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Im Februar 1946 trifft die elfjährige Ursula Dorn einen fatalen Entschluss. Sie lässt ihre Familie in den Ruinen Königsbergs zurück, um sich selbst vor dem Hungertod zu retten. Seit Kriegsende sind in der von den Sowjets besetzten Stadt über 70.000 Deutsche durch Hunger, Krankheiten und Gewalt verstorben, werden bis aufs Skelett abgemagerte Frauen vergewaltigt, erfrorene Säuglinge bleiben in ihren Kinderwagen zurück. Rund 20.000 verwaiste Kinder ziehen bettelnd durchs nördliche Ostpreußen. Ursula erträgt das Elend nicht mehr; sie schleicht sich in einen russischen Güterzug und fähr...
Im Februar 1946 trifft die elfjährige Ursula Dorn einen fatalen Entschluss. Sie lässt ihre Familie in den Ruinen Königsbergs zurück, um sich selbst vor dem Hungertod zu retten. Seit Kriegsende sind in der von den Sowjets besetzten Stadt über 70.000 Deutsche durch Hunger, Krankheiten und Gewalt verstorben, werden bis aufs Skelett abgemagerte Frauen vergewaltigt, erfrorene Säuglinge bleiben in ihren Kinderwagen zurück. Rund 20.000 verwaiste Kinder ziehen bettelnd durchs nördliche Ostpreußen. Ursula erträgt das Elend nicht mehr; sie schleicht sich in einen russischen Güterzug und fährt bis nach Kaunas, wo litauische Familien sich um deutsche Kinder kümmern. Ursula kommt zu Kräften, reist zurück und kann ihre Mutter befreien. Ihre Geschwister allerdings muss sie zurücklassen. Und auch das gelobte Land verändert sich, es tobt ein erbarmungsloser Partisanenkrieg. Fortan werden Familien, die "deutsche Faschistenkinder" verstecken, in Gulags transportiert. Die Kinder sind gezwungen, sichin die Wälder zurückzuziehen und dort wie Wölfe zu hausen.
Dr. phil. Christian Hardinghaus, geb. 1978 in Osnabrück, promovierte nach seinem Magisterstudium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung und schloss danach ein Studium des gymnasialen Lehramtes mit dem Master of Education in der Fachkombination Geschichte/Deutsch ab. Seine historischen Schwerpunkte liegen in der Erforschung des NS-Systems und des Zweiten Weltkriegs. Er ist außerdem schulisch ausgebildeter Fachjournalist und arbeitet als Lektor, Autor und beratender Historiker. Seine Artikel erscheinen in zahlreichen regionalen und überregionalen Zeitungen und Magazinen. Er veröffentlicht sowohl Sachbücher als auch Romane.
Produktdetails
- Verlag: Europa Verlag München
- Artikelnr. des Verlages: 26000402
- Seitenzahl: 255
- Erscheinungstermin: 29. September 2022
- Deutsch
- Abmessung: 217mm x 141mm x 28mm
- Gewicht: 465g
- ISBN-13: 9783958904026
- ISBN-10: 3958904025
- Artikelnr.: 63738113
Herstellerkennzeichnung
Europa Verlag GmbH
Johannisplatz 15
81667 München
sp@europa-verlag.com
Christian Hardinghaus, bekannt durch seine Sachbücher, die sich mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, hat sich in diesem, seinem neuen Buch, mit einer kleinen Gruppe von Betroffenen der NS-Diktatur beschäftigt. Nämlich mit jenen Kindern, die 1945/46 aus dem …
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Christian Hardinghaus, bekannt durch seine Sachbücher, die sich mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, hat sich in diesem, seinem neuen Buch, mit einer kleinen Gruppe von Betroffenen der NS-Diktatur beschäftigt. Nämlich mit jenen Kindern, die 1945/46 aus dem ehemaligen Ostpreußen vor den sowjetischen Truppen nach Litauen geflohen sind, dort anfangs freundlich aufgenommen worden sind und letztlich zwischen die Fronten rivalisierender Gruppen geraten sind, und sich in die Wälder geflüchtet haben: Die Wolfskinder. Stellvertretend für die kleine Gruppe erzählt Ursula Dorn ihre Geschichte.
