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7 Kundenbewertungen

In einer süddeutschen Kleinstadt erlebt das Mädchen Seri helle Tage der Kindheit: Tage, die sie im Garten ihrer Freundin Aja verbringt, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt und mit ihrer Mutter in einer Baracke am Stadtrand wohnt. Aber schon die scheinbar heile Welt ihrer Kindheit in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat einen unsichtbaren Sprung: Seris Vater starb kurz nach ihrer Geburt, und Ajas Vater, der als Trapezkünstler in einem Zirkus arbeitet, kommt nur einmal im Jahr zu Besuch. Karl, der gemeinsame Freund der Mädchen, hat seinen jüngeren Bruder verloren, der an einem…mehr

Produktbeschreibung
In einer süddeutschen Kleinstadt erlebt das Mädchen Seri helle Tage der Kindheit: Tage, die sie im Garten ihrer Freundin Aja verbringt, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt und mit ihrer Mutter in einer Baracke am Stadtrand wohnt. Aber schon die scheinbar heile Welt ihrer Kindheit in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat einen unsichtbaren Sprung: Seris Vater starb kurz nach ihrer Geburt, und Ajas Vater, der als Trapezkünstler in einem Zirkus arbeitet, kommt nur einmal im Jahr zu Besuch. Karl, der gemeinsame Freund der Mädchen, hat seinen jüngeren Bruder verloren, der an einem hellblauen Frühlingstag in ein fremdes Auto gestiegen und nie wieder gekommen ist. Es sind die Mütter, die Karl und die Mädchen durch die Strömungen und Untiefen ihrer Kindheit lotsen und die ihnen beibringen, keine Angst vor dem Leben haben zu müssen und sich in seine Mitte zu begeben. Zsuzsa Bánk erzählt die Geschichte dreier Familien und begleitet ihre jungen Helden durch ein halbes Leben: Als Seri, Karl und Aja zum Studium nach Rom gehen, wird die Stadt zum Wendepunkt ihrer Biographien - und zur Zerreißprobe für eine Freundschaft zwischen Liebe und Verrat, Schuld und Vergebung.

Nach ihrem hochgelobten Debütroman »Der Schwimmer« schreibt Zsuzsa Bánk die bewegende Geschichte dreier Kinder, die den Weg ins Leben finden. »Die hellen Tage« ist ein großes Buch über Freundschaft und Verrat, Liebe und Lüge - über eine Vergangenheit, die erst allmählich ihre Geheimnisse enthüllt, und die Sekunden, die unser Leben für immer verändern.
Autorenporträt
Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete als Buchhändlerin und studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie als Autorin in Frankfurt am Main. Für ihren ersten Roman 'Der Schwimmer' wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Deutschen Bücherpreis, dem Jürgen-Ponto-Preis, dem Mara-Cassens-Preis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Für 'Unter Hunden' aus ihrem Erzählungsband 'Heißester Sommer' erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis. Auch ihre Romane 'Die hellen Tage' und 'Schlafen werden wir später' wurden große Erfolge. Zuletzt erschien 'Sterben im Sommer'.Literaturpreise:Open Mike-Preis 2000Jürgen-Ponto-Preis 2002aspekte-Literaturpreis 2002Deutscher Bücherpreis 2003Mara Cassens Preis 2003Bettina-von-Arnim-Preis 2003Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung 2004
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2011

Plötzlich im letzten Sommer

Bilder des Schreckens, Bilder des Glücks - Zsuzsa Bánks zweiter Roman "Die hellen Tage" nimmt uns mit auf eine lange Reise in die Kindheit

Dies ist ein zweites Buch. Und wie jedes zweite Buch wird es am ersten gemessen und entsprechend gezaust. Einerseits, heißt es, gleiche es dem erfolgreichen Vorgänger zu sehr, andererseits zu wenig. Zu sehr, weil es die gleichen Themen und Stimmungen habe, Schwermut, Heimatlosigkeit, das Ende der Kindheit, die kaputten Seelen der Erwachsenen, Freundschaft, Familie, Verlust. Und zu wenig, weil es eben auch wieder anders sei, an anderen Orten, zu anderen Zeiten spielend, mit einer anderen Ich-Erzählerin, die irgendwie nicht so konkret, nicht so packend, nicht so hautnah sei wie die erste. Ach.

