Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
ulrikerabe
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Insgesamt 195 Bewertungen
Bewertung vom 02.05.2020
Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1
Schorlau, Wolfgang;Caiolo, Claudio

Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1


ausgezeichnet

Nachdem Commissario Antonio Morello in seiner sizilianischen Heimat korrupte Politiker hinter Gitter gebracht und die Mafia gegen sich aufgebracht hat, wird er nach Venedig versetzt. Zu seinem Schutz soll diese Anweisung sein, denn die Cosa Nostra tötet ihre Feinde angeblich nur auf Sizilien. Doch Morello empfindet Venedig als Strafe und Zumutung. Er hasst das Glockengebimmel vor seinen Fenstern, die Touristen, die schmutzigen Kanäle. Auch die venezianischen Kollegen, denen er aus heiterem Himmel vorgesetzt wird, sind über seine Ankunft nicht sehr erfreut. Doch dann wird Francesco Grittieri, Spross einer reichen Familie, ermordet aufgefunden. Der junge Mann war Mitglied einer Aktivistengruppe gegen Kreuzfahrtschiffe in Venedig. Commissario Morello macht sich mit seinen Ermittlungen nicht gerade beliebt bei den „angesehenen Bürgern“, den Beamten der Hafenbehörde und dem eigenen Questore.
Antonio Morello ist „Der freie Hund“. Der deutsche Autor zahlreicher Politikkrimi Wolfgang Schorlau und der italienische Schauspieler und Drehbuchautor und Claudio Ciaoli haben sich für diesen Kriminalroman zu einem perfekten Team zusammengefunden. Es ist ein aktuelles und hochpolitisches Thema. Klimawandel und Kreuzfahrtschiffe tragen Jahr für Jahr zur Unterspülung der Lagune bei. Venedig versinkt nicht nur wörtlich, es steht auch knietief im Sumpf von Korruption und mafiösen Machenschaften, zumindest in dieser Geschichte…. Auch wenn das Politiker und führende Beamte der „schönsten Stadt Italiens“ nicht wahr haben wollen. Da braucht es jemanden wie Antonio Morello „il cane senza padrone“, den Hund ohne Herrn. Mit seiner Sturheit verbeißt er sich in so manchen Knochen, wenn er sich nicht gerade einen von vielen espresso doppio zu Gemüte führt. Morello ist geradlinig, integer, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und Augenmaß. Dass Hunde, die bellen nicht beißen, trifft auf Morello nicht zu. Schimpfen kann er wie ein zweiter, aber er ist auch durchaus bereit, den Kampf gegen das organisierte Verbrechen aufzunehmen. So bereitete es ihm fast Vergnügen sich mit den Mächtigen der Stadt anzulegen. Denn viel hat Morello nicht zu verlieren. Seine Abneigung gegen Venedig verliert er allerdings allmählich, als er die Kooperationsbereitschaft einer Kollegin bemerkt. Und weil er ihm seine neue Nachbarin ein Venedig abseits des Massentourismus zeigt. So erhält der Leser neben einer komplexen und spannenden Kriminalhandlung eine literarische Stadtführung und darüber hinaus auch noch eine aufschlussreiche Abhandlung der jüngeren Geschichte Italiens von Garibaldi über Andreotti bis zu Berlusconi und Salvini. Wie es zu eigenartigen Wählerstimmen kommt und warum Süditaliener in Venedig nicht gerne gesehen werden.
Weil Freundschaft durch den Magen geht, und weil es in italienischen Krimis scheinbar nicht fehlen darf, wird auch reichlich gegessen (und vorher ausgiebig gekocht) und getrunken. Das muss wohl so sein.
„Dich krieg ich auch noch!“, knurrt Morello, als er den Fall abgeschlossen hat und trotzdem nicht alle Bonzen Handschellen tragen. Das lässt auf eine Fortsetzung hoffen!

