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a.n.
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dd

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Insgesamt 125 Bewertungen
Bewertung vom 09.09.2017
Und Marx stand still in Darwins Garten
Jerger, Ilona

Und Marx stand still in Darwins Garten


sehr gut

Das Cover täuscht. Noch gehen die beiden Männer, zwei der herausragendsten Persönlichkeiten, traut nebeneinander her und scheinen zu fachsimpeln. Doch daraus wird nur wenig später eine Diskussion, die in einen heftigen Disput mündet und unaufhaltsam in einem regelrechten Streit endet.
Charles Darwin und Karl Marx haben mit ihrer Arbeit schon zu Lebzeiten den Lauf der Geschichte maßgeblich verändert. Obwohl sie auf völlig verschiedenen Gebieten agierten, stand für sie doch stets der Mensch im Mittelpunkt. Auf wessen Seite steht dabei der Leser / Hörer? Wer hat letztendlich recht? Oder geht es am Ende darum gerade nicht? Eine Begegnung, die es vielleicht gar nicht gab, wird mit schriftstellerischem Können für uns heraufbeschworen.
Vielschichtige Themen wie Philosophie, Religion, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden erörtert, die unterschiedlichen Standpunkte emotional verglichen. Je intensiver sich beide Männer in diese Gefilde begeben, umso eindringlicher sprechen sie zu uns. Und so merkt auch vorrangig nur der Leser, dass es doch mehr Gemeinsamkeiten zwischen Darwin und Marx gibt, als ihnen selbst bewusst ist. Da beide zudem ihre eigene Problematik stets mit sich tragen, sind logischerweise auch ihre Gespräche nie frei und losgelöst von privater Enttäuschung, sich missverstanden fühlen, unverrückbarer Überzeugungen und eigener Egozentrik.
Der Sprecher Peter Kaempfe liest eher etwas langsam, was einem Folgen und vor allem dem Mitdenken sehr zugute kommt. Dabei drängt er sich erzählerisch nicht nie in den Vordergrund, sondern überlässt stets den Protagonisten das Feld. Die auf mich nicht sonderlich markant wirkende Sprechstimme trägt den Zuhörer nahezu gleichmütig durch die anspruchsvolle Lektüre. An manchem Stellen, zum Beispiel gleich zu Beginn, hat man es etwas schwerer, der Handlung zu folgen sowie die Wichtigkeit der beschriebenen Ereignisse richtig einzuordnen. Im Buch selbst lesen wäre daher vielleicht eher in Erwägung zu ziehen.

Bewertung vom 03.09.2017
Der Sandmaler
Mankell, Henning

Der Sandmaler


gut

Cover, eine Frau, wie in Sand gezeichnet, verletzlich und filigran. Welche Spuren wird Afrika bei ihr hinterlassen? Afrika, der schwarze Kontinent, nicht nur für Elisabeth bislang eine weiße Landkarte. Zu verschieden scheinbar die Menschen, zu schwer ein Verstehen. Beinahe ehrfurchtsvoll nähert sich Mankell dem Land und den Bewohnern, nie wirklich wertend sondern stets auf das Verstehen bedacht, ohne dabei irgend eine Art von Durchschauen für seine Hauptfigur zu beanspruchen.
Elisabeth hat Augen und Herz geöffnet, egal, was ihr widerfährt, ganz gleich, wem sie begegnet. Alles, was auf sie einwirkt ist für sie ein Zugewinn, wenn auch negativer Natur. Ihr Begleiter Stefan hingegen grenzt sich beinahe ab, zeigt wenig Interesse an dem, was ihn umgibt, was Afrika für viele so faszinierend macht, als könnte man Afrika nur lieben oder hassen, wenn man charakteristische Aspekte ausklammert.
Für Elisabeth wird der Aufenthalt zum Augenöffner, für Stefan beinahe nur Zeitvertreib. Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung hinterlässt natürlich auch Spuren in ihrer Persönlichkeit und wirkt sich demzufolge auch auf ihre Freundschaft aus.
Der Roman ist Mankells erster Afrika-Roman und das merkt man ihm leider auch an. Er widmet sich dieser spannenden Thematik weniger tiefgehend als man es von ihm erwartet hat. In seinen späteren Werken über Afrika konnte er hingegen die Ansprüche seiner Lesegemeinde weit besser bedienen. Doch sehe ich dies eher als Zeichen seiner eigenen Entwicklung im Hinblick auf ein sich mehr und mehr Einlassen. Manch anderer wird aber vielleicht etwas enttäuscht von der etwas gedämpften Ausdruckskraft sein.
Eine literarische Momentaufnahme des Kontinents aus dem Jahre 1971, ein erstes vorsichtiges Annähern. Leider kann man beim Lesen das Wissen um die derzeitigen dortigen Zustände und die spätere Ausdrucksintensität des Autors nicht ganz ausblenden.

