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easymarkt3
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Insgesamt 839 Bewertungen
Bewertung vom 17.03.2025
Heimweh im Paradies
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

Amerikanische Jahre von Thomas Mann

Das Cover zeigt einen Küstenstrich in gleißender Sonne, wahrscheinlich die Westküste bei Los Angeles, wo viele Exilanten aus Europa strandeten aus Angst vor dem Naziregime. Das Buch um Thomas Mann als Hauptfigur streift kurz den Wohnort in der Schweiz seit 1933, um lebensnah und im Detail über den Neuanfang in den USA zu berichten. Während seiner Schaffensperiode bis 1952 in Pacific Palisades erfährt man viel über dortige Begegnungen mit alten Freunden wie z.B. Arnold Schönberg, Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Max Horkheimer, Franz und Alma Werfel etc. Auch werden weitere Bücher wie ›Doktor Faustus‹ in ihrem Entstehungsprozess beschrieben. Sein politisches Engagement gegen Hitlers Regime über viele Jahre wird beleuchtet neben seinen zahlreichen Vortragsreisen nicht nur über seine schriftstellerischen Werke. Wie auch aus seinen Tagebucheinträgen ersichtlich geht es auch um Anfeindungen und Hoffnungen ihm gegenüber. Viel wird auf seine Bücher »Buddenbrooks« und »Zauberberg« eingegangen, ebenso auf Arnold Schönbergs Zwölftonmusik. Historische Fakten wie z.B. Ausgrenzungsmechanismen bei Enemy Aliens, Manns Reden an das deutsche Volk über BBC, Besuch bei Präsident Roosevelt und die amerikanische Einbürgerung sind chronologisch eingefügt. Mit der Veränderung des gesellschaftlichen und politischen Klimas der McCarthy-Ära erfolgt die Rückkehr in die Schweiz mit dem Tod von Thomas Mann 1955. Als Ehemann, Vater oder Bruder von Heinrich tritt er weniger in Erscheinung, was ihn menschlich unnahbar wirken lässt, auch wenn er den Kontakt zur Jugend sucht.
Was für ein unruhiges, bewegtes Berufsleben mit großer Verantwortung nicht nur für die eigene große Familie!

Bewertung vom 16.03.2025
Der ewige Tanz
Schroeder, Steffen

Der ewige Tanz


sehr gut

Anita Berber und ihr Weg zum göttlichen Tanz bis 1928
Das Cover zeigt die Hauptfigur Anita Berber in ihrer Farbe ROT, sowohl als Hintergrundfarbe als auch in ihrem locker gewundenen Kleid, so hat Otto Dix diese im Free-Style expressiv agierende Tänzerin charakterisiert. Mit 29 Jahren ist sie an Tuberkulose im Berliner Bethanien-Krankenhaus bei den Diakonissen im Sommer 1928 gestorben. In Rückblicken sieht sie sich erneut als Star auf der Bühne und in Stummfilmen, bereits auf den Tod wartend. Neben ihrer Kindheit mit Großmutter Lu und ihrer Tanzausbildung geht es um ihren exzessiven Lebensstil, ihren Einfluss auf Mode à la Berber, um ihr Privatleben in kinderlosen Ehen und ihre künstlerischen, ausdrucksstarken Tanzdarbietungen in vielen Ländern. Ihre vielen Begegnungen in Cafés, Clubs etc. mit vielen Künstlern wie z.B. mit der Fotografin Madame d’Ora, dem Regisseur Richard Oswald, Conrad Veidt, dem Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, mit der Malerin Charlotte Berend (Frau von Lovis Corinth) vermitteln einen lebhaften Eindruck einer hemmungslosen Lebensweise, fern von gesellschaftlichen Normen. Der Schreibstil mit Anita als Erzählerin ist persönlich gehalten aus Frauensicht. Der neuen, bewegten Zeit der Weimarer Republik wird historisch gebührend Rechnung getragen.