Es ist ein Kreuz mit den zweiten Büchern: Sie können es denen, die die ersten Bücher gelesen haben, nie recht machen. Dabei sollte man erst einmal froh sein, dass es das zweite Buch überhaupt gibt. Dass es die sprachliche, die gedankliche, die thematische Höhe des ersten hält. Und dass es dazu noch eine andere, breiter angelegte, aber der vorigen wiederum nicht völlig entgegengesetzte Geschichte erzählt. Es gibt ja so viele Anfänge in der deutschen Literatur - und so wenig Kontinuität. So viel Tasten und Ausprobieren und Originellseinwollen - und so wenig Sicherheit in Stil und Form. Unsicher aber, tastend, unbeholfen, ist dieses Buch gerade nicht. Es weiß ganz genau, was es will und wie es seinen Willen bekommt. Es biegt mit uns nicht um drei Ecken und setzt uns dann vor irgendeiner aufzementierten Binsenweisheit ab, sondern nimmt uns mit auf eine lange, beseelte Reise in die Melancholie.

Vor neun Jahren veröffentlichte die damals siebenunddreißigjährige Zsuzsa Bánk ihren Debütroman "Der Schwimmer". Das Buch, das die Odyssee einer Rumpf-Familie - Vater, Sohn und Tochter, die Mutter ist in den Westen geflohen - im sozialistischen Ungarn schilderte, wurde ein Verkaufserfolg, empfing Preise und hymnische Kritiken. Danach bekam die Autorin zwei Kinder, publizierte einen Band mit Erzählungen und nahm einen langen Anlauf für ihren zweiten Roman: "Die hellen Tage". Jetzt ist das Buch da. Es erzählt von Therese, genannt Seri, und ihrer Freundin Aja, die in den sechziger Jahren in einem Dorf in Süddeutschland aufwachsen. Aber hören wir selbst:

"Wir müssen uns im Sommer begegnet sein, im Sommer, der Aja umgab, als gehöre er ihr, als gehörten sein Licht, sein Staub, seine langen hellen Abende ihr . . . Wir küssten und umarmten uns schnell, wie Mädchen es häufig tun, auch wenn es Aja sonst mit niemandem tat, auch später nicht, und wir ließen nicht mehr voneinander, auch wenn ich nicht weiß, warum Aja ausgerechnet mich aussuchte, mich einlud und in ihr Leben bat, ein Leben, das anders war alles, was mir zuvor begegnet war, anders als alles, was ich kannte, und das mir fern erschien, größer und weiter als meines, und sich abspielte an einem Ort ohne Zeit und Grenzen. Ich weiß nicht, was es war, das sie in meine Nähe drängte . . . Ich habe Aja nie danach gefragt, und heute spielt es keine Rolle mehr. Heute sind wir, wer wir sind, und wir fragen nicht danach, wir suchen nicht nach Gründen."

Wenn man solche Sätze liest, wird klar, dass man dieses Buch nicht allein von seinem Inhalt her verstehen kann. Es hat einen Ort, es hat Figuren und eine Handlung, aber vor allem hat es einen Klang, der in der deutschen Literatur vorher nicht zu hören war, eine Art des Sprechens, die an die Satzperioden eines Thomas Bernhard und zugleich an die wehmütigen Ekstasen eines Sándor Márai erinnert, an Hofmannsthal wie an Handke (den Handke des "Gewichts der Welt", nicht den der "Niemandsbucht"), einen Ton, der in "Der Schwimmer" schon da war, aber hier noch nachgestimmt und verfeinert ist. Es gibt ein Heute und ein Damals in diesem Roman, und zwischen beiden fließt ein gleichmäßig an- und abschwellender Strom rhapsodischen Erzählens, ein Pulsieren von Worten, das immer wieder zurück an den Anfang drängt, in die früheste, die unschuldigste Zeit, die Zeit der hellen Tage.