Bewertung vom 02.05.2020
Die Herren der Zeit / Inspector Ayala ermittelt Bd.3
Garcia Saenz, Eva;García Sáenz, Eva

Die Herren der Zeit / Inspector Ayala ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Vittoria im spanischen Baskenland. Schon zweimal war diese kleine pittoreske Stadt Schauplatz von bemerkenswerten Mordserien. Das Rätsel, wer der Urheber eines aufsehenerregenden historischen Romans ist und nun die Einwohner beschäftigt, wirkt dazu vergleichsweise harmlos. Doch dann wird ein Toter aufgefunden, vergiftet, genauso wie es in dem im Mittelalter angesiedelten Roman passiert ist. Weitere Morde geschehen nach den Ritualen des Buches und Inspector Unai Lopez de Ayala, genannt Kraken, steht vor der wichtigsten Entscheidung seines Lebens.
Mit „Die Herren der Zeit“ endet die großartige Trilogie der baskischen Autorin Eva García Sáenz. Um allen Verknüpfungen folgen zu können, empfiehlt es sich die Reihenfolge der Bücher einzuhalten. Im abschließenden dritten Teil verschmilzt die Autorin das gegenwärtige Geschehen, die Mordermittlungen, mit einem Buch im Buch, dem rätselhaften Roman „Die Herren der Zeit“. Die Kapitel der alten und der neuen Zeit wechseln einander ab. Was damals begonnen hat, findet in der Gegenwart ihre Fortsetzung. Wo die Handlung im 12. Jahrhundert gerade endet, beginnt eine Parallele im Heute.
"Hier endet deine Jagd, hier beginnt die meine.", ist Unais Mantra an jedem Tatort. Es sind Schauplätze, die im rätselhaften Roman bedeutsam waren und die es hunderte Jahre später immer noch sind. Hinter so manchen dicken mittelalterlichen Mauern liegen uralte Geheimnisse verborgen. Die vermittelte Atmosphäre wirkt ungemein dicht. Die Ähnlichkeit der Namen der Beteiligten auf allen Zeitebenen ist gewollt und zwingt zu absolut genauem Lesen
Jede Zeit hat ihre Herren. Deren Spiele und Intrigen um Macht, Vermögen und Erbe sind zeitlos.

Bewertung vom 19.04.2020
Nach Mattias
Zantingh, Peter

Nach Mattias


ausgezeichnet

Ein junger Mann stirbt. Woran, wir wissen es lange nicht. Zurück bleiben die Menschen, die Mattias gekannt, geliebt haben, ihm auf die eine oder andere Weise nahe standen, vielleicht auch nur einen ganz indirekten Bezug zu ihm hatten und trotzdem von seinem Tod betroffen sind.
„Eine Woche nach Mattias wurde sein Fahrrad geliefert.“
Eine neue Zeitrechnung bricht an, die Zeit nach Mattias. Episodenhaft nimmt uns der niederländische Autor Peter Zantingh an die Hand, lässt uns schrittweise Mattias‘ Hinterbliebene begleiten. Die Freundin, die in Tränen ausbricht, als ihr das Lesezeichen aus dem von Mattias zuletzt gelesenen Buch fällt und sie nun nicht mehr wusste, auf welcher Seite er war. Den Freund, der seine Trauer mit Laufen kompensiert. Die schlaflosen Großeltern. Die trauernde Mutter. Es sind ganz normale alltägliche Begegnungen mit Menschen, die wir auf die eine oder andere Art selber kennen. Mit jeder Person erfahren wir mehr über Mattias, wer er war, was ihn bewegt hat und letztlich auch wie er gestorben ist.
Was wollen wir hinterlassen am Ende des Tages? Was bleibt, wenn jemand für immer geht? Das sind die Fragen, um die es in Peter Zanthings Roman im Kern geht.
Mit jeder Geschichte mehr und gleich einem Puzzle sehen wir erst mit dem letzten Teil ein ganzes Bild klar vor uns, verbinden die Wege, die sich gekreuzt haben, erkennen die Anstöße, die neue Richtungen vorgeben. Sehen eine Spur von Mattias, die geblieben ist. Wer war nun dieser Mattias: ein lebensfroher Mann, empathisch, leicht zu begeistern, einer der für seine Ideen brannte und sich manches Mal dabei verzettelt, der gerne „Football Manager“ spielte, der Musik liebte und Amber. Zurück bleiben die Menschen, die ihn kannten und liebten, mit ihren unterschiedlichen Erinnerungen an ihn und mit ihren unterschiedlichsten Formen, um ihn zu trauern.
„Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends.“
So vielschichtig wie das Leben ist auch die Art des Trauerns. Das mag für jeden von uns etwas anderes sein. Und wie uns Peter Zantignh mit seinem Buch zeigt, steht niemand für sich allein.

