Um zehn Uhr sitzt Trisha noch im Auto ihrer Mutter. Um halb elf hat sie sich im Wald verirrt. Um elf Uhr versucht sie, sich nicht zu fürchten…
Der PAN Verlag hat mit Stephen King´s Das Mädchen einen Roman in Neuauflage herausgebracht, der nicht nur perfekt in seine Novitäten passt, sondern auch
pures düsteres Lesevergnügen birgt. In der Grobstruktur eines Baseballspiels gehalten sind die…mehrUm zehn Uhr sitzt Trisha noch im Auto ihrer Mutter. Um halb elf hat sie sich im Wald verirrt. Um elf Uhr versucht sie, sich nicht zu fürchten…
Der PAN Verlag hat mit Stephen King´s Das Mädchen einen Roman in Neuauflage herausgebracht, der nicht nur perfekt in seine Novitäten passt, sondern auch pures düsteres Lesevergnügen birgt. In der Grobstruktur eines Baseballspiels gehalten sind die Kapitel in Das Mädchen unterteilt und jener amerikanische Populärsport taucht auch als relevantes Element in dem Buch auf. Trisha ist ein Fan der Red Sox mit Herzblut, genauer gesagt, vor allem von Tom Gorden, dem Mann für spielentscheidende Situationen bei den Sox. Was auf den ersten Blick nicht recht zusammenpassen mag, entpuppt sich schnell als wirklich gelungener Zug von King. In den Tiefen des riesigen Waldes ist es der Gedanke an Tom Gorden, der Trisha ihren Lebensmut nicht gänzlich verlieren lässt.
Das Mädchen erinnert eher an eine Novelle, als an einen Roman und wagt es beinahe gänzlich ohne Nebenschauplätze auszukommen. Das Zentrum bildet stets Trisha und ihr Erleben des Waldes und formt sich in ein wirklich eindrucksvolles Charakterspiel, das auch gar nicht mehr benötigt, als diese Konzentration auf das Wesentliche. Basierend auf der simplen Grundidee des Verlaufens in einem Wald, entspinnt Stephen King eine gefühlsstarke, düstere und atmosphärisch unter die Haut gehende Geschichte, welche zu fesseln weiss, wenn man bereit ist sich auf Trisha und ihre Gedankenwelt einzulassen. Was diese Geschichte so eindringlich und fesselnd macht ist King´s Talent, seine Hauptfigur und den Schauplatz wirklich nachempfindbar darzustellen, mit allen schönen und schaurigen Facetten.
In dem Wald lebt ein Ding. Es verfolgt Trisha, spielt mit ihr und wartet auf den Moment kompletter Erschöpfung und Lebensaufgabe. Es ebnet ihre Pfade mit zerfetzten Tierleibern und markiert sie, als seine alleinige Beute. Schnell verliert Trisha den Überblick und die Möglichkeit zwischen Realität und Einbildung zu unterscheiden. Die kopfüber hängenden Vögel, die baumelnden Kadaver in den Ästen, das letzte Gespräch mit Tom Gordon und ihrem nach Bier stinkenden Vater, die seltsamen Götter auf der Lichtung,… Eigentlich braucht dieser Roman kein mysteriöses Geschöpf in den Tiefen des Waldes, kein lauerndes Ungetüm und es ist auch fraglich, ob es in seiner Erscheinungsform wirklich gut in die Geschichte passt.
Das Grauen welches auf den Seiten von Das Mädchen schlummert, ist der Wald selbst, pure körperliche Erschöpfung und Angst. Wie ein Labyrinth legt er sich um die junge Trisha, versperrt Wege oder lässt sie in abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit taumeln. Diese Art mit einem Schauplatz umzugehen und aus ihm heraus eine Verzweiflung zu erzeugen, die beständig grösser wird, ist schlichtweg genial. Hier leidet der Leser mit jedem Schluck brackigen Wassers, das Trisha wieder erbricht, jeder Beule und Schwellung der unzähligen Insektenstiche, jeder winzigen Hoffnung, die gnadenlos zerschlagen wird. Diese Geschichte vollzieht den beklemmenden Weg von unschuldiger Lebensfreude zum Tod.
Stephen King: Das Mädchen – Eine grandiose Geschichte um den Verfall einer Hauptfigur, die so schnell ans Leserherz wächst, wie ihre Verzweiflung steigt. Eindrucksvolle Charakterentwicklungen, ein brillantes Spiel mit Wahn und Wirklichkeit, durchgehende Spannung, dichte, düstere Atmosphäre und ein beklemmend gut inszenierter Schauplatz bestechen in einer Geschichte, die sehr gekonnt auf leise Töne setzt und ohne grosse Effekte auskommt.