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Das ist nicht mehr die Welt von Paul Goullet: Er, der alte Bücher und Bilder liebt, die Schönheit, den Traum und die Phantasie, findet sich in einer Zeit, in der in Deutschland das Chaos herrscht. Um dem zu entkommen, reist er nach Paris, aber auch Frankreich hat sich in einen Überwachungsstaat verwandelt. Bei seinen Spaziergängen durch die Stadt stößt Goullet plötzlich auf etwas Unerhörtes: ein altes Photoalbum, dessen Bilder offenbar ihn selbst zeigen, inmitten eleganter Damen und Herren aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Fasziniert setzt er sich auf die Fährte seine...
Das ist nicht mehr die Welt von Paul Goullet: Er, der alte Bücher und Bilder liebt, die Schönheit, den Traum und die Phantasie, findet sich in einer Zeit, in der in Deutschland das Chaos herrscht. Um dem zu entkommen, reist er nach Paris, aber auch Frankreich hat sich in einen Überwachungsstaat verwandelt. Bei seinen Spaziergängen durch die Stadt stößt Goullet plötzlich auf etwas Unerhörtes: ein altes Photoalbum, dessen Bilder offenbar ihn selbst zeigen, inmitten eleganter Damen und Herren aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Fasziniert setzt er sich auf die Fährte seines Doppelgängers und folgt ihr nach Südfrankreich. Verstörende Visionen und Traumbilder beginnen ihn zu verfolgen, immer wieder scheint er die Zeit zu wechseln und sich in den Mann aus dem Photoalbum zu verwandeln. Und die Hinweise mehren sich, dass dieser ein furchtbares Geheimnis hat.
Ulrich Tukur, 1957 geboren, ist nicht nur einer der bekanntesten und renommiertesten deutschen Schauspieler und ein leidenschaftlicher Musiker, sondern hat auch als Schriftsteller großen Erfolg ('Der Ursprung der Welt', 'Die Seerose im Speisesaal', 'Die Spieluhr'). Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Film- und Fernsehpreise, aber auch Auszeichnungen wie den 'Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache'. Ulrich Tukur lebt mit seiner Frau, der Fotografin Katharina John, in Berlin und auf einem alten Weingut im Süden Italiens.
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- Artikelnr. des Verlages: 1021673
- 1. Auflage
- Seitenzahl: 304
- Erscheinungstermin: 9. Oktober 2019
- Deutsch
- Abmessung: 210mm x 136mm x 30mm
- Gewicht: 439g
- ISBN-13: 9783103972733
- ISBN-10: 3103972733
- Artikelnr.: 56402085
Herstellerkennzeichnung
FISCHER, S.
Hedderichstraße 114
60596 Frankfurt
produktsicherheit@fischerverlage.de
Endlich geheilt vom bösen Trieb
Verstiegener Plot, verblasener Stil: Ulrich Tukurs erster Roman sucht die finstere Vergangenheit in einer blassen Zukunft und scheitert fulminant.
Der Protagonist, zumindest eine seiner tauben Hälften, döst in dieses Buch hinein. Er erwacht in der ersten Zeile in Paris, vielleicht ist es aber auch nur der Beginn eines Traums, der in ein ganz anderes Leben führt. Pauls Blick, man darf sagen: Panther-Blick, wandert also in dem Pariser Hotelzimmer "ziellos und noch von Müdigkeit umschattet über die mit Stuck verzierte Zimmerdecke" und bleibt "an einem altertümlichen Messingleuchter" hängen: "Er betrachtete ihn einen Augenblick und fand ihn schön."
Da haben wir bereits das
Verstiegener Plot, verblasener Stil: Ulrich Tukurs erster Roman sucht die finstere Vergangenheit in einer blassen Zukunft und scheitert fulminant.
