Olivia Wenzel
Gebundenes Buch
1000 Serpentinen Angst
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»Ich habe mehr Privilegien, als je eine Person in meiner Familie hatte. Und trotzdem bin ich am Arsch. Ich werde von mehr Leuten gehasst, als meine Großmutter es sich vorstellen kann. Am Tag der Bundestagswahl versuche ich ihr mit dieser Behauptung 20 Minuten lang auszureden, eine rechte Partei zu wählen.«Eine junge Frau besucht ein Theaterstück über die Wende und ist die einzige schwarze Zuschauerin im Publikum. Mit ihrem Freund sitzt sie an einem Badesee in Brandenburg und sieht vier Neonazis kommen. In New York erlebt sie den Wahlsieg Trumps in einem fremden Hotelzimmer. Wütend und l...
»Ich habe mehr Privilegien, als je eine Person in meiner Familie hatte. Und trotzdem bin ich am Arsch. Ich werde von mehr Leuten gehasst, als meine Großmutter es sich vorstellen kann. Am Tag der Bundestagswahl versuche ich ihr mit dieser Behauptung 20 Minuten lang auszureden, eine rechte Partei zu wählen.«
Eine junge Frau besucht ein Theaterstück über die Wende und ist die einzige schwarze Zuschauerin im Publikum. Mit ihrem Freund sitzt sie an einem Badesee in Brandenburg und sieht vier Neonazis kommen. In New York erlebt sie den Wahlsieg Trumps in einem fremden Hotelzimmer. Wütend und leidenschaftlich schaut sie auf unsere sich rasant verändernde Zeit und erzählt dabei auch die Geschichte ihrer Familie: von ihrer Mutter, die Punkerin in der DDR war und nie die Freiheit hatte, von der sie geträumt hat. Von ihrer Großmutter, deren linientreues Leben ihr Wohlstand und Sicherheit brachte. Und von ihrem Zwillingsbruder, der mit siebzehn ums Leben kam. Herzergreifend, vielstimmig und mit Humor schreibt Olivia Wenzel über Herkunft und Verlust, über Lebensfreude und Einsamkeit und über die Rollen, die von der Gesellschaft einem zugewiesen werden.
Eine junge Frau besucht ein Theaterstück über die Wende und ist die einzige schwarze Zuschauerin im Publikum. Mit ihrem Freund sitzt sie an einem Badesee in Brandenburg und sieht vier Neonazis kommen. In New York erlebt sie den Wahlsieg Trumps in einem fremden Hotelzimmer. Wütend und leidenschaftlich schaut sie auf unsere sich rasant verändernde Zeit und erzählt dabei auch die Geschichte ihrer Familie: von ihrer Mutter, die Punkerin in der DDR war und nie die Freiheit hatte, von der sie geträumt hat. Von ihrer Großmutter, deren linientreues Leben ihr Wohlstand und Sicherheit brachte. Und von ihrem Zwillingsbruder, der mit siebzehn ums Leben kam. Herzergreifend, vielstimmig und mit Humor schreibt Olivia Wenzel über Herkunft und Verlust, über Lebensfreude und Einsamkeit und über die Rollen, die von der Gesellschaft einem zugewiesen werden.
Olivia Wenzel, 1985 in Weimar geboren, Studium der Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis an der Uni Hildesheim, lebt in Berlin. Sie schreibt Theatertexte und Prosa, machte zuletzt Musik als Otis Foulie. Wenzels Stücke wurden u.a. an den Münchner Kammerspielen, am Hamburger Thalia Theater, am Deutschen Theater Berlin und am Ballhaus Naunynstrasse aufgeführt. Neben dem Schreiben arbeitet sie in Workshops mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In der freien Theaterszene kollaboriert sie als Performerin mit Kollektiven wie vorschlag:hammer. »1000 Serpentinen Angst« ist ihr erster Roman. Literaturpreise:Literaturpreis der Stadt Fulda 2020Mörike-Förderpreis der Stadt Fellbach 2021Hugo-Ball-Förderpreis 2023
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- Originaltitel: 1000 Serpentinen Angst
- Artikelnr. des Verlages: 1023437
- 6. Aufl.
