in einem klinisch sauberen Zuhause, "in dem sie jeden Dienstag die Regale abstaubte, bevor die Putzfrau jeden Mittwoch kam". Und da ist, im Zentrum des Romans, Alma, die Tochter, eine Kinderbuchillustratorin, die in Momenten zu großer Emotionalität Zitronenbonbons lutscht und die Beine anzieht.
Dieser Hauptfigur ist auch der glückliche Umstand zu verdanken, dass schon nach wenigen Seiten feststeht, dass die Geschichte weniger ein klassischer Familienroman als eine fein gestrickte Parabel auf den Schmerz ist. Alma ist eine kurios dem Leben entrückte Person, der die Erzählstimme des Romans so nah auf den Fersen folgt, dass man manchmal ganz in ihrer Sinnlichkeit versinkt. Ihre Kindheit wird durch das elterliche Schweigen regiert, das vielleicht über das Trauma des Großvaters in die Familie einzog, vielleicht aber auch schon vorher da war. So genau erfährt man es nicht, denn die Geschichte hält sich vom Pathologisieren glücklicherweise fern. Jedenfalls war ihr kindliches Zuhause derart still, dass Alma dachte, wenn das Telefon klingelte, "es läutete im eigenen Kopf". Dazu passt, dass ihr das Umfeld "mitunter beängstigend kulissenhaft" scheint, "brüchig zusammengezimmert", wie ein schlechtes Theaterstück, eigens für sie aufgeführt.
Die Einzige, die noch sprechen mag, ist Almas Großmutter. In ihrem "Hinterzimmeruniversum der Zeit" erzählt sie Erinnerungen aus einer Welt, in der Worte wie "Ausgeliefertsein", "Kannibalismus" und "Einsamkeit", leise geraunt, auf Schicksale vor der eigenen Haustür bezogen waren. Weil sie den Menschen nicht mehr traut, bleibt sie in besserer Gesellschaft allein mit den Dingen in ihrer Wohnung, die ihr wie Freunde geworden sind. Und weil sie diese Wohnung so gut kennt, findet sie auch mit geschlossenen Augen den Weg zum stets gepackten Koffer im Schlafzimmer.
Alma studiert, wie die Sprache ihrer Familie vom Schmerz durchzogen ist. Wie die einen nicht mehr, die anderen zu viel reden, und sie lernt, den Alltag mitzusprechen. Dann bekommt sie einen Sohn, der eine seltene Krankheit hat: Emils Schmerzrezeptoren sind aufgrund eines Gendefekts lahmgelegt, er kann keine Schmerzen fühlen. Eine Kindheit ohne Schmerz bedeutet eine Kindheit im Krankenhaus. Kein warnendes Gefühl, das Blinddarmentzündungen oder Knochenbrüche anzeigt, kein somatischer Selbstschutz vor den anderen Kindern, die den Körper des Jungen als Experimentierfeld der Mutproben und anatomischen Erforschungen nutzen, und vor den Verwandten, die stets eine Spur zu grob an ihm herumzupfen, um zu sehen, ob er nicht doch etwas fühlt. Was dem Jungen nicht gegeben ist, muss Alma ersetzen. Nach jedem Spiel kontrolliert sie seinen Körper auf Prellungen und Wunden oder misst seine Temperatur.
Doch Schmerz ist weit mehr als ein Warnsystem der Vitalfunktionen. Als omnipräsente Metapher strukturieren Krankheit und Schmerz die menschliche Mitteilung, sind Maßstab und Richtwert jedweder Empathiebekundung. Kein Liebeskummer ohne Herzweh, keine Traurigkeit ohne enge Brust. Was eine nüchterne Diagnose sein könnte, wird bei Fritsch zur Poetik eines Defekts, der auch die Sprache befällt. Es war, so heißt es über Emil, "als litte er an einer Körpersprachlosigkeit, die zu den schlimmsten Dingen schwieg. Zu dem Wissen, das jedem Schmerz innewohnt, hatte er keinen Zugang." Alma, die gelernt hat, dem Schweigen des Großvaters und der Beredsamkeit der Großmutter zu lauschen, beginnt, ihrem Sohn den Schmerz zu erklären, errichtet ein sprachliches "Stellvertreterweh".
