• Buch mit Leinen-Einband

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Genug studiert - nun will er leben: Eine monatelange Reise führt den jungen Schopenhauer von Dresden nach Venedig, von Goethe zu Lord Byron, über schroffes Gebirge und weite Täler ins Labyrinth der Kanäle - in den Strudel der Wirklichkeit.

Produktbeschreibung
Genug studiert - nun will er leben: Eine monatelange Reise führt den jungen Schopenhauer von Dresden nach Venedig, von Goethe zu Lord Byron, über schroffes Gebirge und weite Täler ins Labyrinth der Kanäle - in den Strudel der Wirklichkeit.
Autorenporträt
Christoph Poschenrieder, 1964 bei Boston geboren, wohnt in München. Er studierte an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München und setzte sich schon mit Schopenhauer auseinander, lange bevor er seinen ersten Roman schrieb. Außerdem besuchte er die Journalistenschule an der Columbia University, New York. Seit 1993 arbeitet er als freier Journalist und Autor von Dokumentarfilmen. Heute konzentriert er sich auf das literarische Schreiben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wäre er der Autor dieses Gesellschaftsromans gewesen, Rezensent Edo Reents hätte doch mehr den James Joyce gegeben. Bei einer Steilvorlage wie Schopenhauer (Die Welt als Vorstellung!) hätte er wenigstens ein bisschen inneren Monolog eingestreut, ein Quäntchen erlebte Rede, um das ein oder  andere philosophische Theorem anschaulich zu machen. So, durch die Feder, die Tasten von Christoph Poschenrieder, meint er, bleibt der kauzige Philosoph, wie übrigens auch sein Widerpart Lord Byron, etwas blass. Abgesehen von dieser verpassten Chance allerdings ist Reents eigentlich zufrieden mit dem Buch. Denn erstens kommt es pünktlich zum 150. Todestag Schopenhauers, zweitens findet er Poschenrieders Fokus auf eine einzige Episode (Schopenhauer trifft Byron in Venedig) ziemlich raffiniert und drittens fabuliert der Autor "fast zeitlos gewinnend" drauflos, so dass Reents nicht nur in den Genuss so mancher burlesker Szene kommt, sondern auch eines "veritablen" Venedig-Schmökers.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010

Gestreckter Galopp am Lido

Die Welt ist meine Vorstellung: Schopenhauers Lehrsatz ist eine Steilvorlage für einen Philosophenroman. Christoph Poschenrieder hat sie umgesetzt.

Von Edo Reents

Dass da jetzt erst jemand drauf kommt! Was, wenn nicht ein Schopenhauer-Roman, wäre dazu geeignet, das Diktum des Frankfurter Buddhas, es sei nicht Aufgabe eines Romans, große Vorfälle zu schildern, sondern kleine interessant zu machen, umzusetzen? Damit ist keineswegs gesagt, dass dieses Philosophenleben, das zweiundsiebzig Jahre (von 1788 bis 1860) währte, ein kleiner Vorfall gewesen wäre. Es war aber, wenn man vom Umzug der Familie von Danzig nach Hamburg, der in jungen Jahren unternommenen Europa-Reise, dem frühen Tod des Vaters und der erst dadurch möglich gewordenen Hinwendung zu einem kopflastigen Beruf absehen darf, äußerlich relativ ereignislos - für einen Romanautor also eine ziemliche Herausforderung.

Christoph Poschenrieder, Jahrgang 1964, hat sich ihr, rechtzeitig zum 150. Todestag des Philosophen im September, gestellt und die erzählerische Last dabei auf vier Schultern verteilt; denn es ist ein Schopenhauer-und-Byron-Roman geworden, der sich auf die Episode konzentriert, die sich im November 1818 in Venedig tatsächlich zugetragen hat: Schopenhauer, der gerade "Die Welt als Wille und Vorstellung" fertig hat, das Erscheinen dieses zunächst sang- und klanglos untergegangenen und deswegen von Brockhaus eingestampften Hauptwerks dann aber nicht mehr abwarten konnte, machte hier auf seiner als Goethe-Imitatio angelegten Italien-Reise Station, wo sich Lord Byron als Frauenvernascher bereits zum Stadtgespräch gemacht hatte.

Diese geistesgeschichtlich reizvolle Konstellation enthält eine pikante erotische Komponente, hinter der sich Schopenhauers Lebensthema verbirgt: seine Misogynie und, wohl eher daraus resultierend als ihr widersprechend, seine Eifersucht auf mögliche Nebenbuhler. Denn zu einer Begegnung mit Byron kam es, nach allem, was wir wissen, nur deswegen nicht, weil Schopenhauer fürchtete, der englische Lyriker, der jeden Morgen am Lido vorbeiritt, würde ihm die venezianische Freundin ausspannen, die beim Anblick des Galoppierenden schon, wie alle anderen Frauen auch, spitze Schreie ausstieß. Dabei hätte der Philosoph von dem Empfehlungsschreiben, das Goethe ihm mit auf den Weg gegeben hatte und das ihm sofort Zugang zu Byron gewährt hätte, nur Gebrauch machen müssen.