- Seitenzahl: 352
- Erscheinungstermin: 4. März 2020
- Deutsch
- Abmessung: 206mm x 133mm x 34mm
- Gewicht: 446g
- ISBN-13: 9783103974065
- ISBN-10: 310397406X
- Artikelnr.: 57954515
Herstellerkennzeichnung
S. FISCHER Verlag GmbH
Hedderichstr. 114
60596 Frankfurt am Main
www.fischerverlage.de
+49 (069) 6062-0
Schon wieder dieses Gesicht!
Geboren in der DDR mit einem Vater aus Angola: Olivia Wenzels Debütroman "1000 Serpentinen Angst" setzt aufs Prinzip der Autofiktion.
Der Psychologe seufzt. Eigentlich, sagt er, richte sich sein Angebot an Leute, die von der Vergangenheit belastet sind. Die junge Frau, die ihm gerade ihr Herz ausgeschüttet hat, mit einiger Entschlossenheit und wachsender Verzweiflung, habe alles richtig gemacht, ihre Fragen wären im Grunde nicht therapeutisch zu klären. "Sie sind in unserem Land eben eine Minderheit."
Drei Versuche unternimmt die Ich-Erzählerin in Olivia Wenzels Debütroman "1000 Serpentinen Angst", um auf Drängen eines Freundes endlich therapeutische Hilfe zu finden. Ihrer
Geboren in der DDR mit einem Vater aus Angola: Olivia Wenzels Debütroman "1000 Serpentinen Angst" setzt aufs Prinzip der Autofiktion.
Der Psychologe seufzt. Eigentlich, sagt er, richte sich sein Angebot an Leute, die von der Vergangenheit belastet sind. Die junge Frau, die ihm gerade ihr Herz ausgeschüttet hat, mit einiger Entschlossenheit und wachsender Verzweiflung, habe alles richtig gemacht, ihre Fragen wären im Grunde nicht therapeutisch zu klären. "Sie sind in unserem Land eben eine Minderheit."
Drei Versuche unternimmt die Ich-Erzählerin in Olivia Wenzels Debütroman "1000 Serpentinen Angst", um auf Drängen eines Freundes endlich therapeutische Hilfe zu finden. Ihrer
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Geschichte von Ausgrenzung, von all ihren Begegnungen mit Rat- und Ahnungslosen fügt das ein paar Anekdoten hinzu, an ihrer Notlage ändert sich erst einmal nichts: "Angst vor dem Einschlafen, obsessive Gedanken vor dem Einschlafen, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Grübeln, Angst vorm Grübeln, Kreislaufprobleme, Angst vor der Angst, immer weniger Schlaf, schließlich Angst vor dem Einschlafen, immer mehr Angst."
Es hatte nicht erst der Unbekannte auf der Straße das Messer zwischen die Rippen bekommen müssen, mit ihr als Einziger, die sich in all der Aufregung um ihn kümmerte: Die Erzählerin bringt tatsächlich einiges mit aus der Vergangenheit. Als Tochter einer Mutter, die immer nur wegwollte, schon als Punk in der DDR, deren Ausreisegenehmigung annulliert wurde, kurz bevor sie eigentlich gehen durfte, dann "Zerbröselung der Psyche im Stasi-Knast". Als Enkelin einer Großmutter, die einst linientreue DDR-Bürgerin war, jetzt bereit ist, "eine rechte Partei zu wählen", ebenso zugewandt wie ignorant. Als Frau, deren Zwillingsbruder sich mit neunzehn vor einen Zug geworfen hat. Und als Tochter eines Mannes, dem ihre Mutter gleich nach der Geburt der Tochter, ebenfalls mit neunzehn, eigentlich hatte hinterherziehen wollen. Er hatte die DDR verlassen müssen, zurückgehen müssen nach Angola. Jetzt schickt er Geld und schreibt E-Mails, zweimal im Jahr.
