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Sasha Filipenko
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Die Jagd (Mängelexemplar)
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Ein Journalist, der zu viel weiß. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel. Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die Geschichte des idealistischen Journalisten Anton Quint, der sich mit einem Oligarchen anlegt. Worauf dieser den Befehl gibt, Quint fertigzumachen. Die Hetzjagd ist eröffnet.
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Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein belarussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satireshow und als Fernsehmoderator. Sein Roman ¿Die Jagd¿ war ein ¿Spiegel¿-Bestseller. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und wohnte bis 2020 in St. Petersburg. Er musste mit seiner Familie Russland verlassen und lebt in der Schweiz.
Produktdetails
- Verlag: Diogenes
- Originaltitel: Trawlja
- 03. Aufl.
- Seitenzahl: 288
- Erscheinungstermin: 23. Februar 2022
- Deutsch
- Abmessung: 188mm x 124mm x 25mm
- Gewicht: 306g
- ISBN-13: 9783257071580
- ISBN-10: 3257071582
- Artikelnr.: 71165231
Herstellerkennzeichnung
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Wie das Gute hinter Gitter gekommen ist
Sasha Filipenko stammt aus Belarus. In seinen Romanen hat er hellsichtig die Entwicklung Osteuropas vorhergesagt. Jetzt ist auf Deutsch "Die Jagd" erschienen, schon vor sechs Jahren geschrieben, aber wie eine Parabel auf die Gegenwart zu lesen: als Porträt des Systems Putin mit dessen systematischer Zerstörung allen gesellschaftlichen Eigenlebens.
Von Kerstin Holm
Kaputtmachen ist nicht aufbauen - die Seele tut nicht weh" (Lomat ne stroit - duscha ne bolit), lautet ein russisches Sprichwort. Es erklärt, warum das Zerstören leichter fällt als das Schaffen: Man braucht nichts von sich zu investieren. Diese Redensart, die auch den Nationalcharakter beschreiben soll, geht
Sasha Filipenko stammt aus Belarus. In seinen Romanen hat er hellsichtig die Entwicklung Osteuropas vorhergesagt. Jetzt ist auf Deutsch "Die Jagd" erschienen, schon vor sechs Jahren geschrieben, aber wie eine Parabel auf die Gegenwart zu lesen: als Porträt des Systems Putin mit dessen systematischer Zerstörung allen gesellschaftlichen Eigenlebens.
Von Kerstin Holm
Kaputtmachen ist nicht aufbauen - die Seele tut nicht weh" (Lomat ne stroit - duscha ne bolit), lautet ein russisches Sprichwort. Es erklärt, warum das Zerstören leichter fällt als das Schaffen: Man braucht nichts von sich zu investieren. Diese Redensart, die auch den Nationalcharakter beschreiben soll, geht
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einem in diesen Tagen nicht aus dem Sinn, da die russische Armee ukrainische Wohngebiete mit Artillerie beschießt, um das Land unter dem grotesken Vorwand, dessen frei gewählte Regierung bestünde aus Nazis, und Ukrainer hätten einen "Genozid" an Russen verübt, zu "befrieden" und als Vasallenstaat in Russlands Einflusszone zurückzuzwingen. Was schon der Philosoph Nikolai Berdjajew (1874 bis 1948) an vielen seiner Landsleute zu beobachten glaubte, eine soziale Intelligenz, die sich vorzugsweise in Gemeinheiten kundtue, während sie für konstruktives Handeln zwei linke Hände hätten, das scheint sich bei Putins Feldzug in grandiosem Ausmaß zu bestätigen. Russlands immer brutalere Methoden, das gen Westen strebende Nachbarland an sich zu fesseln, haben erst vitale ostukrainische Städte wie Donezk und Lugansk kaputtgemacht und sollen nun offenbar die Metropolen Charkiw und Kiew (das als "Mutter der russischen Städte" gilt), in Schutt und Asche legen. Das offizielle Ziel der Operation, die "Entnazifizierung" eines Landes, das von einem russischsprachigen Juden angeführt wird, klingt wie Hohn. Der Tod Tausender Soldaten und Zivilisten, ein ewiger Hass zwischen den Völkern, wovor patriotische Veteranen gewarnt hatten - all das scheint der Oberkommandierende nicht als Problem zu betrachten.
Jetzt wird auch deutlich, dass Putins planmäßiges Zerstörungswerk an der russischen Gesellschaft diesen Krieg erst möglich gemacht hat. Oppositionsstimmen gibt es so gut wie keine mehr, Demonstranten gegen den Krieg werden zu Tausenden verhaftet, die Medien, die noch kritisch berichten, aufgelöst, blockiert oder mit einem Maulkorb versehen, der sie verpflichtet, viele Inhalte zu löschen. Zuvor waren über Jahre hinweg eigenständige, strahlkräftige Figuren oder Organisationen zu "ausländischen Agenten" oder gar zu "Terroristen" erklärt, zerschlagen, vertrieben, ermordet worden - ob investigative Journalisten, die Menschenrechtsgesellschaft "Memorial" oder der charismatische Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj mit seinem landesweiten Netzwerk aus engagierten jungen Leuten. Diese Verfolgung der Besten der Nation, für die der Staat ein immer dichteres Netz von Strafverfolgern aufbaute, trainiert dazu und belohnt es, komplexere Naturen zu erniedrigen, wofür auch der Präsident ein Faible hat. Putins frühe Replik gegenüber einem kritischen französischen Reporter, dem er eine "Beschneidung" empfahl, bei der "nichts nachwachse", oder seine verliebte Umarmung mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der gerade den Journalisten Jamal Kashoggi hatte ermorden lassen, sind ebenso unvergesslich wie unlängst sein Vergleich der Ukraine mit einer Frauenleiche, die eine Vergewaltigung hinzunehmen habe ("Ob es dir gefällt oder nicht, du musst es dulden, meine Schöne"). Die echte Glut, die ihn in solchen Situationen erfasst, öffnet unter der Geheimdienstlermaske immer wieder Fenster in Putins Seele.
Putin achtet das Gesetz des Dschungels und die Raubtiernatur, die darin regiert. Gern zitiert er aus Rudyard Kiplings "Dschungelbuch", vergleicht den westlichen Hegemon Amerika mit dem mächtigen Tiger Shir Khan, den diverse Schakale - damit sind dann die Europäer gemeint - umschmeicheln, um ihn günstig zu stimmen. Putins Verhältnis zu seinen Vertrauten erinnert ans Ethos eines Rudels von Wölfen, das über die Zivilgesellschaft verfügt. Mit den von Kipling als verächtlich dargestellten Bandar-Log-Affen, die nur für den Moment leben und nichts von morgen wissen, verglich Putin 2011 die von ihm verachtete friedliche Protestbewegung gegen seine Wiederwahl als Präsident.
Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko, der bis 2020 in Sankt Petersburg gelebt hat, entwarf schon vor sechs Jahren in seinem Roman "Die Jagd" das Bild einer Gesellschaft, in der die Hetze - und das Vergnügen daran - die wichtigste Klammer darstellt. In dem jetzt auf Deutsch herausgekommenen Buch (dessen Originaltitel "Trawlja" meint eher eine Hetzjagd) wird ein Schriftsteller, der als Investigativjournalist die Vermögensverhältnisse eines pseudopatriotischen Oligarchen ausleuchtet, von dessen Trollen in den persönlichen Ruin getrieben. Das Sujet entfaltet sich in filmischen Szenen, die zwischen den Perspektiven des sich seiner Mission bewussten Autors und der auf ihren Zynismus stolzen Verfolger hin und her springen. Dass Filipenko, der einst Cello studiert hat, das polyphone Textgebilde nach dem Bauplan eines Sonatenhauptsatze organisiert, gibt dem brutalen Stoff etwas gleichnishaft Überzeitliches.