Der Protagonist, zumindest eine seiner tauben Hälften, döst in dieses Buch hinein. Er erwacht in der ersten Zeile in Paris, vielleicht ist es aber auch nur der Beginn eines Traums, der in ein ganz anderes Leben führt. Pauls Blick, man darf sagen: Panther-Blick, wandert also in dem Pariser Hotelzimmer "ziellos und noch von Müdigkeit umschattet über die mit Stuck verzierte Zimmerdecke" und bleibt "an einem altertümlichen Messingleuchter" hängen: "Er betrachtete ihn einen Augenblick und fand ihn schön."
Da haben wir bereits das
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poetologische Programm dieses Schnörkelstuck-Romans in nuce. Sein Autor, der Schauspieler und Musiker Ulrich Tukur, findet altertümliches Erzählinventar offensichtlich einfach schön. Vermutlich rechnet er sich gemeinsam mit dem wenige Seiten später auftretenden "Bouquinisten" auch zu jenen "eigenwillig verrutschten Gestalten, die alte Bücher lieben, deren Zauber sich nur noch ihm und einigen wenigen Menschen erschließt".
Das ziellose Aufeinandertürmen abgestandener, gern gespreizt französisierter Bilder schon für hohe Literatur zu halten ist jedoch ein Missverständnis, das allenfalls in die Ödnis adjektivtrunkener Objekt- und Gefühlsbeschreibungsorgien führt: "Er aß ein frisches, noch warmes Baguette, das er mit gesalzener normannischer Butter bestrich"; oder: "Auf der anderen Seite des Zimmers standen ein dunkelgrün bezogenes Empiresofa und daneben eine Stehlampe, deren Schirm mit fernöstlichen Motiven dekoriert war"; oder: "Goullet verspürte in sich eine seltsame Bindungslosigkeit und offenkundige Unfähigkeit, aus allem, was er erlebte, ein klares, deutliches Gefühl zu beziehen"; oder: "Als er begriff, dass er sich nicht täuschte, überkam ihn ein namenloser Schrecken." Der Schrecken wird nicht namhafter dadurch, dass dieser angestaubte und teils ungelenke Atmo-Zierrat, der so gut wie nie eine tiefere Bedeutung aufweist, an eine überambitionierte Großvater-Handlung angeklebt wurde. Denn auch an diesem schiefen Plot schreit nichts danach, erzählt zu werden; er gefällt sich als L'art pour l'art.
Die Prämisse des Romans lautet, dass sich Geschichte wiederholen kann. So legt sich im Jahr 2033 erneut ein dunkler Schatten auf Europa: In Frankreich regiert eine Überwachungs-Militärdiktatur, während eine Aggressionsmacht, Russland diesmal, osteuropäische Staaten überrennt. Das aber wird nur oberflächlich angerissen und wirkt in Verbindung mit dem betulichen Tonfall (jenseits einiger Hologramme und Implantate ist hier einfach 1933) und einer flauen Technikkritik ("Roboter führen Befehle aus, sie brauchen keine Demokratie") leider komplett konstruiert, so ähnlich vielleicht, wie das Detail eines geheimen Tunnels, der an anderer Stelle schnell hinzuerfunden werden muss, weil sich der Erzähler in eine ausweglose Lage geplaudert hat. Der aus dem zusammengebrochenen Deutschland geflohene Paul Goullet stößt in dieser Nahzukunft auf ein Fotoalbum, das ihn selbst zu zeigen scheint, allerdings ein gutes Jahrhundert zuvor. Ihm ist schnell klar, dass das Mysterium mit seinem Großvater zu tun haben muss, dem gefürchteten Gestapochef von Toulouse, der nach dem Krieg in Stuttgart Karriere als Verwaltungsjurist machte. Paul begibt sich nun in Südfrankreich auf Selbstsuche. Dabei wird er in fast schon lachhafter Weise (man darf an expressionistische Filme denken) von lichtblitzartigen Erinnerungen an die im Jahr 1943 spielenden Ereignisse heimgesucht.