Statt dessen lässt Poschenrieder die beiden zu einem historisch nicht verbürgten Geistergespräch aufeinander los, das dem Muster von Thomas Manns "Lotte in Weimar" folgt. Es ist ein knapper Dialog an der Grenze zum Kryptischen, in dem sich die beiden, die altersmäßig genau einen Monat auseinanderliegen, ihrer Einsamkeit, aber auch ihrer Verschiedenheit versichern: Schopenhauer hat quasi schon mit allem abgeschlossen, sein Weltbild ist gefestigt, er wird sich fortan der Kontemplation widmen, weil die Welt ja doch nur Enttäuschungen bereithält; Byron dagegen, der früh sterben sollte, ist in seinem Taten- und Erlebnisdrang vorläufig nicht zu bremsen und hofft, wenn auch mit nachlassendem Elan, auf weitere Eroberungen.

Man hat es hier mit Temperamenten zu tun, die am Ende vielleicht gar nicht so verschieden waren; Schopenhauers Triebhaftigkeit ist spätestens seit Thomas Mann, ja schon seit Nietzsche ein Gemeinplatz seiner Wirkungsgeschichte. Poschenrieder kontrastiert sie auf spannungsfördernde Art: den misstrauischen Eckensteher aus Deutschland und den englischen Don Juan, den ein verwegener gesellschaftlicher Glanz umgibt. Dies bettet er ein in die damalige politische Situation: Venedig, das an Österreich gefallen war, barg Spitzel, die überall Verschwörung witterten und auch die beiden Geistesriesen deren verdächtigten (in Wirklichkeit wurde nur Byron observiert).

Daraus ergibt sich manche burleske Szene, wie sich denn die Sache überhaupt zu einem veritablen Venedig-Buch ausweitet, das kaum eine gesellschaftliche Ebene auslässt, aber bei den eigentlichen Helden dann doch ein wenig an Plastizität spart. So haben wir ausgesprochen farbig geschilderte Gondolieri- und Karnevalsszenen; aber wenn es um philosophische Theoreme geht, dann gibt Schopenhauer eine zuweilen holzschnittartige Figur ab, die manche Sentenz eher pflichtschuldig aufsagt, weil man das Brisante halt nicht ganz aussparen kann.

Auch der glühendste Schopenhauer-Verehrer hätte kaum das Recht, an eine über weite Strecken fingierte, in gewinnendem, fast zeitlosem Stil (mit nur ganz wenig Unebenheiten) erzählte Geschichte einen Forderungskatalog heranzutragen und zu beanstanden, was er alles vermisst. Poschenrieder tat gut daran, sich auf eine Episode zu konzentrieren. Aber die Chance, diesen einmalig kauzigen Philosophen auf die Beine zu stellen, von dem es doch immer heißt, bei niemandem lasse sich sein Denken so sehr aus seiner Biographie erklären wie bei ihm - diese Chance ist dennoch vertan.

Es kommt ja vieles Wichtige vor: das heillos zerrüttete Verhältnis zur Mutter, die unglückliche Schwester Adele mit ihren Briefen aus der Heimat, der Krach mit dem Verleger Brockhaus; aber das alles entfaltet keine Wucht, wie es dies im wirklichen Leben tat. Und ist es für einen Romancier nicht eine Steilvorlage, ein Freibrief zum Fabulieren, wenn sein Held (auch) mit dem Satz berühmt wurde "Die Welt ist meine Vorstellung"? Man muss nicht gleich Joyce spielen; aber es ist erstaunlich, dass Poschenrieder sich nicht ausgiebiger bei den Mitteln des inneren Monologs und der erlebten Rede bedient hat. Denn der Denker verfügte über ein reiches Innenleben; sein Werk speist sich aus Affekten, aus seinem sich der Missachtung verdankenden Ressentiment gegen die "Jetztzeit" und seinem hellsichtigen Pessimismus. Das alles kommt zugunsten eines - als solcher durchaus lesenswerten - Gesellschaftsromans etwas kurz; der Autor hat Mühe, dieses Philosophenherz zum Schlagen zu bringen.

Christoph Poschenrieder: "Die Welt ist im Kopf". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 342 S., geb., 21,90 [Euro].

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»Der hat so einen Spaß am Formulieren, dieser Christoph Poschenrieder - einer der besten deutschen Schriftsteller zurzeit.« Kristian Thees / SWR SWR