Was Walter Benjamin einst über den Zivilisationseinschnitt des Kriegs konstatierte, nämlich die aus ihm folgende Unfähigkeit, Erfahrung in Worte zu bringen, ist Hausgesetz in Almas Familie. Die einen reden nicht, weil der Schmerz zu groß ist, der Körperstumme aber benötigt die Sprache, um den Schmerz zu begreifen. Dass physisch und psychisch bedingtes Schweigen in dieser Familie so nahtlos zusammenlaufen, ist eine zugespitzte Metapher, medizinisch wäre die Engführung ein Fass ohne Boden. Doch gerade diese unerklärliche Verbindung erzeugt Almas tiefe Ratlosigkeit. Ihre Sehnsucht nach einer eindeutigen Familienerzählung kann sich nicht erfüllen, es gibt "kein Zeichen, kein erlösendes Gefühl, kein Ende der Geschichte".
Valerie Fritsch hat ein wundersam stilles Büchlein über die Spuren geschrieben, die ein allzu großer und auch ein fehlender Schmerz in einer Familie hinterlassen. Stimmigerweise hat die Geschichte kein eindeutiges Thema, sondern wandert von Motiv zu Motiv, ohne dass ihnen schwere Bedeutsamkeit aufgezwungen würde. Das erinnert in poetologischer Hinsicht an den frühen Peter Handke. Wie stark der Leseeindruck sein kann, wenn alles "kein Hinweis auf etwas andres mehr" ("Die Stunde der wahren Empfindung") ist, sondern nur für sich selbst stehen darf, ist auch bei Fritsch zu spüren. Ihr Stil ist ähnlich geprägt von einer begrifflichen Vagheit, einer semiotisch grundierten Scheu vor dem konkreten Benennen. Deshalb sind ihre Beobachtungen so zärtlich-leise wie ausschweifend. Kein heilsames Buch. Aber eines, das zielsicher von der Schwierigkeit der Weitergabe und des Teilens von Erfahrung zwischen den Generationen erzählt.
MIRYAM SCHELLBACH.
Valerie Fritsch: "Herzklappen von Johnson & Johnson". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 174 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieser Hauptfigur ist auch der glückliche Umstand zu verdanken, dass schon nach wenigen Seiten feststeht, dass die Geschichte weniger ein klassischer Familienroman als eine fein gestrickte Parabel auf den Schmerz ist. Alma ist eine kurios dem Leben entrückte Person, der die Erzählstimme des Romans so nah auf den Fersen folgt, dass man manchmal ganz in ihrer Sinnlichkeit versinkt. Ihre Kindheit wird durch das elterliche Schweigen regiert, das vielleicht über das Trauma des Großvaters in die Familie einzog, vielleicht aber auch schon vorher da war. So genau erfährt man es nicht, denn die Geschichte hält sich vom Pathologisieren glücklicherweise fern. Jedenfalls war ihr kindliches Zuhause derart still, dass Alma dachte, wenn das Telefon klingelte, "es läutete im eigenen Kopf". Dazu passt, dass ihr das Umfeld "mitunter beängstigend kulissenhaft" scheint, "brüchig zusammengezimmert", wie ein schlechtes Theaterstück, eigens für sie aufgeführt.
Die Einzige, die noch sprechen mag, ist Almas Großmutter. In ihrem "Hinterzimmeruniversum der Zeit" erzählt sie Erinnerungen aus einer Welt, in der Worte wie "Ausgeliefertsein", "Kannibalismus" und "Einsamkeit", leise geraunt, auf Schicksale vor der eigenen Haustür bezogen waren. Weil sie den Menschen nicht mehr traut, bleibt sie in besserer Gesellschaft allein mit den Dingen in ihrer Wohnung, die ihr wie Freunde geworden sind. Und weil sie diese Wohnung so gut kennt, findet sie auch mit geschlossenen Augen den Weg zum stets gepackten Koffer im Schlafzimmer.
Alma studiert, wie die Sprache ihrer Familie vom Schmerz durchzogen ist. Wie die einen nicht mehr, die anderen zu viel reden, und sie lernt, den Alltag mitzusprechen. Dann bekommt sie einen Sohn, der eine seltene Krankheit hat: Emils Schmerzrezeptoren sind aufgrund eines Gendefekts lahmgelegt, er kann keine Schmerzen fühlen. Eine Kindheit ohne Schmerz bedeutet eine Kindheit im Krankenhaus. Kein warnendes Gefühl, das Blinddarmentzündungen oder Knochenbrüche anzeigt, kein somatischer Selbstschutz vor den anderen Kindern, die den Körper des Jungen als Experimentierfeld der Mutproben und anatomischen Erforschungen nutzen, und vor den Verwandten, die stets eine Spur zu grob an ihm herumzupfen, um zu sehen, ob er nicht doch etwas fühlt. Was dem Jungen nicht gegeben ist, muss Alma ersetzen. Nach jedem Spiel kontrolliert sie seinen Körper auf Prellungen und Wunden oder misst seine Temperatur.