Bewertung vom 23.08.2017
Töte mich
Nothomb, Amélie

Töte mich


gut

Kurz und gut. Die Schrift ist groß, die Seitenzahl überschaubar, das Lesevergnügen dauert nur wenige Stunden. Die Handlung an sich wirkt von Beginn an konstruiert. Außerdem gelingt es der Autorin nicht so recht, das eigentliche Handlungsgeschehen geschmeidig mit den kleineren Nebenschauplätzen zu verbinden. Der Lesefluss kommt daher bisweilen ins Stocken. Schauplatz und Handelnde fallen irgendwie aus der Zeit. Das Geschehen an sich hätte überall und schier in jeder Epoche spielen können, von Autos und Pistolen einmal abgesehen.
Graf Neville, sachlich, abgeklärt, nicht gern Gefühle zeigend ist der unfreiwillige Hauptakteur. Familiäre Dinge werden nicht nach außen getragen. Fast ebenso mechanisch wie Neville wirken die anderen Beteiligten. Ich hatte beim Lesen stets das Gefühl, als stünden sie sich selbst nicht wirklich nah. Und so blieben auch mir die Handelnden fremd.
Der Graf lässt seiner Tochter die Zeit und Freiheit zu pubertieren, was sich einerseits als Nachteil, andererseits sogar als ursächlicher Fehler erweist, wenn man der Wahrsagerin Glauben schenkt. Ihrer ungeheuerlichen Prophezeiung kann sich auch der Leser nicht entziehen. Man kann nicht mehr frei handeln, wenn man die vermeintliche Zukunft kennt und das Bevorstehende mit aller Macht abzuwenden versucht. Neue Verwicklungen werden so heraufbeschworen, die vielleicht alles noch viel schlimmer machen.
Die inhaltliche Güte der Lektüre liegt im Ermessen jedes einzelnen Lesers. Mir persönlich fehlte jegliche Aussagekraft oder Message außer vielleicht dem Sprichwort „und erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“ ein literarisches Denkmal zu setzen. Diese Intention allerdings halte ich für unwahrscheinlich. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her gesehen, ist das Buch entweder viel zu kurz oder eben ein wenig zu teuer.