Als die Erzählerin einmal dort war, in Angola, haben die Leute "Kokosnuss" zu ihr gesagt: außen braun, innen weiß. Vielleicht könnte sie sich leichter irgendwo zugehörig fühlen, wenn ihr das nicht unentwegt abgesprochen würde. Dabei ist es eine durchaus selbstbewusste Stimme, mit der Olivia Wenzel, selbst 1985 als Person of Colour in Weimar geboren, ihre Ich-Erzählerin sprechen lässt - reflektiert, bissig, klar. Autofiktion nennt die Autorin, die bislang Theaterstücke veröffentlicht hat, ihr literarisches Verfahren. Ihrer Erzählerin ist sie einiges zu geben bereit: Empfindlichkeit und Empfänglichkeit, eine Wahrnehmungsweise, einen Erfahrungsschatz mit Bedeutung weit über dieses Buch hinaus.
Über weite Teile wird die Erzählerin befragt. Fast verhört im ersten Teil, unerbittlich, penetrant, in Großbuchstaben, mit Fragen, die aus der Einreisekontrolle bei einem Flug nach New York stammen könnten, von dem sie gerade erzählt, dann wieder mit Kommentaren, die von einem Wissen um die Erzählerin künden, das große Vertrautheit voraussetzt: "Jetzt machst du wieder das Gesicht. Lass das bitte, das ist dein weißes Privilegien-Gesicht."
Olivia Wenzels Dialoge sind präzise und spitz, geschärft an Arbeiten der Autorin für die Bühne und auf der Bühne. Sie stehen förmlich im Raum. Wie genau die Sprache in "1000 Serpentinen Angst" collagiert wird, zeigt mitunter der Wechsel in einen Tonfall, mit dem im universitären Umfeld Zugehörigkeitsfragen erörtert werden: "Die Tatsache, dass Afroamerikaner an den Nachwehen der Sklaverei leiden, mittels deren sie zu maximal Anderen degradiert wurden, löst sich vielleicht nie auf", schreibt Olivia Wenzel einmal, jetzt ganz im Essayistischen.
Eine Phantasie durchzieht das Buch: im Snack-Automaten auf einem Bahnsteig Unterschlupf zu suchen, in ihm zu leben. Mal ist das Herz der Erzählerin ein solcher Automat, mal hat ihn jemand zerquetscht "wie eine überdimensionale Bierdose", und sie ist, zerbeult und nackt, auf den Gleisen gelandet. Wenn sie damals dort, an den Gleisen, geblieben wäre, bei ihrem Bruder, statt ihn auf das Gepäck aufpassen zu lassen, während sie noch schnell in der Bahnhofshalle etwas zu essen kauft?
Wie soll sie ihn verstehen? Wie ihre Mutter, ihre Großmutter, wie sich selbst, ihr Begehren mal nach Männern, mal nach Frauen, wie ihre Schwangerschaft, wie das mit Kim, die ihr in der Nacht nach der Messerstecherei gesagt hatte, sie werde immer für sie da sein und sie auch immer lieben, aber sie sei chancenlos gegen die Vergangenheit der Erzählerin? Es gibt auch Zartheit in diesem Buch, Sanftheit, die Sehnsucht nach Sanftheit.
Im letzten der drei Teile des Romans stellt sie mitunter selbst die Fragen: mit welchem Gruß sie sich von ihrer Mutter verabschiedet hat, als sie von ihr einmal zu einer der seltenen Begegnungen in einen Bungalow im Wald gelotst worden ist? Ob hinter deren Härte jemals eine glückliche Person gesteckt habe? "Woran denke ich", fragt sie einmal, "was unterschlage ich?" Therapeutisch sind solche Fragen wirklich nicht zu klären. Olivia Wenzel stellt sie, und sie stellt sie ihrer Erzählerin: literarisch souverän. Sie unterschlägt nichts, das ist der bleibende Eindruck dieses eindrucksvollen, schonungslosen, zärtlichen Romans.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Olivia Wenzel: "1000 Serpentinen Angst". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2020. 352 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es hatte nicht erst der Unbekannte auf der Straße das Messer zwischen die Rippen bekommen müssen, mit ihr als Einziger, die sich in all der Aufregung um ihn kümmerte: Die Erzählerin bringt tatsächlich einiges mit aus der Vergangenheit. Als Tochter einer Mutter, die immer nur wegwollte, schon als Punk in der DDR, deren Ausreisegenehmigung annulliert wurde, kurz bevor sie eigentlich gehen durfte, dann "Zerbröselung der Psyche im Stasi-Knast". Als Enkelin einer Großmutter, die einst linientreue DDR-Bürgerin war, jetzt bereit ist, "eine rechte Partei zu wählen", ebenso zugewandt wie ignorant. Als Frau, deren Zwillingsbruder sich mit neunzehn vor einen Zug geworfen hat. Und als Tochter eines Mannes, dem ihre Mutter gleich nach der Geburt der Tochter, ebenfalls mit neunzehn, eigentlich hatte hinterherziehen wollen. Er hatte die DDR verlassen müssen, zurückgehen müssen nach Angola. Jetzt schickt er Geld und schreibt E-Mails, zweimal im Jahr.
