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Ein bewegendes literarisches Dokument des Nachfühlens und Nacherzählens eines versperrten Lebensweges.Verbunden durch das gemeinsame Schicksal von Bedrohung, Flucht und Heimatlosigkeit hat der Bruder Erich doch einen ganz anderen Weg als der Autor wählen müssen. Während Georges-Arthur zwischen den Sprachen und mit den Worten lebt, hat der Bruder unter Waffen gelebt. Unter Waffen schweigen die Musen! Er schloss sich der Résistance an, kämpfte mit bei der Befreiung von Paris und des Elsass und war schließlich Major in der französischen Kolonialarmee in Algerien. Dort beteiligte er sich ...
Ein bewegendes literarisches Dokument des Nachfühlens und Nacherzählens eines versperrten Lebensweges.Verbunden durch das gemeinsame Schicksal von Bedrohung, Flucht und Heimatlosigkeit hat der Bruder Erich doch einen ganz anderen Weg als der Autor wählen müssen. Während Georges-Arthur zwischen den Sprachen und mit den Worten lebt, hat der Bruder unter Waffen gelebt. Unter Waffen schweigen die Musen! Er schloss sich der Résistance an, kämpfte mit bei der Befreiung von Paris und des Elsass und war schließlich Major in der französischen Kolonialarmee in Algerien. Dort beteiligte er sich sogar an dem Offiziersputsch gegen de Gaulle, der Algerien in die Unabhängigkeit entließ, und blieb dennoch bis zur Pensionierung Offizier. Danach arbeitete er noch viele Jahre als unauffälliger Mitarbeiter der Crédit Agricole.Über Jahrzehnte im Inneren zurückgehalten, war ein Geburtstagsbrief der Anlass, die verschütteten Erinnerungen an das Leben des Bruders aufsteigen zu lassen.»Sie erfassen den Hauptschatten meines langen Lebens: Mein Bruder war vier, als ich zur Welt kam und durch meine Erscheinung auf dieser Welt habe ich sein Leben zerstört.«
Georges-Arthur Goldschmidt, geb. 1928 in Reinbek bei Hamburg emigrierte als Kind nach Italien und später nach Frankreich. Auszeichnungen: Für sein umfangreiches Werk wurde er u. a. mit dem Nelly-Sachs-Preis, der Goethe-Medaille, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Prix de l`Académie de Berlin ausgezeichnet.
Produktdetails
- Verlag: Wallstein
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 111
- Erscheinungstermin: Juli 2021
- Deutsch
- Abmessung: 205mm x 121mm x 14mm
- Gewicht: 204g
- ISBN-13: 9783835350618
- ISBN-10: 3835350617
- Artikelnr.: 61684449
Herstellerkennzeichnung
Wallstein Verlag GmbH
Geiststraße 11
37073 Göttingen
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Christian Mayer begreift Georges-Arthur Goldschmidts Buch über den glücklosen älteren Bruder als Versuch des Autors, den entfremdeten Bruder zu verstehen. Mayer erinnert der Text an eine Erzählung von Uwe Timm aus dem Jahr 2003. Hier wie dort sucht der entfremdete Bruder Erfüllung beim Militär, hier wie dort ist das dem anderen fremd, stellt Mayer fest. Von einer "gestohlenen Kindheit" in Krieg und Exil erzählt Goldschmidt laut Mayer mittels vorsichtiger Einfühlung. Eine berührende literarische Biografie, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Wäre ihm auf dieser Welt zu helfen gewesen?
