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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
dieser Erde
Sara Weber fragt,
was wäre, wenn wir alle
weniger arbeiteten
„Die Zwanzigerjahre glichen bisher einem unappetitlichen Krisensandwich“, schreibt Sara Weber in der Einleitung ihres neuen Buches mit dem schönen Titel „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ Pandemie und Krieg, Klimakrise und Inflation – während diese Krisen eigentlich unsere Aufmerksamkeit fordern würden, arbeiten wir einfach weiter. Und zwar in einer Arbeitswelt die uns kaputt macht. Die Autorin schreibt aus eigener Erfahrung: Weber war leitende Redakteurin an einem der Drehkreuze der modernen Arbeitswelt: LinkedIn. 2021 kündigte sie, weil sie nicht mehr konnte.
Für die Autorin spricht alles dafür, dass es an der Zeit ist, unsere Einstellung zu Arbeit zu ändern: Während multiple Krisen den Glauben an eine bessere Zukunft erschüttern, scheint auch das individuelle Versprechen des Aufstiegs durch Arbeit nicht mehr zu gelten. Trotzdem nimmt die Arbeitsverdichtung zu. Andererseits hat die Pandemie bewiesen, dass Wandel in der Arbeitswelt grundsätzlich möglich ist. Die Zahl offener Stellen ist hoch und die Verhandlungsposition von Arbeitnehmern gut. Die Ausgebrannten dieser Erde, so Weber, hätten jeden Grund, für eine andere Arbeitswelt zu kämpfen – und sie könnten diesen Kampf sogar gewinnen.
Der erste Teil des Buches ist eine düstere Bestandsaufnahme unserer „Arbeitsgesellschaft“. Es geht darum, wie Burnout als breites gesellschaftliches Phänomen, der weit verbreitete Wunsch, weniger zu arbeiten und die hohe Zahl offenen Stellen zu einer Kündigungswelle führen. Die Arbeitswelt – so die Diagnose – ist kaputt.
Im zweiten Teil geht es um Alternativen. Webers Reparaturvorschläge sind dabei als Gedankenspiele formuliert: „Was wäre, wenn wir alle weniger arbeiten?“ Wenn wir gleichberechtigt, flexibel und für das Klima arbeiteten, uns besser organisierten – und uns nicht mal für den Traumjob aufarbeiten würden?
Weber zieht vorbildlich umsichtig aktuelle Studien heran und veranschaulicht ihre Einlassungen durch ausgewählte Beispiele oder selbst geführte Gespräche. Dabei verliert sie – das ist kein geringes Verdienst – keine der am Arbeitsmarkt beteiligten Gruppen aus dem Blick. Am besten gelingt das, wenn sie den Bogen von Menschen in akademischen Berufen zu solchen in nicht-akademischen schlägt: Die befristet beschäftigte Wissenschaftlerin oder die Ärztin in Ausbildung seien genauso unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen wie der Fahrradkurier von Lieferando oder der Lagerarbeiter bei Amazon – und oft sogar aus den gleichen Gründen.
Die konkrete Problemlösungsvorschläge reichen von der Reduzierung der Arbeitszeit über bessere Kinderbetreuung bis zu mehr Engagement in Betriebsräten und Gewerkschaften. Die Reduzierung der Arbeitszeit würde etwa nicht nur Stress und Druck vom Einzelnen nehmen, sondern gleichzeitig zur Vermeidung von Treibhausgasen beitragen, weil weniger produziert und konsumiert würde. Die Grundthese des Buches ist entsprechend, dass jede gemeinsam erreichte Verbesserung nicht nur dem Einzelnen, sondern der gesamten Gesellschaft zugutekommen kann und muss. Das erscheint alles grundvernünftig, aber auch so naheliegend, dass man gerne etwas mehr darüber erfahren hätte, warum es nicht längst in großem Stil umgesetzt wurde.
Der ganzheitliche Ansatz der Autorin, die Überzeugung, dass alles mit allem verbunden ist, wird dann auch zunehmend zu einem Problem für das Buch. Anders gesagt: Begriffe wie Umverteilung, bedingungsloses Grundeinkommen oder Konsumverzicht werden als Teil der Lösung eingeführt, aber nicht wirklich substanziell ausgeführt und weitergedacht. Lesenswert ist es angesichts der Vielfalt an Zusammenhängen, die angedeutet werden, dennoch. Zumal das Thema künftig bestimmt nicht kleiner werden wird.
PHILIPP RIESSENBERGER
Sara Weber, geboren 1987, war leitende Redakteurin bei Linkedin. Foto: Claussen/Kiwi
Sara Weber:
Die Welt geht unter,
und ich muss trotzdem arbeiten?
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023.
240 Seiten, 18 Euro.
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