Bewertung vom 16.04.2020
Rote Kreuze
Filipenko, Sasha

Rote Kreuze


sehr gut

Alexander will nach einem Schicksalsschlag ein neues Leben beginnen. Mit seiner kleinen Tochter zieht er nach Minsk, wo auch seine Mutter mittlerweile lebt. Gleich bei seinem Einzug in die neue Wohnung bemerkt er aufgemalte rote Kreuze an seiner Tür. So trifft er auf Tatjana, seine 90-jährige Nachbarin, die sich aufgrund ihrer Alzheimererkrankung an den Kreuzen orientieren kann. Zwischen Alexander und Tatjana entwickelt sich eine Generationen übergreifende Freundschaft. Und Tatjana beginnt zu erzählen, von ihrer Kindheit und Jugend im Ausland, ihrer Ehe, der Zeit während des Krieges, als ihr Mann in Kriegsgefangenschaft gerät und wie sie sich und ihren Mann zu retten versucht und dabei an den daraus resultierenden Konsequenzen ihren weiteres Leben lang zu leiden hatte.
Der weißrussische Autor Sasha Filipenko schreibt an wider das sowjetische Vergessen. Rote Kreuze ist sein erstes Buch, das auf Deutsch erscheint. Das(rote) Kreuz als Symbol zieht sich durch das Buch wie ein roter Faden. Rote Kreuze als Wegweiser für eine alte demente Frau. Das Rote Kreuz, das während des Krieges unermüdlich versucht das Leid der Kriegsgefangenen zu erleichtern und vom stalinistischen Kriegsapparat genauso unermüdlich ignoriert wird. Das Kreuz als Mahnmal an einen geliebten Menschen und die Fähigkeiten eines Menschen „sein Kreuz zu tragen“.
„Mitten auf dem Feld stand ein Kreuz. Dünn, groß wie ein Mensch. Einfach aber stolz. Zusammengeschweißt aus zwei alten Rohren, abgeblättert und vom Rost zerfressen, schimmerte das Kreuz rötlich…“
Alzheimer mit seiner Heimtücke des Vergessens veranlasst Tatjana, ihr gesamtes Leben vor Alexander auszubreiten, solange sie sich noch erinnert. Doch braucht es den Aufhänger „Alzheimer“ für diese Geschichte? Tatajana wirkt zu stringent um dement zu sein. Das Schicksal der Zeitzeugen müsste nicht unbedingt noch durch eine Erkrankung verstärkt werden.
So erfahren wir die gesamte russische Tragödie des 20. Jahrhunderts anhand von Tatjanas Lebensgeschichte. Es ist eine „Biografie der Angst“ über ein Leben mit Furcht und Schuld und eine Geschichte der Absurdität so manchen menschlichen Handelns. Eine Anklage an das Sowjetregime, eine zornige Rede gegen Gott und die Welt. Dabei sollte man sich aber auch hin und wieder an Alexander erinnern, dessen eigenes Leben eine außergewöhnlich traurige Geschichte bereit hält und die in Tatjanas Redefluss beinahe untergeht.
Erzählen gegen das Vergessen - die Strategie geht auf. Das berührt, macht zornig und betroffen. Allein, der Alzheimerbezug wirkt aufgesetzt.

