Elizabeth Strout, Mit Blick aufs Meer, Luchterhand 2010, 351 Seiten, ISBN 978-3-630-87330-5
Der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Roman der 1956 geborenen Schriftstellerin Elizabeth Strout, die erst spät zum Schreiben kam, hat ein zunächst wenig spektakuläres, ja auf den ersten Blick sogar
biederes Sujet. Sie beschreibt das Leben von Menschen in einer idyllischen Kleinstadt an der Küste von…mehrElizabeth Strout, Mit Blick aufs Meer, Luchterhand 2010, 351 Seiten, ISBN 978-3-630-87330-5
Der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Roman der 1956 geborenen Schriftstellerin Elizabeth Strout, die erst spät zum Schreiben kam, hat ein zunächst wenig spektakuläres, ja auf den ersten Blick sogar biederes Sujet. Sie beschreibt das Leben von Menschen in einer idyllischen Kleinstadt an der Küste von Maine, der Stadt Crosby im Nordosten der USA. Alles scheint geregelt zu sein, der sonntägliche Kirchgang und klare gesellschaftlichen Rollen prägen und festigen das Leben der Menschen.
Doch schon bald stellt der Leser, der das Buch mit wachsendem Interesse und Neugier liest und von einer Geschichte zur nächsten eilt, fest, dass der erste Eindruck trügerisch ist und dass hinter den Vorhängen der kleinen Einfamilienhäuser wenig in Ordnung ist und sich nicht selten wahre Familiendramen abspielen.
Im Original heißt das Buch schlicht „Olive Knitterigde“ und das passt viel besser zu einem Buch, in der diese Frau quer über Jahrzehnte in fast allen Episoden auftaucht. Sie ist in ihrem Hauptberuf Lehrerin an der örtlichen Schule und, älter werdend, hat sie intime Kenntnisse von fast allen ehemaligen Schülern und deren Familienverhältnissen. Sie besitzt eine Persönlichkeit , die anderen Menschen Respekt einflösst, und weil sie die Wahrheit sagt, die Dinge beim Namen nennt, ist sie nicht bei allen beliebt.
Olive ist verheiratet mit Henry, der die örtliche Apotheke leitet, im Unterschied zu der skeptischen Olive jeden Sonntag in die Kirche geht, und sonst seiner Frau gerne das Zepter der Lebensregie überlässt. Die wiederum kümmert sich während ihrer Zeit als Lehrerin und auch lange danach nicht nur um ihre Arbeit und ihren Mann, sondern Elizabeth Strout schildert sie als eine sich auch ungefragt einmischende aktive Frau, die anpackt, Menschen hilft und sie unterstützt und dabei gar nicht an sich und ihren Ruf denkt. Es sind eng miteinander verbundene Episoden, die Strout von Menschen aus Crosby erzählt, auch über Olives eigene Familie, ihren Mann, der der Ehe mit ihr so manches Mal entfliehen möchte und dann doch als treuer und verständnisvoller Ehemann bleibt, bis er zwei Jahre dement ins Heim muss und dann dort stirbt. Es gibt eine Menge Geschichten über ihren Sohn, der sich von seiner Mutter bevormundet fühlt, und von einer Schwiegertochter, zu der sie einfach keinen echten Kontakt bekommt.
Immer wieder ist Olive Knitterigde involviert in jene Einzelschicksale, zu dessen Beobachter Strout ihre Leser macht. Manchmal denkt man, sie sei einfach nur neugierig, doch hinter allen Bemühungen von Olive ihr ganzes Leben lang steckt viel Mitgefühl mit all den Menschen, die es nie schafften, auch nur einen ihrer Träume wirklich zu leben. Zu ihnen gehört Olive durchaus dazu, doch mit zunehmendem Alter lernt sie, für sich selbst zu sorgen und nach dem Tod von Henry, den sie auf ihre Art geliebt hat, gelingt es ihr noch einmal mit einem Mann, den sie immer übersehen hatte, so etwas wie auch körperliches Glück zu empfinden.
„Mit Blick aufs Meer“ ist ein leiser, ein sensibler Roman, dem es gelingt, hinter die Oberfläche menschlicher Schwächen und Sehnsüchte zu blicken und in ihnen durch die Hauptperson Olive Knitterigde das zu sehen, was sie sind: Menschen, die kämpfen um ihr Leben und ihr Glück, so wie jeder andere in jede anderen Stadt der Welt.