Bewertung vom 17.08.2017
In tiefen Schluchten / Tori Godon Bd.1
Chaplet, Anne

In tiefen Schluchten / Tori Godon Bd.1


sehr gut

Dörfliche Idylle, viel Natur und Ruhe sind zwar sehr erstrebenswert, doch eben nicht auf Dauer und vor allem nicht für unsere Spürnase Tori, eine ehemalige Anwältin, die sich allerdings nicht ganz ohne Grund in diese nicht gerade überlaufenen Gefilde, ins südfranzösische Bergdorf Belleville, zurück gezogen hat. Sie hat stets ein wachsames Auge und mindestens ein weit offenes Ohr auf ihre Mitmenschen gerichtet und so fällt es ihr auch mit als erstes auf, dass ein Hotelgast, ein holländischer Höhlenforscher, verschwunden ist. Sie geht der Sache nach, sie wühlt in der wechselhaften Geschichte des Landstriches und in den uralten überlieferten Geheimnissen der Dorfbewohner. Der Staub, den sie dabei aufwirbelt, nimmt aber im schlimmsten Fall nicht nur ihr sprichwörtlich den Atem. Keiner will etwas gesehen haben und dennoch wissen alle irgend etwas. Gerade in diesen kleinen nahezu abgeschlossenen Gemeinschaften passiert allerdings bekanntlich so allerlei.
Alte Wunden, die nie verheilt sind, Unrecht, das nie richtig gesühnt wurde. Kann sich Geschichte wiederholen? Welchen Anteil daran trägt jeder Einzelne? Wo ist der Punkt, an dem die Vergangenheit die Gegenwart berührt? Der Autorin ist es gelungen, historische Geschehnisse lebendig zu machen und mit der Gegenwart zu verknüpfen. Es wird deutlich, in welchem Maße Vergangenes selbst im Hier und Jetzt nicht abgeschüttelt werden kann und wie dies die Menschen mitunter über Generationen prägt. Auch Geschichte kann spannend sein. Hier ist der Beweis.
Ein richtiger Krimi ist es allerdings nur am Rande, der vielmehr durch den, wie schon erwähnt, geschichtlichen Background und die anschaulichen Beschreibungen von Landschaft sowie dörflichem Geschehen besticht und fesselt als durch kaltblütige Morde und reißerische Aktionen. Praktisch ein guter Barnaby; handfest, stimmig, teilweise spannend und mit vielen kauzigen Charakteren. Wer als den Inspector mag und sich darüber hinaus noch für Geschichte begeistern kann, dem gefällt auch dieses unterhaltsame aber eben nur mäßig spannende Buch.

Bewertung vom 06.08.2017
Liebe wird überschätzt
Parrella, Valeria

Liebe wird überschätzt


sehr gut

Finden, erinnern, verlieren, loslassen, überwinden, vergessen, neu beginnen. Und dies alles bei weitem nicht nur in partnerschaftlichen Beziehungen oder was erlaubt oder opportun ist. Ein Gefühlsreigen durch Menschenherzen.
Goethes Spruch „Welch ein Glück, geliebt zu werden ...“ schwingt in jeder der acht faszinierenden Liebesgeschichten mit.
Es geht nicht um Happyends, herkömmliche Klischees werden im vorliegenden Buch nicht bedient. Vielmehr werden Beweggründe geschildert, was Menschen so auf sich nehmen für einen anderen Menschen und auf welchen verschlungenen Gefühlspfaden sie sich dabei bewegen.
Wunsch, Handeln, Resultat; Liebe, egal zu wem oder zu was, hat für gewöhnlich einen Anfang, doch hat sie je ein wirkliches Ende? Und erstens kommt es anders …, kein Ende der hier geschilderten Geschichten ist voraus zu sehen. Jede Erzählung behandelt andere Konstellationen und Facetten der Liebe. Schmerzvoll und unerfüllt lieben ist eben auch eine Spielart, die nur auf den zweiten Blick sinnlos erscheint. Niemand kann aus seiner Haut und eben dieser Umstand geht unter die Haut. Daher löst die Lektüre auch beim Leser die unterschiedlichsten Gefühle aus, ist doch jeder schon selbst durch dieses Minenfeld gewandert.
Wunderschön und bitter zugleich. Die jeweiligen Hauptfiguren, die Liebenden und Geliebten, erscheinen so nah. Die Autorin versteht es, zu berühren, indem sie selbst emotional, dabei teilweise sehr sensibel und gleichzeitig mit etwas Abstand am Innersten derjenigen rührt, deren bewegende Schicksale sie beschreibt. Verschieden lag fallen dabei die einzelnen Intermezzi aus. Sie vermittelt so den Eindruck, als steht die Auswahl stellvertretend für noch unzählige weitere Geschichten, die zwar er- und gelebt wurden, nur noch nicht aufgeschrieben sind. Die Liebe – eine unendliche Geschichte, ein nie zu Ende geschriebenes Buch.