Doch Schmerz ist weit mehr als ein Warnsystem der Vitalfunktionen. Als omnipräsente Metapher strukturieren Krankheit und Schmerz die menschliche Mitteilung, sind Maßstab und Richtwert jedweder Empathiebekundung. Kein Liebeskummer ohne Herzweh, keine Traurigkeit ohne enge Brust. Was eine nüchterne Diagnose sein könnte, wird bei Fritsch zur Poetik eines Defekts, der auch die Sprache befällt. Es war, so heißt es über Emil, "als litte er an einer Körpersprachlosigkeit, die zu den schlimmsten Dingen schwieg. Zu dem Wissen, das jedem Schmerz innewohnt, hatte er keinen Zugang." Alma, die gelernt hat, dem Schweigen des Großvaters und der Beredsamkeit der Großmutter zu lauschen, beginnt, ihrem Sohn den Schmerz zu erklären, errichtet ein sprachliches "Stellvertreterweh".
Was Walter Benjamin einst über den Zivilisationseinschnitt des Kriegs konstatierte, nämlich die aus ihm folgende Unfähigkeit, Erfahrung in Worte zu bringen, ist Hausgesetz in Almas Familie. Die einen reden nicht, weil der Schmerz zu groß ist, der Körperstumme aber benötigt die Sprache, um den Schmerz zu begreifen. Dass physisch und psychisch bedingtes Schweigen in dieser Familie so nahtlos zusammenlaufen, ist eine zugespitzte Metapher, medizinisch wäre die Engführung ein Fass ohne Boden. Doch gerade diese unerklärliche Verbindung erzeugt Almas tiefe Ratlosigkeit. Ihre Sehnsucht nach einer eindeutigen Familienerzählung kann sich nicht erfüllen, es gibt "kein Zeichen, kein erlösendes Gefühl, kein Ende der Geschichte".
Valerie Fritsch hat ein wundersam stilles Büchlein über die Spuren geschrieben, die ein allzu großer und auch ein fehlender Schmerz in einer Familie hinterlassen. Stimmigerweise hat die Geschichte kein eindeutiges Thema, sondern wandert von Motiv zu Motiv, ohne dass ihnen schwere Bedeutsamkeit aufgezwungen würde. Das erinnert in poetologischer Hinsicht an den frühen Peter Handke. Wie stark der Leseeindruck sein kann, wenn alles "kein Hinweis auf etwas andres mehr" ("Die Stunde der wahren Empfindung") ist, sondern nur für sich selbst stehen darf, ist auch bei Fritsch zu spüren. Ihr Stil ist ähnlich geprägt von einer begrifflichen Vagheit, einer semiotisch grundierten Scheu vor dem konkreten Benennen. Deshalb sind ihre Beobachtungen so zärtlich-leise wie ausschweifend. Kein heilsames Buch. Aber eines, das zielsicher von der Schwierigkeit der Weitergabe und des Teilens von Erfahrung zwischen den Generationen erzählt.
MIRYAM SCHELLBACH.
Valerie Fritsch: "Herzklappen von Johnson & Johnson". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 174 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In einer Doppelrezension bespricht Marie Schmidt zwei Romane, die sich mit dem Nichtvergehen eines Leids beschäftigen, das aus der Nachkriegszeit rührt. Schmidt gefällt, wie Valerie Fritsch das Statische, beinahe Fühllose der älteren Generation, die den Krieg erlebt und gemacht hat, in Sprache gießt. Auf verhaltene Weise ist die Kritikerin überzeugt von den Metaphern des Romans - zum einen in dem tatsächlich gefühllosen Urenkel, der das tiefe Hineinragen der Verdrängung in die Generationenfolge abbilde. Zum anderen ist für die Rezensentin auch die Reise der Enkelin-Familie nach Sibirien, Ort der Kriegsgefangenschaft des Großvaters, als "elegischer" Abschluss eine kräftige Aussage.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»In Valerie Fritschs Prosa ist etwas von der kindlichen Verletzlichkeit und dem Erstaunen lebendig, die man sich irgendwann abtrainiert, um überleben zu können.« Juliane Liebert DIE ZEIT 20200716
Broschiertes Buch
Es fällt mir nicht leicht, diesen Roman zu rezensieren, weil ich ihn wirklich schwer zu lesen fand. Ich habe mehrere Anläufe gebraucht, um endlich in einen Lesefluss zu finden und ihn zu Ende lesen zu können.