Die Trawlja-Hetzjagd ist historisch ein grausames Spektakel, bei dem Hunde auf einen angebundenen Bären losgelassen werden und ihn am Ende zerfetzen. Bezeichnenderweise amüsiert sich damit im Roman der staatsnahe Oligarch, der ein Meister darin ist, mit kriminellen Mitteln Geld aus dem Land zu ziehen und vor der Fernsehkamera Verzicht zu predigen. Mit seinem Namen Wladimir Slawin scheint er das System Putin zu symbolisieren. Das geradezu klischeehafte Dolce Vita der Familie von "Onkel Wolodja", wie Bekannte ihn nennen, auf einer Luxusyacht vor Nizza wird gestört durch eine Publikation über seine ausländischen Immobilien und Konten. Deren Autor Anton Quint - sein russischer Name Pjatyj oder "Der Fünfte" enthält eine Anspielung auf die "Fünfte Kolonne" - lässt an den flammenden Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj denken. Ihm ist bewusst, dass der aggressiv unterwürfige Massenmensch, der am liebsten andere erniedrigt, gegen Leute mit Überzeugung wie ihn einen Verdrängungskrieg führt. Daraus extrapoliert Quint eine literarische Dystopie, bei der es zur Fernsehunterhaltung gehört, das Publikum per Knopfdruck Todesurteile fällen zu lassen.
Filipenko motiviert die Schadenfreude seiner Figuren auch dadurch, dass sie selbst gedemütigt wurden und nun den Spieß umdrehen. Der käufliche Hetzreporter Lew Smyslow, den Slawin auf Quint ansetzt, fühlte sich als Kind erniedrigt, als sein Vater infolge der Moskauer Finanzkrise von 1998 seine Geschäfte verlor und er selbst vom Luxusboy zum armen Jungen abstieg. Ein dreister Zigeuner, der ihm hilft, hat als Kind infolge eines Überfalls von Messerstechern seine ganze Familie verloren. Die beiden quartieren unter der Wohnung von Quint Statisten ein, die randalieren, laute Musik spielen, sein Türschloss verkleben, und sorgen dafür, dass der Revierpolizist sich taub stellt. Sie setzen eine Prostituierte auf Quint an, überfallen seine Frau, organisieren Artikel und Sendungen, die ihn als Marionette des westlichen Auslands schmähen. Das Leitmotiv seines gut bezahlten Jobs sei es, klarzustellen, dass an allen hausgemachten Problemen, vom U-Boot-Unglück bis zur Polizeifolter, Amerika schuld sei, erklärt Lew Smyslow, der bekennt, dieses kreative Lügenhandwerk mache ihm Spaß. Und die "patriotischen" Netznutzer, so beobachtet er, veranstalteten vollkommen gratis einen Shitstorm gegen sein Hetzobjekt, um sich dadurch den staatlichen Administratoren anzudienen.
Während Quint übernächtigt und entnervt sein Enthüllungswerk fortsetzt, sagt sich die Schwiegermutter von ihm los, er überwirft sich mit den Fußballkumpeln und seiner Frau. Neue Enthüllungen über Slawin und Quints Weigerung zu emigrieren beantworten die Verfolger mit einer Fernsehshow, die den Journalisten als Kinderschänder hinstellt, und einem Menschenauflauf vor dessen Haus, der aus einem Horrorfilm zu stammen scheint und zu einem schrecklichen Ende führt. Vor seinem Gewissen rechtfertigt Lew Smyslow sich mit dem Argument, Quint habe eben die Hyänen gereizt, also das Gesetz des Dschungels mutwillig herausgefordert.
Seit der Erstveröffentlichung von Filipenkos "Jagd" haben sich die Repressionsmethoden des Putin-Staates in vielem genau nach diesem Drehbuch weiterentwickelt. So wurde der Geschichtsforscher Juri Dmitrijew, der als Leiter des Regionalbüros der historischen Gesellschaft "Memorial" im nordrussischen Karelien Massengräber mit Überresten von Stalin-Opfern fand, 2016 wegen angeblicher Verfertigung von Kinderpornographie verhaftet und angeklagt. Der Freispruch von 2018 wurde wieder kassiert, eine neue Anklage lautete auf sexuelle Übergriffe auf seine Adoptivtochter. Das Verfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, sollte vor allem Dmitrijews hohes Ansehen zerstören. Die Haftstrafe wurde mehrfach, zuletzt Ende des vergangenen Jahres, verlängert; der mittlerweile 66 Jahre alte Forscher soll offenbar sein Leben hinter Gittern beschließen.
Russische Fernsehtalkshows haben sich zu einem regelrechten Hetzjagdritual entwickelt. Ob "Sonntag Abend" (Woskresnyj Wetscher) mit Wladimir Solowjow, ob "Die Zeit wird's zeigen" (Wremja pokaschet) mit Artjom Schejnin - stets erlebt man staatstreue "Experten", deren Lieblingssport es ist, Einzelgäste, die Positionen etwa Polens oder der Ukraine vertreten, gemeinsam niederzuschreien und zu verhöhnen. Wie bei Filipenko verbreiten Armeen bezahlter Trolle Falschnachrichten, gern auch über den inhaftierten Nawalnyj, um inzwischen weitgehend gesperrte Informationen über ihn vergessen zu machen, und fluten die Medien mit Pro-Putin-Kommentaren. Zugleich verzeichnet seit dem Kriegsausbruch selbst das als seriös geltende Levada-Umfragezentrum, das zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, gestiegene Zustimmungswerte für Präsident Putin von nunmehr 71 Prozent. Zwar ist der Demoskopie unter Diktaturen kaum zu trauen. Doch zumindest der Hälfte der russischen Bevölkerung scheint die Rücksichtslosigkeit, mit der Putin die Welt umbaut, zu imponieren.
Doch was der Schriftsteller noch nicht ahnen konnte, ist das Ausmaß physischer Gewalt und Zerstörung, die das System Putin in der lange vorbereiteten heißen Phase des Krieges gegen das Nachbarland Ukraine, aber auch gegen die Kulturschicht in Russland selbst entfalten würde. Die mutigen Menschen, die weiterhin täglich gegen den Krieg demonstrieren, werden von Polizeibeamten wie Freiwild gejagt und auf der Wache verprügelt und verhöhnt. Wie die "Nowaja gaseta" dokumentierte, misshandeln die Polizisten auch Frauen, denen sie ganz offen erklären, Putin unterstütze das, und die Gewaltexzesse würden mit Prämien belohnt. Seit am vergangenen Wochenende das Gesetz verabschiedet wurde, wonach öffentliche Äußerungen über den Krieg, die der offiziellen Lesart widersprechen, mit bis zu fünfzehn Jahren Haft bestraft werden können, ist ein großer Teil der Intelligenz - Schriftsteller, Journalisten, Musiker, Theaterleute, Ärzte - aus Russland in alle Himmelsrichtungen geflohen, nach Armenien, nach Usbekistan, nach Israel, nach Lettland, nach Deutschland. Von den Verbliebenen suchen jetzt viele ihr Heil im Lobgesang auf den Präsidenten und seinen Feldzug - womit sie das Menschliche in sich abtöten, wie der Psychologe Alexander Asmolow sagt, der solche Leute versteht, aber auch bedauert. Putin, der auch in diesem Konflikt um jeden Preis siegen will, ist bereit, dafür nicht nur der Ukraine, sondern auch dem eigenen Land das Rückgrat zu brechen.
Sasha Filipenko: "Die Jagd". Roman.
Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer. Diogenes Verlag 2022.
288 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jetzt wird auch deutlich, dass Putins planmäßiges Zerstörungswerk an der russischen Gesellschaft diesen Krieg erst möglich gemacht hat. Oppositionsstimmen gibt es so gut wie keine mehr, Demonstranten gegen den Krieg werden zu Tausenden verhaftet, die Medien, die noch kritisch berichten, aufgelöst, blockiert oder mit einem Maulkorb versehen, der sie verpflichtet, viele Inhalte zu löschen. Zuvor waren über Jahre hinweg eigenständige, strahlkräftige Figuren oder Organisationen zu "ausländischen Agenten" oder gar zu "Terroristen" erklärt, zerschlagen, vertrieben, ermordet worden - ob investigative Journalisten, die Menschenrechtsgesellschaft "Memorial" oder der charismatische Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj mit seinem landesweiten Netzwerk aus engagierten jungen Leuten. Diese Verfolgung der Besten der Nation, für die der Staat ein immer dichteres Netz von Strafverfolgern aufbaute, trainiert dazu und belohnt es, komplexere Naturen zu erniedrigen, wofür auch der Präsident ein Faible hat. Putins frühe Replik gegenüber einem kritischen französischen Reporter, dem er eine "Beschneidung" empfahl, bei der "nichts nachwachse", oder seine verliebte Umarmung mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der gerade den Journalisten Jamal Kashoggi hatte ermorden lassen, sind ebenso unvergesslich wie unlängst sein Vergleich der Ukraine mit einer Frauenleiche, die eine Vergewaltigung hinzunehmen habe ("Ob es dir gefällt oder nicht, du musst es dulden, meine Schöne"). Die echte Glut, die ihn in solchen Situationen erfasst, öffnet unter der Geheimdienstlermaske immer wieder Fenster in Putins Seele.