Ursula ist 10 Jahre als Königsberg 1945 von den Alliierten in Schutt und Asche gelegt wird. Doch die größte Gefahr droht von der sowjetischen Armee, die durch die zerstörte Stadt zieht, und Rache an der deutschen Bevölkerung nimmt. Während ihre Mutter Martha sich weigert die Stadt mit Ursulas anderen Geschwistern die Stadt zu verlassen, ergreift Ursula die nächstbeste Gelegenheit und springt auf einen Güterzug auf, ohne zu wissen wohin die Reise geht. Sie landet in Litauen, schlägt sich durch und wird aufgepäppelt.
Verantwortungsbewusstsein und Sehnsucht nach der Familie lässt sie im Hungerwinter 1946 nach Königsberg zurückkehren. Sie findet die lethargische Mutter und die fast verhungerten Geschwister an. Auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes bleiben die Geschwister in der Obhut der Nachbarin zurück. Erst später wird Ursula erfahren, dass nur ihr Bruder Heinz überlebt haben wird. Zurück in Litauen ist das Leben schwieriger geworden, zumal Martha sich weigert zu arbeiten und Ursula Nahrung für zwei herbeischaffen muss.
Letztlich werden Ursula und Martha aufgegriffen und in die neu entstandene DDR ausgewiesen. Das ist zwar besser als die drohende Deportation nach Sibirien, aber Ursula muss nach wie vor für sich und ihre Mutter sorgen, die nur von einer Zigaretten zur anderen denkt. Schnell erkennt Ursula, dass sie eine Diktatur gegen eine andere eingetauscht hat. Sie passt sich scheinbar an und nimmt die erste Gelegenheit zur Flucht zu ihrem Bruder Heinz in den Westen wahr.
Meine Meinung:
Wie schon in seinen anderen Sachbüchern wie z.B. „Die verlorene Generation“, „Die verratene Generation“ oder „Die verdammte Generation“ nimmt sich Christian Hardinghaus aller jener an, deren Geschichten niemand (mehr) hören mag.
Für dieses Buch hat er zahlreiche Interviews mit Ursula Dorn, die ihr Leben selbst in zwei Bücher gefasst hat und damit einige ihrer Traumata aufgearbeitet hat, geführt. Daneben wird Ursulas Geschichte in den historischen Kontext gestellt, ohne belehrend zu wirken. Das ist die große Stärke des Autors: Wissen vermitteln, Vorurteile ausräumen und die Kriegsgräuel sachlich darstellen, ohne Sensationslust oder zu werten. Manche Szenen lassen den Atem der Leser stocken, wenn sie von Kriegsverbrechen lesen, die damals verübt worden sind. Gleichzeitig weist der Autor in seinem Vorwort auf die Ähnlichkeiten, die aktuell in der Ukraine passieren, hin.
Ich muss Ursula Dorn mit Hochachtung begegnen und ihr Tribut zollen, dass sie ihre Lebensgeschichte erzählt. Es ist über viele Ereignisse beharrlich geschwiegen worden, weil sie erstens niemand hören wollte und zweitens, weil sie einfach so schrecklich waren.
Im Kapitel „Wolfskindschicksale“ beleuchtet Christian Hardinghaus noch weitere
Wolfskinder und den schändlichen Umgang der deutschen Behörden bis heute mit ihnen. Interessant ist das Wirken von Wolfgang von Stetten und seinem Verein „Edelweiß“, der ebenso wie Christian Hardinghaus jener Gruppe von Personen eine Stimme gibt.
Fazit:
Ein weiteres Buch wider das Vergessen, das noch lange nachhallt. Gerne gebe ich hier eine Leseempfehlung und 5 Sterne.