Bald ist deutlich, dass die frühere Variante des Protagonisten Prosper Genoux hieß und das Böse schlechthin verkörpert. Unter dem Vorwand, vom Vichy-Regime oder der Gestapo verfolgten Personen die Flucht nach Spanien zu ermöglichen, lebte Genoux finsterste Sexualmordphantasien aus. Ein weiteres Geheimnis, das mit einer Frau zu tun hat, stellt die Verbindung zu Pauls (Adoptiv-)Familie Goullet her. Der Held gerät wie sein Vorgänger in Partisanenkreise, trifft seine Traumfrau und muss über die Pyrenäen fliehen, alles in allzu auffälliger Spiegelung der Ereignisse neunzig Jahre zuvor, wenn auch in umgekehrter Gut-Böse-Wagenreihung.
Ob es sich aber um einen Roman über Schuld oder gar Erbschuld handelt, bleibt unklar, weil jede intellektuelle Rahmung fehlt. Die einzige Einsicht, zu der diese zwischen Biedermeier und magischem Realismus verstolperte Erzählung vom doppelten "P.G."chen führt, lautet schlicht, das Leben sei ein "Geflecht", das "alles Böse und Gute, Tote und Lebendige miteinander verband". Das ist dünn, äußerst dünn.
Traumerklärungen für ein zuvor wortreich ausgemaltes Mysterium sind immer enttäuschend, hier aber in potenzierter Weise, denn der Protagonist muss immer wieder erstarren, damit das Binnentrauma (als Traum) fortgeführt werden kann. Trotzdem erklärt der Erzähler uns und seinem begriffsstutzigen Helden mit onkelhafter Ausdauer jedes einzelne Hinüberdämmern: "Zum zweiten Mal hatte er die Besinnung verloren und dabei etwas berührt, das kein Traum war, sondern die Wirklichkeit einer anderen Dimension"; "vielleicht spielte das Schicksal mit ihm"; "manchmal denke ich, es ist ein und dasselbe, als verliefe die Zeit nicht linear, sondern alles, Vergangenheit und Gegenwart, spielte sich gleichzeitig ab". Diese narrative Dauerlegitimation nervt beinahe noch mehr als der wenig originelle (und inhaltlich überdies sinnlose) Einfall der Doppelidentität selbst.
Als Drehbuchentwurf ginge das vielleicht durch, zumal zur kriminalistisch-genealogischen Ebene (was geschah mit Oma?) und zu den reißerischen Episoden (gemarterte Frauen; verfolgte Männer) noch einige Letzte-Worte-Sterbeszenen und ein opulent inszeniertes Finale im Kinostil hinzukommen. Doch weil sich der Autor nicht mit einem Filmskript begnügt hat, stehen wir nun vor einer Ruine von Roman, der kaum mehr ist als grelle Literatur-Mimikry ohne allzu viel Sinn für die künstlerische, also sprachlich-stilistische Durchdringung seines Stoffs, für die Überhöhung des Geschehens durch eine historisch-moralische Reflexion oder auch nur für die psychologische Dimension des Erzählten. Sich an Fin-de-Siècle-Romanen zu bedienen oder eine Straße nach Victor Hugo zu benennen, reicht nicht.
Die Figuren bleiben papieren und zeigen keinerlei Entwicklung. Das Geschlechterbild ist stumpf: Paul wird durch eine Frau vom dunklen Trieb der gewaltsamen Frauenverachtung geheilt, den er offenbar von seinem Alter Ego ererbt hat. Wen soll das interessieren? Und wo hingegen sind all die Opfer des an SS-Sturmbannführer Rudolf Bilfinger angelehnten Gestapo-Chefs von Toulouse? Sie kommen nicht vor. Die sensationslüsterne Handlung überzeugt damit weder als Zukunftsdystopie noch als historischer Zeitroman oder als politischer Einspruch. Manche Rückblenden schrammen sogar am stiefelknallenden Nazi-Kitsch vorbei, wenn etwa der schick schwarzuniformierte Gestapo-Opa den Kunstkenner gibt - alle haben einen Spleen in Bezug auf Courbets Skandalgemälde "Der Ursprung der Welt": harte Männer und ihr Mutter-Trauma -, um dann die Peitsche durch Gesichter zu ziehen.