Der Arm war zum Schlag bereit: Georges-Arthur Goldschmidts Roman über seinen älteren Bruder
Das Foto auf dem Buchumschlag zeigt die beiden Brüder Georges-Arthur (damals noch Jürgen-Arthur) und Erich Goldschmidt 1938 bei Florenz. Erich, 1924 geboren, schaut ernst, der Jüngere, Jahrgang 1928, blickt lachend in die Kamera. Der Ältere ist schon als Knabe ein Ordnungsmann, er muss sich schützen. "Wie er in sich stand, war er sicher, die Gegenstände, die Landschaft, das Rasenrondell mit den metallenen Gartenstühlen, mit den runden Löchern im Sitz, die Buchen im Garten, das Gitter, alles, was er sah, war verlässlich." Beim Spielen ist seine Angst, "der Kleine könne alles
Der Arm war zum Schlag bereit: Georges-Arthur Goldschmidts Roman über seinen älteren Bruder
Das Foto auf dem Buchumschlag zeigt die beiden Brüder Georges-Arthur (damals noch Jürgen-Arthur) und Erich Goldschmidt 1938 bei Florenz. Erich, 1924 geboren, schaut ernst, der Jüngere, Jahrgang 1928, blickt lachend in die Kamera. Der Ältere ist schon als Knabe ein Ordnungsmann, er muss sich schützen. "Wie er in sich stand, war er sicher, die Gegenstände, die Landschaft, das Rasenrondell mit den metallenen Gartenstühlen, mit den runden Löchern im Sitz, die Buchen im Garten, das Gitter, alles, was er sah, war verlässlich." Beim Spielen ist seine Angst, "der Kleine könne alles
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durcheinanderbringen". Dass Stühle umgestellt werden, leidet er nicht. Und tatsächlich stiftete gerade der Jüngere allenthalben Unordnung: "Er verdarb alles, und wenn Erich, außer sich vor Verzweiflung, auf ihn einschlug, heulte der kleine Bruder derartig, dass die Mutter herbeieilte."
Der "versperrte Weg", vom Titel des Buches angekündigt, ist der des älteren Bruders. Das bloße Hinzutreten des Neugeborenen, der böse Absichten noch gar nicht hegen kann, bringt das Chaos hervor, an dem der ältere leidet. "Bisher war alles glatt, gleichmäßig, so wie erwartet. Vor ihm breitete sich der ganze Weg zum Gehen oder Laufen aus; jetzt, wenn ein Erwachsener ihn nicht an der Hand hielt, war ihm der Weg versperrt." Wir sehen einfache und klare Konfliktlinien. Nichts in diesem Bruderkampf, so rätselhaft er sich in seinen Folgen zeigt, ist irgendwie in seinen Konturen verwischt oder impressionistisch-vieldeutig. Fast möchte man sagen: Die übermäßige Klarheit, in der hier alles von Beginn an erscheint, ist das eigentliche Rätsel.
So kommt es, dass schon der erste Widerstandsversuch des Älteren gegen den Jüngeren gleich die volle archaische Wucht in einem unerhörten Angriff entfaltet. Dieser kündigt sich während des Mittagessens der Eltern durch eine eigentümliche Stille im Haus an. "Plötzlich, von einer Ahnung getrieben, springt der Vater auf und rennt die Treppe hinauf." Erich hatte sich aus seinem Gitterbett befreit und stand mit einer Stricknadel "und schon mit gehobenem Arm" an der Wiege des Babys: "Er wollte ihm die Augen ausstechen." Das Leben in diesem Buch kennt überhaupt nur harte Markierungen, schon in der Kindheit, und so kann man sagen, dass dem späteren Major Erich Goldschmidt das Militärische eingeleuchtet haben muss.
Die Familie ist jüdischer Herkunft, aber schon seit Generationen protestantisch. 1934 verliert der Vater, ein Oberlandesgerichtsrat, seine Stellung. Nun ist auch die Mutter für den älteren Bruder kein Trost mehr; von einer Unruhe ist sie ergriffen, in der wirkliche Nähe immer unwahrscheinlicher wird. Kam er zu ihr, wenn sie gerade dem jüngeren zu essen gab, dann "stieß sie ihn fast von sich". Er reagiert psychosomatisch, indem er sich nachts im Bett wie in einem Krampf herumwirft. Die jüdische Herkunft macht sich durch Zurückweisungen durch die anderen bemerkbar, Erich wird weniger auf Fahrten mitgenommen. Und doch empfindet er militärisch und deutsch, wie man es eben damals verstand: "Die verschiedenen Flaggen der Kriegsmarine hatte er alle mit Buntstift abgezeichnet, und das Hakenkreuz störte ihn nicht, obgleich er doch die alte Reichsflagge schöner fand." Auch Deutschland stößt ihn von sich.