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Die bewegende Geschichte des Wolfsmädchens Ursula deckt ein dunkles Kapitel der deutschen und der russischen Geschichte auf
Nachdem der Autor und Historiker Christian Hardinghaus in den Büchern "Die verdammte Generation", „Die verratene Generation“ und „Die …
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Die bewegende Geschichte des Wolfsmädchens Ursula deckt ein dunkles Kapitel der deutschen und der russischen Geschichte auf
Nachdem der Autor und Historiker Christian Hardinghaus in den Büchern "Die verdammte Generation", „Die verratene Generation“ und „Die verlorene Generation“ den ehemaligen Wehrmachtssoldaten, sowie den Frauen und Kindern der letzten Kriegsgeneration eine Stimme gegeben hat, greift er in seinem neuesten Werk nun ein besonderes Schicksal heraus, dass es durchaus verdient hat, ein eigenes Buch zu bekommen.
Als die Russen im Jahr 1945 die Region Ostpreußen erobert und besetzt haben, musste die dort verbliebene Bevölkerung, die hauptsächlich aus Frauen, Kindern und alten Menschen bestand, unter teilweise entwürdigenden Bedingungen hausen und um ihr Überleben kämpfen. Vor allem in der Stadt Königsberg war die Not besonders groß. Unter den knapp 70000 dort noch lebenden Menschen waren auch ca. 20000 zum Teil verwaiste Kinder, die bettelnd durch Ostpreußen und das benachbarte Litauen gezogen sind, um ihr Überleben zu sichern. Diese Kinder nannte man auch die Wolfskinder und nur wenige von ihnen haben diese schweren Jahre überlebt. Eines dieser Kinder war Ursula Dorn, geborene Buttgereit, die uns hier nun ihre bewegende Geschichte erzählt, die doch ziemlich unter die Haut geht.
Nach einem Vorwort und einer Einleitung, die eine gute Einführung in das Thema bietet, darf Ursula ihre subjektiven Erinnerungen ungefiltert wiedergeben, der Autor sorgt aber immer wieder für eine historische Einordnung, die auch mit entsprechenden Fakten und Quellen untermauert wird. Herausgekommen ist dabei ein schonungsloses und jederzeit packendes Portrait eines weiteren Mitglieds der verlorenen Generation, dass es verdient hat, dass es von möglichst vielen Menschen gelesen wird und wir auch etwas daraus lernen.
Abgerundet wird das Ganze von zwei weiteren Berichten ehemaliger Wolfskinder und einem Bericht über Wolfgang von Stetten und den Verein Edelweiß, die sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Wolfskinder beschäftigen und versuchen, sich um die Überlebenden zu kümmern und die Erinnerung an ihr Schicksal hochzuhalten.
Mit viel Empathie und Sachverstand bietet dieses Buch eine hervorragende Ergänzung zur „Generationen-Trilogie“, die man aber natürlich auch alleine für sich lesen kann.
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Vieles wissen wir nicht, denn wir haben es nicht erlebt. Manche fühlen es dennoch.
Das Cover des Buches zeigt ein Schwarz-weiß-Foto eines Mädchens, das Reisig-Äste trägt. Das Mädchen sieht wacker in die Kamera, obwohl ein heftiger Wind von Westen bläst. Ihre …
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Vieles wissen wir nicht, denn wir haben es nicht erlebt. Manche fühlen es dennoch.
Das Cover des Buches zeigt ein Schwarz-weiß-Foto eines Mädchens, das Reisig-Äste trägt. Das Mädchen sieht wacker in die Kamera, obwohl ein heftiger Wind von Westen bläst. Ihre Haare und Kleidung wehen zur Seite, sie kneift ein Auge zu. Nur mit einem Kleid und einem Mantel bekleidet, ohne Mütze, Schal oder Handschuhe könnte man meinen, sie zwingt sich zu einem verfrorenen Lächeln. Der Titel „Das Wolfmädchen“ könnte nicht besser dargestellt werden.