Literarisch herrscht hier, um es altbacken dekadent zu sagen, "eine Art erregter Stillstand oder erzwungener Müßiggang, als wäre die Zeit stehengeblieben und es gäbe keine Richtung mehr, in die man sich bewegen könnte". Es gibt Schlimmeres als ein Debütroman, in dem Antlitze bei jedem Schrecken "aschfahl" werden, aber mit der Erkundung des Nullpunkts der deutschen Seele ausgerechnet ein Sujet gewählt zu haben, das derart oft höchst virtuos verarbeitet wurde, ist schon ungeschickt. Sorgte der Promistatus des Verfassers dafür, dass diese selbstgefällige Tändelei dem Verlag als Spitzentitel gilt? Einen Gefallen tut man damit niemandem.
OLIVER JUNGEN.
Ulrich Tukur: "Der Ursprung der Welt". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 304 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ziellose Aufeinandertürmen abgestandener, gern gespreizt französisierter Bilder schon für hohe Literatur zu halten ist jedoch ein Missverständnis, das allenfalls in die Ödnis adjektivtrunkener Objekt- und Gefühlsbeschreibungsorgien führt: "Er aß ein frisches, noch warmes Baguette, das er mit gesalzener normannischer Butter bestrich"; oder: "Auf der anderen Seite des Zimmers standen ein dunkelgrün bezogenes Empiresofa und daneben eine Stehlampe, deren Schirm mit fernöstlichen Motiven dekoriert war"; oder: "Goullet verspürte in sich eine seltsame Bindungslosigkeit und offenkundige Unfähigkeit, aus allem, was er erlebte, ein klares, deutliches Gefühl zu beziehen"; oder: "Als er begriff, dass er sich nicht täuschte, überkam ihn ein namenloser Schrecken." Der Schrecken wird nicht namhafter dadurch, dass dieser angestaubte und teils ungelenke Atmo-Zierrat, der so gut wie nie eine tiefere Bedeutung aufweist, an eine überambitionierte Großvater-Handlung angeklebt wurde. Denn auch an diesem schiefen Plot schreit nichts danach, erzählt zu werden; er gefällt sich als L'art pour l'art.
Die Prämisse des Romans lautet, dass sich Geschichte wiederholen kann. So legt sich im Jahr 2033 erneut ein dunkler Schatten auf Europa: In Frankreich regiert eine Überwachungs-Militärdiktatur, während eine Aggressionsmacht, Russland diesmal, osteuropäische Staaten überrennt. Das aber wird nur oberflächlich angerissen und wirkt in Verbindung mit dem betulichen Tonfall (jenseits einiger Hologramme und Implantate ist hier einfach 1933) und einer flauen Technikkritik ("Roboter führen Befehle aus, sie brauchen keine Demokratie") leider komplett konstruiert, so ähnlich vielleicht, wie das Detail eines geheimen Tunnels, der an anderer Stelle schnell hinzuerfunden werden muss, weil sich der Erzähler in eine ausweglose Lage geplaudert hat. Der aus dem zusammengebrochenen Deutschland geflohene Paul Goullet stößt in dieser Nahzukunft auf ein Fotoalbum, das ihn selbst zu zeigen scheint, allerdings ein gutes Jahrhundert zuvor. Ihm ist schnell klar, dass das Mysterium mit seinem Großvater zu tun haben muss, dem gefürchteten Gestapochef von Toulouse, der nach dem Krieg in Stuttgart Karriere als Verwaltungsjurist machte. Paul begibt sich nun in Südfrankreich auf Selbstsuche. Dabei wird er in fast schon lachhafter Weise (man darf an expressionistische Filme denken) von lichtblitzartigen Erinnerungen an die im Jahr 1943 spielenden Ereignisse heimgesucht.