1938, noch vor dem Novemberpogrom, schicken die Eltern die beiden Brüder vorsorglich nach Italien, wo sie zu diesem Zeitpunkt noch relativ sicher sein konnten. Das aufnehmende Ehepaar Binswanger hatte einen gewissen Ruf, "die Dame war sehr modern, trug Hosen, was ihn schockierte, sie war die Tochter eines der ersten Flieger Deutschlands", nämlich Gustav Lilienthals. Ihr Mann, Paul Binswanger, hatte seine Frankfurter Universitätsstellung wegen der Rassengesetze verloren. Sein Buch über Flaubert war ausgerechnet von Walter Benjamin 1934 in der Frankfurter Zeitung verrissen worden. Aber Anfang 1939 wandern die Binswangers abermals aus, diesmal nach Neuseeland, und das idyllische Intermezzo geht zu Ende. Die beiden Jungen werden nach Frankreich geschickt, wo eine Verwandte der Eltern lebt. Aber nicht bei dieser kommen sie unter, sondern in einem Internat, dem Collège Florimontane.
Sie sind in Sicherheit, sogar noch nach Frankreichs Kriegsniederlage, denn Besatzer sind zunächst nicht die Deutschen, sondern die Italiener. Erst 1943 kommt mit der Wehrmacht die "dunkle Nacht" mit Razzien. Zu den Helfern der Verfolgten gehören Pfarrer. Erich schließt sich der Résistance an. Die Brüder verlieren sich aus den Augen, sie sehen sich einmal 1947 und dann erst wieder Ende der siebziger Jahre in Deutschland. Der Mann, von dessen Knabendasein wir nur zwei charakteristische Züge kennengelernt haben: seine Liebe zur Ordnung und seine Aggressivität - es heißt, dass früh in ihm eine "ungeheure Gewalt gärte" -, dieser Mann fand seine Heimat in der Armee, genauer in der Fremdenlegion, und zwar durch einen unglücklichen Zufall: Er unterschreibt die Papiere der Legion, um endlich einen Ort der Zugehörigkeit zu haben, kehrt dann noch einmal in seine Wohnung zurück, um Sachen abzuholen - und findet die Einbürgerungsurkunde vor, die dem Problem ein Ende gesetzt hätte, wenn die Unterschrift nicht ihrerseits schon rechtsgültig geleistet worden wäre. "Gerade in dem Augenblick, als für ihn einmal nichts mehr im Wege stehen sollte, war er selber zum Hindernis auf dem eigenen Weg geworden."
An den härtesten Kämpfen um Dien Bien Phu ist Erich 1954 beteiligt, sie enden mit der Niederlage Frankreichs. Dann kommt er nach Algerien, wird Major und "beteiligte sich 1961 sonderbarerweise an dem Aufstand gegen de Gaulle", den rechtsgerichtete Offiziere angezettelt hatten. Der Ordnungsmann, der er als Knabe war, ist er geblieben. Der jüngere Bruder verweigert ihm die Empathie nicht völlig: "Er hatte aber auch rasch verstanden, dass der Islam nichts anderes als Gehorsam und Fanatismus war, dass er zu jeder zivilisatorischen Entwicklung unfähig war, eine versteinerte Kultur ohne Geschichte - Algerien würde bis ans Ende der Zeiten, trotz allen Reichtums, ein Land der Willkür bleiben." Allerdings konnte von einer weiteren Karriere in der Armee nun keine Rede mehr sein. Die beiden Gewissheiten seiner Knabenzeit - "Alles musste so bleiben, wie es war", "Der Arm war zum Schlag bereit" - hatten ihm den Weg gewiesen. Nach dem Ende seiner Offizierslaufbahn beruhigte sich sein Leben. Erich wurde Hauptkassierer der Landwirtschaftsbank Crédit Agricole und fuhr, wie der jüngere Bruder im letzten Satz schreibt, ohne es noch weiter auszudeuten, "jahrelang durch das ganze Département Var, von Dorf zu Dorf". Wege, endlich, nichts als Wege!
LORENZ JÄGER.
Georges-Arthur Goldschmidt: "Der versperrte Weg". Roman des Bruders.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 111 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der "versperrte Weg", vom Titel des Buches angekündigt, ist der des älteren Bruders. Das bloße Hinzutreten des Neugeborenen, der böse Absichten noch gar nicht hegen kann, bringt das Chaos hervor, an dem der ältere leidet. "Bisher war alles glatt, gleichmäßig, so wie erwartet. Vor ihm breitete sich der ganze Weg zum Gehen oder Laufen aus; jetzt, wenn ein Erwachsener ihn nicht an der Hand hielt, war ihm der Weg versperrt." Wir sehen einfache und klare Konfliktlinien. Nichts in diesem Bruderkampf, so rätselhaft er sich in seinen Folgen zeigt, ist irgendwie in seinen Konturen verwischt oder impressionistisch-vieldeutig. Fast möchte man sagen: Die übermäßige Klarheit, in der hier alles von Beginn an erscheint, ist das eigentliche Rätsel.