Als die Erzählerin einmal dort war, in Angola, haben die Leute "Kokosnuss" zu ihr gesagt: außen braun, innen weiß. Vielleicht könnte sie sich leichter irgendwo zugehörig fühlen, wenn ihr das nicht unentwegt abgesprochen würde. Dabei ist es eine durchaus selbstbewusste Stimme, mit der Olivia Wenzel, selbst 1985 als Person of Colour in Weimar geboren, ihre Ich-Erzählerin sprechen lässt - reflektiert, bissig, klar. Autofiktion nennt die Autorin, die bislang Theaterstücke veröffentlicht hat, ihr literarisches Verfahren. Ihrer Erzählerin ist sie einiges zu geben bereit: Empfindlichkeit und Empfänglichkeit, eine Wahrnehmungsweise, einen Erfahrungsschatz mit Bedeutung weit über dieses Buch hinaus.
Über weite Teile wird die Erzählerin befragt. Fast verhört im ersten Teil, unerbittlich, penetrant, in Großbuchstaben, mit Fragen, die aus der Einreisekontrolle bei einem Flug nach New York stammen könnten, von dem sie gerade erzählt, dann wieder mit Kommentaren, die von einem Wissen um die Erzählerin künden, das große Vertrautheit voraussetzt: "Jetzt machst du wieder das Gesicht. Lass das bitte, das ist dein weißes Privilegien-Gesicht."
Olivia Wenzels Dialoge sind präzise und spitz, geschärft an Arbeiten der Autorin für die Bühne und auf der Bühne. Sie stehen förmlich im Raum. Wie genau die Sprache in "1000 Serpentinen Angst" collagiert wird, zeigt mitunter der Wechsel in einen Tonfall, mit dem im universitären Umfeld Zugehörigkeitsfragen erörtert werden: "Die Tatsache, dass Afroamerikaner an den Nachwehen der Sklaverei leiden, mittels deren sie zu maximal Anderen degradiert wurden, löst sich vielleicht nie auf", schreibt Olivia Wenzel einmal, jetzt ganz im Essayistischen.
Eine Phantasie durchzieht das Buch: im Snack-Automaten auf einem Bahnsteig Unterschlupf zu suchen, in ihm zu leben. Mal ist das Herz der Erzählerin ein solcher Automat, mal hat ihn jemand zerquetscht "wie eine überdimensionale Bierdose", und sie ist, zerbeult und nackt, auf den Gleisen gelandet. Wenn sie damals dort, an den Gleisen, geblieben wäre, bei ihrem Bruder, statt ihn auf das Gepäck aufpassen zu lassen, während sie noch schnell in der Bahnhofshalle etwas zu essen kauft?
Wie soll sie ihn verstehen? Wie ihre Mutter, ihre Großmutter, wie sich selbst, ihr Begehren mal nach Männern, mal nach Frauen, wie ihre Schwangerschaft, wie das mit Kim, die ihr in der Nacht nach der Messerstecherei gesagt hatte, sie werde immer für sie da sein und sie auch immer lieben, aber sie sei chancenlos gegen die Vergangenheit der Erzählerin? Es gibt auch Zartheit in diesem Buch, Sanftheit, die Sehnsucht nach Sanftheit.