Dort liegt das Glück. Und dort liegt zugleich die Wurzel des Unglücks, denn das Bretterhäuschen am Dorfrand, in dem Aja zusammen mit ihrer Mutter Évi wohnt, hat eine Vorgeschichte, und ihr Vater, der sich von den Kindern Zigi rufen lässt, wenn er sich für jeweils drei, vier Monate bei Évi einquartiert, bevor er wieder den Dampfer nach New York besteigt, hütet ein Geheimnis, das Ajas Leben viele Jahre später aus den Angeln heben wird. Auch Seri hat ein solches Familiengeheimnis: Ihr Vater, ein Spediteur, ist kurz nach einer Geschäftsreise nach Rom gestorben und hat nur einen Koffer hinterlassen, den ihre Mutter jahrzehntelang auf dem Beifahrersitz ihres Autos spazieren fährt, als fürchte sie sich, darin eine Bombe zu finden. Sie fürchtet sich zu Recht.

Noch schwärzer ist das Schicksal von Karl, dem Jungen, den Aja und Seri als Dritten in ihren Bund aufnehmen und der während ihres gemeinsamen Studiums als Gegenstand geteilter erotischer Interessen zwischen ihnen stehen wird. Ben, Karls kleiner Bruder, ist eines Tages am helllichten Tag in ein fremdes Auto gestiegen und verschwunden, seine Eltern, schon vorher getrennt, haben ihren Schmerz unter Sprachlosigkeit und Apathie begraben. Wie als Zeichen seines Versehrtseins trägt Karl eine dreieckige Narbe auf seiner Stirn, dort, wo ihn als Baby ein fallendes Bügeleisen getroffen hat, während Aja zwei Finger an einer Hand fehlen, abgetrennt von einem zersplitterten Laternenglas an einem lange zurückliegenden Wintertag. Nur Seri trägt kein sichtbares Wundmal, vielleicht, weil sie die wunde Stelle der Geschichte selbst ist, die Wunde, aus der die Erinnerung fließt.

Denn je klarer die Figuren dieses Romans den Riss in ihrer Idylle sehen, je deutlicher sie ihr Unglück, ihren Verlust, ihre Selbstverstümmelung erkennen, desto sehnsüchtiger blicken sie auf die Tage zurück, an denen sie noch nichts von alledem wussten, an denen ihr Bild vom Leben und der Welt noch heil war. Und die Kunst der Erzählerin Zsuzsa Bánk besteht darin, diese Sehnsucht und die Wirklichkeit, der sie entkommen will, immer genau im Gleichgewicht zu halten, die Bilder des Schreckens und die Bilder der Lust, den schwarzen Vogel, der sich in Karls Gedanken drängt, und die Elfen, die er mit seiner allerersten Kamera fotografiert, die Eifersucht Seris auf Karl und Aja und das Glück, das sie in ihrer Gegenwart genießt.

Deshalb überschreitet dieser Roman, in dem es von Linden, Platanen, Weizenfeldern, Klatschmohn, und Efeu wimmelt, in dem eine Rosenhecke das Haus des verschwundenen Jungen überwuchert und der Bach vor Évis Fenster rauscht, auch nie die Grenze zum Kitsch. Denn es kennt die hellen Tage nur als Vorderseite der dunklen. In die Seiten seines Poesiealbums ist der Totenkopf eingestempelt. Keine der zentralen Figuren stirbt in "Die hellen Tage", aber bei manchen kann man schon den Punkt in der Ferne sehen, an dem ihre Lebenslinien enden. Selbst in dem, was es auslässt, ist das Buch so präzise wie eine von Karls geisterhaften Fotografien.

