Autor im Porträt
Ralf Rothmann
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Die Nacht unterm Schnee
Broschiertes Buch
Winter 1945: Verwundet liegt die sechzehnjährige Elisabeth, ein Landarbeiterkind, in einem Bunker unter der Erde und wird von einem russischen Deserteur gepflegt. Durch das Ofenloch hört sie Schritte im Schnee, und fiebernd stellt sie sich vor, dass dort oben nicht nur alle, die sie kennt und mag, ihre Eltern und Brüder, die Oma aus Danzig, sondern auch ihr künftiger Mann und die ungeborenen Kinder nach ihr suchen und sich über die Trümmer entfernen, ohne zu ahnen, dass sie darunter liegt. Und plötzlich denkt die Vergewaltigte, dass es gut so ist, dass sie nie mehr hinaufwill zu ihnen, zu allem, und für immer in dieser Nacht, diesem Frieden unter dem Schnee bleiben möchte. Aber sie muss ihr Leben zu Ende leben.
In einem atemberaubend geschriebenen Panorama der frühen Nachkriegsjahre zeichnet Ralf Rothmann das Portrait einer Frau, der stets die Angst im Weg steht, während ihr das Durchlittene jedes Gefühl dafür nimmt, welches Leid sie anderen zufügt; einer lebenslang hart arbeitenden Frau und Mutter, die von einem Rummel zum anderen tanzt, um nicht mehr zur Besinnung zu kommen, und vor der man sich doch verneigen muss: weil sich in ihrer Verzweiflung der Wille zur Liebe ausdrückt.
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In einem atemberaubend geschriebenen Panorama der frühen Nachkriegsjahre zeichnet Ralf Rothmann das Portrait einer Frau, der stets die Angst im Weg steht, während ihr das Durchlittene jedes Gefühl dafür nimmt, welches Leid sie anderen zufügt; einer lebenslang hart arbeitenden Frau und Mutter, die von einem Rummel zum anderen tanzt, um nicht mehr zur Besinnung zu kommen, und vor der man sich doch verneigen muss: weil sich in ihrer Verzweiflung der Wille zur Liebe ausdrückt.
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13,00 €
Theorie des Regens
Gebundenes Buch
»Immer habe ich den Regen geliebt - solange ich nicht nass wurde. Die Welt ist friedlicher, wenn es regnet, still sitze ich am Fenster und höre zu, wie der Wolkenbruch das Laub der Linde, die Postkästen und die leeren Flaschen hinter dem Bistrot zum Klingen bringt. So flüssig schriebe ich gern. Die ganze rue Delambre ist bis zur letzten Laterne auf eine glänzende Weise ausformuliert, und ich blicke durch die Tropfen auf der Fensterscheibe wie durch winzige, schnell zerlaufende Prismen auf mein Leben.«
Ralf Rothmanns Notizen aus fünfzig Jahren: So persönliche wie lyrische, so grimmige wie humorvolle Momentaufnahmen aus den Erinnerungen eines Autors, von dem wir viele wunderbare Romane und Erzählungen kennen und der uns hier mit wenigen Worten vor Augen führt, was versöhnen könnte mit den Zumutungen der Mitwelt und der viel zu rasch vergehenden Zeit: Eine poetische Existenz.
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Ralf Rothmanns Notizen aus fünfzig Jahren: So persönliche wie lyrische, so grimmige wie humorvolle Momentaufnahmen aus den Erinnerungen eines Autors, von dem wir viele wunderbare Romane und Erzählungen kennen und der uns hier mit wenigen Worten vor Augen führt, was versöhnen könnte mit den Zumutungen der Mitwelt und der viel zu rasch vergehenden Zeit: Eine poetische Existenz.
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24,00 €
© Franka Bruns/Suhrkamp Verlag
Ralf Rothmann
Rothmann, RalfRalf Rothmann wurde am 10. Mai 1953 in Schleswig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Volksschule (und einem kurzen Besuch der Handelsschule) machte er eine Maurerlehre, arbeitete mehrere Jahre auf dem Bau und danach in verschiedenen Berufen (unter anderem als Drucker, Krankenpfleger und Koch). Er lebt seit 1976 in Berlin.Kundenbewertungen
Der Gott jenes Sommers
Nach der Lektüre des mittlerweile in 25 Sprachen übersetzten hervorragenden Romans „Im Frühling sterben“ aus dem Jahr 2015, der die dramatische und bewegende Geschichte zweier fast noch jugendlicher deutscher Soldaten erzählte, war meine Erwartung an den neuen Roman Ralf Rothmanns hoch, sehr hoch. Doch wie so viele andere Leser im Netz bleibe ich nach der Lektüre dieses 252 - seitigen Romans eher ratlos und skeptisch zurück. Der Roman fällt hinter die literarische Qualität seines Vorgängers und auch vieler anderer Romane von Rothmann zurück.