Im letzten der drei Teile des Romans stellt sie mitunter selbst die Fragen: mit welchem Gruß sie sich von ihrer Mutter verabschiedet hat, als sie von ihr einmal zu einer der seltenen Begegnungen in einen Bungalow im Wald gelotst worden ist? Ob hinter deren Härte jemals eine glückliche Person gesteckt habe? "Woran denke ich", fragt sie einmal, "was unterschlage ich?" Therapeutisch sind solche Fragen wirklich nicht zu klären. Olivia Wenzel stellt sie, und sie stellt sie ihrer Erzählerin: literarisch souverän. Sie unterschlägt nichts, das ist der bleibende Eindruck dieses eindrucksvollen, schonungslosen, zärtlichen Romans.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Olivia Wenzel: "1000 Serpentinen Angst". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2020. 352 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Für mich [...] eins der krassesten Leseerlebnisse des Jahres. [...] ganz abgesehen von der Thematik ist es in der literarischen Bauart eines der besten Bücher 2020. Deniz Ohde Deutschlandfunk Kultur 20201213
Wie eine Woge kommt dieser ungewöhnliche Debütroman über den Leser.
Olivia Wenzels Protagonistin teilt einige Daten der Autorin.
Der Beginn besteht aus einer langen Selbstbefragung (so jedenfalls verstehe ich diese Form), die teilweise sehr hart ist, wie ein strenges …
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Wie eine Woge kommt dieser ungewöhnliche Debütroman über den Leser.
Olivia Wenzels Protagonistin teilt einige Daten der Autorin.
Der Beginn besteht aus einer langen Selbstbefragung (so jedenfalls verstehe ich diese Form), die teilweise sehr hart ist, wie ein strenges Verhör.
Das ist so intensiv wie quälerisch zu lesen, bis sich der Stil nach einer Weile ändert. Es gibt einige Erinnerungen an ihre Kindheit im Osten, an ihren verstorbenen Bruder und ihre Großmutter sowie dem alltäglichen Rassismus, der ihre Jugend prägt so dass sie inzwischen an einer Angststörung leidet.
Viele Passagen beschreiben ihre Gefühlslage dazu. In dieser manchmal verstörenden Form habe ich das kaum einmal gelesen. Das macht den Roman zu einem einzigartigen Leseerlebnis.
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Die Jury des diesjährigen Deutschen Buchpreises scheint eine Vorliebe für Häppchenliteratur zu haben – zumindest ist es nach ‚Aus der Zuckerfabrik‘ bereits das zweite Buch, das keine fortlaufende Geschichte erzählt, sondern aus eher kurzen Sequenzen …
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Die Jury des diesjährigen Deutschen Buchpreises scheint eine Vorliebe für Häppchenliteratur zu haben – zumindest ist es nach ‚Aus der Zuckerfabrik‘ bereits das zweite Buch, das keine fortlaufende Geschichte erzählt, sondern aus eher kurzen Sequenzen zusammengesetzt ist. Tja, und ich muss feststellen: Meins ist das nicht.
Eine junge schwarze Frau, geboren und aufgewachsen in der DDR, erzählt – obwohl, nein, das stimmt nicht, sie erzählt nicht, sie antwortet. Es sind Dialoge, in denen die junge Frau von einer meist unbestimmten Person zu bestimmten Ereignissen usw. befragt wird, die sie dann mehr oder weniger ausführlich beantwortet. Es geht um Alltagserfahrungen aus der Kindheit wie aus ihrem Erwachsenenleben; der Enge und die fehlende Freiheit in der DDR; der alltägliche Rassismus in Ost und West; in den USA plötzlich das Gefühl zu haben, Teil einer Gemeinschaft zu sein; um Liebe, Einsamkeit und Familie.
Doch es kommt kein richtiger Lesefluss auf, obwohl es richtige gute Stellen in diesem Buch gibt, die beispielsweise deutlich machen, was es bedeutet, als BürgerIn eines Landes in der Minderheit zu sein:
"Was soll mir meine weiße Großmutter antworten auf die Frage, …, was es bedeutet, keinen Ort zu kennen, an dem man selbst die Norm ist?" (S. 82)
Aber dieses dauernde Frage-Antwort-Spiel, das von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit springt, empfand ich irgendwann einfach nervig und ertappte mich dabei, dass ich anfing diagonal zu lesen. Kein gutes Zeichen.