Bewertung vom 15.04.2020
Palast der Miserablen
Khider, Abbas

Palast der Miserablen


ausgezeichnet

Shams Hussein wächst In einem kleinen schiitischen Dorf im Süden des Iraks auf. Es sind die 1980er Jahre, die Zeit des ersten Golfkrieges und später der Invasion des Iraks in den Kuweit. Die Eltern erhoffen sich ein besseres Leben in der Hauptstadt und so zieht die Familie nach Bagdad, wo sie sich mühsam im Slum, der Blechhüttenstadt, eine kleine Existenz aufbauen. Mit findigen Ideen, vom Plastiktütenverkäufer am Basar, Wasserverkäufer bei Fußballspielen, Busfahrergehilfe, trägt Shams schon als Junge zum kargen Familieneinkommen bei. Mit Hilfe eines entfernten Verwandten bekommen er und seine ältere Schwester Qamer wieder einen Schulplatz. Shams entdeckt seine Liebe zu Büchern und der Literatur, schließt sich einem kleine Kreis von Kunst- und Literaturbegeisterten an: dem Palast der Miserablen. Es ist eine Zeit, in der es gefährlich ist zu denken und eines Tages wird Shams verhaftet und landet in den Kerkern Saddams.
Der Autor Abbas Khider ist 1973 im Irak geboren und wurde mit 19 Jahren wegen seiner politischen Tätigkeit verhaftet. Ihm gelang nach seiner Entlassung die Flucht in den Westen, wo er seit 2000 in Deutschland lebt und schreibt. Mit Shams‘ Geschichte schreibt Abbas Khider über das Leben und Überleben im Irak. Gleich zu Beginn erfahren wir von Shams, dass er als politischer Gefangener inhaftiert ist, nach und nach erzählt Shams von seiner Kindheit und Jugend, Vergangenheit, Gegenwart und einer ungewissen Zukunft.
„Der Krieg zog sich acht Jahre lang hin und irgendwann wurde er normal.“ Es darf niemals normal sein, wenn Krieg zum Alltag wird. Der Vater als Soldat eingezogen, die Mutter allein mit zwei Kindern, die sich tagelang im Schrank vor den „Bomben des Bush“ verstecken. Das Heimatdorf der Familie trägt einen skurrilen Namen. Helle, in der Übersetzung bedeutet das herzlich, hieß das Dorf unter der Herrschaft der Osmanen. Als die Briten die Türken vertrieben, fanden sie dort unterirdische Kerker und Folterkammern und tauften das Dorf in „hell“ - Hölle – um. Willkommen in der herzlichen Hölle, wo sich Shams Eltern trotz Krieg, Armut und Elend um ein harmonisches und liebevolles Familienleben bemühen. Die Namen der Kinder, Shams die Sonne, Qamer der Mond, zeigen, dass sich die Eltern für die Kinder ein besseres Leben wünschen.
„Erst acht Jahre Krieg gegen den Iran, dann eine kleine Pause, bis Kuwait dran war. Das hat zum zweiten Golfkrieg geführt, der wiederum den Aufstand im Süden und Norden zur Folge hatte. Davor, danach oder dazwischen noch unzählige weitere Kampfhandlungen: Regierung gegen Opposition, Opposition gegen Opposition, Araber gegen Kurden, Araber gegen Araber, Muslime gegen Christen, Volk gegen Volk und so weiter. Die Liste an Kriegen, Schlachten und Massakern ist endlos und wird jeden Tag länger.“
Literatur und Bücher werden für den heranwachsenden Shams Orte der Zuflucht, ein Ventil der Gedankenfreiheit. Im Palast der Miserablen trifft er auf Gleichgesinnte. Doch die richtigen Gedanken und Wort zur falschen Zeit sind lebensgefährlich im Regime von Saddam Hussein.
Abbas Khider schreibt darüber, wenn Krieg eine Normalität ist und die Willkür einer Diktatur obsiegt. So sollte niemand leben müssen.

Bewertung vom 11.04.2020
Dankbarkeiten
Vigan, Delphine

Dankbarkeiten


ausgezeichnet

Michka sucht. In ihren Erinnerungen, nach Dingen, die sie verlegt hat. Doch was sie in Wirklichkeit verliert, sind Worte. Nach und nach ersetzt sie diese durch ähnlich klingende. Als die alte Dame nicht mehr in der Lage ist, ihren Alltag alleine zu bewältigen, kümmert sich Marie um einen Platz im Seniorenheim für Michka. Doch dort vermisst Michka ihre Eigenständigkeit, findet sich nicht zurecht. Trotz der Unterstützung von Marie und dem Logopäden Jerome verliert Michka immer mehr den Bezug zum Leben. Ein großen Wunsch hat sie noch: das Ehepaar zu finden, dem sie als Kind ihr Leben zu verdanken hat.
„Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie oft Sie am Tag Danke sagen? Danke für das Salz, für die aufgehaltene Tür, für die Auskunft.“
Danke zu sagen für die kleinen alltäglichen Dinge, das geht uns oft sehr leicht von den Lippen. Tiefe ehrliche verbunden Dankbarkeit auszusprechen, den Menschen gegenüber, die für uns da sind, in der Not, in Zeiten der Angst, Dunkelheit und Einsamkeit, dankbar sein gegenüber denjenigen die unser Leben retten, dankbar sein dem Leben selbst gegenüber. Ein großes Thema, das die französische Autorin Delphine de Vigan so sensibel und stark zugleich in die Hand nimmt. Die französische Autorin legt Schonungslosigkeit und Barmherzigkeit gleichermaßen uns ans Herz.
Michkas Suche nach Worten, ihre fortschreitende Paraphasie rührt zutiefst. Es ist nicht nur der Verlust der Sprache, sondern auch der Verlust der Selbstbestimmtheit im Alter, der Michka immer mehr zum Verschwinden bringt. Nur mehr in ihren (Alp)träumen lehnt sie sich dagegen auf: „Wir brauchen nur das Gefühl, wir seine noch ein bisschen frei, denn sonst: Wozu das alles?“
Wenn die Sprache verloren geht, was bleibt uns dann? Wertschätzung, Liebe, Zuneigung, Berührung. Dankbarkeit.