Bewertung vom 23.07.2017
Schluss mit Muss
Mairhofer, Tanja

Schluss mit Muss


sehr gut

Gegönnte Unordnung, freiwilliger Verzicht, der natürlich nicht als solcher gesehen wird, das sind nur einige der zahlreichen Weisheiten, die uns die Autorin sehr schmackhaft zu machen versteht. Für einige wenige könnte diese Lektüre somit zum ultimativen Ratgeber avancieren, da er auch immer eine passende Ausrede oder vermeintlich plausible Rechtfertigung für das eben nicht tun bereithält, der man bisweilen so gar nichts entgegen setzen kann.
Hier hat jemand die Menschen und sich selbst genauestens beobachtet und mehr oder weniger tiefgründig analysiert. Die dargestellten Sichtweisen sind schlüssig und witzig zugleich. Jeder wird beim Lesen leicht feststellen, wie er selbst konditioniert wurde. Sehr zum Nachdenken anregend sowie zum eigenen Beobachten und Schlussfolgern motivierend, stellt man sich danach doch Fragen wie „ist das, was alle machen, wirklich immer richtig“, will ich selbst wirklich oder habe ich nur ein schlechtes Gewissen“. Gewöhnung trifft auf Überzeugung. Die eigenen Handlungs- und Denkmuster wird es aber leider bei den meisten nicht dauerhaft beeinflussen, stünde man doch damit ziemlich allein auf weiter Flur. Lacher und Aha-Effekte sind aber auf jeden Fall garantiert.
Während des Lesens war ich stets hin und her gerissen. Dieses Handeln frei nach dem Motto „mir doch egal“ oder „ich bin okay so wie ich bin“ mag ich eben bei vielen gar nicht, da es doch meist in egoistischer Weise ausgelebt wird. Ebenso sieht die Autorin manche Dinge einfach zu schwarz / weiß und urteilt für meinen Geschmack zu pauschal. Die beschriebenen Personen-Typen sind doch charakterlich sehr extrem und auch für einen Laien schnell als das zu identifizieren.
Wer schlank / mollig sein will, soll es eben sein und das darf er auch, ohne dass darüber jemand die Nase rümpft. Wer seine Wohnung sauber mag, ist noch lange kein Pedant. Ich hätte mir viel lieber eine Art Plädoyer Für „Leben und leben lassen“ gewünscht; ohne persönliche Gesamtbeurteilung, denn jeder Mensch ist nicht nur so oder so. Andererseits trägt es enorm zur eigenen Schadenfreude bei, wenn man liest, wie Möchtegerne ihr Fett wegbekommen.
Mir kommt es aber manchmal so vor, als ob Frau Mairhofer der Ablehnung der eigenen Person ein „Angriff ist die beste Verteidigung“ einfach vorweg nimmt. Und dies tut sie auf sehr unterhaltsame, aufheiternde und kluge Weise. In vielen Dingen hat sie wiederum einfach Recht. Wo aber die Grenze ist, an der sich der innere Schweinehund nicht mehr als „Retter“ sondern eher nur noch als kontraproduktiv darstellt, konnte auch sie nicht genau definieren.