Putin achtet das Gesetz des Dschungels und die Raubtiernatur, die darin regiert. Gern zitiert er aus Rudyard Kiplings "Dschungelbuch", vergleicht den westlichen Hegemon Amerika mit dem mächtigen Tiger Shir Khan, den diverse Schakale - damit sind dann die Europäer gemeint - umschmeicheln, um ihn günstig zu stimmen. Putins Verhältnis zu seinen Vertrauten erinnert ans Ethos eines Rudels von Wölfen, das über die Zivilgesellschaft verfügt. Mit den von Kipling als verächtlich dargestellten Bandar-Log-Affen, die nur für den Moment leben und nichts von morgen wissen, verglich Putin 2011 die von ihm verachtete friedliche Protestbewegung gegen seine Wiederwahl als Präsident.
Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko, der bis 2020 in Sankt Petersburg gelebt hat, entwarf schon vor sechs Jahren in seinem Roman "Die Jagd" das Bild einer Gesellschaft, in der die Hetze - und das Vergnügen daran - die wichtigste Klammer darstellt. In dem jetzt auf Deutsch herausgekommenen Buch (dessen Originaltitel "Trawlja" meint eher eine Hetzjagd) wird ein Schriftsteller, der als Investigativjournalist die Vermögensverhältnisse eines pseudopatriotischen Oligarchen ausleuchtet, von dessen Trollen in den persönlichen Ruin getrieben. Das Sujet entfaltet sich in filmischen Szenen, die zwischen den Perspektiven des sich seiner Mission bewussten Autors und der auf ihren Zynismus stolzen Verfolger hin und her springen. Dass Filipenko, der einst Cello studiert hat, das polyphone Textgebilde nach dem Bauplan eines Sonatenhauptsatze organisiert, gibt dem brutalen Stoff etwas gleichnishaft Überzeitliches.
Die Trawlja-Hetzjagd ist historisch ein grausames Spektakel, bei dem Hunde auf einen angebundenen Bären losgelassen werden und ihn am Ende zerfetzen. Bezeichnenderweise amüsiert sich damit im Roman der staatsnahe Oligarch, der ein Meister darin ist, mit kriminellen Mitteln Geld aus dem Land zu ziehen und vor der Fernsehkamera Verzicht zu predigen. Mit seinem Namen Wladimir Slawin scheint er das System Putin zu symbolisieren. Das geradezu klischeehafte Dolce Vita der Familie von "Onkel Wolodja", wie Bekannte ihn nennen, auf einer Luxusyacht vor Nizza wird gestört durch eine Publikation über seine ausländischen Immobilien und Konten. Deren Autor Anton Quint - sein russischer Name Pjatyj oder "Der Fünfte" enthält eine Anspielung auf die "Fünfte Kolonne" - lässt an den flammenden Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj denken. Ihm ist bewusst, dass der aggressiv unterwürfige Massenmensch, der am liebsten andere erniedrigt, gegen Leute mit Überzeugung wie ihn einen Verdrängungskrieg führt. Daraus extrapoliert Quint eine literarische Dystopie, bei der es zur Fernsehunterhaltung gehört, das Publikum per Knopfdruck Todesurteile fällen zu lassen.
Filipenko motiviert die Schadenfreude seiner Figuren auch dadurch, dass sie selbst gedemütigt wurden und nun den Spieß umdrehen. Der käufliche Hetzreporter Lew Smyslow, den Slawin auf Quint ansetzt, fühlte sich als Kind erniedrigt, als sein Vater infolge der Moskauer Finanzkrise von 1998 seine Geschäfte verlor und er selbst vom Luxusboy zum armen Jungen abstieg. Ein dreister Zigeuner, der ihm hilft, hat als Kind infolge eines Überfalls von Messerstechern seine ganze Familie verloren. Die beiden quartieren unter der Wohnung von Quint Statisten ein, die randalieren, laute Musik spielen, sein Türschloss verkleben, und sorgen dafür, dass der Revierpolizist sich taub stellt. Sie setzen eine Prostituierte auf Quint an, überfallen seine Frau, organisieren Artikel und Sendungen, die ihn als Marionette des westlichen Auslands schmähen. Das Leitmotiv seines gut bezahlten Jobs sei es, klarzustellen, dass an allen hausgemachten Problemen, vom U-Boot-Unglück bis zur Polizeifolter, Amerika schuld sei, erklärt Lew Smyslow, der bekennt, dieses kreative Lügenhandwerk mache ihm Spaß. Und die "patriotischen" Netznutzer, so beobachtet er, veranstalteten vollkommen gratis einen Shitstorm gegen sein Hetzobjekt, um sich dadurch den staatlichen Administratoren anzudienen.
Während Quint übernächtigt und entnervt sein Enthüllungswerk fortsetzt, sagt sich die Schwiegermutter von ihm los, er überwirft sich mit den Fußballkumpeln und seiner Frau. Neue Enthüllungen über Slawin und Quints Weigerung zu emigrieren beantworten die Verfolger mit einer Fernsehshow, die den Journalisten als Kinderschänder hinstellt, und einem Menschenauflauf vor dessen Haus, der aus einem Horrorfilm zu stammen scheint und zu einem schrecklichen Ende führt. Vor seinem Gewissen rechtfertigt Lew Smyslow sich mit dem Argument, Quint habe eben die Hyänen gereizt, also das Gesetz des Dschungels mutwillig herausgefordert.
Seit der Erstveröffentlichung von Filipenkos "Jagd" haben sich die Repressionsmethoden des Putin-Staates in vielem genau nach diesem Drehbuch weiterentwickelt. So wurde der Geschichtsforscher Juri Dmitrijew, der als Leiter des Regionalbüros der historischen Gesellschaft "Memorial" im nordrussischen Karelien Massengräber mit Überresten von Stalin-Opfern fand, 2016 wegen angeblicher Verfertigung von Kinderpornographie verhaftet und angeklagt. Der Freispruch von 2018 wurde wieder kassiert, eine neue Anklage lautete auf sexuelle Übergriffe auf seine Adoptivtochter. Das Verfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, sollte vor allem Dmitrijews hohes Ansehen zerstören. Die Haftstrafe wurde mehrfach, zuletzt Ende des vergangenen Jahres, verlängert; der mittlerweile 66 Jahre alte Forscher soll offenbar sein Leben hinter Gittern beschließen.
Russische Fernsehtalkshows haben sich zu einem regelrechten Hetzjagdritual entwickelt. Ob "Sonntag Abend" (Woskresnyj Wetscher) mit Wladimir Solowjow, ob "Die Zeit wird's zeigen" (Wremja pokaschet) mit Artjom Schejnin - stets erlebt man staatstreue "Experten", deren Lieblingssport es ist, Einzelgäste, die Positionen etwa Polens oder der Ukraine vertreten, gemeinsam niederzuschreien und zu verhöhnen. Wie bei Filipenko verbreiten Armeen bezahlter Trolle Falschnachrichten, gern auch über den inhaftierten Nawalnyj, um inzwischen weitgehend gesperrte Informationen über ihn vergessen zu machen, und fluten die Medien mit Pro-Putin-Kommentaren. Zugleich verzeichnet seit dem Kriegsausbruch selbst das als seriös geltende Levada-Umfragezentrum, das zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, gestiegene Zustimmungswerte für Präsident Putin von nunmehr 71 Prozent. Zwar ist der Demoskopie unter Diktaturen kaum zu trauen. Doch zumindest der Hälfte der russischen Bevölkerung scheint die Rücksichtslosigkeit, mit der Putin die Welt umbaut, zu imponieren.