Bald ist deutlich, dass die frühere Variante des Protagonisten Prosper Genoux hieß und das Böse schlechthin verkörpert. Unter dem Vorwand, vom Vichy-Regime oder der Gestapo verfolgten Personen die Flucht nach Spanien zu ermöglichen, lebte Genoux finsterste Sexualmordphantasien aus. Ein weiteres Geheimnis, das mit einer Frau zu tun hat, stellt die Verbindung zu Pauls (Adoptiv-)Familie Goullet her. Der Held gerät wie sein Vorgänger in Partisanenkreise, trifft seine Traumfrau und muss über die Pyrenäen fliehen, alles in allzu auffälliger Spiegelung der Ereignisse neunzig Jahre zuvor, wenn auch in umgekehrter Gut-Böse-Wagenreihung.
Ob es sich aber um einen Roman über Schuld oder gar Erbschuld handelt, bleibt unklar, weil jede intellektuelle Rahmung fehlt. Die einzige Einsicht, zu der diese zwischen Biedermeier und magischem Realismus verstolperte Erzählung vom doppelten "P.G."chen führt, lautet schlicht, das Leben sei ein "Geflecht", das "alles Böse und Gute, Tote und Lebendige miteinander verband". Das ist dünn, äußerst dünn.
Traumerklärungen für ein zuvor wortreich ausgemaltes Mysterium sind immer enttäuschend, hier aber in potenzierter Weise, denn der Protagonist muss immer wieder erstarren, damit das Binnentrauma (als Traum) fortgeführt werden kann. Trotzdem erklärt der Erzähler uns und seinem begriffsstutzigen Helden mit onkelhafter Ausdauer jedes einzelne Hinüberdämmern: "Zum zweiten Mal hatte er die Besinnung verloren und dabei etwas berührt, das kein Traum war, sondern die Wirklichkeit einer anderen Dimension"; "vielleicht spielte das Schicksal mit ihm"; "manchmal denke ich, es ist ein und dasselbe, als verliefe die Zeit nicht linear, sondern alles, Vergangenheit und Gegenwart, spielte sich gleichzeitig ab". Diese narrative Dauerlegitimation nervt beinahe noch mehr als der wenig originelle (und inhaltlich überdies sinnlose) Einfall der Doppelidentität selbst.
Als Drehbuchentwurf ginge das vielleicht durch, zumal zur kriminalistisch-genealogischen Ebene (was geschah mit Oma?) und zu den reißerischen Episoden (gemarterte Frauen; verfolgte Männer) noch einige Letzte-Worte-Sterbeszenen und ein opulent inszeniertes Finale im Kinostil hinzukommen. Doch weil sich der Autor nicht mit einem Filmskript begnügt hat, stehen wir nun vor einer Ruine von Roman, der kaum mehr ist als grelle Literatur-Mimikry ohne allzu viel Sinn für die künstlerische, also sprachlich-stilistische Durchdringung seines Stoffs, für die Überhöhung des Geschehens durch eine historisch-moralische Reflexion oder auch nur für die psychologische Dimension des Erzählten. Sich an Fin-de-Siècle-Romanen zu bedienen oder eine Straße nach Victor Hugo zu benennen, reicht nicht.
Die Figuren bleiben papieren und zeigen keinerlei Entwicklung. Das Geschlechterbild ist stumpf: Paul wird durch eine Frau vom dunklen Trieb der gewaltsamen Frauenverachtung geheilt, den er offenbar von seinem Alter Ego ererbt hat. Wen soll das interessieren? Und wo hingegen sind all die Opfer des an SS-Sturmbannführer Rudolf Bilfinger angelehnten Gestapo-Chefs von Toulouse? Sie kommen nicht vor. Die sensationslüsterne Handlung überzeugt damit weder als Zukunftsdystopie noch als historischer Zeitroman oder als politischer Einspruch. Manche Rückblenden schrammen sogar am stiefelknallenden Nazi-Kitsch vorbei, wenn etwa der schick schwarzuniformierte Gestapo-Opa den Kunstkenner gibt - alle haben einen Spleen in Bezug auf Courbets Skandalgemälde "Der Ursprung der Welt": harte Männer und ihr Mutter-Trauma -, um dann die Peitsche durch Gesichter zu ziehen.