So kommt es, dass schon der erste Widerstandsversuch des Älteren gegen den Jüngeren gleich die volle archaische Wucht in einem unerhörten Angriff entfaltet. Dieser kündigt sich während des Mittagessens der Eltern durch eine eigentümliche Stille im Haus an. "Plötzlich, von einer Ahnung getrieben, springt der Vater auf und rennt die Treppe hinauf." Erich hatte sich aus seinem Gitterbett befreit und stand mit einer Stricknadel "und schon mit gehobenem Arm" an der Wiege des Babys: "Er wollte ihm die Augen ausstechen." Das Leben in diesem Buch kennt überhaupt nur harte Markierungen, schon in der Kindheit, und so kann man sagen, dass dem späteren Major Erich Goldschmidt das Militärische eingeleuchtet haben muss.
Die Familie ist jüdischer Herkunft, aber schon seit Generationen protestantisch. 1934 verliert der Vater, ein Oberlandesgerichtsrat, seine Stellung. Nun ist auch die Mutter für den älteren Bruder kein Trost mehr; von einer Unruhe ist sie ergriffen, in der wirkliche Nähe immer unwahrscheinlicher wird. Kam er zu ihr, wenn sie gerade dem jüngeren zu essen gab, dann "stieß sie ihn fast von sich". Er reagiert psychosomatisch, indem er sich nachts im Bett wie in einem Krampf herumwirft. Die jüdische Herkunft macht sich durch Zurückweisungen durch die anderen bemerkbar, Erich wird weniger auf Fahrten mitgenommen. Und doch empfindet er militärisch und deutsch, wie man es eben damals verstand: "Die verschiedenen Flaggen der Kriegsmarine hatte er alle mit Buntstift abgezeichnet, und das Hakenkreuz störte ihn nicht, obgleich er doch die alte Reichsflagge schöner fand." Auch Deutschland stößt ihn von sich.
1938, noch vor dem Novemberpogrom, schicken die Eltern die beiden Brüder vorsorglich nach Italien, wo sie zu diesem Zeitpunkt noch relativ sicher sein konnten. Das aufnehmende Ehepaar Binswanger hatte einen gewissen Ruf, "die Dame war sehr modern, trug Hosen, was ihn schockierte, sie war die Tochter eines der ersten Flieger Deutschlands", nämlich Gustav Lilienthals. Ihr Mann, Paul Binswanger, hatte seine Frankfurter Universitätsstellung wegen der Rassengesetze verloren. Sein Buch über Flaubert war ausgerechnet von Walter Benjamin 1934 in der Frankfurter Zeitung verrissen worden. Aber Anfang 1939 wandern die Binswangers abermals aus, diesmal nach Neuseeland, und das idyllische Intermezzo geht zu Ende. Die beiden Jungen werden nach Frankreich geschickt, wo eine Verwandte der Eltern lebt. Aber nicht bei dieser kommen sie unter, sondern in einem Internat, dem Collège Florimontane.
Sie sind in Sicherheit, sogar noch nach Frankreichs Kriegsniederlage, denn Besatzer sind zunächst nicht die Deutschen, sondern die Italiener. Erst 1943 kommt mit der Wehrmacht die "dunkle Nacht" mit Razzien. Zu den Helfern der Verfolgten gehören Pfarrer. Erich schließt sich der Résistance an. Die Brüder verlieren sich aus den Augen, sie sehen sich einmal 1947 und dann erst wieder Ende der siebziger Jahre in Deutschland. Der Mann, von dessen Knabendasein wir nur zwei charakteristische Züge kennengelernt haben: seine Liebe zur Ordnung und seine Aggressivität - es heißt, dass früh in ihm eine "ungeheure Gewalt gärte" -, dieser Mann fand seine Heimat in der Armee, genauer in der Fremdenlegion, und zwar durch einen unglücklichen Zufall: Er unterschreibt die Papiere der Legion, um endlich einen Ort der Zugehörigkeit zu haben, kehrt dann noch einmal in seine Wohnung zurück, um Sachen abzuholen - und findet die Einbürgerungsurkunde vor, die dem Problem ein Ende gesetzt hätte, wenn die Unterschrift nicht ihrerseits schon rechtsgültig geleistet worden wäre. "Gerade in dem Augenblick, als für ihn einmal nichts mehr im Wege stehen sollte, war er selber zum Hindernis auf dem eigenen Weg geworden."