Doch was der Schriftsteller noch nicht ahnen konnte, ist das Ausmaß physischer Gewalt und Zerstörung, die das System Putin in der lange vorbereiteten heißen Phase des Krieges gegen das Nachbarland Ukraine, aber auch gegen die Kulturschicht in Russland selbst entfalten würde. Die mutigen Menschen, die weiterhin täglich gegen den Krieg demonstrieren, werden von Polizeibeamten wie Freiwild gejagt und auf der Wache verprügelt und verhöhnt. Wie die "Nowaja gaseta" dokumentierte, misshandeln die Polizisten auch Frauen, denen sie ganz offen erklären, Putin unterstütze das, und die Gewaltexzesse würden mit Prämien belohnt. Seit am vergangenen Wochenende das Gesetz verabschiedet wurde, wonach öffentliche Äußerungen über den Krieg, die der offiziellen Lesart widersprechen, mit bis zu fünfzehn Jahren Haft bestraft werden können, ist ein großer Teil der Intelligenz - Schriftsteller, Journalisten, Musiker, Theaterleute, Ärzte - aus Russland in alle Himmelsrichtungen geflohen, nach Armenien, nach Usbekistan, nach Israel, nach Lettland, nach Deutschland. Von den Verbliebenen suchen jetzt viele ihr Heil im Lobgesang auf den Präsidenten und seinen Feldzug - womit sie das Menschliche in sich abtöten, wie der Psychologe Alexander Asmolow sagt, der solche Leute versteht, aber auch bedauert. Putin, der auch in diesem Konflikt um jeden Preis siegen will, ist bereit, dafür nicht nur der Ukraine, sondern auch dem eigenen Land das Rückgrat zu brechen.
Sasha Filipenko: "Die Jagd". Roman.
Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer. Diogenes Verlag 2022.
288 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Wie das Gute hinter Gitter gekommen ist
Sasha Filipenko stammt aus Belarus. In seinen Romanen hat er hellsichtig die Entwicklung Osteuropas vorhergesagt. Jetzt ist auf Deutsch "Die Jagd" erschienen, schon vor sechs Jahren geschrieben, aber wie eine Parabel auf die Gegenwart zu lesen: als Porträt des Systems Putin mit dessen systematischer Zerstörung allen gesellschaftlichen Eigenlebens.
Von Kerstin Holm
Kaputtmachen ist nicht aufbauen - die Seele tut nicht weh" (Lomat ne stroit - duscha ne bolit), lautet ein russisches Sprichwort. Es erklärt, warum das Zerstören leichter fällt als das Schaffen: Man braucht nichts von sich zu investieren. Diese Redensart, die auch den Nationalcharakter beschreiben soll, geht
Sasha Filipenko stammt aus Belarus. In seinen Romanen hat er hellsichtig die Entwicklung Osteuropas vorhergesagt. Jetzt ist auf Deutsch "Die Jagd" erschienen, schon vor sechs Jahren geschrieben, aber wie eine Parabel auf die Gegenwart zu lesen: als Porträt des Systems Putin mit dessen systematischer Zerstörung allen gesellschaftlichen Eigenlebens.
Von Kerstin Holm
Kaputtmachen ist nicht aufbauen - die Seele tut nicht weh" (Lomat ne stroit - duscha ne bolit), lautet ein russisches Sprichwort. Es erklärt, warum das Zerstören leichter fällt als das Schaffen: Man braucht nichts von sich zu investieren. Diese Redensart, die auch den Nationalcharakter beschreiben soll, geht
Mehr anzeigen
einem in diesen Tagen nicht aus dem Sinn, da die russische Armee ukrainische Wohngebiete mit Artillerie beschießt, um das Land unter dem grotesken Vorwand, dessen frei gewählte Regierung bestünde aus Nazis, und Ukrainer hätten einen "Genozid" an Russen verübt, zu "befrieden" und als Vasallenstaat in Russlands Einflusszone zurückzuzwingen. Was schon der Philosoph Nikolai Berdjajew (1874 bis 1948) an vielen seiner Landsleute zu beobachten glaubte, eine soziale Intelligenz, die sich vorzugsweise in Gemeinheiten kundtue, während sie für konstruktives Handeln zwei linke Hände hätten, das scheint sich bei Putins Feldzug in grandiosem Ausmaß zu bestätigen. Russlands immer brutalere Methoden, das gen Westen strebende Nachbarland an sich zu fesseln, haben erst vitale ostukrainische Städte wie Donezk und Lugansk kaputtgemacht und sollen nun offenbar die Metropolen Charkiw und Kiew (das als "Mutter der russischen Städte" gilt), in Schutt und Asche legen. Das offizielle Ziel der Operation, die "Entnazifizierung" eines Landes, das von einem russischsprachigen Juden angeführt wird, klingt wie Hohn. Der Tod Tausender Soldaten und Zivilisten, ein ewiger Hass zwischen den Völkern, wovor patriotische Veteranen gewarnt hatten - all das scheint der Oberkommandierende nicht als Problem zu betrachten.
Jetzt wird auch deutlich, dass Putins planmäßiges Zerstörungswerk an der russischen Gesellschaft diesen Krieg erst möglich gemacht hat. Oppositionsstimmen gibt es so gut wie keine mehr, Demonstranten gegen den Krieg werden zu Tausenden verhaftet, die Medien, die noch kritisch berichten, aufgelöst, blockiert oder mit einem Maulkorb versehen, der sie verpflichtet, viele Inhalte zu löschen. Zuvor waren über Jahre hinweg eigenständige, strahlkräftige Figuren oder Organisationen zu "ausländischen Agenten" oder gar zu "Terroristen" erklärt, zerschlagen, vertrieben, ermordet worden - ob investigative Journalisten, die Menschenrechtsgesellschaft "Memorial" oder der charismatische Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj mit seinem landesweiten Netzwerk aus engagierten jungen Leuten. Diese Verfolgung der Besten der Nation, für die der Staat ein immer dichteres Netz von Strafverfolgern aufbaute, trainiert dazu und belohnt es, komplexere Naturen zu erniedrigen, wofür auch der Präsident ein Faible hat. Putins frühe Replik gegenüber einem kritischen französischen Reporter, dem er eine "Beschneidung" empfahl, bei der "nichts nachwachse", oder seine verliebte Umarmung mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der gerade den Journalisten Jamal Kashoggi hatte ermorden lassen, sind ebenso unvergesslich wie unlängst sein Vergleich der Ukraine mit einer Frauenleiche, die eine Vergewaltigung hinzunehmen habe ("Ob es dir gefällt oder nicht, du musst es dulden, meine Schöne"). Die echte Glut, die ihn in solchen Situationen erfasst, öffnet unter der Geheimdienstlermaske immer wieder Fenster in Putins Seele.
Putin achtet das Gesetz des Dschungels und die Raubtiernatur, die darin regiert. Gern zitiert er aus Rudyard Kiplings "Dschungelbuch", vergleicht den westlichen Hegemon Amerika mit dem mächtigen Tiger Shir Khan, den diverse Schakale - damit sind dann die Europäer gemeint - umschmeicheln, um ihn günstig zu stimmen. Putins Verhältnis zu seinen Vertrauten erinnert ans Ethos eines Rudels von Wölfen, das über die Zivilgesellschaft verfügt. Mit den von Kipling als verächtlich dargestellten Bandar-Log-Affen, die nur für den Moment leben und nichts von morgen wissen, verglich Putin 2011 die von ihm verachtete friedliche Protestbewegung gegen seine Wiederwahl als Präsident.
Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko, der bis 2020 in Sankt Petersburg gelebt hat, entwarf schon vor sechs Jahren in seinem Roman "Die Jagd" das Bild einer Gesellschaft, in der die Hetze - und das Vergnügen daran - die wichtigste Klammer darstellt. In dem jetzt auf Deutsch herausgekommenen Buch (dessen Originaltitel "Trawlja" meint eher eine Hetzjagd) wird ein Schriftsteller, der als Investigativjournalist die Vermögensverhältnisse eines pseudopatriotischen Oligarchen ausleuchtet, von dessen Trollen in den persönlichen Ruin getrieben. Das Sujet entfaltet sich in filmischen Szenen, die zwischen den Perspektiven des sich seiner Mission bewussten Autors und der auf ihren Zynismus stolzen Verfolger hin und her springen. Dass Filipenko, der einst Cello studiert hat, das polyphone Textgebilde nach dem Bauplan eines Sonatenhauptsatze organisiert, gibt dem brutalen Stoff etwas gleichnishaft Überzeitliches.