Der kaum erträgliche Erfahrungsbericht der Ursula Dorn, geborene Buttgereit, über die Zeit im Jahr 1945 und danach, findet feinfühlige Beachtung in Christian Hardinghaus Buch "Das Wolfsmädchen", stellvertretend für alle ebenfalls betroffenen Menschen. Frau Dorn hat viele Jahrzehnte lang, wie so viele Gleichgesinnte, über die bestialischen Erfahrungen während des Einzugs der Russen in ihre Heimatstadt Königsberg in Ostpreußen nicht sprechen können. Die seelischen und körperlichen Verletzungen sollten so ihre Ruhe finden. Welche Worte könnten denn auch das barbarische Treiben der mordenden, vergewaltigenden und quälenden Soldaten wiedergeben? Wie berichtet man, dass man vor Hunger zu allem bereit war? Wie kann man verstehen, dass die eigene Mutter die Kinder im Stich lässt? Im hohen Alter wagt Ursula Dorn die Geschehnisse von damals Christian Hardinghaus anzuvertrauen. Die heutige Generation hat so die Gelegenheit das zu lesen, was unvorstellbar ist. Der Autor gibt Frau Dorns Geschichte so wieder, wie sie geschehen ist, ohne Beschönigung, dennoch mit der richtigen Wortwahl. Diese Geschichte sollte von jedem gelesen werden, damit sie nicht vergessen wird, als sei sie nie geschehen. Denn sie ist geschehen und geschieht weiter in den Gefühlen und Gedanken der Betroffenen und deren Kinder und Kindeskinder.
PS: Und weiter geht es in dieser Welt mit Gräueltaten, als ob es nicht längst genug sei…
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Als sich der Krieg dem Ende neigte...
Offiziell wurde der 2. Weltkrieg am 02. September 1945 für beendet erklärt. Ein herbeigesehntes Datum, welches aber für viele noch nicht der Aufbruch in ein neues und friedliches Leben bedeutete. In Ostpreußen überrollten die …
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Als sich der Krieg dem Ende neigte...
Offiziell wurde der 2. Weltkrieg am 02. September 1945 für beendet erklärt. Ein herbeigesehntes Datum, welches aber für viele noch nicht der Aufbruch in ein neues und friedliches Leben bedeutete. In Ostpreußen überrollten die siegreichen russischen Soldaten die Städte und Ortschaften und hatten den Schrecken im Gepäck. Mordend und vergewaltigend fielen sie über die zurückgebliebenden Frauen und Kinder her und veranschaulichen wie ein Krieg den Menschen zu einer Bestie werden lassen kann. Eine nicht für möglich zu haltende Verrohung der Menschen begleitet vom Hass auf ihren Feind, der ihre Kameraden hat sterben lassen, führt zu schrecklichen Greueltaten, denen viele Überlebende des Krieges auch im Nachgang noch zum Opfer fallen.
Der Autor Christian Hardinghaus hat sich der Aufarbeitung der dunkelsten Stunde deutscher Geschichte verschrieben und berichtet über das ergreifende Schicksal der damals sehr jungen Ursula Dorn, die zum Ende des Krieges in Königsberg zu Hause und somit der Rache der russischen Soldaten ausgesetzt war. Schon in jungen Jahren auf sich selbst gestellt,muss sie sich gegen maßlose Gewalt, schreckliche Brutalitäten in ihrem engsten Umfeld und vor allem einen niemals endenden Hunger erwehren. Christian Hardinghaus erzählt ihre Geschichte in einer Mischung aus sehr gut recherchiert wirkenden historischen Fakten und den bewegenden Erinnerungen einer der letzten Zeitzeuginnen dieer Zeit. Die Geschehnisse werden auf diesem Wege deutlich erfahrbarer, was manchmal auch nur sehr schwer zu ertragen ist. Der Autor umschreibt dabei niemals irgendwelche grauenvolle Taten zur Effekthascherei, aber die damalige Zeit erzeugte ein solch menschenunwürdiges Verhalten, dass mir als Leser immer wieder der Atem stockte und ich das Buch zur Seite legen musste. Ein wirklich hareter aber sehr lohnenswerter Blick in die Vergangenheit, gerade in Anbetracht der aktuellen Kriegszenarien in der Ukraine.
Insgesamt ist "Das Wolfsmädchen" eine fesselnde und wirklich mehr als ergreifende Aufarbeitung der Nachkriegserlebnisse in Ostpreussen. Es ist aus meiner Sicht äußerst wichtig den noch wenig lebenden Zeitzeugen der damaligen Zeit eine Stimme zu geben, um gegen die Vergessenheit anzukämpfen und die Chance zu wahren, aus großen Fehlern zu lernen. Gerade das Schicksal der vielen sogenannten "Wolfskinder", die sich unter widrigsten Gegebenheiten durchkämpfen mussten, sollte Aufmerksamkeit geschenkt werden, was mit diesem aktuellen Werk von Christian Hardinghaus geschehen ist. Von mir erhält das Buch eine unbedingte Leseempfehlung und natürlich in der Bewertung die vollen fünf von fünf Sterne.