Wenn man einmal in einem konzentrierten Flow ist, ist er sprachlich …
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Es fällt mir nicht leicht, diesen Roman zu rezensieren, weil ich ihn wirklich schwer zu lesen fand. Ich habe mehrere Anläufe gebraucht, um endlich in einen Lesefluss zu finden und ihn zu Ende lesen zu können.
Wenn man einmal in einem konzentrierten Flow ist, ist er sprachlich wirklich gut. Aber am Anfang ist der Schreibstil total widerspenstig und macht es dem Leser nicht leicht. Vielleicht liegt das auch daran, dass er "nur" eine reine Erzählung ist und es z.B. keinerlei Dialoge gibt.
Die Geschichte selber ist eher düster. Es wird quasi vom Schmerz erzählt, einem Schmerz, der bei den Großeltern aus dem Krieg geblieben ist und der nun quasi von Generation zu Generation weitergetragen wird. Bis zu Emil, dem Kind der Protagonistin Alma der nicht fähig ist, Schmerz zu empfinden. So wird man als Leser immer wieder zum Nachdenken angeregt. Über Schmerz und wie ein Leben völlig ohne Schmerz ist. Über das Verarbeiten von Erlebtem und seine Aufarbeitung und vieles mehr.
Es ist absolut kein leichtes Buch. Und der Titel hat mich etwas anderes erwarten lassen. Ebenso der Klappentext. Dennoch war es lesenswert.
Wer aber lieber zur reinen Unterhaltung liest, sollte dieses Buch besser nicht wählen.
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Gebundenes Buch
Alma wächst in einer Familie des Schweigens auf. Das Leben der Eltern scheint nur hinter verschlossenen Türen vorzukommen, das Zuhause insgesamt erweckte mehr den Anschein einer Kulisse, vor der Leben eher simuliert wurde als dass es tatsächlich stattfindet. Die verrückte Mutter, …
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Alma wächst in einer Familie des Schweigens auf. Das Leben der Eltern scheint nur hinter verschlossenen Türen vorzukommen, das Zuhause insgesamt erweckte mehr den Anschein einer Kulisse, vor der Leben eher simuliert wurde als dass es tatsächlich stattfindet. Die verrückte Mutter, die mondsüchtig des nächtens aus dem kontrollierten Alltag ausbricht, fasziniert das Mädchen, bringt dies wenigstens ein wenig Bewegung in den ansonsten stillen und nüchternen Alltag. Dieser wird auch von den Großeltern bestimmt, denen die Kriegserfahrung nicht nur in den Knochen steckt, sondern die diese regelrecht auf die Enkelin übertragen, die die Erfahrungen der älteren Generation in Alpträumen nacherlebt. Mit Friedrich erlebt sie schließlich die alles aufzehrende Liebe, Emotionen, die sie zuvor nicht kannte. Die Geburt des gemeinsamen Sohnes Emil jedoch stürzt sie zurück in eine abgeriegelte Welt, deren Grauen vor allem in ihrem Kopf stattfindet. Doch auch mit Emil stimmt etwas nicht, es dauert einige Jahre, bis das Ergebnis der Ärzte feststeht: Emil kann keinen Schmerz empfinden.
Valerie Fritsch wurde für ihren Roman mit einer Nominierung auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020 honoriert. Es ist die Geschichte vierer Generationen, die durch Alma verbunden und im Schmerz vereint sind. Die Großeltern, die die schmerzlichen Kriegserfahrungen nicht überwinden konnten und versuchten, durch eigenes Schweigen die Stimmen und Bilder im Kopf mundtot zu machen. Die Eltern, die nur hinter Türen reden, aber nicht mit dem Kind. Alma selbst, für die Schweigen und Schmerz identisch werden und die beides überwinden möchte bis zu Emil, der laut, geradezu vorlaut ist und durch das fehlende Schmerzempfinden das gegenteilige Extrem darstellt.