Die Trawlja-Hetzjagd ist historisch ein grausames Spektakel, bei dem Hunde auf einen angebundenen Bären losgelassen werden und ihn am Ende zerfetzen. Bezeichnenderweise amüsiert sich damit im Roman der staatsnahe Oligarch, der ein Meister darin ist, mit kriminellen Mitteln Geld aus dem Land zu ziehen und vor der Fernsehkamera Verzicht zu predigen. Mit seinem Namen Wladimir Slawin scheint er das System Putin zu symbolisieren. Das geradezu klischeehafte Dolce Vita der Familie von "Onkel Wolodja", wie Bekannte ihn nennen, auf einer Luxusyacht vor Nizza wird gestört durch eine Publikation über seine ausländischen Immobilien und Konten. Deren Autor Anton Quint - sein russischer Name Pjatyj oder "Der Fünfte" enthält eine Anspielung auf die "Fünfte Kolonne" - lässt an den flammenden Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj denken. Ihm ist bewusst, dass der aggressiv unterwürfige Massenmensch, der am liebsten andere erniedrigt, gegen Leute mit Überzeugung wie ihn einen Verdrängungskrieg führt. Daraus extrapoliert Quint eine literarische Dystopie, bei der es zur Fernsehunterhaltung gehört, das Publikum per Knopfdruck Todesurteile fällen zu lassen.
Filipenko motiviert die Schadenfreude seiner Figuren auch dadurch, dass sie selbst gedemütigt wurden und nun den Spieß umdrehen. Der käufliche Hetzreporter Lew Smyslow, den Slawin auf Quint ansetzt, fühlte sich als Kind erniedrigt, als sein Vater infolge der Moskauer Finanzkrise von 1998 seine Geschäfte verlor und er selbst vom Luxusboy zum armen Jungen abstieg. Ein dreister Zigeuner, der ihm hilft, hat als Kind infolge eines Überfalls von Messerstechern seine ganze Familie verloren. Die beiden quartieren unter der Wohnung von Quint Statisten ein, die randalieren, laute Musik spielen, sein Türschloss verkleben, und sorgen dafür, dass der Revierpolizist sich taub stellt. Sie setzen eine Prostituierte auf Quint an, überfallen seine Frau, organisieren Artikel und Sendungen, die ihn als Marionette des westlichen Auslands schmähen. Das Leitmotiv seines gut bezahlten Jobs sei es, klarzustellen, dass an allen hausgemachten Problemen, vom U-Boot-Unglück bis zur Polizeifolter, Amerika schuld sei, erklärt Lew Smyslow, der bekennt, dieses kreative Lügenhandwerk mache ihm Spaß. Und die "patriotischen" Netznutzer, so beobachtet er, veranstalteten vollkommen gratis einen Shitstorm gegen sein Hetzobjekt, um sich dadurch den staatlichen Administratoren anzudienen.
Während Quint übernächtigt und entnervt sein Enthüllungswerk fortsetzt, sagt sich die Schwiegermutter von ihm los, er überwirft sich mit den Fußballkumpeln und seiner Frau. Neue Enthüllungen über Slawin und Quints Weigerung zu emigrieren beantworten die Verfolger mit einer Fernsehshow, die den Journalisten als Kinderschänder hinstellt, und einem Menschenauflauf vor dessen Haus, der aus einem Horrorfilm zu stammen scheint und zu einem schrecklichen Ende führt. Vor seinem Gewissen rechtfertigt Lew Smyslow sich mit dem Argument, Quint habe eben die Hyänen gereizt, also das Gesetz des Dschungels mutwillig herausgefordert.
Seit der Erstveröffentlichung von Filipenkos "Jagd" haben sich die Repressionsmethoden des Putin-Staates in vielem genau nach diesem Drehbuch weiterentwickelt. So wurde der Geschichtsforscher Juri Dmitrijew, der als Leiter des Regionalbüros der historischen Gesellschaft "Memorial" im nordrussischen Karelien Massengräber mit Überresten von Stalin-Opfern fand, 2016 wegen angeblicher Verfertigung von Kinderpornographie verhaftet und angeklagt. Der Freispruch von 2018 wurde wieder kassiert, eine neue Anklage lautete auf sexuelle Übergriffe auf seine Adoptivtochter. Das Verfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, sollte vor allem Dmitrijews hohes Ansehen zerstören. Die Haftstrafe wurde mehrfach, zuletzt Ende des vergangenen Jahres, verlängert; der mittlerweile 66 Jahre alte Forscher soll offenbar sein Leben hinter Gittern beschließen.
Russische Fernsehtalkshows haben sich zu einem regelrechten Hetzjagdritual entwickelt. Ob "Sonntag Abend" (Woskresnyj Wetscher) mit Wladimir Solowjow, ob "Die Zeit wird's zeigen" (Wremja pokaschet) mit Artjom Schejnin - stets erlebt man staatstreue "Experten", deren Lieblingssport es ist, Einzelgäste, die Positionen etwa Polens oder der Ukraine vertreten, gemeinsam niederzuschreien und zu verhöhnen. Wie bei Filipenko verbreiten Armeen bezahlter Trolle Falschnachrichten, gern auch über den inhaftierten Nawalnyj, um inzwischen weitgehend gesperrte Informationen über ihn vergessen zu machen, und fluten die Medien mit Pro-Putin-Kommentaren. Zugleich verzeichnet seit dem Kriegsausbruch selbst das als seriös geltende Levada-Umfragezentrum, das zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, gestiegene Zustimmungswerte für Präsident Putin von nunmehr 71 Prozent. Zwar ist der Demoskopie unter Diktaturen kaum zu trauen. Doch zumindest der Hälfte der russischen Bevölkerung scheint die Rücksichtslosigkeit, mit der Putin die Welt umbaut, zu imponieren.
Doch was der Schriftsteller noch nicht ahnen konnte, ist das Ausmaß physischer Gewalt und Zerstörung, die das System Putin in der lange vorbereiteten heißen Phase des Krieges gegen das Nachbarland Ukraine, aber auch gegen die Kulturschicht in Russland selbst entfalten würde. Die mutigen Menschen, die weiterhin täglich gegen den Krieg demonstrieren, werden von Polizeibeamten wie Freiwild gejagt und auf der Wache verprügelt und verhöhnt. Wie die "Nowaja gaseta" dokumentierte, misshandeln die Polizisten auch Frauen, denen sie ganz offen erklären, Putin unterstütze das, und die Gewaltexzesse würden mit Prämien belohnt. Seit am vergangenen Wochenende das Gesetz verabschiedet wurde, wonach öffentliche Äußerungen über den Krieg, die der offiziellen Lesart widersprechen, mit bis zu fünfzehn Jahren Haft bestraft werden können, ist ein großer Teil der Intelligenz - Schriftsteller, Journalisten, Musiker, Theaterleute, Ärzte - aus Russland in alle Himmelsrichtungen geflohen, nach Armenien, nach Usbekistan, nach Israel, nach Lettland, nach Deutschland. Von den Verbliebenen suchen jetzt viele ihr Heil im Lobgesang auf den Präsidenten und seinen Feldzug - womit sie das Menschliche in sich abtöten, wie der Psychologe Alexander Asmolow sagt, der solche Leute versteht, aber auch bedauert. Putin, der auch in diesem Konflikt um jeden Preis siegen will, ist bereit, dafür nicht nur der Ukraine, sondern auch dem eigenen Land das Rückgrat zu brechen.
Sasha Filipenko: "Die Jagd". Roman.
Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer. Diogenes Verlag 2022.