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"Wolfskinder" nannte man die verlassenen, aus Ostpreußen, im Besonderen aus Königsberg, vor dem sicheren Hungertod geflüchteten Kinder, die nach Ende des 2. Weltkrieges unter Lebensgefahr dennoch den weiten Weg nach Litauen antraten, wo sie in der Regel wohlgesonnene …
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"Wolfskinder" nannte man die verlassenen, aus Ostpreußen, im Besonderen aus Königsberg, vor dem sicheren Hungertod geflüchteten Kinder, die nach Ende des 2. Weltkrieges unter Lebensgefahr dennoch den weiten Weg nach Litauen antraten, wo sie in der Regel wohlgesonnene Einwohner und "immer einen Krug Milch und ein Kanten Brot" erhielten, womit diese Menschen das Leben vieler Wolfskinder retteten.
Mir war dieser Begriff wohl bekannt, nicht aber der exakte Lebens- und Leidensweg dieser Kinder, von denen höchstens die Hälfte aller überlebt haben dürfte. Wie man im Buch erfährt, wurden einige auch adoptiert von litauischen Familien, die zu Beginn durchaus ein Herz für "die kleinen Deutschen" hatten; im Gegensatz zu den russischen Besatzern, die sich in Königsberg nach Kriegsende einfanden und die Stadt besetzten. Die verbliebenen 120000 Deutschen waren in dieser Zeit meist dem Hungertod geweiht, da sie absolut rechtlos waren und auch keine Verpflegung erhielten. Nach heutigem Ermessen würde durchaus das Wort Genozid zutreffen, denn die sowjetischen Soldaten gingen gnadenlos vor, auch gegen etwaige Unterstützer, die die Kinder in Litauen fanden: Den Litauern war es untersagt, deutsche Kinder bei sich aufzunehmen und viele wurden von den Patrouillen nach Sibirien verschleppt. Dieses Schicksal drohte auch denjenigen, die sich (zu den Mutigen zählend, wie Ursula Dorn) ins Nachbarland durchgeschlagen hatten und auf eine russische Patrouille trafen.... Mit Entsetzen begleitet man den Weg des intelligenten Mädchens, dessen Familie vor dem Hungertod steht; der Vater ist im Feld, das sich mutig auf den Weg begibt, um selbst nicht zu verhungern. Ursula sollte es gelingen, mit einem Rucksack voller Lebensmittel zurück nach Königsberg zu kommen und wiederum mit ihrer Mutter aufzubrechen: Eine Nachbarin wollte sich um die jüngeren Geschwister kümmern, bis beide mit Nahrungsmitteln zurückkehren würden.
Doch die Zeiten (wir sprechen von 1946/47 und 1948) wurden immer schwieriger, da sich litauische Partisanen ("die Waldbrüder") mit sowjetischen Soldaten Gefechte lieferten. Dadurch wurde es auch für die sich noch am Leben befindenden Wolfskinder schwieriger, etwas Essbares zu finden oder die Kälte des Winters zu überstehen. Ursula, die bereits in Königsberg zu den durchsetzungsfähigsten und intelligentesten, klügsten Kindern (sie war zu dieser Zeit erst 12 Jahre alt) zählte, schlägt sich mit ihrer Mutter Martha durch diese grauenhaften Zeiten - und überlebt. Grausam und unmenschlich empfand ich die erschütternde Lebensreise von Ursula Dorn besonders nach Einsetzen der Hungersnot (wobei Königsberg, heute Kaliningrad bis 1944 von Bomben verschont blieb) im Kindesalter; auch war mir bis zum Lesen dieses autobiografischen Buches nicht klar, dass viele Deutsche in Königsberg festsaßen und die meisten ihr Leben ließen: Der Krieg am 8. Mai 1945 für Erwachsene und Kinder in Ostpreußen noch länger nicht zu Ende sein sollte.