Kirchblüt heißt das Dorf. Évi und Zigi, ihr saisonweise wiederkehrender Mann, sind Zirkusartisten, ebenso wie jene Frau, die man nur unter ihrem Codenamen "Libelle" kennenlernt und deren Rolle in Ajas Leben erst ganz zum Schluss enthüllt wird. Einige der wichtigsten Szenen der Geschichte spielen in Heidelberg, und als die drei Freunde entscheiden müssen, wo sie ihr Studium beginnen wollen, gehen sie selbstverständlich nach Rom. Es sind die Wege und Welten der deutschen Romantik, die hier in der Maske einer Sechziger-Jahre-Kindheit beschworen werden, von Eichendorffs "Taugenichts" bis zu den späten Prosablumen eines Hermann Hesse. Dass jemand diesen Sehnsuchtston noch einmal treffen würde, war in den Zeiten von Facebook und Youtube nicht zu erwarten. Um so beglückender, dass es Zsuzsa Bánk gelungen ist, in einem Buch, dessen einziger Makel darin besteht, dass es irgendwann aufhört.

ANDREAS KILB

Zsuzsa Bánk: "Die hellen Tage". Roman. S. Fischer, 541 Seiten, 21,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2011

Im Schatten junger Dreiecksblüte
Zsuzsa Bánks schwacher Roman „Die hellen Tage“ über eine zerbrechende Kinderfreundschaft biegt das Politische ins Private zurück – und müht sich um eine mythisierte Zeitgeschichte
Wer im wirklichen Leben eine Geschichte erzählt, folgt meist einfach seinem Temperament und der Situation. Einem Bekannten an der Bushaltestelle wird man etwas anderes erzählen als einer vertrauten Person im ausführlichen Gespräch, selbst wenn man vom selben Ereignis berichtet. Was im alltäglichen Umgang intuitiv geschieht, ist in der Literatur eine bewusste Entscheidung. Wie sich ein Autor seinen Stoff zurechtlegt, erkennt man am besten an der Wahl des Erzählers. Will er uns alles möglichst umfassend berichten, oder schränkt er die Sicht von vornherein ein? Nur der auktoriale Erzähler kann das Geschehen aus mehreren Perspektiven beleuchten. Leider ist er ein wenig aus der Mode gekommen, zugunsten des Ich-Erzählers, der lediglich seine eigene Sicht wiedergeben kann. Ist er eine originelle Figur, ein Fabulierer, Sonderling, Spinner wie Tristram Shandy oder Oskar Matzerath, so ist die Sache schon fast gewonnen. Verloren aber ist sie, wenn es sich um einen Langweiler handelt, dem jede Besonderheit fehlt. Denn der Erzähler ist gleichsam die Linse, durch die wir das Geschehen betrachten.
Ihren Debütroman „Der Schwimmer“ hat die 1965 in Frankfurt am Main geborene Zsuzsa Bánk aus der Perspektive eines Kindes erzählt. Das Mädchen Kata zieht mit seinem Vater und dem kleinen Bruder ziellos durch Ungarn, nachdem die Mutter das Land Richtung Westen verlassen hat. Für den atmosphärisch dichten Roman, der 2002 erschienen ist und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, leuchtete das ein. Er spielt in der Zeit des gescheiterten Aufstands von 1956, der auch die Eltern der Autorin aus Ungarn vertrieb. Doch die politischen Umstände bilden nur den Hintergrund für eine Geschichte ganz anderer Art. „Der Schwimmer“ erzählt von der Verlorenheit eines von der Mutter verlassenen Mädchens, das sich um den schwermütigen Vater und den empfindsamen Bruder sorgt. Dass wir die Welt, die Kata nicht begreift, mit ihren Augen wahrnehmen, ist ein Kunstgriff, der dem Roman seine besondere Stimmung verleiht.