An den härtesten Kämpfen um Dien Bien Phu ist Erich 1954 beteiligt, sie enden mit der Niederlage Frankreichs. Dann kommt er nach Algerien, wird Major und "beteiligte sich 1961 sonderbarerweise an dem Aufstand gegen de Gaulle", den rechtsgerichtete Offiziere angezettelt hatten. Der Ordnungsmann, der er als Knabe war, ist er geblieben. Der jüngere Bruder verweigert ihm die Empathie nicht völlig: "Er hatte aber auch rasch verstanden, dass der Islam nichts anderes als Gehorsam und Fanatismus war, dass er zu jeder zivilisatorischen Entwicklung unfähig war, eine versteinerte Kultur ohne Geschichte - Algerien würde bis ans Ende der Zeiten, trotz allen Reichtums, ein Land der Willkür bleiben." Allerdings konnte von einer weiteren Karriere in der Armee nun keine Rede mehr sein. Die beiden Gewissheiten seiner Knabenzeit - "Alles musste so bleiben, wie es war", "Der Arm war zum Schlag bereit" - hatten ihm den Weg gewiesen. Nach dem Ende seiner Offizierslaufbahn beruhigte sich sein Leben. Erich wurde Hauptkassierer der Landwirtschaftsbank Crédit Agricole und fuhr, wie der jüngere Bruder im letzten Satz schreibt, ohne es noch weiter auszudeuten, "jahrelang durch das ganze Département Var, von Dorf zu Dorf". Wege, endlich, nichts als Wege!
LORENZ JÄGER.
Georges-Arthur Goldschmidt: "Der versperrte Weg". Roman des Bruders.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 111 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Der Text hat mich momentan in Bann geschlagen und sehr berührt. Ich MUSSTE das Buch in einem Zug lesen! Georges-Arthur Goldschmidt hat für seinen Roman des Bruders (der Brüder) eine wunderbar diskrete und darum umso eindringlichere Form gefunden.« (Johannes Fischer, Buchhandlung Mirhoff & Fischer) »Wie bei Beauvoir zeigt auch dieses schmerzlich schone Buch die Pragung junger Menschen durch Familie, Religion, Gesellschaft und Politik ihrer Zeit, der sie nicht entkommen konnen, an der viele zerbrechen, ihr Leben lang leiden oder auf ihre Art die Stirn zu bieten versuchen.« (Susanne Bader und Pascal Mathéus, Wetzsteinbrief November 2021, Buchhandlung zum Wetzstein) »Ein extrem starkes Buch und die nur 100 Seiten haben es in sich. Gut gemacht
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Herr von Wallmoden, dass sie Herrn Goldschmidt auf diese Leerstelle in seinen Bücher angesprochen haben. Wir hätten sonst diesen Leseschatz nie entdecken können.« (Samy Wiltschek, Ulmer Bücherstube Jastram) »Dieser Roman (...) versteht esdurch die Distanz zum Bruder eine enorme Dichte zu kreieren. Eine Lektüre, die den Schatten der Vergangenheit aufwühlt und mit klugen und schönen Sätzen zum Leben erweckt. Es ist somit ein wahres Dokument, das uns Geschichte lehrt und durch die literarische Kunstfertigkeit zum Nachfühlen einlädt.« (Hauke Harder aka Leseschatz, Buchhandlung Almut Schmidt, Kiel) »Es gelingt dem Autor etwas ganz Tolles: er fasst den nahezu lebenslangen Konflikt in einen ganz sachlichen Ton, dadurch bekommt es so eine Emotionalität und Eindringlichkeit, sehr bewegend!« (Barbara Ter-Nedden, Parkbuchhandlung Bonn)
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Die Geschichte des älteren Bruders
„Es ist ein sonderbares Gefühl, so nahe aneinander gelebt zu haben und so wenig vom älteren Bruder zu wissen.“ (Zitat Pos. 166)
Inhalt
Erich Goldschmidt ist fast fünf Jahre alt ist, als am 2. Mai 1928 sein Bruder …
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Die Geschichte des älteren Bruders
„Es ist ein sonderbares Gefühl, so nahe aneinander gelebt zu haben und so wenig vom älteren Bruder zu wissen.“ (Zitat Pos. 166)
Inhalt
Erich Goldschmidt ist fast fünf Jahre alt ist, als am 2. Mai 1928 sein Bruder Jürgen-Arthur geboren wird und dieses schreiende Baby ist für Erich ein Eindringling. Dennoch fühlt er sich später für seinen Bruder verantwortlich. Besonders ab diesem 18. Mai 1938, an dem die Eltern sie beide zu Verwandten nach Italien schicken, um sie in Sicherheit zu bringen, denn plötzlich sind sie keine Deutschen mehr, sondern Juden. Da ist Erich vierzehn Jahre alt, Jürgen-Arthur zehn. Bald ist auch Italien nicht mehr sicher und am 17. März 1939 werden sie nach Frankreich geschickt, wo sie die nächsten Jahre im Internat einer Privatschule verbringen. Nach dem Abitur ist Erich für die Résistance tätig, um seine neue Heimat Frankreich im Kampf gegen die Nationalsozialisten zu unterstützen. Dennoch wird Erich immer das Gefühl haben, irgendwo zwischen Deutschland und Frankreich zu stehen, in Deutschland verfolgt, weil er Jude ist, in Frankreich nach Kriegsende verfolgt, weil er Deutscher ist.