Positiv fand ich, dass Ursula Dorn ihre Geschichte in hohem Alter mitteilte; ja das Schreiben für sie eine Art von Selbsttherapie gewesen ist und sie auch aktiv im Leben blieb: So fuhr sie 2020 noch einmal nach Kaliningrad und hatte verständlicherweise mehr als schwer an den Erinnerungen zu tragen: Im Verein Edelweiß, der sich in den 90er Jahren gründete und der 20 frühere Wolfskinder als Mitglieder hat, gibt es einen Unterstützer, der selbst ein Buch über dieses Thema geschrieben hat: Baron Wolfgang von Stetten. Dieser sorgt auch dafür, dass die in Litauen verbliebenen (unter anderer Identität lebender) Wolfskinder zumindest eine geringe Rente erhalten: Mit Ärger erfüllt es mich, wie sehr der deutsche Staat bis heute etwaige Reparationen ablehnt - und die Thematik dieser verlassenen, vertriebenen und vom Hunger- und Kältetod bedrohten, traumatisierten Kinder aus Ostpreußen totschweigt!
Christian Hardinghaus hat die Aussagen von Ursula Dorn mit exakten historischen Daten und politischen Hintergründen verwoben, da ich hier ebenfalls "Leerstellen" hatte und jetzt ein umfassenderes Bild, danke ich hierfür besonders! "Das Wolfsmädchen" ist keine leichte Kost - aber umso wichtiger finde ich, dass es von vielen Menschen gelesen wird, die sich für die Aufarbeitung einer solch' verdrängten Thematik gerne auseinandersetzen, vielleicht auch Nachfahren ehemaliger Wolfskinder sind oder geschichtliches Interesse mitbringen. Gerade jetzt, im aktuellen Ukrainekrieg, der für viele Menschen aus den baltischen Staaten - aber auch für solche wie Ursula Dorn, eine reale Bedrohung darstellen und sie eine Warnung ausgibt, die ich sehr ernst nehme; die Schicksale der weiteren Wolfskinder, die ihre Stimme ebenfalls hier anschließen und Ursulas Beschreibungen ergänzen, sollten nicht länger überhört werden! Für einen - wenn auch mehr als bewegenden Eindruck, der anfangs eher erschüttert - in das leidgeprägte Leben eines Wolfskindes, hier Ursula Dorn, danke ich ganz herzlich und empfehle es absolut weiter! 5*
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Mit der Geschichte von Ursula Dorn hat Christian Hardinghaus eine (Auto-)Biographie mit tiefem geschichtlichen Hintergrund geschrieben, die die Erlebnisse eines vertriebenen, geflüchteten, fast verhungerten Kindes aus Königsberg erzählen. „Das Wolfsmädchen“ ist so …
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Mit der Geschichte von Ursula Dorn hat Christian Hardinghaus eine (Auto-)Biographie mit tiefem geschichtlichen Hintergrund geschrieben, die die Erlebnisse eines vertriebenen, geflüchteten, fast verhungerten Kindes aus Königsberg erzählen. „Das Wolfsmädchen“ ist so authentisch, dass es beim Lesen wehtut und nicht mehr aus dem Kopf geht. Königsberg, Ostpreußen, Wolfskinder, Litauen, all das war für mich zwar nicht gänzlich neu, aber insbesondere die historischen Sequenzen, die die sich abzeichnende Entwicklung der Geschichte begleiten, sind sehr hilfreich bei der Einordnung der autobiographischen Ursula-Erlebnisse.