Umso enttäuschender war Zsuzsa Bánks erster Erzählungsband drei Jahre später. „Heißester Sommer“ versammelt zwölf Geschichten von erschütternder Belanglosigkeit. Sie drehen sich fast immer um zwei Freundinnen, die zu Rivalinnen werden. Eine melancholische Reizbarkeit bestimmt die Atmosphäre der im Präsens erzählten Geschichten, eine Sehnsucht, die ziellos ins Leere läuft: zurück in ein unbestimmtes „Damals“ oder voran in eine ebenso vage Zukunft.
Man fällt also nicht aus allen Wolken, wenn die Autorin neun Jahre nach ihrem gefeierten Erstling noch einmal nachzubauen versucht, was damals so erfolgreich war. Doch der Ungarn-Bezug, von dem sie in Interviews behauptete, sie wolle ihn lieber los sein, als darauf festgelegt zu werden, wird dieses Mal zu Folklore. Und das Setting dieses sich über fast dreißig Jahre und 550 Seiten hinziehenden Romans lässt eher an die putzige Bebauung einer Modelleisenbahn denken als an irgendetwas, das mit Phantasie erfunden und durch eigene Erfahrung belebt worden wäre.
In einer fiktiven Kleinstadt namens Kirchblüt, die dicht am Neckar und in der Nähe Heidelbergs liegt, freunden sich drei Kinder miteinander an. Alle drei gehören zu Familien, bei denen ein Mitglied schmerzhaft abwesend ist. Die eigensinnige Aja Kalócs, die bei einem Autounfall zwei Finger verloren hat, stammt aus Ungarn. Sie lebt mit ihrer Mutter in einer ausgebauten Holzhütte am Rand der Stadt. Évi war Artistin wie ihr Mann Zigi, der jeden Sommer für ein paar Wochen zu Besuch kommt und sonst mit einem Zirkus durch die Gegend zieht. Évi und Zigi verbindet ein dunkles Geheimnis, von dem wir erst am Ende des Romans erfahren. Es soll hier nicht verraten werden, obwohl sich die Autorin nicht einmal die Mühe macht, es vorzubereiten. Ganz am Schluss lässt sie die Katze aus dem Sack, so als wäre es ihr eben erst eingefallen.
Maria Bartfink betreibt das örtliche Speditionsunternehmen. Ihre Tochter Therese, genannt Seri, ist die Erzählerin. Viel gibt es nicht über sie zu sagen, außer dass sie ungefähr im gleichen Alter sein muss wie Aja, die am 31. Juli 1958 geboren wurde. Das immerhin wird uns mitgeteilt, obwohl dieser Roman mit konkreten Zeitangaben geizt, als gelte es, ein neues mythisches Zeitalter zu errichten. Dass Seris Vater sehr früh an einem Herzinfarkt gestorben ist, erfahren wir spät, und noch viel später, welches Geheimnis sein Koffer barg, der beim Rückflug von seiner letzten Geschäftsreise nach Rom nicht mit nach Hause gekommen war. Maria Bartfink holt ihn nach dem Tod ihres Mannes am Flughafen ab und fährt ihn fortan zweiundzwanzig Jahre auf dem Beifahrersitz ihres Wagens spazieren. Als sie ihn endlich öffnet, muss sie feststellen, dass ihr Mann ein Doppelleben führte.
Als Dritter im Bunde macht Karl aus der Freundschaft zwischen Aja und Seri ein zumindest in Kindheitstagen stabiles Dreieck. Später kommt es, wie so oft bei Zsuzsa Bánk, zur Konkurrenz zwischen den beiden Frauen. Dazu passt, dass auch er ein Dreieck am hübschen Kopf hat, das Brandmal eines Bügeleisens. Bei einer Rangelei mit dem jüngeren Bruder war es auf sein Haupt gefallen. Er ist mit seiner Mutter nach Kirchblüt gezogen, kurz nachdem ein anderer Junge verschwunden war, der allein bei seinem Vater lebte. Es war sein Bruder Ben. Als Schatten begleitet er ihn durch den Roman, anwesend abwesend und mit Schuldgefühlen verknüpft.