Dazu surrealistisch anmutende Szenen, in denen ein Snackautomat eine wichtige Rolle spielt – ach ne, das ist mir doch zu viel des Guten. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur altmodisch.
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Mit „1000 Serpentinen Angst“ hat die in Berlin lebende Autorin Olivia Wenzel ihren ersten Roman vorgelegt. Wie schon der Titel andeutet, leidet ihre unbenannte Protagonistin, eine junge Frau im Alter von Mitte 30 und Projektmanagerin im E-Commerce, unter einer Angststörung. Sie hat …
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Mit „1000 Serpentinen Angst“ hat die in Berlin lebende Autorin Olivia Wenzel ihren ersten Roman vorgelegt. Wie schon der Titel andeutet, leidet ihre unbenannte Protagonistin, eine junge Frau im Alter von Mitte 30 und Projektmanagerin im E-Commerce, unter einer Angststörung. Sie hat Flugangst, Angst vor Terror in allen Abstufungen und schließlich Angst vor der Angst. Aber sie ist aufgeschlossen, wissbegierig und vor allem reiselustig. Sie beobachtet genau und speichert die Szenen ab, um sie jederzeit wieder abrufen zu können. Leider sind ihre Erinnerungen nicht immer positiver Art.
Die Autorin lässt in ihre Geschichte durchgehend symbolisch einen Snackautomaten als Herz der jungen Frau einfließen. Sie steht immer wieder an einem Bahnsteig vor einem solchen Kasten. Die Orte, an denen sie sich dabei aufhält, sind wechselnd über die ganze Welt verstreut, Der Inhalt des Automaten ist vielfältig, so bunt wie das Leben. Als Kind hat sie für ihr Taschengeld Kaugummi mit Goodie gezogen, aber was sie sich gewünscht hat, ist selten erschienen. Heute kann sie direkt wählen, doch die große Auswahl macht es ihr nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen. Später ist der Automat kleiner und damit unauffälliger geworden. Um die Sicht auf den Inhalt zu erhalten, muss die Protagonistin sich bücken, sich selbst klein machen und sich biegen, aber die Auswahl ist vorhanden und es tut gut, sich seinen Wunsch zu erfüllen.
Geboren ist die junge Frau im Osten Deutschlands als Tochter einer alleinerziehenden Mutter und eines angolanischen Vaters, der in die Heimat zurückgekehrt ist. Bei ihrer Großmutter, dem Sozialismus verbunden, ist sie gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder eine Weile aufgewachsen. Ihre Mutter hat sich als Jugendliche zum Punk gewandelt und auf diese Art gegen das System rebelliert. Im Teenageralter hat die Protagonistin einen großen Verlust hinnehmen müssen. Aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe fiel sie oft ungewollt auf.
Für die junge Frau ist es nicht einfach, ihren eigenen Weg zu finden und gesellschaftspolitisch eine eigene Meinung zu bilden. Sie lehnt jede Art von Gewalt ab genauso wie jede Form der Diskriminierung.
Olivia Wenzel findet eine ganz eigene Erzählweise. Ihr Roman ist in drei Teile geteilt. Der erste und letzte Teil ist vorwiegend im Frage-Antwort-Stil geschrieben. Die Fragen sind durchgehend in Großbuchstaben geschrieben und dementsprechend fordernd. Die fragende Person bleibt unbenannt. Das Stil erinnerte mich teils an Pressekonferenzen, bei denen die Interviewer vorbereitete Fragen stellen, auch wenn sie nicht zur Situation passen, weil es Fragen sind, die zu ihnen gehören und die sie immer in ihrem Repertoire haben. Die junge Frau antwortet, bleibt gelassen, rückversichert sich und lässt manchmal durch die Fragen angeregt ihre Gedanken schweifen. Während des dritten Teils ändert sich die fragende Person und schlüpft in die Rolle der jungen Frau, die nun aus zwei Perspektiven spricht.