In „Der Gott des Sommers“ beschreibt Rothmann, der seine Stimme der zwölfjährigen Luisa Norff leiht, ein Dorf in Schleswig-Holstein in den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945. So wie in diesem Dorf, in das Luisa zusammen mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester aus dem ausgebombten Kiel auf das Gut ihres Verwandten und hochrangigen SS- Offiziers Vinzent geflohen ist, mag es damals in vielen deutschen Ortschaften zugegangen sein. Ein Alltagsleben voller Verblendung und Denunziation, zunehmende Verzweiflung und Zweifel machen sich breit. Jeder versucht seine eigene Haut zu retten, angesichts näher rückender Alliierter und immer mehr Flüchtlingen aus dem Osten, die im Ort hängen geblieben sind.
Vinzent ist mit Luisas sehr viel älterer Halbschwester Gudrun aus der ersten Ehe der Mutter verheiratet und kommt nur sporadisch mit Unmengen von Essen und anderen kriegsknappen Dingen nach Hause. Verwaltet wird das Gut von dem Ehepaar Thamling, das dafür sorgt, dass der übliche Betrieb aufrechterhalten wird.
Es scheint also, als ob Luisa dort die letzten Kriegsmonate gut überleben könnte. Doch sie sieht das brennende Kiel aus ihrem Fenster und begegnet bei verbotenen Besuchen des nahen Waldes ausgehungerten Kriegsgefangenen, die dort in Baracken wie Sklaven als Torfstecher gehalten werden. Ein Massengrab wird man nach dem Krieg dort finden.
Immer mehr Flüchtlinge müssen in Ställen und Nebengebäuden des Gutes untergebracht werden, während sich Luisa vor all dem, was sie an Schrecklichem beobachtet, vor all den Fragen, die sich ihr stellen und auf sie keine Antwort erhält oder findet, in ihre Bücher flüchtet.
Rothmann besticht nach wie vor durch einen beeindruckenden Stil und eine wirklich schöne Sprache. Dennoch kann man sich bei fortschreitender Lektüre als Leser, der schon viele Romane aus dieser Zeit und mit diesen Themen gelesen hat (zuletzt Rothmanns letzten aus dem Jahr 2015) des Eindrucks nicht erwehren, dass Rothmann sowohl in der Handlung als auch bei seinen Charakteren allzu viele Klischees einsetzt.
Ein interessantes Element des Buches ist hingegen der fiktive, von Rothmann kapitelweise eingestreute Bericht des Schreibers Bredelin Merxheim in barockem Deutsch über die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Der Schreiber, der an Grimmelshausen und Gryphius(ein Gedicht von ihm steht dem Buch als Motto vor) erinnert, lässt inmitten der Kriegswirren eine Kapelle bauen, um seinen nach Brandschatzung, Raub, Mord und Vergewaltigung verlorenen Mitmenschen in Gott wieder einen Halt zu geben. Über diese Botschaft Rothmanns habe ich lange nachgedacht und würde gerne mal mit ihm darüber sprechen.
Auch Luisa Norff will nach Ende der Schreckensjahre im Kloster Halt finden und Nonne werden: an ihrem 13. Geburtstag ist das junge Mädchen überzeugt, nach dem Mord am britischen Piloten,den sie gesehen hat, nach der erlebten Hinrichtung des Schwagers, dem Selbstmord des Vaters, dem Verschwinden der Schwester und ihrer Vergewaltigung durch den eigenen Schwager das weltliche Dasein bereits in allen Facetten gelebt und erlebt zu haben: „Ich hab alles erlebt!“, sagt sie am Ende eines Buches voller Humanität jenseits religiöser Dogmatik.
Christoph Schröder hat Ralf Rothmann einen Schriftsteller genannt, „den nicht die Reflexion, sondern das bloße Erzählen und die Evokation starker, aussagekräftiger Bilder antre
Im Frühling sterben
Bewertung von Winfried Stanzick am 02.07.2015
Ralf Rothmann. Im Frühling sterben, Suhrkamp 2015, ISBN 978-3-518-42475-9
In seinem neuen Roman „Im Frühling sterben“ erzählt Ralf Rothmann die Geschichte von zwei siebzehnjährigen Jungen, Walter und Fiete, die Anfang 1945 noch zur Waffen-SS eingezogen werden und in Ungarn auf eine dramatische Weise sich ein letztes Mal gegenüberstehen.