Der Roman wimmelt von Analogien und abstrusen Details. Doch ein übergeordneter Bauplan lässt sich nicht erkennen. Trotz seiner Geheimniskrämerei entwickelt er keinerlei Spannung. Das liegt nicht zuletzt an der eigenschaftslosen Ich-Erzählerin. „Ich hatte gepasst, es war leicht, mich zu übergehen, ich war wenig genug, um nicht zu stören“ – so lautet treffend Seris Urteil über sich selbst, als sie entdecken muss, dass sich Aja und Karl ineinander verliebt haben. Da lebt das Trio längst nicht mehr in Kirchblüt, hat in Heidelberg studiert und ist mittlerweile nach Rom gezogen. Doch die realen Städte bleiben so blass wie das fiktive Städtchen. Immer wieder ruft der Roman die gleichen Ereignisse auf, ohne sie sprachlich zu variieren oder gar zu vertiefen. Mit der Zeit kommt man sich vor wie in einer Dia-Show, deren Gastgeber eingeschlafen ist und nicht bemerkt, dass sich die Bilder in Endlosschleife wiederholen.
Die Sprache des Romans mythisiert auch dort, wo Deutlichkeit angebracht wäre. Viele Sätze laufen ins Ungefähre und versacken dann, in einer Art Rückwärtsbewegung, in sich selbst. In einer Kindheitserzählung mag das funktionieren, nicht aber bei einem Roman, der sich über dreißig Jahr erstreckt und auch historisches Bewusstsein verlangt. Die Autorin verspielt ihren Stoff, weil sie eine Figur zur Erzählerin macht, die nichts von der Wirklichkeit wissen will. „Die hellen Tage“ endet mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und biegt selbst dieses Ereignis in eine Kindheitserinnerung zurück: in den Klang des schiefhängenden Gartentors des pittoresken Häuschens der Familie Kalócs, den Seri auch dann noch vernimmt, als das Tor längst repariert ist. MEIKE FESSMANN
ZSUZSA BÁNK: Die hellen Tage. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 541 Seiten, 21,95 Euro.
Neun Jahre nach ihrem
gefeierten Erstling will die
Autorin den Erfolg wiederholen
Der Roman verspielt sein Kapital,
denn er macht eine ahnungslose
Figur zur Erzählerin
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Wenn Zsuzsa Bank ihre Kindheitsidylle um die drei Kinder Seri, Aja und Karl in Kirschblüt in märchenhafter Schönheit entfaltet, folgt ihr Hartmut Wilmes noch ziemlich willig, wenn er die Autorin auch recht knapp am Kitsch vorbeisegeln sieht. Wenn die Autorin allerdings ihre mittlerweile erwachsenen Protagonisten nach Rom, New York und zuletzt zurück ins entzauberte Kindheitsparadies schickt, zögerlich dunkle Familiengeheimnisse und die Schäbigkeit der Erwachsenen aufdeckt, kann sie den Rezensenten nicht mehr recht überzeugen. Wilmes findet, dass die Schilderungen der mittlerweile erwachsenen Seri, die eifersüchtig und verletzt der Zweisamkeit ihrer Freunde zuschaut, seltsam "blass" und unanschaulich bleiben und beim Entzaubern der heilen Kindheitswelt mysteriöser herumgeraunt wird, als dem Roman gut tut. Wenn es Bank am Ende gelingt, die "Trauer" um das verlorene Paradies mitreißend zu beschwören, dann kann das den Rezensenten dennoch nicht davon überzeugen, mehr als "hochpoetisches Kunstgewerbe" vor sich zu haben.

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