Bewertung vom 14.03.2025
Luzie in den Wolken
Lucas, Charlotte

Luzie in den Wolken


ausgezeichnet

Ein Luftballonwettbewerb und damit verbundene kreative Wendungen
Das Cover gibt die kindliche Hauptfigur Luzie mit ihren wichtigen Zutaten wie rotem Luftballon und Postkarte inhaltlich wie auch in der Farbgebung passend wieder. Mehrere Themenbereiche umfassen z. B. eine emotionale Sinnkrise, Schreibblockade oder Burn-Out bei Autoren wie der Hauptfigur Gabriel Bach alias Henri Fjord alias Ben Sommer. Das Glück der zweiten Chance für den Buchautor – mal in der Liebe zu Miriam und zugleich als Bonus-Papi für Luzie - kommt als emotional gut verpackte Botschaft wunderbar an. Auch das schwierige Thema wie den Tot ist über den Zeitraum eines Jahres kindlich, auch philosophisch aufbereitet – besonders im weihnachtlichen Hamburger Ambiente. Einfühlsam wird auch auf die Trauerbewältigung von Mutter und Kind eingegangen. Ihre ethisch inakzeptable Vermarktung in Buchform, involvierte Lügerei mit all ihren Komplikationen und der scharfe Spürsinn von Miriam und ihrer Freundin Rebecca bilden einen spannungsvollen Rahmen. Der flotte Schreibstil, besonders in den kreativen, teils lustigen Dialogen, entspricht dem Alter der Figuren. Die verschiedenen Charaktere wie die selbstbewusste 8-jährige Luzie, ihre herzliche Mutter Miriam oder der teils depressive, verzweifelte, teils sich in Unwahrheiten verstrickende Autor Gabriel sind authentisch, ebenso die schillernde Figur der Rebecca mit ihrem Hang zur Spiritualität, mit ihrem Pragmatismus und ihrer Fröhlichkeit. Überhaupt kommt die Beschreibung des finanziell und emotional belasteten Alltagslebens realistisch in vielen Details rüber. Die Einbeziehung des Beatles-Songs »Lucy In the Sky With Diamonds« ist gelungen, die kreative Idee der Briefgeschichten im Second Chance-Laden gefällt.
Eine rührende Geschichte um Ängste, Leere, Schuldgefühle und viel Liebe.

Bewertung vom 10.03.2025
Im Wind der Freiheit
Kinkel, Tanja

Im Wind der Freiheit


sehr gut

Die Demokratiebewegung ab 1848 unter Mitwirkung von Frauen
Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung, um Gleichheit für Männer und Frauen. Historisch aufbereitet mit besonderem Blick auf selbstbewusste, auch in der Politik aktive Frauen verfolgt man ab 1835 diverse Lebenswege:
in Meißen, Sachsen, Franziska, Louise Otto-Peters, Pseudonyme Otto Stern, sozialkritische Schriftstellerin und spätere Verlegerin einer Zeitung, Demokratin und eine Mitbegründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung. Die junge Arbeiterin Susanne, angestellt in der Tuchfabrik Gerstig ausgestattet mit englischen Maschinen, mit ihrer Mutter in Oederan, Sachsen lebend. Die Auswirkung des schlesischen Weberaufstands von 1844 ist noch überall im Gedächtnis. Geht es im 1. Teil zunächst um Zensur von Verlagen und Zeitungen durch das Mainzer Informationsbüro, steigert sich im 2. Teil mit Robert Blum und Louise Otto der Ruf nach Freiheit und Würde, Wahlrecht für alle und Abschaffung der Zensur unter einem geeinten Deutschland. Mit dem erpresserischen Gernot, dem Mainzer Informationsbüro anzugehörend, kommen destruktive, menschenverachtende Elemente ins Spiel, mit Suzanne als geschickter Spionin. Um den ehrlichen Soldaten Lukas Brandstetter, 23, entwickelt sich in Berlin ein neuer Konfliktherd. Die politischen Vorgänge ab der Konstituierung des Vorparlaments in der Paulskirche in Frankfurt am Main sind im Detail nachvollziehbar mit Robert Blum als Abgeordneten, mit Amalie und Gustav Struve, mit Friedrich Hecker, August Peters, Clotilde Koch-Gontard etc.. Im 3. Teil geht es beim Mainzer Informations-Bureau, einem unter Fürst Metternich eingerichteten Geheimdienst, weiterhin um Bespitzelung oppositioneller Bewegungen - auch in Wien - und ihre endgültige Enttarnung.
Der Kampf um Frauenrechte wird eindrucksvoll beschrieben.