Ralf Rothmann hat die Geschichte von Walter und Fiete in eine Rahmenhandlung gekleidet, die zu der Vermutung Anlass gibt, dass der Roman den einen oder anderen autobiographischen Hintergrund hat.
Er stellt seinen Roman unter ein biblisches Motto aus dem Buch des Propheten Ezechiel: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.“
Wir befinden uns zu Beginn der Erzählung Anfang des Jahres 1945 auf einem großen Bauernhof in Schleswig-Holstein. Walter (ist in ihm die Vaterfigur Rothmanns versteckt?) und Fiete, beide gerade mal 17 Jahre alt, arbeiten dort als Melker, als sie bei einem geschickt getarnten Fest der NS- Bauernorganisation quasi gezwungen werden, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Die Ausbildung erleben sie noch zusammen, doch dann werden sie an getrennte Einsatzorte geschickt. Walter arbeitet als Ungarn als Fahrer, immer hinter der Front. Was er dort allerdings sieht und erlebt, ist erschütternd und wird ihn später sein ganzes Leben lang stumm machen und verschlossen und seinem Sohn ein Rätsel, das er damit zu lösen versucht, indem er sich schreibend dem Schicksal seines Vaters nähert.
Höhepunkt des Dramas ist die Wiederbegegnung Walters und Fietes auf dem Richtplatz, nachdem Fiete wegen eines im betrunkenen Zustand versuchten Fluchtversuchs exekutiert wird. Vorher hatte Walter noch unter Lebensgefahr seinen Vorgesetzten, der ihm etwas schuldig war, um Gnade für seinen Freund gebeten.
Wie Ralf Rothmann sich diesem Schicksal nähert, ist große Literatur. Mit einer einfühlsamen und poetischen Sprache gelingt es ihm, die letzten Monate des Krieges zu beschreiben und die erste Zeit nach dem Krieg, als Walter über mehrere Stationen glücklich wieder nach Hause kommt (ohne Verletzung und Behinderung) und seine Freundin seinen Heiratsantrag annimmt. Doch auch ihr gegenüber und erst recht später seinem eigenen Sohn gegenüber, dessen Erzählung diesen beeindruckenden Roman umschließt, kann er sich nicht öffnen, und wie so viele andere aus dem Krieg an Leib und Seele Versehrten schweigt er sein ganzes Leben lang, bis auf sein Totenbett.
Indem Ralf Rothmann den Sohn sich in die Geschichte seines Vaters erzählend hineinversetzen lässt, verschafft er nicht nur ihm eine literarische Art von Befreiung, sondern gibt auch vielen älteren Lesern, die wie der 1954 geborene Rezensent in ihrer Kindheit und Jugend lange mit dem Schweigen der Großväter und Väter leben mussten, so etwas wie eine späte Antwort.
Walters Freund Fiete lässt er an einer Stelle, als Walter in ihn der Todeszelle besucht, etwas sagen, was die Situation dieser Nachgeborenen gut beschreibt. Fiete erwähnt seinen Vater, einen Arzt:
„Und einmal, als ich meine Träume erwähnte, sagte er mir, dass es ein Gedächtnis der Zellen in unserem Körper gibt, auch den Samen- und Eizellen also, und das wird vererbt. Seelisch oder körperlich verwundet zu werden macht etwas mit den Nachkommen. Die Kränkungen, die Schläge oder die Kugeln, die dich treffen, verletzen auch deine ungeborenen Kinder, sozusagen. Und später, wie liebevoll behütet sie auch heranwachsen mögen, haben sie panische Angst davor, gekränkt, geschlagen oder erschossen zu werden. Jedenfalls im Unterbewusstsein, in den Träumen.“
Das lange quälend Unausgesprochene bekommt mit diesem Roman Ausdruck und Form. Auf eine so überzeugende Weise, dass dieses Buch für mich ein Anwärter auf den Deutschen Buchpreis 2015 ist.
Im Frühling sterben
Mein Großvater, dazumals selbst als junger Bursch als letzte Hoffnung an die Front geschickt, hat mir einiges aus dieser Zeit erzählt und ich habe auch schon vieles an Biographien und Geschichtsbücher gelesen, aber es ist immer wieder erschreckend wie brutal und grausam in dieser Zeit agiert und reagiert wurde - selbst in den eigenen Reihen.
In diesem Buch wird die Geschichte von Walter erzählt - ein junger SS-Soldat, der, wie so viele, nichts mit dem Krieg zu tun haben wollte und noch am Ende zwangsrekrutiert wurde, um den erhofften Endsieg doch noch zu erlangen.
