REZENSION – Vor einem Jahrzehnt hatte Petra Oelker (73) ihre um das Jahr 1770 in der Hansestadt spielende Kriminalreihe mit dem zehnten Band „Die Nacht des Schierlings“ abgeschlossen. Nun folgte doch noch mit „Im schwarzen Wasser“ ein elfter Band, der trotz zehnjähriger Schreibpause chronologisch an
den Vorgängerband anschließt und wieder mit einem Mord beginnt.
Im Mai 1774 wird in der Gerberei…mehrREZENSION – Vor einem Jahrzehnt hatte Petra Oelker (73) ihre um das Jahr 1770 in der Hansestadt spielende Kriminalreihe mit dem zehnten Band „Die Nacht des Schierlings“ abgeschlossen. Nun folgte doch noch mit „Im schwarzen Wasser“ ein elfter Band, der trotz zehnjähriger Schreibpause chronologisch an den Vorgängerband anschließt und wieder mit einem Mord beginnt.
Im Mai 1774 wird in der Gerberei an der Kleinen Alster – damals ein See südlich der Binnenalster, heute nur noch ein schmaler Fleet am Rathausmarkt – der Leichnam eines jungen Mannes in der Lohebrühe gefunden. Niemand kennt den Fremden, der sich erst seit wenigen Tagen in der Stadt aufhielt und sich als Erfinder ausgab. Wem mag dieser Unbekannte nach nur wenigen Tagen schon im Weg gewesen sein? Weddemeister Wagner kommt bei der Aufklärung dieses geheimnisvollen Falles nicht voran.
Wer nun in Oelkers Roman einen echten Krimi erwartet, dürfte bald enttäuscht sein. Denn spannend ist „Im schwarzen Wasser“ nicht unbedingt. Der Weddemeister, den man als Vorgänger heutiger Kriminalkommissare sehen kann, geht seiner Arbeit eher lustlos nach, und die Ermittlung tritt in der nachfolgenden Handlung fast völlig in den Hintergrund. Erst im letzten Fünftel dieses 400-Seiten-Romans nimmt der Kriminalfall wieder Fahrt auf, endet dann aber unerwartet. Die eigentlichen Hintergründe, die letztlich zur Lösung des Falles geführt haben, erfahren wir von der Autorin, fast als seien sie Nebensache, in einem kurzen, abschließenden Rückblick. Dieser Roman ist also keineswegs, wie vom Verlag irreführend angegeben, ein Krimi, stattdessen aber eine lebensechte Alltagsschilderung des Lebens und Arbeitens im aufstrebenden Hamburg zur Zeit des Wandels von der mittelalterlichen Hansestadt in die neuzeitliche vorindustrielle Handels- und Hafenstadt.
So gesehen, ist der Autorin eine faszinierende historische Abhandlung gelungen, die vor allem jenen Lesern gefallen dürfte, die der Stadt Hamburg eng verbunden sind. Aber auch alle anderen geschichtlich interessierte Leser kommen auf ihre Kosten. Oelker beschreibt die Arbeit eines Gerbers und der Stadtleichenfrau ebenso wie die eines Stadtphysikus. Wir erfahren viel über das noch kleine Hamburg mit seinen engen und schmutzigen Gassen, bemerkenswerten Gebäuden und Institutionen, das außerhalb seiner kreisförmigen Stadtmauer im Osten noch von riesigen Gärten und Äcker (heute St. Georg) umgeben ist, im Westen von innerstädtisch störendem Gewerbe wie Tran-Brennereien und Bordellen (heute St. Pauli). Neben fiktiven Figuren begegnen uns, geschickt in die Handlung eingebunden, reale Persönlichkeiten jener Zeit.
Reine Krimi-Leser werden bei „Im schwarzen Wasser“ kaum auf ihre Kosten kommen, dient der Mordfall doch nur als Auftakt zu einer interessanten Alltagsschilderung Hamburgs im Jahr 1774. Manche Seite überliest man vielleicht auch etwas schneller, wenn die Autorin in ihrer Beschreibung allzu kleinteilig wird. Doch überwiegend beschreibt Petra Oelkers dieses alltägliche, eigentlich unspektakuläre Leben der Hamburger Arbeiter und Bürger sowie die Atmosphäre und Stimmung jener Zeit so wirklichkeitsnah sowie ihre so verschiedenen Figuren und deren Hausgemeinschaften so bezaubernd, dass man bei der Lektüre dieses leicht lesbaren und gut unterhaltenden Romans fast glauben könnte, selbst durch die nächtliche Mattentwiete zu laufen, dem Stadtphysikus beim Sezieren im Anatomischen Theater zuzuschauen oder inmitten der Arbeiter beim Bier im Eschenkrug oder der Kaufleute beim Mocca in Jensens Kaffeehaus zu sitzen.