Bewertung vom 05.04.2020
Was wir sind
Hope, Anna

Was wir sind


sehr gut

London Fields 2004, Lissa, Cate, Hannah, drei Frauen kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Sie lieben das alte Haus, in dem sie in Wohngemeinschaft leben. Lieben die Wochenenden im Park, lieben die Leichtigkeit ihres Lebens. Sie sind keine Mädchen mehr und noch weit entfernt, davon alt zu sein. „Sie haben noch Zeit zu werden, wer sie später einmal sein wollen.“
Später einmal: Lissa sehnt sich nach Erfolgserlebnissen als Schauspielerin, hangelt sich von einem Vorsprechen zum Nächsten. Cate ist mit Sam verheiratet und seit kurzem Mutter. Sie hat London mit ihrer Familie verlassen, lebt nun in Canterbury. Sie schläft kaum, schafft den Alltag nicht. Ihr Muttersein erfüllt sie nicht. Hannah hingegen startet einen vergeblichen Versuch nach dem anderen, schwanger zu werden, ein Leidenszyklus, an dem ihre Beziehung mit Nathan zerbrechen wird.
Die britische Autorin Anna Hope schreibt über drei Frauen, ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe. Was diese drei Frauen verbindet ist ihre Freundschaft und selbst diese ist immer wieder schweren Prüfungen ausgesetzt. Was diese Frauen trennt ist Kinderwunsch, Mutterschaft, beruflicher Erfolg: jede wünscht sich ein bisschen etwas vom Leben der anderen.
„Expectation“ – Erwartung ist der Originaltitel dieses Buchs. Anna Hope schreibt in ihrem Roman „Was wir sind“ über Sehnsüchte, Träume, Hoffnungen und Ansprüche von Lissa, Cate und Hannah. Diese drei Protagonistinnen stehen stellvertretend für alle Frauen. In jeder Frau steckt wohl ein bisschen etwas von diesen dreien. Die Rebellionen und Illusionen der Jugend weichen Kompromissen. Erwartungen haben in der Realität nicht immer Bestand. Es sind oft sehr private Momente, an denen die Autorin uns teilhaben lässt und stellt ihre Protagonistinnen trotzdem nicht bloß. Nichts davon ist lebensfremd, gekünstelt, geschönt oder schnulzig.
Was wir sind, ist nicht immer was wir waren. Was wir sind, ist niemals statisch. Was wir sind, ist was wir erleben, erfühlen, erfahren. Und das macht uns letztlich zu dem, wer wir sind.

Bewertung vom 29.03.2020
Diabolic - Fatales Vergehen / Wyoming Bd.2
Jackson, Lisa;Bush, Nancy;Noonan, Rosalind