Dabei hat er es als Versorgungsfahrer noch mehr oder weniger gut getroffen, da ihm somit die Front erspart blieb.
Man durchlebt mit ihm Fliegeralarme, Bombeneinschläge, die Angst vor dem näherrückenden Iwan, kroteske Besäufnisse, Grausamkeit und Kaltblütigkeit gegenüber sog. Partisanen und selbst in den eigenen Reihen, den Zwang mitmachen zu müssen, um nicht selbst an die Wand gestellt zu werden, etc.
Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft, der Erzählstil schonungslos und ergreifend. Ohne Beschönigung und Glorifizierung wird einem hier die Sicht eines Soldaten beschrieben.
Der Autor schafft es dieses Buch spannend und facettenreich zu gestalten und schlägt auch mal ruhige und nachdenkliche Töne an. So beschreibt dieser Roman nicht nur Gräueltaten, sondern auch was damals Hoffnung, Freundschaft, Kameradschaft und auch Mut bedeuteten.
Durch diesen Roman wird wieder einmal mehr bewusst, dass diese Zeit nicht nur für die sog. "Feinde" und die Zivilbevölkerung grausam und beängstigend war, sondern auch für die Soldaten. Denn viel zu oft wird vergessen, dass nicht alle der Soldaten (egal ob SS oder Wehrmacht) von Hitlers Ideologie überzeugt waren, mit Freuden in den Krieg zogen, Feinde aus dem Weg räumten oder zu Gräueltaten fähig waren.
Dieser Roman ist keineswegs leicht zu lesen, aber welches Buch mit dieser Thematik ist das schon? - egal, ob aus Soldatensicht, aus der Sicht eines jüdischen Überlebenden oder aus der Sicht der Zivilbevölkerung.
Das sollte einem jedoch nicht daran hindern dieses Buch zu lesen, denn nichtsdestotrotz ist dieses Buch gute Literatur die auf jeden Fall Aufmerksamtkeit verdient.
Fazit:
Für schwache Nerven und Mägen ist dieser äußerst authentische Roman nichts und auch mit starken Nerven ist dieser Roman nicht leicht zu lesen - erschreckend, ergreifend, traurig, schonungslos.
Der Autor schafft es trotzdem diese Thematik in einen spannenden Roman zu verpacken. Denn so erschreckend und bedrückend vieles ist, so interessant und aufschlussreich ist es auch.
Dieser Roman ist bis jetzt eines meiner wenigen Lesehighlights dieses Jahres und bekommt daher eine absolute Leseempfehlung.
Im Frühling sterben
Deutschland, Frühling 1945, das Ende des Krieges ist bereits zu ahnen. Doch die Waffen-SS rekrutiert gnadenlos jeden, dessen sie habhaft werden kann. So müssen die beiden 17jährigen Melker Walter und Fiete, beste Freunde, in die Kommandantur in Hamburg-Langenhorn einrücken, von wo aus sie nach drei Wochen Ausbildung nach Ungarn abkommandiert werden. Walter, der einer der Wenigen mit Führerschein ist, landet als Fahrer bei einer Versorgungseinheit der Waffen-SS, während es Fiete an die Front verschlägt.
Der Inhalt dieses Buches ist so grauenvoll, dass es mir nicht möglich war, mehr als 40 bis 50 Seiten am Stück zu lesen; danach musste das Gelesene erst mal verdaut werden. Das bedeutet nicht, dass hier die Grausamkeiten des Krieges bis ins kleinste Detail beschrieben werden - es existieren Krimis, die wesentlich blutrünstiger und brutaler sind. Es ist eher das Gegenteil: Fast schon poetisch (Ist das nicht ein Widerspruch? Kann man Entsetzliches poetisch erzählen?) wird Walters Leben in dieser Kriegszeit geschildert, so präzise und sorgfältig, als würde man neben ihm stehen. Gefühle oder Stimmungen werden ausgespart, was keinen Mangel darstellt, denn der Autor verfügt über eine derart ausdrucksstarke Sprache, dass es keine zusätzlichen Beschreibungen braucht, um zu wissen, wie es in Walter aussieht. Rothmann nutzt eigene Wortkreationen (‚Überdunkelt von seiner Vergangenheit, …‘) und Begriffe, die so selten genutzt werden, dass sie wohl nur den Wenigsten geläufig sein dürften, dafür aber umso präziser sind (beispielsweise Vulkanfiber = Werkstoff, der auch beim Schild der Mützen der Waffen-SS zum Einsatz kam; oder Kalvarienhügel = religiöse Andachtsstätten der Katholiken, die umfangreiche Nachbildungen der Kreuzigung Christi und seines Leidensweges darstellen.).