Bewertung vom 07.03.2025
Echokammer / Ein Fall für Benjamin & Tong Bd.1
Johnsrud, Ingar

Echokammer / Ein Fall für Benjamin & Tong Bd.1


ausgezeichnet

Ein spannender Plot
Das Cover mit altem Kontrollturm am Wasser deckt nicht den Krimi-Inhalt ab. Fünfunddreißig Tage vor der Parlamentswahl in Norwegen beginnt der Krimi in drei Teilen zunächst mit der Vorstellung der zahlreich aufgeführten Beteiligten: Jens Meidell, kriminalpolitischer Berater der stellvertretenden Vorsitzenden der Arbeiterpartei Christina Nielsen. Sie wird in ihrer Wahlkampagne unterstützt durch das Technologieunternehmen Munin Grafikos, Daniel Carmichael, deren Wahl-o-Mat das Internet nutzt, um Menschen zu manipulieren und zu steuern, über Cookie unter anderem IP-Adressen einsammelt. Der anonyme Blogger Fenris verfasst auf seiner rechtspopulistischen Internetseite Hasstiraden. Die Ermittlerin Liselott Benjamin, verstärkt durch den erfahrenen Martin Tong, folgen unermüdlich unter Zeitdruck den Spuren von zunächst drei Terroristen, die in einem Unfallwagen, einem stillgelegten Kraftwerk, auf Handies, Chatforen, Internetseiten etc. vielfältige Spuren – u.a. die Herstellung von giftigem Rizin - hinterlassen. Diese bewirken schließlich den Einsatz der Antiterroreinheit unter Theobal Polka. Die hochgebildete Technologiejournalistin Sunniva Bjørk, auf der Anrufliste eines Paares niederländischer Freidenker, verfügt über brisante Daten von Terroristen über einen anonymen Informanten. Im zweiten Teil geht es um Wahlkampfinhalte der Arbeiterpartei und deren Missachtung der Menschenrechte z.B. oder um den Machtkampf zwischen den eigenen Reihen, um Lügen, Erpressung, Vertrauensbrüche, leere Versprechungen. Während Fenris enttarnt wird, die Entledigung Daniel Carmichaels diskutiert wird, ist der Justizminister Georg Qvam frustriert über die Fortschritte bei den Terrorermittlungen nach Eingang von deren Forderungen. Mit Akribie besonders bei der Überprüfung von Handynummern erarbeiten die Ermittler Puzzleteile über diese Terroristen, die über Internetkanäle in einem internationalen Netzwerk kommunizieren, über die die Polizei keine Kontrolle hat. Ein Terror- und Katastrophenalarm läutet schließlich den dritten Teil ein. Daniel Carmichael und seine Machenschaften rund um den verschwundenen Informanten Adam Kuzmin und dessen verschlüsselter Festplatte werden aufgedeckt, Puzzleteile auf russischen Internetseiten lüften Informationen über den vermeintlich toten Brage Smith. Der menschliche Faktor wird auch eingeflochten: Die Mutter von Jens, Ingrid Meidell, ist an Demenz erkrankt. Die Krebserkrankung der Präsidentin der Partei Høyre, im Polit-Talk im TV erwähnt, wird jedoch als Wahlkampfthema missbraucht.
Insgesamt interessante Charaktere, realistisch in spannendem Schreibstil porträtiert, gefällt.
Wie stark der Einfluss sozialer Medien im Wahlgeschehen haben kann, macht nachdenklich, ebenso die bearbeiteten Themen wie Terror, Fremdenhass bei Rechtsextremismus und Wahlkampfstrategien ohne Moral, Ethik und Demokratiewahrung.