Bewertung vom 08.07.2017
Honeymoon XXL
Richter, Stefan

Honeymoon XXL


sehr gut

Eine Frau. Ein Mann. Ein Wort. Ja! Ja zu sich selbst und gleichzeitig zur Welt. Eine bei Weitem nicht alltägliche Hochzeitsreise beginnt und wir dürfen mit dabei sein.
92967 Kilometer, 145 Nächte im Zelt, 15 Länder. Bewegende Bilder einer bewegten Reise um die Welt, die so, wie sie geschildert wird, garantiert einige Mutige zum Nachtun inspirieren wird. Die zahlreichen Fotos machen allzu deutlich, worauf es ihnen ankam, welche Momente sie unbedingt einfangen wollten. Der Blick aufs Detail verdeutlicht so mitunter mehr als ein Panoramafoto.
Das Wagnis beginnt nicht erst am Flughafen, wenn der Rucksack bereits gepackt, der Job gekündigt und der Auszug aus der geliebten Wohnung erfolgreich über die Bühne gebracht wurde.
Die Beschreibungen sind eher kurz, dafür aber präzise. Am Ende eines jeden Kapitels wird das Erlebte in einer Art Empfehlungsfazit noch einmal zusammen gefasst. So manch eigene Vorstellung wird zwar entzaubert, doch andere Gegenden werden wiederum von beiden so erlebt, dass man sich seine eigenen Urlaubsziele neu erträumen kann. Nicht alles ist bunt, nicht alles ist schön. Vorstellung trifft auf Tatsachen. Und auch Bürokratie gibt es tatsächlich überall. Kritisch hier, fasziniert dort. Natürlich lässt sich über Geschmack nicht streiten und alles liegt zudem im Auge des Betrachters, doch da es beim Lesen nicht lange dauert, bis man die beiden als offene, faire und mit einem gesunden Urteilsvermögen ausgestattete Menschen kennen lernt, schenke ich ihnen gern Glauben.
Der informative und mitreißende Reisebericht strotzt vor Internationalität, ganz nach dem Motto „Länder, Menschen, Abenteuer“. Sie geben zwar einige Interna von sich preis, ich hätte es mir titelbedingt (komm, wir flittern um die Welt) aber zusätzlich noch persönlicher vorgestellt. Kleine Landkarten wären dem besseren Nachvollzug ihrer Reise vielleicht auch zuträglicher gewesen. So eine Reise ist spannend, doch nicht minder spannender ist die Ankunft in der Realität. Davon berichtet leider kaum ein entsprechender Reisebericht. Abbruch, Erlebnis, Neuanfang; all das gehört für mich irgendwie zusammen.

Bewertung vom 18.06.2017
Ikigai
Miralles, Francesc;García (Kirai), Héctor

Ikigai


ausgezeichnet

Um sich des Anliegens des Buches entsprechend widmen zu können, sollte man sich der Materie vorab schon einmal geöffnet haben oder sich zumindest dafür interessieren. Argwöhnisch kann man danach immer noch sein, doch dazu wird es mit Sicherheit nicht kommen, ist doch all das, was beschrieben wird, schon hinreichend bekannt und die positive Wirkung millionenfach erprobt und selbst aus schulmedizinischer und psychologischer Hinsicht erwiesen.
Die Kapitelübersicht gibt die ganze Bandbreite menschlichen Lebens preis. Und eben das motiviert sofort zum Weiterlesen und in sich gehen. Wie lebe ich? wie erfüllt ist mein Leben? Was ist der Sinn meines eigenen Lebens? Wie schaffen es andere, so in sich zu ruhen? Was genau man sich alles aus dieser Zusammenstellung mitnehmen und tatsächlich zwischen Weckerklingeln, roter Ampel und Finanzen, kurz, in der eiligen Industrielandschaft hierzulande umsetzen kann, gilt es heraus zu finden.
Manch einer möchte intensiv leben, doch ist es nichts weiter als sich seiner eigenen Kräfte berauben. Andere wiederum möchten etwas Besonderes oder Großes schaffen. Sinnsuche in der Außenwelt. Einbahnstraße oder Kreisverkehr. Doch beim Ikigai kehrt sich diese Suche nach innen. Man erkennt sehr schnell, dass dies gar nicht so leicht umzusetzen ist. Es ist nicht laut, nicht sprunghaft. Es ist allmählich, still und vor allem konsequent. Sich etwas Herauspicken ist dabei nicht von Erfolg gekrönt.
Körperliche und seelische Gesundheit zu erlangen und zu Bewahren, so gut es geht unabhängig von den jeweiligen Umständen. Seine Nische finden, einen ständigen Zugang zu seinem kleinen Idyll finden, auch wenn es manchmal nur im Geiste ist. Gern eingehaltene Disziplin. Ein täglicher Neubeginn, ein Anknüpfen, ein mit und in sich Weiterkommen. Die Welt auch einmal draußen lassen, um in ihr leben zu können. Wahre Beschäftigung, kein „den Tag herum bekommen“, „die Zeit totschlagen“ oder „einfach irgend etwas machen“. Hier hat alles einen Sinn und vor allem Substanz.
Gesunde Ernährung, tägliche Bewegung und vor allem enge soziale Bindungen (Auge in Auge) bilden eine Symbiose, aus der alles andere resultiert. Wie steht es mit diesen so notwendigen Komponenten bei uns, bei jedem Einzelnen? Hand aufs Herz, es besteht Handlungsbedarf und es wäre dumm, es nicht zu versuchen. Maßvoll, kontinuierlich, beständig. Nur das gleich Zusammenspiel entfaltet die volle Wirkung. Alles, was man dazu braucht, ob Ernährungstipps, Bewegungsanleitungen oder psychologische Zusammenhänge, findet man in diesem einzigartigen Buch.
Eine Sehnsucht ist geweckt, die man nicht wieder einschlafen lassen möchte. Man hat doch nur dieses eine Leben und das möchte man gesund, erfüllt und so oft es geht, in Leichtigkeit, Gesundheit, innerer Zufriedenheit und Glück verbringen.