Ein wirklich grandioses Buch, das den Krieg in all seiner Schrecklichkeit zeigt, ohne dass dazu in irgendeiner Form irgendwelche Extreme genutzt werden mussten.
Der Gott jenes Sommers
Mit zwiespältigem Gefühl bleiben wohl viele Leser nach Lektüre des im Mai bei Suhrkamp erschienenen Romans „Der Gott jenes Sommers“ von Ralf Rothmann zurück. Immerhin war der vorangegangene, in 25 Sprachen übersetzte Band „Im Frühling sterben“ (2015) über die Dramen am Rande der Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges ein viel gelobter Bestseller, weshalb die Erwartungen an diesen Folgeband vielleicht zu hoch waren.
„Der Gott jenes Sommers“ beschreibt am Beispiel einer Familie und ihres Umfeldes in Schleswig-Holstein das Alltagsleben wohl vieler Deutscher in den letzten Kriegsmonaten vor dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches – ein Leben voller Verblendung und Denunziation, von Verzweiflung und einem Dasein nach dem Motto „Rette sich, wer kann“. Die Handlung wird aus Sicht der 12-jährigen Luisa Norff geschildert, die nach Bombardierung ihrer Heimatstadt Kiel im Frühjahr 1945 mit Eltern und 19-jähriger Schwester Billie auf das nahe Gut geflohen ist, das ihrem Schwager Vinzent, einem hochrangigen SS-Offizier, gehört, der mit Luisas wesentlich älteren Halbschwester Gudrun aus Mutters erster Ehe verheiratet ist. Hier versucht Luisa die letzten Monate ihrer Kindheit an der Grenze zur Pubertät zu genießen. Der Alltag auf dem Gutshof, verwaltet vom Ehepaar Thamling, geht abseits des Kriegsgeschehens noch seinen üblichen Gang. Nur aus ihrem Fenster sieht Luisa das brennende Kiel. Beim verbotenen Durchstreifen des Waldes erkennt sie in einem Barackenlager verhärmte Gestalten – Kriegsgefangene, die zum Torfstechen versklavt sind; nach Kriegsende wird man dort ein Massengrab finden. Immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten werden in Nebengebäuden, Ställen und Scheunen auf dem Gutshof untergebracht. Täglich neue Beobachtungen lassen bei der Zwölfjährigen, die sich in die Welt der Bücher flüchtet, immer wieder Fragen aufkommen, auf die sie nur ansatzweise oder keine Antworten erhält.
Beeindruckend im Sprachstil beschreibt der 1953 in Schleswig geborene Autor die Lebensumstände letzter Kriegsmonate in seiner Heimat Schleswig-Holstein. Doch wirkt das Erzählte auf ältere und erfahrene Leser ziemlich abgedroschen. Rothmann verarbeitet allseits bekannte Klischees sowohl in seinen Charakteren als auch in geschilderten Situationen wie jenem Tanzabend in der einst Juden gehörenden Prunkvilla des Nazi-Schwagers Vinzent: Wehrmachtsoffiziere und Nazi-Größen offenbaren hier, den eigenen Untergang vor Augen, den Verlust jeglicher Moral. Ähnlich dekadente Szenen und Stimmungsbeschreibungen sind allzu bekannt aus früherer Literatur oder Filmen. Auch die in dieser Szene zitierte Aufforderung "Genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich", ein unter NS-Funktionären damals geläufiges und viel zitiertes Motto, ist längst abgedroschen. Insofern bietet Rothmanns Roman dem älteren Leser nichts Neues, allenfalls vielleicht jüngeren Lesern.
Ein interessanter Baustein ist allerdings der fiktive, von Rothmann kapitelweise eingestreute Bericht des Schreibers Bredelin Merxheim in barockem Deutsch über die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Merxheim lässt inmitten der Kriegswirren eine Kapelle bauen, um seinen nach Brandschatzung, Raub, Mord und Vergewaltigung verlorenen Mitmenschen in Gott wieder einen Halt zu geben. Auch Luisa Norff will nach Ende der Schreckensjahre im Kloster Halt finden und Nonne werden: An ihrem erst 13. Geburtstag ist das junge Mädchen überzeugt, nach dem Mord am britischen Piloten, der Hinrichtung des Schwagers, dem Selbstmord des Vaters, dem Verschwinden der Schwester und ihrer Vergewaltigung durch den eigenen Schwager das weltliche Dasein bereits in allen Facetten gelebt und erlebt zu haben.
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