Literarisch herrscht hier, um es altbacken dekadent zu sagen, "eine Art erregter Stillstand oder erzwungener Müßiggang, als wäre die Zeit stehengeblieben und es gäbe keine Richtung mehr, in die man sich bewegen könnte". Es gibt Schlimmeres als ein Debütroman, in dem Antlitze bei jedem Schrecken "aschfahl" werden, aber mit der Erkundung des Nullpunkts der deutschen Seele ausgerechnet ein Sujet gewählt zu haben, das derart oft höchst virtuos verarbeitet wurde, ist schon ungeschickt. Sorgte der Promistatus des Verfassers dafür, dass diese selbstgefällige Tändelei dem Verlag als Spitzentitel gilt? Einen Gefallen tut man damit niemandem.
OLIVER JUNGEN.
Ulrich Tukur: "Der Ursprung der Welt". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 304 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Ungeheuer spannend [...]. Wie schon in seinen Erzählungen und der Novelle mischt Tukur furios Zeit- und Realitätsebenen. [...] ein Meister darin, das Dunkle leicht zu präsentieren. Katja Weise Norddeutscher Rundfunk. NDR Kultur 20191009
Der für sein anspruchsvolles Spiel bekannte Schauspieler Ulrich Tukur hat schon Erzählungen und einen Novelle geschrieben. Und jetzt mit großer Ambition sein erster Roman.
Ein Mann namens Paul Goullet findet ein Photoalbum mit alten Fotos. Obwohl die Fotos 90 Jahre alt sind, erkennt …
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Der für sein anspruchsvolles Spiel bekannte Schauspieler Ulrich Tukur hat schon Erzählungen und einen Novelle geschrieben. Und jetzt mit großer Ambition sein erster Roman.
Ein Mann namens Paul Goullet findet ein Photoalbum mit alten Fotos. Obwohl die Fotos 90 Jahre alt sind, erkennt er sich selbst darauf. Rätselhaft! Eine Spurensuche beginnt.
Der Romantitel spielt auf das berühmte Gemälde von Gustave Courbet an. Um das zu sehen begibt sich Goullet nach Frankreich.
Ungewöhnlicherweise ist der Zeitpunkt der Ausgangssituation 2033 angelegt, also in der nahen Zukunft und Europa ist zerbrochen. In der Türkei herrschte Bürgerkrieg, viele flüchten. In Frankreich hat die nationalistische Koalition die Macht,´. In Deutschland sind Unruhen und Gewalt an der Tagesordnung. Also ein überaus pessimistische Prognose für unsere Zukunft.
Ulrich Tukur hat Niveau und er schreibt sehr fein, fast vornehm. Diese Haltung verleiht er auch seiner Figur und setzt sie der Düsternis seines Plots entgegen. Ich schätze außerdem Tukurs Sorgfältigkeit beim Formulieren und das Bewahren der Rätsel.
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Gleich vorab: ein wunderbares Buch! Vielleicht liegt es an meinen persönlichen Lebenserfahrungen, aber nur einmal
habe ich mich in einem Buch so eigenartig zuhause gefühlt wie in diesem - das war "der schwarze Obelisk" von E.M.Remarque. Es ist, als stürzen haufenweise …
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Gleich vorab: ein wunderbares Buch! Vielleicht liegt es an meinen persönlichen Lebenserfahrungen, aber nur einmal
habe ich mich in einem Buch so eigenartig zuhause gefühlt wie in diesem - das war "der schwarze Obelisk" von E.M.Remarque. Es ist, als stürzen haufenweise Erinnerungen auf einmal über einen herein, so, als liest man seine eigene Geschichte-vielleicht aus einem anderen Leben? So fühlt es sich an...und so geht es unserem Romanhelden. Deja Vu´s hatte ich als Kind häufig- bis ich mir "abgewöhnte", auf sie zu achten, weil mir niemand glauben wollte. Wie auch immer: Dieser Roman ist spannend, voller Zeitsprünge, voller sinnlicher und poetischer Bilder- ich hoffe, Herr Tukur schreibt mehr in dieser Art!