Die grausamen Kriegserlebnisse haben den Großvater gebrochen, so sehr, dass sein Herz es nicht mehr ertragen konnte und nur noch von metallenen Klappen der Firma Johnson&Johnson am Laufen gehalten wird. So wie er innerlich beschädigt wurde, trägt sein Urenkel permanent äußerliche Bandagen als Zeichen der unzähligen Verletzungen, die dem Körper schaden, von ihm aber nicht wahrgenommen werden. Immer wieder spiegelt die Autorin die Figuren an den zentralen Elementen Schmerz und körperlicher Verletzung. Und gerade in den Sprachbildern wird der Roman herausragend, so schreibt sie etwa Alma
„wünschte sich eine Ersatzpsyche, die die Welt besser ertrug, eine Identitätsprothese, die ihr einen sicheren Schritt durch die Tage ermöglichte.“
Die unterschiedlichen Traumata schreiben sich in die Körper ein, bleiben dort als sichtbare Wunden, die sich nicht einfach kosmetisch übertünchen lassen.
Ein bildgewaltiger Roman, der dicht auf wenigen Seiten doch unheimlich viel und dies noch dazu sehr intensiv transportiert. Kein Roman, der mich emotional völlig mitgerissen hätte, sondern eher einer der Sorte, die durch Konstruktion und Sprache am Ende nachwirken und einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
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Gebundenes Buch
!ein Lesehighlight 2020!
Valerie Fritsch hat mit „Herzklappen von Johnson und Johnson“ ein kleines Meisterwerk geschaffen! Ihre Wortwahl, ihre Ausdrucksweise und das Spiel der Emotionen, lassen diesen Roman wahrlich schweben. Die Geschichte von Alma und Friedrich und dessen Kind Emil, …
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!ein Lesehighlight 2020!
Valerie Fritsch hat mit „Herzklappen von Johnson und Johnson“ ein kleines Meisterwerk geschaffen! Ihre Wortwahl, ihre Ausdrucksweise und das Spiel der Emotionen, lassen diesen Roman wahrlich schweben. Die Geschichte von Alma und Friedrich und dessen Kind Emil, ein besonderes Kind welches keine Schmerzen verspürt, klingt im ersten Moment völlig an den Haaren herbei gezogen. Man merkt aber schneller als man denkt beim lesen des Buches, das hier viel mehr dahinter steckt als Almas Angst. Sie ist so intelligent, so klug aber auch so sehr Alma...Als dann die Geschichten von Almas schwerkranker Oma dazu kommen, hat man das Gefühl, das sich der Kreis der offenen Fragen schließt. Hier geht es erst recht spät um Emil, dafür sehr viel um Alma, da ist der Klappentext etwas verwirrend, da man glaubt, es geht zum Großteil um Emil.
Fritsch geht mit so großer Hingabe auf die Verletzlichkeit des Menschen ein, nicht nur körperlich sondern eben auch seelisch, das es einem fast den Atem raubt. Ich habe viele Stellen zwei Mal gelesen, weil ich so beeindruckt davon war.
Dieses Buch strotz vor so vielen Themen die aber alle zusammen gehören und ein wunderbares Ganzes ergeben. Fritsch blickt unheimlich tief in die Menschenseele und das hatte ich eigentlich zuletzt bei Hanya Yanagihara’s „Ein wenig Leben“ erlesen.
Dieser Roman hat mich gepackt und hallt nach, wie es schon lange kein Buch mehr getan hat. Es ist ein anspruchsvoller Roman, auf den man sich einlassen muss um ihn zu verstehen. Man muss genau lesen, mitfühlen und es versuchen zu verstehen....
Ein wahnsinnig toller Roman der von mir 5 von 5 Sterne erhält!