Als die Rote Armee 1945 Königsberg erreicht, ist Ursula zehn Jahre alt, die Mutter mit der Versorgung der vier Kinder vollkommen überfordert, der Vater an der Front. Binnen kürzester Zeit tritt eine so schreckliche Entwicklung ein, dass mir beim Lesen der Atem stockte: Todesmärsche werden angeordnet, es herrschen furchtbarer Hunger und Not, überall die Gefahr von Vergewaltigungen, Deportationen nach Sibirien sind ein ständiges Damoklesschwert, das über allem schwebt. Insbesondere Mutter Martha hat davor Angst. Irgendwann hält es Ursula nicht mehr aus und flieht per Zug nach Litauen. Aber die Sorge und die Sehnsucht nach Mutter und Geschwistern lässt sie trotz der hilfsbereiten Litauer noch einmal zurückkehren. Kurze Zeit später wird Ursula mit ihrer Mutter auf der Suche nach Nahrung aber wieder zurückfahren und die fast verhungerten Geschwister bleiben bei einer Nachbarin zurück. Ursulas Bruder Heinz wird später der Einzige sein, der das (u. a. in einem furchtbaren sowjetischen Kinderheim) überlebt, aber er kann der Mutter niemals verzeihen. Diese beutet ihre Tochter Ursula aufs Unverschämteste aus, das wird erst Jahre später enden, als Ursula bereits in Westdeutschland und in einer eigenen Familie lebt. Diese Hass-Liebe, diese Sehnsucht nach der Mutter, der gescheiterte Versuch, sich von ihr abzunabeln, vergällen Ursula auch noch die Jahre, in denen sie längst der tödlichen sowjetischen Gefahr entronnen ist.
Wenn man die anderen Bücher zu den Folgen des Zweiten Weltkriegs, die der Autor verfasst hat, kennt, dann weiß man, dass er eine sehr einfühlsame und empathische Art hat, seine Interviewpartner zu den grausamsten Erinnerungen zu befragen, um das dann mit dem geschichtlichen Kontext verbunden zu einem lesenswerten und wertvollen Buch zu machen.
Auch in meiner Familie gab es Flucht und Vertreibung, gleichzeitig aber auch Opfer des Holocaust, Judenverfolgung, Mutterkreuz, Nazis und Mitläufer, Widerstandskämpfer, KZ-Haft, Bombenopfer, gefallene Soldaten, solche, die in Kriegsgefangenschaft gerieten – also die ganze Bandbreite der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Wie Ursulas Sohn Klaus habe ich mit der Ahnenforschung versucht, alle Geheimnisse zu lüften und zu Papier gebracht habe ich auch einiges davon. Das tut auch Ursula, für sie ist es ein Geschenk, dass der Sohn Klaus ihr bei ihren Aktivitäten hilft und sogar mit ihr eine letzte mögliche Reise im Sommer 2022 nach Litauen unternimmt. Ich war mit meiner Mutter Ende der 1990er Jahre in ihrer alten Heimat Meseritz. Was dieser Besuch für sie bedeutete, das habe ich wohl erst jetzt nach dem Lesen all dieser Bücher zum Thema Vertreibung richtig begriffen. Ebenso wie das beredte Schweigen, das mir entgegenschlug, wenn ich die Frage nach dem Verlauf ihrer Flucht stellte. Weiterdenken möchte ich an dieser Stelle auch nach ihrem Tod, der schon 2014 war, lieber nicht. Von diesem Schweigen spricht auch Ursula, lange ließ sie ihre Liebsten im Unklaren über ihre Erlebnisse.
Für mich ist dieses Buch „Das Wolfsmädchen“ der literarische Höhepunkt dieser schwierigen Thematik. Anfang des Jahres habe ich das neue Vertriebenenmuseum in Berlin besucht, wer dieses und die anderen oben erwähnten Bücher gelesen hat, wird wahrscheinlich wie ich zu dem Schluss kommen, dass dieses Museum sein Thema völlig verfehlt hat.
Mehr über den Inhalt möchte ich hier nicht schreiben, ein jeder muss sich selbst eine Meinung bilden können, da will ich nicht alles vorwegnehmen, was geschieht.
Ich empfehle dieses Buch sehr, angesichts des seit Februar tobenden Krieges in der Ukraine ist es aktueller, als man es sich wünschen kann. Die Parallelen zwischen dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Ostpreußen und der russischen in die Ukraine sind ununterbrochen sichtbar und machen einem die Dramatik der heutigen Situation um so bewusster. Ursula Dorns Gedanken, die im Nachwort so eindrucksvoll ihre Angst und damit ihre Erfahrungen spiegeln, bleiben mir im Gedächtnis.
An Ursula Dorn und Christian Hardinghaus richte ich meinen Dank und meine Hochachtung, ich bin wahrhaft überwältigt von den Eindrücken dieses Buches.
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