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Ich habe gerade das Hörbuch gehört und hatte den Impuls, es vorzeitig zu beenden. So etwas kommt bei mir sonst nicht vor. Aber dieses Stück erinnert an den Versuch eines Jugendlichen, aus allem, was er oder sie mal gelesen hat, einen eigenen Roman zu schmieden, ohne jedoch das …
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Ich habe gerade das Hörbuch gehört und hatte den Impuls, es vorzeitig zu beenden. So etwas kommt bei mir sonst nicht vor. Aber dieses Stück erinnert an den Versuch eines Jugendlichen, aus allem, was er oder sie mal gelesen hat, einen eigenen Roman zu schmieden, ohne jedoch das nötige Handwerkszeug zu beherrschen. Ein Sammelsurium an Worthülsen, die nicht edel, sondern verstaubt und manieriert wirken, Protagonist*innen, die nie zum Leben erwachen, weil sie nicht spürbar werden - und warum müssen wir das ganze Abendmenü kennen, das der Protagonist in einer Bar zu sich nimmt und das ihm hervorragend schmeckt? Oder all die Straßennamen? Um zu erkennen, dass Herr Tukur ein waschechter Frankophiler und Genießer der französischen Küche ist? Für den Erzählstrang völlig unerheblich und hohl, da keine Atmosphäre spürbar wird. Und warum das furiose Ende? Es wirkt völlig unmotiviert und hinterlässt mich als Zuhörerin ratlos.
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eBook, ePUB
Der Roman konnte mich leider nicht überzeugen. Pure Zeitverschwendung.
Unüberbrückbare Distanz zu den Figuren und der Geschichte insg. blieb bis zum Schluss. Von Spannung keine Rede.
Vor allem die Handlung kam mir sehr konstruiert vor. Dazukamen Klischees, die das Ganze auch nicht …
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Der Roman konnte mich leider nicht überzeugen. Pure Zeitverschwendung.
Unüberbrückbare Distanz zu den Figuren und der Geschichte insg. blieb bis zum Schluss. Von Spannung keine Rede.
Vor allem die Handlung kam mir sehr konstruiert vor. Dazukamen Klischees, die das Ganze auch nicht besser gemacht haben, uvm.
Gleich vom Anfang an fühlte ich mich nicht abgeholt. Der Erzähler, und er hatte viel zu erzählen, sodass ich in weiten Strecken den Eindruck hatte, dass ich in diesem endlosen Narrativ ersticke, vermochte mich kaum mitzureißen. Zudem erschien er mir lieblos, sehr distanziert, als ob er etwas an die Leser trug, womit er selbst nichts anfange konnte. Seine Geschichten erschienen mir zudem wie Abklatsch von bereits wohl Bekanntem, z.B. Der Protagonist leidet unter gestörtem Verhältnis zu Frauen. Hier wurde der gute alte Freud wieder mal bemüht. „Sehr originell“. Mitunter eklig. Oft musste ich denken: Von dem Zeugs gab es schon mehr als genug, und das viel besser dargestellt, warum denn die alten Kamelle, und in der Qualität, nochmals?
Die Rückblenden, davon gibt es reichlich, erschienen mir eher manieriert. Klar steckt die Intention dahinter, durch diese fließenden Grenzen zwischen damals und heute bestimmte Dinge anzudeuten. Aber WIE das gemacht wurde, konstruiert und oft verwirrend, beförderte mich jedes Mal aus dem Lesefluss und ließ kopfschüttelnd die Seiten hin und her blättern. Dabei überkam mich wieder mal der Wunsch, das Werk in die hinterste Ecke zu pfeffern.
Und bei den Russen, die nach Meinung des werten Autors 2033 Baltikum besetzen, war meine Geduld komplett am Ende. Auch das noch. Als ob man zuvor nicht genug Mist ertragen musste.