Bewertung vom 06.03.2025
Die Kammer
Dean, Will

Die Kammer


gut

Die Kammer Will Dean 3*
Thriller in ungewöhnlichem Setting
Das Cover mit geisterhaft aufgedrückter, schwarzer Hand in undurchsichtigem Nebel hinter einem Bullauge setzt bereits nicht alltägliche Akzente, denn dahinter verbringen sechs Sättigungstaucher unter Druckausgleich mehrere Tage während ihres Einsatzes an einer Ölpipeline, hier in der Nordsee. Zu Beginn des Buches befindet sich die Darstellung des Taucherbasisschiffs DSV Deep Topaz, mit Kammer, Nasszelle und Taucherglocke, am Ende ein Glossar. Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Perspektive von Ellen Brooke, der einzigen Frau im Team, belastet mit Schuldgefühlen nach dem jähen Verlust ihrer Familie. Die wiederholten Schilderungen von überlebenswichtigen Regeln bezüglich ihres Unterwasseralltags, jedoch nur eines Tiefseeeinsatzes, sind so detailreich und lebendig, dass man die klaustrophobische Atmosphäre voller akuten Gefahren, Misstrauen und Ängste in und außerhalb der eisernen Druckkammer gut nachempfindet. Begriffe wie z.B. Medlock oder TUP-Kapsel etc. werden nicht nur im Text direkt erklärt, sondern fügen sich organisch auch in die Handlung ein, die mit dem ersten Toten auf engstem Raum für arge Beklemmung beim Lesen sorgt. Die völlig fremde Arbeitsumgebung der Sättigungstaucher entpuppt sich dabei als lehrreich, zunehmend spannender mit steigender Anzahl der Todesfälle. Thematisiert werden auch Überlebenswillen, Gruppendynamik, Isolation, Vertrauen, die physischen und psychischen Belastungen. Auch die aufs wesentliche reduzierte Kommunikation und die eigene Art von Humor beleuchtet der Autor treffend. Jedoch das Ende scheint ohne Motiv für die Morde zu sein mit André, vielleicht mit »Bubble-Hirn«, in einer geschlossenen Station eines Krankenhauses. Die Schuldfrage für vier Morde wird nicht eindeutig geklärt, was enttäuscht.

Bewertung vom 05.03.2025
Der Gesang der Seeschwalben / Die Bücherfrauen von Listland Bd.1
Engelmann, Gabriella

Der Gesang der Seeschwalben / Die Bücherfrauen von Listland Bd.1


sehr gut

So viel Liebe zu Mensch, Tier, Natur und Büchern
Das Cover versprüht eine wild romantische Atmosphäre im vernebelten Sonnenaufgang am Meer, mystisch auch die zart übergleitende Farbgebung – sehr ansprechend und passend zum Roman. Der Star der Potcast-Reihe Bemerkenswerte Bücherfrauen mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit steht im Mittelpunkt. Von Fenja Lorenzen und ihrem Mutter-Tochter-Drama wird erzählt. In zwei Erzählsträngen ab 1937 und der Gegenwart geht es auch um die Liebe zu einem Mann jüdischer Herkunft mit etlichen negativen Konsequenzen für die Familie. Die Szenerien in zwei Teilen spielen größenteils in Niebüll, Friedrichstadt und Listland, eingebettet in viel Lokalkolorit, Symbolik und historische Daten. Die Journalistin Anna März begleitet die Familie taktvoll auf ihrem Weg der gegenseitigen Annäherung. Die Einstellung gegen Krieg, Hass, ethnische Vorurteile und die Auswirkung früher Traumata wird thematisiert. Diese Schilderungen der Vergangenheitsbewältigung und des Alltagslebens besonders auf Listland wirken realistisch und authentisch, überzeugen auch in ihren größenteils sympathischen Charakteren in angenehmem Schreibstil.

Bewertung vom 03.03.2025
No Hard Feelings

No Hard Feelings


gut

Das Tinder-Zeitalter mit seinen Herausforderungen
Penelope Moore, Penny, ist 26 Jahre alt, Account Managerin bei Scout Digital Meistens in Cremorne, einem Stadtteil von Melbourne, Victoria, Australien. Mit ihren Freundinnen Annie, Anwältin und Bec Cooper, verlobt hat sie regen Gedankenaustausch über ihre Versagensängste und Selbstzweifel, über Sinnsuche in ihrem Beruf und Akzeptanz in männlichen Bekanntschaften wie Max Fitzgerald. Gerne hätte Penny, die Erzählerin, weniger Lebensbaustellen und langweilt mit Selbstmitleidsmonologen, wenn auch in flottem, teils humorvollem Schreibstil. In dieser Welt der Mitt- bzw. Endzwanziger schimmert ein wenig australisches Lokalkolorit durch. Thematisiert werden neben ausgiebigem Alkoholgenuss, Pennys psychische Gesundheit, Depressionen und Ängste neben der sich verändernden Freundinnenschaft während ihrer schwierigen Zeit der Selbstfindung.
Insgesamt ein kurzweiliges Leseerlebnis, gerne mit mehr Tiefe.