288 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jetzt wird auch deutlich, dass Putins planmäßiges Zerstörungswerk an der russischen Gesellschaft diesen Krieg erst möglich gemacht hat. Oppositionsstimmen gibt es so gut wie keine mehr, Demonstranten gegen den Krieg werden zu Tausenden verhaftet, die Medien, die noch kritisch berichten, aufgelöst, blockiert oder mit einem Maulkorb versehen, der sie verpflichtet, viele Inhalte zu löschen. Zuvor waren über Jahre hinweg eigenständige, strahlkräftige Figuren oder Organisationen zu "ausländischen Agenten" oder gar zu "Terroristen" erklärt, zerschlagen, vertrieben, ermordet worden - ob investigative Journalisten, die Menschenrechtsgesellschaft "Memorial" oder der charismatische Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj mit seinem landesweiten Netzwerk aus engagierten jungen Leuten. Diese Verfolgung der Besten der Nation, für die der Staat ein immer dichteres Netz von Strafverfolgern aufbaute, trainiert dazu und belohnt es, komplexere Naturen zu erniedrigen, wofür auch der Präsident ein Faible hat. Putins frühe Replik gegenüber einem kritischen französischen Reporter, dem er eine "Beschneidung" empfahl, bei der "nichts nachwachse", oder seine verliebte Umarmung mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der gerade den Journalisten Jamal Kashoggi hatte ermorden lassen, sind ebenso unvergesslich wie unlängst sein Vergleich der Ukraine mit einer Frauenleiche, die eine Vergewaltigung hinzunehmen habe ("Ob es dir gefällt oder nicht, du musst es dulden, meine Schöne"). Die echte Glut, die ihn in solchen Situationen erfasst, öffnet unter der Geheimdienstlermaske immer wieder Fenster in Putins Seele.
Putin achtet das Gesetz des Dschungels und die Raubtiernatur, die darin regiert. Gern zitiert er aus Rudyard Kiplings "Dschungelbuch", vergleicht den westlichen Hegemon Amerika mit dem mächtigen Tiger Shir Khan, den diverse Schakale - damit sind dann die Europäer gemeint - umschmeicheln, um ihn günstig zu stimmen. Putins Verhältnis zu seinen Vertrauten erinnert ans Ethos eines Rudels von Wölfen, das über die Zivilgesellschaft verfügt. Mit den von Kipling als verächtlich dargestellten Bandar-Log-Affen, die nur für den Moment leben und nichts von morgen wissen, verglich Putin 2011 die von ihm verachtete friedliche Protestbewegung gegen seine Wiederwahl als Präsident.
Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko, der bis 2020 in Sankt Petersburg gelebt hat, entwarf schon vor sechs Jahren in seinem Roman "Die Jagd" das Bild einer Gesellschaft, in der die Hetze - und das Vergnügen daran - die wichtigste Klammer darstellt. In dem jetzt auf Deutsch herausgekommenen Buch (dessen Originaltitel "Trawlja" meint eher eine Hetzjagd) wird ein Schriftsteller, der als Investigativjournalist die Vermögensverhältnisse eines pseudopatriotischen Oligarchen ausleuchtet, von dessen Trollen in den persönlichen Ruin getrieben. Das Sujet entfaltet sich in filmischen Szenen, die zwischen den Perspektiven des sich seiner Mission bewussten Autors und der auf ihren Zynismus stolzen Verfolger hin und her springen. Dass Filipenko, der einst Cello studiert hat, das polyphone Textgebilde nach dem Bauplan eines Sonatenhauptsatze organisiert, gibt dem brutalen Stoff etwas gleichnishaft Überzeitliches.
Die Trawlja-Hetzjagd ist historisch ein grausames Spektakel, bei dem Hunde auf einen angebundenen Bären losgelassen werden und ihn am Ende zerfetzen. Bezeichnenderweise amüsiert sich damit im Roman der staatsnahe Oligarch, der ein Meister darin ist, mit kriminellen Mitteln Geld aus dem Land zu ziehen und vor der Fernsehkamera Verzicht zu predigen. Mit seinem Namen Wladimir Slawin scheint er das System Putin zu symbolisieren. Das geradezu klischeehafte Dolce Vita der Familie von "Onkel Wolodja", wie Bekannte ihn nennen, auf einer Luxusyacht vor Nizza wird gestört durch eine Publikation über seine ausländischen Immobilien und Konten. Deren Autor Anton Quint - sein russischer Name Pjatyj oder "Der Fünfte" enthält eine Anspielung auf die "Fünfte Kolonne" - lässt an den flammenden Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj denken. Ihm ist bewusst, dass der aggressiv unterwürfige Massenmensch, der am liebsten andere erniedrigt, gegen Leute mit Überzeugung wie ihn einen Verdrängungskrieg führt. Daraus extrapoliert Quint eine literarische Dystopie, bei der es zur Fernsehunterhaltung gehört, das Publikum per Knopfdruck Todesurteile fällen zu lassen.
Filipenko motiviert die Schadenfreude seiner Figuren auch dadurch, dass sie selbst gedemütigt wurden und nun den Spieß umdrehen. Der käufliche Hetzreporter Lew Smyslow, den Slawin auf Quint ansetzt, fühlte sich als Kind erniedrigt, als sein Vater infolge der Moskauer Finanzkrise von 1998 seine Geschäfte verlor und er selbst vom Luxusboy zum armen Jungen abstieg. Ein dreister Zigeuner, der ihm hilft, hat als Kind infolge eines Überfalls von Messerstechern seine ganze Familie verloren. Die beiden quartieren unter der Wohnung von Quint Statisten ein, die randalieren, laute Musik spielen, sein Türschloss verkleben, und sorgen dafür, dass der Revierpolizist sich taub stellt. Sie setzen eine Prostituierte auf Quint an, überfallen seine Frau, organisieren Artikel und Sendungen, die ihn als Marionette des westlichen Auslands schmähen. Das Leitmotiv seines gut bezahlten Jobs sei es, klarzustellen, dass an allen hausgemachten Problemen, vom U-Boot-Unglück bis zur Polizeifolter, Amerika schuld sei, erklärt Lew Smyslow, der bekennt, dieses kreative Lügenhandwerk mache ihm Spaß. Und die "patriotischen" Netznutzer, so beobachtet er, veranstalteten vollkommen gratis einen Shitstorm gegen sein Hetzobjekt, um sich dadurch den staatlichen Administratoren anzudienen.
Während Quint übernächtigt und entnervt sein Enthüllungswerk fortsetzt, sagt sich die Schwiegermutter von ihm los, er überwirft sich mit den Fußballkumpeln und seiner Frau. Neue Enthüllungen über Slawin und Quints Weigerung zu emigrieren beantworten die Verfolger mit einer Fernsehshow, die den Journalisten als Kinderschänder hinstellt, und einem Menschenauflauf vor dessen Haus, der aus einem Horrorfilm zu stammen scheint und zu einem schrecklichen Ende führt. Vor seinem Gewissen rechtfertigt Lew Smyslow sich mit dem Argument, Quint habe eben die Hyänen gereizt, also das Gesetz des Dschungels mutwillig herausgefordert.
Seit der Erstveröffentlichung von Filipenkos "Jagd" haben sich die Repressionsmethoden des Putin-Staates in vielem genau nach diesem Drehbuch weiterentwickelt. So wurde der Geschichtsforscher Juri Dmitrijew, der als Leiter des Regionalbüros der historischen Gesellschaft "Memorial" im nordrussischen Karelien Massengräber mit Überresten von Stalin-Opfern fand, 2016 wegen angeblicher Verfertigung von Kinderpornographie verhaftet und angeklagt. Der Freispruch von 2018 wurde wieder kassiert, eine neue Anklage lautete auf sexuelle Übergriffe auf seine Adoptivtochter. Das Verfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, sollte vor allem Dmitrijews hohes Ansehen zerstören. Die Haftstrafe wurde mehrfach, zuletzt Ende des vergangenen Jahres, verlängert; der mittlerweile 66 Jahre alte Forscher soll offenbar sein Leben hinter Gittern beschließen.