Thema und Genre
Im Mittelpunkt dieses autobiografischen Romans steht diesmal der ältere Bruder des Autors. Es geht darum, wie sehr die Verfolgung, Lebensgefahr und Flucht aus Deutschland das Leben eines jungen Menschen, im konkreten Fall das Leben von Erich, nachhaltig prägen.
Charaktere
Erich ist Deutscher, protestantisch erzogen und als er plötzlich aus dem Freundeskreis des Gymnasiums ausgeschlossen wird, weil er Jude ist, bricht für ihn die Welt zusammen, er versteht das nicht. Dieser Verlust der Heimat prägt sein ganzes Leben, obwohl er sich rasch in Frankreich zu Hause fühlt, bleibt eine innere Zerrissenheit.
Handlung und Schreibstil
Der Autor erzählt die Geschichte seines Bruders chronologisch, wobei Kindheit und Jugend im Mittelpunkt stehen, vor allem die Ereignisse ab dem Jahr 1938. Immer wieder müssen sie fliehen, entkommen nur knapp, werden versteckt und im Jahr 1943 trennen sich ihre Wege. Während Jürgen-Arthur bei Bauern untertaucht, beginnt Erich, für die Résistance tätig zu sein. 1947 treffen sich die Brüder kurz, aber die hier erzählte Geschichte erfährt der Autor von seinem Bruder erst, als sie sich Ende der siebziger Jahre in Deutschland wiedersehen. In leiser, eindringlicher Sprache schildert der Autor das Leben eines Menschen, der von seiner persönlichen Vergangenheit geprägt ist und sich selbst damit den eigenen Lebensweg zu versperren scheint.
Fazit
„Warum bin ich gerade der, der ich bin?“ (Zitat Pos. 812). Diese autobiografische Geschichte erzählt von einer Generation, die in Deutschland aufwuchs, um über Nacht plötzlich als Jude verfolgt, bedroht zu werden und gerade noch durch Flucht aus dem Land entkommt, das für sie bisher Heimat war.
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„Der versperrte Weg“ von Georges-Arthur Goldschmidt lässt mich zwiegespalten zurück. Einerseits finde ich die autobiografische Geschichte von Erich und Jürgen-Arthur gut und berührend, andererseits fühle ich mich vom Autor stets auf Distanz gehalten und durch die …
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„Der versperrte Weg“ von Georges-Arthur Goldschmidt lässt mich zwiegespalten zurück. Einerseits finde ich die autobiografische Geschichte von Erich und Jürgen-Arthur gut und berührend, andererseits fühle ich mich vom Autor stets auf Distanz gehalten und durch die sehr nüchterne, fast tabellarische Erzählung außen vor. Der Autor berichtet eher, als dass er erzählt, er schafft keine Bilder oder Emotionen, was mir das Lesen schwierig machte.
