Simple und wirkungsvolle Vorschläge
Für ihr aufrüttelndes Plädoyer, Kinder, besonders aus Familien mit Migrationshintergrund, vor einer Karriere als Schulabbrecher und Intensivtäter zu bewahren, zieht Kirsten Heisig Daten aus ihrer Tätigkeit als Jugendrichterin im Berliner Bezirk Neukölln heran.
Der Stadtteil mit 300.000 Einwohnern, die aus mehr als 160 Nationen stammen, gelangte durch das…mehrSimple und wirkungsvolle Vorschläge
Für ihr aufrüttelndes Plädoyer, Kinder, besonders aus Familien mit Migrationshintergrund, vor einer Karriere als Schulabbrecher und Intensivtäter zu bewahren, zieht Kirsten Heisig Daten aus ihrer Tätigkeit als Jugendrichterin im Berliner Bezirk Neukölln heran. Der Stadtteil mit 300.000 Einwohnern, die aus mehr als 160 Nationen stammen, gelangte durch das engagierte Auftreten des Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky in den Mittelpunkt öffenlichen Interesses. Die Autorin konzentriert sich auf beispielhafte kriminelle Karrieren von Jugendlichen aus anonymisierten abgeschlossenen Strafverfahren, die sich auch bei Kindern deutscher Herkunft meist schon sehr früh abzeichnen. Am Schicksal der Kevins und Kimberleys in Berlin-Pankow zeigt sie die Kombination aus Vernachlässigung, Alkoholkonsum der Eltern, Schulabbruch und Gewalt auf. Schon an ihrem ersten Arbeitsplatz erlebte Heisig das Durchreichen von gefährdeten Kindern zwischen Familie, Pflegefamilie und Heim, bis sie auf der Straße landeten. Der Blick in den Alltag einer Jugendrichterin zeigt, was eine zügige Strafverfolgung verhindert und entlarvt die Forderung nach neuen Gesetzen oder strengeren Strafen durch Politik und Medien als Populismus. Die deutschen Gesetze sind nach Heisigs Erfahrung ausreichend, sie müssten nur konsequent und bei Jugendlichen zügig umgesetzt werden. Eine schnelle Reaktion sei gerade bei noch nicht strafmündigen Jugendlichen wichtig, die durch Sachbeschädigung oder Beleidigung zum ersten Mal die "Muskeln spielen lassen". - ... Studien mit dem Ergebnis, die Kriminalität Jugendlicher sei in Deutschland inzwischen rückläufig, widersprechen laut Heisig dem Erleben der Bürger. Dass die befragten Neuntklässler allein dadurch, dass sie es überhaupt bis zur 9. Klasse geschafft haben, schon keine repräsentative Auswahl aus ihrer Alterskohorte sein können, lässt Heisig an der Aussagekraft einer dieser Studien zweifeln. - Heisig moniert, dass 20% der Hauptschüler in Neukölln die Schule schwänzen, ohne dass Eltern oder Behörden einschreiten, obwohl der Zusammenhang zwischen Schuleschwänzen und Straftaten belegt ist. ... Eines der größten Hindernisse bei der Bekämpfung von Gewaltkrimminalität unter Jugendlichen ist nach Heisig die mangelhafte Kommunikation zwischen Jugendamt, Polizei und Gerichten. Datenschutz wirke hier längst als Täterschutz. Als Grund für die erschreckende Gewaltkriminalität Jugendlicher, die mit den Mitteln der Strafjustiz nicht mehr zu bewältigen sei, führt Heisig das Versagen der Eltern, sowie eine von Armut und Drogenkonsum geprägte Kindheit an. Den ursächlichen Zusammenhang zwischen Computernutzung und Gewalt kann sie nicht belegen. Heisigs reflexartiges Gleichsetzen eines Lebens unter der Armutsgrenze mit Gewalt und Alkoholkonsum empfand ich als einseitig populistisch. - ... Politiker, die sich zukünftig zur Jugendkriminalität äußern, werden sich daran messen lassen müssen, wie sie es mit einer verbesserten Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit und einer Personalausstattung der Gerichte halten, die die von Heisig geforderte zügige Strafverfolgung sicherstellt. (In Berlin stehen 48 von 326 rechnerisch vorhandenen Staatsanwalts-Planstellen in der Praxis nicht zur Verfügung.) - Heisigs Streitschrift ist dort überzeugend, wo sie konkret aus ihrer täglichen Praxis berichtet und mit Zahlen aufwarten kann. Ihr Ton klingt desillusioniert, beinahe zynisch. Wenn Heisigs weit über ihre tägliche Arbeitszeit hinaus engagierte Tätigkeit als Statsanwältin und Jugendrichterin in "ihrem Kiez" in der scherzhaften Bemerkung eines Rektors gipfelt "Frau Heisig, den Elternabend halten wir beide dann in einer Telefonzelle, da sind wir wenigstens zu zweit," versteht man, wie ihre kompromisslose Schelte unverbesserlicher Sozialromantiker zustande gekommen ist.