Bewertung vom 16.04.2017
Der Mann, der Luft zum Frühstück aß
Knapp, Radek

Der Mann, der Luft zum Frühstück aß


ausgezeichnet

Tatsächlich ist der Erzählstil auffallend kreativ. Die mitunter spezielle Wortwahl, die bildhaften Vergleiche und nicht vorhersagbaren Wendungen verleihen der Handlung Schwung, der durchweg anhält. Auf verschlungenen Wegen voran. Doch wohin eigentlich? Unser junger Held hat es nicht leicht und bleibt doch vorerst beneidenswert frei und vorurteilslos im Geiste, ist neugierig auf das Leben und die Menschen, die ihm begegnen. Doch so wird es nicht bleiben. So mancher fühlt sich berufen, ihn zu modellieren, obwohl er an sich genau richtig ist, wie er nun mal ist. Dies kommt einem Stutzen seiner Flügel gleich. Der Absturz ist lange nicht in Sicht, aber unvermeidlich. Jeder hat Pläne mit dem 14jährigen Walerian, vor allem seine Mutter. Doch er selbst versteht den Sinn nicht. Das zarte Flüggewerden wird so zu einer Art Stoß aus dem Nest. Wie wird er auf dem Boden des Lebens und der Tatsachen ankommen? Landesgrenzen überschreiten ist das eine, doch kommt man damit auch bei den dort lebenden Menschen an? Ist ein vermeintlich besseres Leben dort auch wirklich besser für einen selbst? Das Gehen wird zu einer Art Getriebenheit. Er selbst merkt erst sehr spät, dass er dabei auf der Strecke bleibt. Seine Welt wird dabei nicht größer, er selbst nicht freier. Grenzen überall, die erneut eigene Grenzen innehaben. Nicht jede sind allerdings zum Überschreiten da.
Tragische Elemente wechseln sich mit komischen Situationen ab. So wird auch dem Leser gekonnt verschleiert, dass es in Wahrheit doch alles andere als gut ist, was andere mit gut gemeint so alles anrichten können, wenn es nicht das Eigene ist und nicht von einem selbst kommt. Walerian hat ein dickes Fell, doch was nützt dies, wenn es um ihn herum im übertragenen Sinne immer kälter wird? Die einzig beständige Komponente für sich ist er selbst. Doch er ist sich fremd geworden in der Fremde. Die Diskrepanz zwischen dem eigenen Wollen, den eigenen Lebensvorstellungen und der Tatsache, wie es eigentlich „läuft“, wie die anderen es zulassen, wird zusehends größer. Der eine schwimmt, um voran zu kommen, Walerian allerdings paddelt lange Zeit nur, um nicht unterzugehen.
Vom Gehen in fremden Schuhen, dem Abwerfen und dem barfuß weitergehen, davon handelt diese diese Geschichte. Und sie hinterlässt Spuren beim Leser. Lehrstunden des Lebens.