Russische Fernsehtalkshows haben sich zu einem regelrechten Hetzjagdritual entwickelt. Ob "Sonntag Abend" (Woskresnyj Wetscher) mit Wladimir Solowjow, ob "Die Zeit wird's zeigen" (Wremja pokaschet) mit Artjom Schejnin - stets erlebt man staatstreue "Experten", deren Lieblingssport es ist, Einzelgäste, die Positionen etwa Polens oder der Ukraine vertreten, gemeinsam niederzuschreien und zu verhöhnen. Wie bei Filipenko verbreiten Armeen bezahlter Trolle Falschnachrichten, gern auch über den inhaftierten Nawalnyj, um inzwischen weitgehend gesperrte Informationen über ihn vergessen zu machen, und fluten die Medien mit Pro-Putin-Kommentaren. Zugleich verzeichnet seit dem Kriegsausbruch selbst das als seriös geltende Levada-Umfragezentrum, das zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, gestiegene Zustimmungswerte für Präsident Putin von nunmehr 71 Prozent. Zwar ist der Demoskopie unter Diktaturen kaum zu trauen. Doch zumindest der Hälfte der russischen Bevölkerung scheint die Rücksichtslosigkeit, mit der Putin die Welt umbaut, zu imponieren.
Doch was der Schriftsteller noch nicht ahnen konnte, ist das Ausmaß physischer Gewalt und Zerstörung, die das System Putin in der lange vorbereiteten heißen Phase des Krieges gegen das Nachbarland Ukraine, aber auch gegen die Kulturschicht in Russland selbst entfalten würde. Die mutigen Menschen, die weiterhin täglich gegen den Krieg demonstrieren, werden von Polizeibeamten wie Freiwild gejagt und auf der Wache verprügelt und verhöhnt. Wie die "Nowaja gaseta" dokumentierte, misshandeln die Polizisten auch Frauen, denen sie ganz offen erklären, Putin unterstütze das, und die Gewaltexzesse würden mit Prämien belohnt. Seit am vergangenen Wochenende das Gesetz verabschiedet wurde, wonach öffentliche Äußerungen über den Krieg, die der offiziellen Lesart widersprechen, mit bis zu fünfzehn Jahren Haft bestraft werden können, ist ein großer Teil der Intelligenz - Schriftsteller, Journalisten, Musiker, Theaterleute, Ärzte - aus Russland in alle Himmelsrichtungen geflohen, nach Armenien, nach Usbekistan, nach Israel, nach Lettland, nach Deutschland. Von den Verbliebenen suchen jetzt viele ihr Heil im Lobgesang auf den Präsidenten und seinen Feldzug - womit sie das Menschliche in sich abtöten, wie der Psychologe Alexander Asmolow sagt, der solche Leute versteht, aber auch bedauert. Putin, der auch in diesem Konflikt um jeden Preis siegen will, ist bereit, dafür nicht nur der Ukraine, sondern auch dem eigenen Land das Rückgrat zu brechen.
Sasha Filipenko: "Die Jagd". Roman.
Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer. Diogenes Verlag 2022.
288 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Kerstin Holm kann nur staunen, wie genau der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko schon vor sechs Jahren in seinem Roman um einen Investigativjournalisten auf Oligarchenjagd, der schließlich selbst zur Beute wird, russische Verhältnisse abgebildet hat. Auch wenn der Autor den heutigen Grad der Verrohung des Systems Putin damals noch nicht erahnen konnte, entfaltet er in musikalisch gesetzten "filmischen Szenen" seinen "brutalen Stoff", erklärt Holm. Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit, namentlich Figuren-Ähnlichkeiten mit Alexej Nawalnyi oder Juri Dmitrijewdem sind ausdrücklich gewollt, ahnt Holm.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»'Die Jagd' ist ein Pageturner.« Uli Hufen / WDR 3 WDR 3
Gebundenes Buch
Anton Quint ist Journalist in Moskau, kein einfacher Beruf, vor allem nicht dann, wenn man gegen Korruption und für das Aufdecken illegaler Machenschaften kämpft. Er weiß, dass sein Job gefährlich ist, schon vier seiner Kollegen sind ums Leben gekommen, auch die Geburt seiner …
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Anton Quint ist Journalist in Moskau, kein einfacher Beruf, vor allem nicht dann, wenn man gegen Korruption und für das Aufdecken illegaler Machenschaften kämpft. Er weiß, dass sein Job gefährlich ist, schon vier seiner Kollegen sind ums Leben gekommen, auch die Geburt seiner Tochter und das eindringliche Bitten seiner Frau können ihn nicht aufhalten, denn er ist gerade einer großen Geschichte auf der Spur. Diese führt zu dem Oligarchen Slawin, der vorgeblich sein Vaterland liebt, was ihn aber nicht daran hindert, zig Immobilien im Ausland zu besitzen. Der Journalist ist ihm ein Dorn im Auge und so beauftragt er seinen Neffen Kalo und dessen Freund Lew, dafür zu sorgen, dass Quint das Land verlässt. Wie ist egal, ebenso die Kosten. Ein perfider Plan wird ausgeheckt und umgesetzt und Anton muss machtlos zusehen, wie sein Leben zerstört wird.
Bei gesellschaftskritischen oder politischen Romanen, drängt sich immer ein wenig die Frage auf, wie viel Meinung des Autors in dem Text steckt. Sasha Filipenko ist jenseits des Schreibens weißrussischer Aktivist – mit allen Gefahren, die dazugehören. Es mutet fast verwunderlich an, dass sein Roman „Die Jagd“ für die beiden größten russischen Literaturpreise nominiert war, wenn man sich die Brisanz des Inhalts anschaut. Es ist eine gnadenlose Abrechnung mit dem politischen System und der durch dieses gesteuerten Presse. Aber auch mit der Bevölkerung, die dies hinnimmt und sich eingerichtet hat.
„Ich bin unlogisch, und das gibt mir recht. Russland ist ein Land, in dem die Mehrheit nur Lügen glauben will.“
Lew hat als Kind in den 90ern den Abstieg seiner Familie miterlebt, von teuren Klamotten und Chauffeur und Privatschule ist nichts mehr geblieben. Er hat verstanden, dass er sich anpassen muss, wenn er in Russland überleben will. Das Angebot seines Schulfreunds für Onkel Wolodja, den Oligarchen, zu arbeiten, ist verlockend und bald schon füttert er das Internet mit Lügen und Erfindungen und hat sogar Spaß daran. Bis die große Aufgabe kommt, den unbequemen Journalisten zu vertreiben, die weitaus mehr erfordert.
Kalo und Lew wählen eine Strategie der Zermürbung. Seine Wohnung wird zum Kampfplatz, die „neuen Nachbarn“ tyrannisieren Anton und seine Familie. Daneben wird eine mediale Schmutzkampagne gestartet, die den vormals angesehenen Reporter schnell ins Abseits befördert, Freunde und Familie wenden sich von ihm ab, glauben das, was über ihn geschrieben wird, oder haben selbst so viel Angst vor Repressalien, dass sie sich schnell von ihm distanzieren.
„Vielleicht irre ich mich, aber mein erster Eindruck ist: Russland ist ein Land der Klischees. Die Leute sprechen mehrheitlich in den Parolen, die sie tags zuvor im Fernsehen aufgeschnappt haben. Es ist nicht üblich, Informationen zu verdauen.“
Filipenko schildert detailliert, wie einfach es ist, Anton zu diskreditieren und letztlich gesellschaftlich und beruflich zu töten. Noch dazu viel ungefährlicher, als ihn einfach zu töten, denn schnell springen andere mit auf den Zug auf und führen das fort, was Kalo und Lew initiiert haben. Besonders ironisch dabei eine Kurzgeschichte des Reporters, in der der fiktive TV Sender Execution-HD die Öffentlichkeit über vermeintliche Straftäter urteilen lässt. Hier: ein Blog-Beitrag ohne Inhalt. Die Empörung ist groß, man hat verstanden, was der Urheber damit sagen will und dafür gehört der Vaterlandsverräter hart bestraft. Was zu Beginn des Romans noch absurd amüsant anmutet, ist jedoch nur der Hinweis darauf, was Anton erwartet.
Man hat beim Lesen keine Zweifel, dass sich all dies genau so, wie es Filipenko schildert, zutragen könnte. Wer Geld hat und mit den richtigen Menschen befreundet ist, kann sich offenbar alles kaufen und alles erlauben. Kollateralschäden, wie Slawins eigener Sohn Alexander oder Antons Familie, werden billigend in Kauf genommen.
Man soll Literatur nicht zwingend als Abbild der Realität sehen, aber es fällt schwer, dies hier nach den Ereignissen in Russland un
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Gebundenes Buch
Sasha Filipenkos neues Buch war schwierig und gerade zur jetzigen Zeit nicht leicht zu lesen. Der Autor ist Weißrusse und kritisiert in seinen Büchern die Politik Russlands und Weißrusslands. Er nutzt seine Geschichten, seine Charaktere, um Kritik zu üben.