Die Mitte des Romans besteht zu einem großen Teil aus der Betrachtung von Fotos, die für das Leben der jungen Frau von Bedeutung sind. Rückblicke auf Kindheit und Jugend stehen neben Reisen in die USA und nach Vietnam, der Heimat einer ihrer Freundinnen, während sie ebenso ihren Alltag in Berlin meistert.
Olivia Wenzels Roman „1000 Serpentinen Angst“ ist vielschichtig. Er vermittelt Lebensfreude ebenso wie Ängste, von denen man sich aber nicht entmutigen lassen sollte. Liebe in allen Schattierungen und die Frage danach, wo man sich Zuhause fühlt sind weitere Themen. Während des Lesens fragte ich mich häufiger, wie viel Selbsterlebtes die Autorin in ihre Geschichte einfließen ließ, vor allem weil sie eine große Empathie für ihre Figuren und deren Handlungen zeigt. Gerne empfehle ich den Roman weiter.
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Dreifach diskriminiert
Im Themenspektrum zeitgenössischer deutscher Belletristik hat inzwischen auch die Rassismus-Problematik einen festen Platz, Olivia Wenzel liefert mit ihrem Romandebüt «1000 Serpentinen Angst» einen vielbeachteten Beitrag dazu. Die junge, …
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Dreifach diskriminiert
Im Themenspektrum zeitgenössischer deutscher Belletristik hat inzwischen auch die Rassismus-Problematik einen festen Platz, Olivia Wenzel liefert mit ihrem Romandebüt «1000 Serpentinen Angst» einen vielbeachteten Beitrag dazu. Die junge, künstlerisch vielseitig tätige Schriftstellerin, als ‹Afrodeutsche› in Weimar geboren, bezeichnet ihren autofiktionalen Roman im Interview mit der taz als «Coming-out als Nicht-Weiße». Ein Entwicklungsroman also, dessen Protagonistin nicht sie selber sei, sondern eine «düstere Variante» von ihr, mit der sie allerdings die titelgebende ‹Angst› gemeinsam habe. Nachdem sie aus Thüringen weggezogen sei, spüre sie deutlich eine Entspannung, im Bus schaue sie sich nicht mehr «die ganze Zeit um, ob irgendwo Nazis sitzen. Und ich schaue auch nicht, wer mit mir aussteigt».
Dieser Roman behandelt die Konsequenzen, die sich aus der dreifachen Diskriminierung als Farbige, Frau und Ossi für die namenlose, 35jährige Protagonistin ergeben. Ihr Vater musste die DDR verlassen und ist nach Afrika zurückgegangen, es besteht nur ein loser Kontakt mit ihm per E-Mail. Einmal hat sie ihn in Angola besucht, als erfolgreicher Geschäftsmann unterstützt er sie seit einiger Zeit auch finanziell. Die Mutter hatte als aufmüpfige Punkerin im sozialistischen Arbeiter- und Bauernparadies viele Probleme, sie hat mehrfach versucht, ihre Zwillingskinder wegzugeben und auszureisen. Auch heute steckt sie scheinbar immer noch in nicht genannten Schwierigkeiten, jedenfalls versteckt sie sich vor irgendwem. Der Zwillingsbruder nahm sich 17jährig das Leben, die einst linientreue Großmutter hat sich politisch nach rechts orientiert und wird bei der nächsten Wahl ‹die Rechten› wählen. Nach diversen heterosexuellen Affären und Beziehungen hat die Protagonistin in der Vietnamesin Kim eine lesbische Lebensgefährtin gefunden, und zu guter Letzt wird sie dann auch noch schwanger und ist damit ziemlich überfordert.