Fazit: Kann man getrost vergessen. Zu viel von bereits Bekanntem und Abgedroschenem, wie die zigste Kopie einer schlechten Kopie. Dafür viel Effekthascherei, möchte-gerne-Allüren und viele vertane Chancen.
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eBook, ePUB
Es ist ein Kunstwerk des Malers Gustave Courbet und trägt den Namen L'Origine du monde („Der Ursprung der Welt“). Als ich mir die Aussagen zu diesem Werk im Internet anschaute, wurde mir der Roman von Ulrich Tukur wesentlich klarer. Es gehört zur Geschichte im gleichnamigen …
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Es ist ein Kunstwerk des Malers Gustave Courbet und trägt den Namen L'Origine du monde („Der Ursprung der Welt“). Als ich mir die Aussagen zu diesem Werk im Internet anschaute, wurde mir der Roman von Ulrich Tukur wesentlich klarer. Es gehört zur Geschichte im gleichnamigen Buch von Ulrich Tukur und lässt sich auf unterschiedliche Weise interpretieren. Ich schaute mir das Gemälde an und bin noch immer beeindruckt. Es stammt aus dem Jahr 1866 und befindet sich im Museum d´Orsay, einem Kunstmuseum in Paris. Was mich so beeindruckte? Das Gemälde ist für mich nicht von einer Fotografie zu unterscheiden und das finde ich imponierend.
In dem Roman geht es um einen jungen Mann namens Paul Goullet, der alleine lebt und vor den eigenen vier Wänden in Stuttgart flieht. Er macht sich im Jahr 2033 auf den Weg nach Paris. Neben anderen Gründen, die ihn dazu veranlassten, spielt oben erwähntes Gemälde dabei eine Rolle. Vor vielen Jahren fand er eine Postkarte mit eben diesem Torso des Ursprungs der Welt im Büro seines Großvaters. Er möchte es im Original sehen und der Weg führt ihn zur Hauptstadt Frankreichs. Dort schlendert er durch die Straßen und beim Anschauen von Werken alter Meister, fällt ihm ein Fotoalbum in die Hände.
Das Cover des roten Albums zeigt seine Initialen P.G. und ein Foto, welches von ihm sein könnte. Auch im Innenteil befinden sich nur Fotografien, sein Ebenbild vor 100 Jahren zeigen. Er macht sich auf die Suche nach diesem Menschen und begibt sich dabei in Gefahr.
Der Ursprung der Welt ist ein eigenwilliger und besonderer Roman. Besonders, weil der Autor einen außergewöhnlichen Stil hat und eigenwillig, weil die häufigen Wechsel zwischen den Zeiten nicht dem momentan üblichen Aufbau eines Romans entsprechen. Es fehlen ebenfalls Überschriften und ich musste höllisch aufpassen, damit ich dem Geschehen folgen konnte.
Paul reist im Heute durch Paris und in Frankreich herrscht der Ausnahmezustand. Es ist ein Polizeistaat und wer nicht spurt, wird weggesperrt. Überwachung an allen Ecken und sogar Drohnen werden dafür eingesetzt. Im Gegenzug gibt es Widerständler, die sich mit den Polizisten blutige Auseinandersetzungen liefern. „In Deutschland herrscht das blanke, aufgeheizte Chaos, das sich im Netz schon längst in einen virtuellen Bürgerkrieg ausgewachsen hatte.“(Ein Zitat aus dem Roman) Ist das wirklich utopisch und kann es nicht sein, dass wir in Europa bald diese Zustände haben?
Die andere Zeitstrang spielt im Zweiten Weltkrieg. Nazis besetzten Frankreich und auch damals boten Widerständler den Eindringlingen die Stirn. Doch, was haben diese beiden Zeitstränge gemeinsam? Wie passt der Großvater Pauls ins Bild und welche Gräueltaten geschahen damals in Paris? Der Ursprung der Welt ist ein Roman, der sich zu lesen lohnt. Weitab des Mainstreams bietet er Spannung und unterhaltsame Lektüre. Also, von mir eine eindeutige Leseempfehlung.
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