Bewertung vom 03.03.2025
Vor hundert Sommern
Fuchs, Katharina

Vor hundert Sommern


sehr gut

Familiengeheimnisse, seit Generationen verschwiegen.- einfühlsam aufbereitet
Das Cover mit lesender, junger Frau im Baum erinnert passend an eine Hauptfigur im Generationenroman, der sich hauptsächlich mit dem bewegenden Schicksal dreier Frauen einer Familie befasst. Auf zwei Erzählebenen – 1924 und 2024 – geht es jeweils im Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit um politische und historische Entwicklungen sowohl im heutigen universitären Rahmen in Richtung Antisemitismus, Unterdrückung der Meinungsfreiheit nicht nur auf sozialen Medien, Hasspropaganda als auch nach 1924 um das Nazi-Regime. In Berlin, Hamburg und Bremen erstehen realistisch und einfühlsam beschriebene Szenen besonders um Clara in Berlin-Charlottenburg, die nach 1924 unter dem Erstarken der NSDAP sehr bedrückend wirken. Die Darstellung des gefährlichen Alltagslebens von Juden, Halbjuden, Kommunisten, Gewerkschaftlern und in Mischehen regt sehr zum Nachdenken an, erfährt doch die damalige Hass- und Gewaltwelle mancherorts nach 100 Jahren ein erneutes Erstarken. Durch das Auffinden rätselhafter Gegenstände wie z.B. Fotos, Briefen oder einer Pistole beim Entrümpeln von Claras Wohnung wird geschickt ein Spannungsbogen entlang den stückweisen Enthüllungen der Seniorin Elisabeth gespannt. Die Figuren sind alle menschlich, sympathisch und realistisch gezeichnet. Der feinfühlige Schreibstil lässt die oft beklemmende Atmosphäre von Schuld, Hass und Gefahr nachempfinden.
Empfehlenswert!

Bewertung vom 01.03.2025
Schwimmen im Glas
Lugbauer, Eva

Schwimmen im Glas


sehr gut

Liebevolle, aber auch still hinterfragte Erinnerungen einer emanzipierten Frau
Das Selbstporträt, das Hannelore Moser, kurz Lore, als Schulkind malt, beschreibt sehr gut ihre bisherige, als einengend und ungerecht empfundene Lebenssituation als stummen Fisch mit Schuppen und goldenen, silbernen, bunten Flossen, gefangen in einem Gurkenglas mit Deckel, der über einen aggressiven Stachel einen gelben, eitrigen, krankhaften Schleier abgibt. Und das Gurkenwasser im sie eingrenzenden Glas ist ihr beschränktes Universum. In ruhigem Schreibstil hinterfragt Lore von Kindesbeinen an ihre wohl behütete, patriarchalisch geprägte Welt. Frauen sollen z.B. dankbar sein für unzählige Zugeständnisse der Männer, für deren Entgegenkommen. Und wofür sollen Männer dankbar sein? Besonders der Großvater wirkt prägend auf Lore in seiner Welt voller festgefahrenen, überkommenen Geschlechterrollen. In ihren mit Bedacht geführten Gesprächen – auch über Kriegserlebnisse - fallen viele tiefgehende Gedankenstriche und der Einsatz der Wörter aber, eigentlich, wirklich auf. Tante Ursula bildet als künstlerisch veranlagter, außerhalb allgemein gültiger Normen lebender Stadtmensch den hitzigen, feministisch argumentierenden Kontrapunkt in der Familie. Das Leben der erwachsenen, emanzipierten Lore wird nur in Bruchstücken beleuchtet.
Ein einfühlsamer Erinnerungsroman!