Als Jürgen-Arthur (später Georges-Arthur) 1928 geboren wird, ist die älteste Schwester schon 18. Das Leben seines Bruders Erich Leben verändert sich drastisch durch seine Ankunft („Mein Bruder war vier, als ich zur Welt kam und durch meine Erscheinung auf dieser Welt habe ich sein Leben zerstört“.). Er plante wohl sogar, dem Nachzügler die Augen auszustechen. Aber in ihrer Welt gibt es Schlimmeres als Eifersüchteleien zwischen Brüdern. Als 1933 die Nazi-Herrschaft beginnt, wird die protestantische Familie als jüdisch erklärt. Erich darf das Gymnasium nicht mehr besuchen und wird antisemitisch beschimpft und zur Hitlerjugend darf er, für den deutscher Nationalismus so wichtig ist, auch nicht.
Um sie zu schützen, schicken die Eltern die völlig unterschiedlichen Brüder 1938 ins Exil, erst nach Florenz, später nach Frankreich. Erich wird vom deutsch-Nationalisten („Alles Deutsche war Lebensinhalt für ihn.“) zum Widerstandskämpfer, schließt sich der Resistance an, später geht er zur Fremdenlegion. Die Brüder bleiben sich fremd, auch wenn sie im Exil als Schicksalsgemeinschaft lebten („Auf einmal war er dennoch gegenüber dem Bruder voller Zärtlichkeit gewesen, denn er war doch der Einzige, mit dem er ein Schicksal teilen würde. Weihnachten kam immer näher, ein Weihnachten ohne Schnee und Tannenbaum. Auf einmal fühlte er sich innigst mit dem kleinen Bruder verbunden, er war das, was noch von zu Hause geblieben war“). Die Eltern sehen die beiden nie wieder und einander nach dem Krieg nur wenige Male.
Kenner von Goldschmidt kennen dessen Geschichte vermutlich aus seinen anderen Werken, mir war der Autor vorher unbekannt. In diesem Buch schreibt er eine bekannte Geschichte aus einem anderen Blickwinkel erneut, um seinem Bruder ein Denkmal zu setzen. Das gelingt ihm durchaus, denn in diesem Buch scheint auch er eine andere Sicht auf den Bruder zu bekommen. Geschwister sind nun einmal spezielle Schicksalsgemeinschaften. Man ist miteinander verwandt, ob man will oder nicht. Und ab einem gewissen Alter kann man getrennter Wege gehen, wie die beiden es ab 1943 taten. Rund 80 Jahre später holt er mit dem Buch nach, was er zu Lebzeiten des Bruders versäumt zu haben glaubt. Denn „Es ist ein sonderbares Gefühl, so nahe aneinander gelebt zu haben und so wenig vom älteren Bruder zu wissen.“
Und so strickt der Autor eine Hommage an den Bruder aus Fakten und Gedanken. Grundlage sind wohl Erzählungen des Bruders bei einem Treffen in den 1970er Jahren. Und immer wieder taucht die Frage nach dem „was wäre gewesen, wenn…“ auf: „„Was wäre aus ihm geworden, wenn er ,Arier‘ gewesen wäre? Seiner Emigration verdankte er, nicht den falschen Weg eingeschlagen zu haben.“ – die Frage, ob der Dienst bei der Fremdenlegion denn der richtige Weg war, bleibt allerdings unausgesprochen. Auch andere Fragen bleiben unbeantwortet. Wie sehr prägt die Vergangenheit Gegenwart und Lebensweg? Wie ist es, wenn man sich selbst im Weg steht, keine Heimat findet, weil man sich entwurzelt und getrieben fühlt („Gerade in dem Augenblick, als für ihn einmal nichts mehr im Wege stehen sollte, war er selber zum Hindernis auf dem eigenen Weg geworden. Er war das einzige Instrument seines Unglücks.“)? Es ist ein Buch über ungleiche Menschen, die nur DNA und Schicksal vereinen, eine Geschichte über Schuldgefühle und Verlust. Vor dem ehemaligen Haus der Familie in Reinbek sind Stolpersteine für Georges-Arthurs Eltern. Das Buch ist eine Art Stolperstein für seinen Bruder. Ich fand es wichtig und gut, aber holprig und unbequem zu lesen. Von mir vier S
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Im Räderwerk der Verfolgung
Mit dem Roman «Der versperrte Weg» hat der deutsch-französische Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt dem in seinem autobiografischen Œuvre bisher sträflich vernachlässigten Bruder Erich ein berührendes literarisches …
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Im Räderwerk der Verfolgung
Mit dem Roman «Der versperrte Weg» hat der deutsch-französische Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt dem in seinem autobiografischen Œuvre bisher sträflich vernachlässigten Bruder Erich ein berührendes literarisches Denkmal gesetzt. Der 1928 geborene Autor und sein vier Jahre älterer Bruder waren Söhne eines Juristen aus Reinbek in Holstein. Von jüdischer Herkunft, waren die Goldbergs schon im neunzehnten Jahrhundert zum christlichen Glauben konvertiert. Gleichwohl wurden sie als «nichtarische Christen» von den Nazis verfolgt, mit verheerenden Konsequenzen für den Lebensweg des eigensinnigen Bruders, wovon bereits der Buchtitel kündet.