All dies ist nicht in einen als Handlung zu bezeichnenden Plot eingebettet, der dreiteilige Roman berichtet vielmehr extrem fragmentarisch davon, und zwar in einer an das Theater erinnernden, dialogischen Erzählform. Diese Gedankensplitter sind weder chronologisch noch thematisch geordnet, sie folgen eher der chaotischen Weise, in der verschiedenste Reflexionen gedanklich spontan verarbeitet werden. Leitmotivisch erscheint dabei häufig ein Verkaufsautomat, der einerseits die materielle Gier des Kindes nach Kaugummis oder irgendwelchem Tinnef ausdrückt, den man mittels Taschengeld aus dessen Schublade entnehmen kann. Die Ich-Erzählerin imaginiert ihn aber auch in den verschiedensten Träumen als einen Zufluchtsort vor den Bedrohungen der Welt, in den sie sich dann immer wieder verkriecht. Wegen ihrer Angstpsychose ist sie bei drei verschiedenen Therapeuten in Behandlung, ohne dass man ihr wirklich helfen kann. Ihre Probleme lägen ja nicht in der Vergangenheit, heißt es, sondern sind gegenwärtig. «Sie sind in unserem Land eben eine Minderheit» lautet lapidar die wenig hilfreiche Diagnose.
Stilistisch ungewöhnlich ist die verhörartige Erzählweise, mit der die Autorin ihr Thema rassistischer Ausgegrenztheit literarisch umsetzt, eine der Stimmen stellt immer wieder übergriffige Fragen. Die Sprache dabei ist lässig, ein flippiger, betont heutiger Jugendslang, der häufig mit englischen Einschüben angereichert ist und in seiner Lakonie oft zum Schmunzeln Anlass gibt. Wer da jeweils spricht bei diesen funkelnden Wortgefechten, das ist ungewiss, die Stimme aus dem Off beeinträchtigt jedoch weder Lesefluss noch Verständnis. «Woran denke ich, was unterschlage ich?» ist alles, was die Autorin vermitteln will. Und sie findet dafür in einer Art Katharsis eine versöhnliche Formel, indem sie bekennt, dass es ihr gut geht in Berlin und auch, dass sie ihre Identität keinesfalls verdrängen darf. Also versucht sie selbstbewusst, sich gesellschaftlich zu emanzipieren, - ihr als Leser dabei zu folgen lohnt sich.
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eBook, ePUB
„1000 Serpentinen Angst“ steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020. Hier berichtet die Ich-Erzählerin, deren Namen der Leser nie erfährt, von ihrem Leben. Von ihren Angstzuständen und den Schwierigkeiten bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten. Ihre …
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„1000 Serpentinen Angst“ steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020. Hier berichtet die Ich-Erzählerin, deren Namen der Leser nie erfährt, von ihrem Leben. Von ihren Angstzuständen und den Schwierigkeiten bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten. Ihre Hautfarbe macht sie zu einem Individuum. Sie wächst in einem kleinen Ort in der DDR auf und hat schon früh unter Neonazis zu leiden. Ihre Mutter war 19 als sie die Zwillinge entband. Der Zwillingsbruder starb schon mit 17 und der Vater ging zurück nach Angola, bevor die beiden Kinder geboren wurden. Eigentlich wollte die Mutter mit ausreisen, die Mächtigen der DDR verweigerten ihr das aber trotz Ausreisegenehmigung.
Es war für mich nicht leicht, den vielen verschiedenen Handlungssträngen zu folgen. Jedoch wurde ich durch die schöne Sprache entschädigt. Zitat: „Was sagt es über ein Land, wenn es mehrheitlich ekelhafte Lappen wie Mario Barth gut findet?“ Die Autorin schreibt über Kindheit und Jugend und der Zugehörigkeit zur FDJ und SED. Das mit der SED war die Großmutter. Die Mutter war Punk und das kam in der Dorfgemeinschaft nicht gut an. Später dann versucht die Tochter sich zu befreien. Von dem „Manko“ eine „Schwarze“ zu sein und immer und überall aufzufallen. Stets fallen dumme Bemerkungen darüber. Sie besucht New York und Hanoi und lebt zeitweilig in Berlin oder in Thüringen. Eine bunte Mischung aus Interview und Biographie verfasste die Autorin mit dem Buch. Es war anstrengend zu lesen aber auch mitreißend geschrieben. Daher gebe ich vier Sterne und empfehle es vornehmlich jungen Lesern. Vielleicht bin ich zu alt für diesen Schreibstil.
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