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Gebundenes Buch
Thematisch ambivalent
Der Schmerz ist das zentrale Thema des dritten Romans der österreichischen Schriftstellerin Valerie Fritsch, der in seiner vier Generationen umfassenden Geschichte die Frage aufwirft, wie Schmerz und Schuld den Menschen formen. Seine Protagonistin Alma spürt darin …
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Thematisch ambivalent
Der Schmerz ist das zentrale Thema des dritten Romans der österreichischen Schriftstellerin Valerie Fritsch, der in seiner vier Generationen umfassenden Geschichte die Frage aufwirft, wie Schmerz und Schuld den Menschen formen. Seine Protagonistin Alma spürt darin einem Familiengeheimnis nach, das sie als Trauma seit frühester Kindheit verfolgt und ihr keine Ruhe lässt. Alles andere als ein Wohlfühlroman also, fußt sein Impetus doch auf der zivilisatorischen Zäsur, die der Zweite Weltkrieg mit seinen Gräueln bedeutet hat. Deren Folge war die weitverbreitete Sprachlosigkeit einer ganzen Generation, zu der auch Almas Großeltern gehören. Ist es möglich, dass derart traumatische Erfahrungen über Generationen hinweg weiterwirken, und ist Empfindungslosigkeit vererbbar?
Alma wächst in einem klinisch sauberen Haushalt auf, in einer wenig anheimelnden Atmosphäre, die ihr mitunter geradezu kulissenartig vorkommt. Ihr Großvater kam aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück und leidet seither daran, dass ausgerechnet er als einer der wenigen überlebt hat und viele seiner Kameraden nicht. Er hat sich in das Schweigen geflüchtet, denn durch seine Mitwirkung bei grausamen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung ist er zum Mörder geworden. Anders als er erzählt die kranke Großmutter, die das Haus nicht mehr verlässt und sich völlig in ihre Häuslichkeit zurückgezogen hat, Alma von der schicksalhaften Vergangenheit. Damit löst sie bei ihrer Enkelin jedoch Ängste aus, die sich zunehmend auf die Persönlichkeit der weltabgewandten, jungen Frau auswirken, die als Illustratorin arbeitet. Als sie Mutter wird, stellt sich schon bald heraus, dass ihr Sohn unter einer genetisch bedingten Analgesie leidet, dem krankhaften Fehlen von Schmerzen. Damit fehlt ihm der somatische Selbstschutz, die Warnfunktion des Schmerzes also, was auf seinen Körper verheerende Auswirkungen hat. Seine Mutter wird ständig in Atem gehalten, weil er sich dauernd irgendwo verletzt, ohne es zu merken. Sie muss ihm den Schmerz deshalb rein verbal demonstrieren, die Sprache fungiert dabei als Stellvertreter.
Mit Schmerz und Leid geht natürlich auch die Empathie-Empfindung einher. Valerie Fritsch versucht hier quasi, psychische und physische Gefühllosigkeit und das daraus resultierende Schweigen als Antipoden in eine Metapher zu binden. Sie stellt dem Schweigen des Großvaters die Sprachlosigkeit des Kindes gegenüber, das sich nicht beklagt, weil es nichts spürt. Der Großvater stirbt schließlich, «Er schwieg sich davon», heißt es im Buch, «Sein innerer Winter ergriff vollends von ihm Besitz». Drei Tage später erschießt sich die Großmutter. Nach der Doppel-Trauerfeier beginnt Alma, nacheinander die Orte der Vergangenheit zu besuchen, erst die in der Nähe, dann die entfernten. Und schließlich will sie auch nach Kasachstan, zum Gefangenenlager des Großvaters. Der Roman wirft plötzlich alle Statik ab und mutiert in den letzten zwei der zehn Kapitel zur Road Novel. Ihr Mann hat einen Auftrag bekommen zum Fotografieren von Industrie-Brachen und Fabrik-Ruinen in den Ländern des Ostens. Sie wird mitfahren und diese Reise dann bis nach Kasachstan ausdehnen. Es folgt eine wochenlange Autofahrt durch endlose Weiten, armselige Dörfer und quirlige Großstädte, jeden Tag gibt es Neues zu sehen. Und plötzlich sind sie da. «Was immer sie erwartet hatte, trat nicht ein. Der letzte Vorhang fiel nicht» heißt es am Schluss.
Stilistisch bleibt Valerie Fritsch sehr zurückhaltend, sie zeigt mehr, als dass sie beschreibt in ihrer geschliffenen, kargen Prosa. Ihre Figuren bleiben sprachlos, sie wirken, ganz ohne direkte Rede, wenig lebendig. Das wichtigste narrative Element, die medizinisch extrem seltene Schmerzlosigkeit des Sohnes, ist arg weit hergeholt, erzählerisch wenig glaubhaft umgesetzt und zudem eher beiläufig in diese Geschichte eingebaut. Das gilt am Ende auch für die spontane Reise, die thematisch ambivalent neben dem zentralen Thema der Analgesie steht
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