Als spätgeborenes Kind wurde der Autor von den Eltern besonders verhätschelt. Der große Bruder fühlte sich abrupt zurück gesetzt und hat ihn derart gehasst, dass er, in einem unbewachten Moment, eine Stricknadel in der Hand, «schon mit gehobenem Arm» an der Wiege des Babys stand, um ihm die Augen auszustechen. Goldschmidt erklärt im Roman: «Durch meine Erscheinung auf dieser Welt habe ich sein Leben zerstört». Rivalität prägte auch das spätere Verhältnis des ungleichen Brüderpaares, ein Ordnungs-Fanatiker der ältere, ein wankelmütiger, quirliger Typ der jüngere, der alles durcheinander brachte und vieles verdarb. Erich blieb immer auf Distanz, auch wenn er sich als der Ältere später im Exil zwangsläufig auch um ihn zu kümmern hatte. Denn nachdem die Gefährdung durch die Nazis immer bedrohlicher wird, schicken die Eltern die Söhne 1938 vorsorglich zu jüdischen Bekannten nach Italien. Als die Gastgeber im Jahr darauf nach Neuseeland auswandern, - nur weit genug weg, kommen die Jungen zu einer Verwandten nach Frankreich, die sie in einem Internat unterbringt. Dort sind sie auch noch in Sicherheit, als Frankreich schließlich den Krieg verliert, denn es sind die Italiener, die das Gebiet besetzen. Bis dann 1943 doch noch die deutsche Wehrmacht dort einrückt und Georges-Arthur bei Bauern untertaucht, während sich Erich der Résistance anschließt. Sie sehen sich erst vier Jahre später wieder und sind sich ziemlich fremd geworden. Als nach dem Abitur in Paris Erichs Einbürgerung als Franzose zu scheitern scheint, ist er, unglücklicher Weise nur einen Tag vor dem Eintreffen der ersehnten Urkunde, in die Fremdenlegion eingetreten. Er hat dann in Dien Bien Phu mitgekämpft und später, als nunmehr französischer Staatsbürger, eine Offiziers-Laufbahn in der Armee eingeschlagen.
Die tragischen Umstände, die diesen Lebensweg des Bruders herbeigeführt haben, fasst der Autor im Buch mit den Worten zusammen: «Er war alles zugleich, was man lieber nicht sein sollte: evangelischer Jude deutscher Herkunft im kaum von der Okkupation befreiten Frankreich». Nach ihrem letzten Treffen 1947 haben sich die ungleichen Brüder, inzwischen völlig entfremdet, erst mehr als zwanzig Jahre später wieder gesehen. Für Goldschmidt ist diese Hommage an seinen Bruder eine späte Wiedergutmachung, wie er bekennt, in seinen autobiografischen Schriften gab es dazu bisher immer nur eine auffallende Leerstelle.
Nach fast achtzig Jahren sind die eigenen Erinnerungen und das Wenige, das er von seinem Bruder selbst erfahren hat, als faktenbasierte Grundlage seines Romans heute eher dürftig, er verkörpert also unfreiwillig den narrativen Typ des unzuverlässigen Erzählers. Stilistisch etwas holperig wird auffallend sachlich und chronologisch erzählt, wie zwei Brüdern die Jugend gestohlen wurde, sie ihre Eltern nie wieder gesehen haben und sich total fremd geworden sind. Man taucht tief ein in die Verstrickungen jener unsäglichen Epoche, von denen man doch schon so oft gelesen hat, von denen man hier aber in einer so noch nicht dagewesenen, eindringlichen Klarheit liest. «Seine autobiographische Prosa lässt die Dimension der inneren Gefährdung dessen, der ins Räderwerk der Verfolgung gerät, auf erschütternde Weise erkennen», hat die Uni Osnabrück zu Verleihung ihrer Ehrendoktorwürde geschrieben. Wie wahr!
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