Viele …
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Sasha Filipenkos neues Buch war schwierig und gerade zur jetzigen Zeit nicht leicht zu lesen. Der Autor ist Weißrusse und kritisiert in seinen Büchern die Politik Russlands und Weißrusslands. Er nutzt seine Geschichten, seine Charaktere, um Kritik zu üben.
Viele Grausamkeiten und schockierenden Vorgänge versteckt er in Nebensätzen und trotzdem treffen sie den Lesenden. Es geht um Macht und Manipulation, über die Bereitschaft für Geld Dinge zu tun, die ungeheuerlich sind, um Lügen und Betrug. Wie wenige (reiche und einflussreiche) Menschen ein Land steuern und sich Vorteile verschaffen.
Ich muss zugeben, dass der Anfang der Geschichte für mich sperrig war. Es wollte nicht so richtig flüssig durch die Zeilen gehen. Die Sätze sind recht kurz und man hat das Gefühl, sie enden abrupt. Die Distanz zwischen dem Autor und seinen Charakteren ist groß, die Kälte dazwischen auch. Ich kam auch kaum näher heran, aber je weiter die Geschichte voran ging, desto weniger wollte ich es. Es werden Drohungen ausgesprochen, die wie ein Schwert über der gesamten Geschichte schwebten und auch für den Lesenden spürbar wurden.
Das Buch ist mit 288 Seiten recht schmal, aber es hinterlässt einen beklemmenden Eindruck. Die Sprache ist gewöhnungsbedürftig, aber passend zum Thema. Sie schafft es, dass man die Kälte, die Bedrohung und die Jagd fast spüren kann.
Es ist keine leichte Kost, die der Autor dem Lesenden zumutet, aber es lohnt sich ihr anzunehmen.
Rote Kreuze von Sasha Filipenko lohnt sich ebenfalls.
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eBook, ePUB
Der Autor schreibt dieses Mal über einen mutigen Journalisten, der sich mit den Reichen Russlands anlegt. Anton Quint ist sein Name und was dieser erlebt, ist keineswegs abwegig. In Deutschland passieren solche Hetzjagden ebenfalls immer wieder.
„Die Jagd“ ist ein weiterer …
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Der Autor schreibt dieses Mal über einen mutigen Journalisten, der sich mit den Reichen Russlands anlegt. Anton Quint ist sein Name und was dieser erlebt, ist keineswegs abwegig. In Deutschland passieren solche Hetzjagden ebenfalls immer wieder.
„Die Jagd“ ist ein weiterer hervorragender Roman des Autors Sasha Filipenko. Der Anfang mag verwirren und wer keine Geduld hat und das Lesen abbricht, dem entgeht viel. Ich blieb dran, las auch über die vielen Personen zu Beginn und wurde belohnt. Die glasklare Botschaft ist: „Wie wird ein unliebsamer Journalist mundtot gemacht?“ Es gibt einen Auftritt im Fernsehen, wo alleine der Verdacht gegen Quint als Fakt vermittelt wird. Die Zuschauer, (die Gesellschaft?), fällen ihr Urteil, ohne die Wahrheit zu kennen. Weitere Maßnahmen für Gegner des Pressemanns: Stimmung machen im Internet, liken von Fake News und möglichst viele Befürworter dieser Falschmeldungen für sich zu gewinnen.
Der Roman wurde wie ein Konzert aufgebaut und es gibt viele Pausen dazwischen. Mich hat die Sprache mal wieder fasziniert und das verdanke ich auch der sehr guten Übersetzung von Ruth Altenhofer. Den Ursprung der hier geschriebenen Songtexte können Interessierte im „Zitatnachweis“ nachlesen. Ich bin mal wieder sehr beeindruckt und empfehle den Roman eindringlich. Dass das Cover wieder perfekt gelungen ist, das versteht sich bei Diogenes von selbst.
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Gebundenes Buch
Zum Inhalt:
Der Journalist Anton Quint legt sich mit einem Oligarchen an. Das war nur eine bedingt gute Idee, denn dieser erteilt darauf hin den Befehl, den Journalisten fertig zu machen. Und somit ist die Jagd eröffnet. Und diese Jagd wird gnadenlos sein.
Meine Meinung:
Ich habe mich mit …
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Zum Inhalt:
Der Journalist Anton Quint legt sich mit einem Oligarchen an. Das war nur eine bedingt gute Idee, denn dieser erteilt darauf hin den Befehl, den Journalisten fertig zu machen. Und somit ist die Jagd eröffnet. Und diese Jagd wird gnadenlos sein.
Meine Meinung:
Ich habe mich mit dem Buch extrem schwer getan. Der Schreibstil ist sehr besonders und wie ich fand nicht einfach lesbar. Mich hat die Geschichte auch nicht so richtig gefangen genommen, was natürlich den Lesefluss auch nicht sonderlich fördert. Mir sind die Figuren extrem fremd geblieben und ich konnte mich mit keiner so richtig anfreunden. Auch hat mir irgendwie der rote Faden ein wenig gefehlt. Zum Glück war das Buch, die Geschichte nicht sonderlich lang. Ein dickeres Buch mit dem Gefühl nicht rein zu kommen hätte ich vermutlich abgebrochen.
Fazit:
Schwierig
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Gebundenes Buch
!ein Lesehighlight 2022!
Klappentext:
„Ein Journalist, der zu viel weiß. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel. Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die …
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!ein Lesehighlight 2022!
Klappentext:
„Ein Journalist, der zu viel weiß. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel. Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die Geschichte des idealistischen Journalisten Anton Quint, der sich mit einem Oligarchen anlegt. Worauf dieser den Befehl gibt, Quint fertigzumachen. Die Hetzjagd ist eröffnet.“
Sasha Filipenko gehört nach „Rote Kreuze“ zu meinem ganz festen Stamm-Autoren-Repertoire. In seinem aktuellen Werk „Die Jagd“ dürfen wir ihn wieder in Höchstleistung erleben. Der bietet uns eine Hetzjagd an! Also nutzen wir Leser diese Chance und lassen uns jagen oder werden wir die Jäger sein?
Journalist Anton Quint hat etwas, was andere nicht haben und das ist zu viel Wissen. Ich will hier versuchen ganz behutsam auf den Inhalt neugierig zu machen, ohne etwas zu verraten. Dieses Wissen wird ihm zum Verhängnis. Und dann ist da noch dieser Oligarch mit einer Macht, die den Leser fast erschlägt. Wow! Filipenko fängt auch in diesem Buch wieder eine politische Lage in den Ostländern auf und zeigt schonungslos und offen das Böse. Hier braucht man wahrlich etwas stärkere Nerven. Wer offen durch die Welt geht und sich für Weltpolitik ein wenig interessiert, wird hier viele Parallelen erkennen, und wie gesagt, kennt man das als Leser von Filipenko sehr gut. Er zeigt aber auch, das Idealismus und zu viel Akribie komplett das Gegenteil erzielen können und den Menschen der dies betreibt, aus der Bahn werfen kann. Filipenko hat auch hier wieder einen scharfen und dieses Mal auch etwas gewaltbereiten Ton am Leib. Hier werden wir Leser mit Gewalt konfrontiert, aber keine Angst, Sie werden kein blaues Auge dabei bekommen oder gar den KGB auf den Hals gehetzt bekommen. Aber seien Sie vorsichtig und auf der Hut! Anton wollte auch nur „Gutes tun“ und trat in ein Wespennest und zertrat dabei fast die Königin. Er wird zum Spielball, die Hetzjagd die hier beschrieben wird, bringt uns Leser wirklich in Fahrt und fast um den Verstand.
Es war wieder ein Fest Filipenko zu lesen, er hat einen grandiosen und treffenden Stil. Er bohrt in Wunden und traut sich den Mund aufzumachen. Er weiß genau den Leser gekonnt am Ball zu halten, er weiß, wie er uns gefangen nehmen muss um dieser Geschichte treu zu bleiben.
Dieses Buch bekommt von mir wieder 5 von 5 Sterne verliehen und eine Leseempfehlung!
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