Tim Pieper nimmt sich anfangs etwas Zeit, einem das Leben in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts näher zu bringen und so dauert es auch nicht lange bis man dank seinem bildgewaltigen, einnehmenden Sprachstil die Flaniermeile Unter den Linden mit seinen Landauer und Droschken, Gaslichtern, eleganten
Damen und fein gekleideten Herrn vor Augen hat. Aber auch die andere Seite von Berlin zeigt er einem,…mehrTim Pieper nimmt sich anfangs etwas Zeit, einem das Leben in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts näher zu bringen und so dauert es auch nicht lange bis man dank seinem bildgewaltigen, einnehmenden Sprachstil die Flaniermeile Unter den Linden mit seinen Landauer und Droschken, Gaslichtern, eleganten Damen und fein gekleideten Herrn vor Augen hat. Aber auch die andere Seite von Berlin zeigt er einem, wo Wäscherinnen in stinkenden Hinterhöfen leben, Prostituierte mühsam versuchen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen und Arbeiter oftmals von der Hand in den Mund leben. Zusätzlich erfährt man viel über die politisch angespannte Lage im Kaiserreich, lernt Menschen unterschiedlichster Herkunft kennen und selbst Kaiser Wilhelm II. findet kurz Erwähnung. Diese Details und Informationen lässt der Autor immer wieder in seinen Krimi wie nebenbei mit einfließen und so wirkt der Krimi atmosphärisch sehr dicht umgesetzt und zeigt, dass sich Tim Pieper intensiv mit den geschichtlichen Hintergründen befasst hat.
Die reine Krimihandlung beginnt nach dem düsteren Prolog etwas langsam, jedoch durchweg interessant und unterhaltsam. Kontinuierlich baut Tim Pieper seine Story auf, die sich äußerst komplex entwickelt und stetig an Dramatik zunimmt. Weiter Morde geschehen, politische Attentate werden verübt und immer wieder wechselt der Autor die Handlungsstränge. So dauert es auch nicht lange bis er einem den Mörder mit seinem krankhaften Verhalten präsentiert, doch um wen es sich handelt oder gar, warum er diese Morde begeht, bleibt einem bis zum Schluss ein Rätsel. So gestaltet sich der Krimi nicht nur fesselnd und im Laufe der Story immer spannender, sondern man rätselt selbst gebannt bis zum Schluss mit und die Auflösung ist wirklich gelungen und überzeugend.
Das Hauptaugenmerk liegt bei den Ermittlungen von Otto wie auch auf dessen Privatleben, was im Verlauf immer mehr ineinanderfließt, je mehr Otto in die Mordermittlung einsteigt. Dabei bedient er sich natürlich hauptsächlich seinem Fachwissen als Kriminologe, allerdings handelt er oftmals auch ziemlich impulsiv, was aber auch zu seiner Mentalität passt. Der begeisterte Fahrradfahrer, der sogar an den Deutschen Meisterschaften in München teilnimmt, lebt zusammen mit seinem Leibdiener Moses, einem farbigen 17-jährigen jungen Mann, in der Familienvilla „Klein Sanssouci“ im Grünen. Otto hatte den Waisenjungen einige Jahre zuvor von einer seiner Reisen aus Südwest-Afrika mitgebracht. Untypisch für die damalige Zeit duzen die Beiden sich und Moses ist in seinem Verhalten Otto gegenüber oftmals ziemlich frech und fast schon respektlos, was regelmäßig bei ihren Wortgefechten für einige Schmunzler sorgt.
Fazit: Wer Krimis mag, die sich nicht nur auf die reine Mordermittlung konzentrieren, sondern dem Protagonisten wie auch seinem Umfeld und den geschichtlichen Hintergründen genug Platz einräumt und eine vielschichtige, spannende Story erwartet mit Charakteren, die äußerst ausgefeilt und authentisch beschrieben sind, wird von Tim Piepers „Mord unter den Linden“ begeistert sein.