Diabolic - Fatales Vergehen / Wyoming Bd.2


schlecht

Prairie Creek, ein verschlafenes Nest in Wyoming. Es ist 15 Jahre her, als ein Mann die drei Teenager Mädchen Kat, Shiloh und Ruthie beim mitternächtlichen Baden überfiel und Ruthie vergewaltigte. Über all die Jahre haben die drei Stillschweigen über diesen Vorfall bewahrt und längst den Kontakt zueinander verloren. Nur Kat blieb in Prairie Creek und wurde wie ihr Vater zuvor Cop. Jetzt, als Shiloh und Ruth aus familiären Gründen in ihre Heimatstadt zurückkehren, das „Monster vom See“ war niemals fort. Ein Mädchen verschwindet, die Leiche einer jahrelang vermissten Frau taucht auf. Und der Täter hat es wieder auf die drei Freundinnen abgesehen.
„Diabolic – Fatales Vergehen“ ist ein Gemeinschaftswerk der drei amerikanischen Autorinnen Lisa Jackson, Nancy Bush und Rosalind Noonan. Es sit der zweite Teil der Wyoming-Reihe. Ich kenne den Vorgänger allerdings nicht und das Buch setzt auch keinerlei Vorkenntnisse voraus.
Der Originaltitel des Buches lautet „Ominous“. Was den deutschen Verlag geritten hat, hier ein Vergehen in den Titel zu setzen, kann ich nicht nachvollziehen. Denn hier in diesem Buch geht es um schwerwiegende Verbrechen: Vergewaltigung, Entführung, jahrelang angewendete sexuelle Gewalt.
Prairie Creek ist ein Mikrokosmos, abgeschieden, am Rande der Zivilisation. Die Menschen kennen sich dort, sind untereinander verbandelt, verheiratet, verschwägert, dass man leicht beim who is who den Faden verliert. Die Männer in dieser Kleinstadt scheinen alle (außer vielleicht der alte Detective und der bigotte Reverend, der Ruthies Vater ist) triebgesteuert, egal ob sie auf der guten oder bösen Seite stehen. Die Protagonistinnen bekommen alle einen Liebhaber ab, es gibt reichlich Sex als Seitenfüller in diesem Buch: Beulen in der Hose, feuchte Höhlen, zuckende Schwänze, pumpende Lenden (ich zitiere, das ist nicht mein Wortschatz). Was ich in einem Buch, in dem es um die Jagd auf einen Vergewaltiger geht für absolut geschmacklos und unangebracht halte. Und es gibt permanent große Brüste, in jedem Kapitel mindestens ein Paar.
Das ist schlechter Stil, platt und einfältig. Fatales Vergehen? Nein, viel eher fataler Fehler.

Bewertung vom 28.03.2020
Knochengrab / Sayer Altair Bd.2 (eBook, ePUB)
Cooper, Ellison

Knochengrab / Sayer Altair Bd.2 (eBook, ePUB)


gut

Eigentlich wollte der FBI Agent Max Cho nur seine Mutter besuchen und mit seinem Hund einen Ausflug in den Shenandoah Nationalpark machen. Doch dabei erschnüffelt der ausgebildete Leichensuchhund menschliche Überreste im Wald Es ist nicht nur eine Grube voller Knochen, die dort schon über sehr lange Zeit liegen mussten. Auch zwei wenige Tage alte Leichen werden geborgen. Die FBI Agentin Sayer Altair wird aus Washington an den Fundort gerufen, um dort gemeinsam mit Cho, der forensischen Anthropologin Dana und dem ortsansässigen Polizeichef zu ermitteln.
Es sind keine guten Zeiten für das FBI. Der Skandal, der im Vorgängerband zu Tage getreten war, hat politische Konsequenzen. Auch für Sayer, die sich gerade erst von der Verletzung erholt hat, die sich in ihrem ersten Fall zugezogen hat. So muss die toughe Agentin ohne Sonderermittlungsteam mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen einen Cold Case Fall und gleichzeitig, einen aktuellen Entführungs- und Mordfall lösen. Die Handlung ist sehr amerikanisch, wirkt wie ein stark aufgebauschtes Criminal Minds Setting. Alle Bestandteile, die für die Psychopathenjagd nötig sind, liegen vor. Ein abgeschiedener Tatort, eine kleine Gruppe von Ermittlern und der aufkeimende Verdacht, dass irgendjemand in den eigenen Reihen etwas zu verbergen hat. Wie schon im ersten Band dieser Reihe bedient sich die Autorin Ellison Cooper einiger Elemente aus der Mytholgie, verbindet ihre eigenes anthropologisches Fachwissen mit ihrer Erfahrung als Mordermittlerin in Washington. Coopers Ermittlerin Sayer Altair mag ich sehr. Sie ist integer, geradlinig und reflektiert. Sie hat Ecken und Kanten, äußere und innere Narben. Sayers berufliche und private Geschichte zieht sich mit rotem Faden durch die Serie und mit einem geschickten Cliffhanger macht die Autorin auf den weiteren Fortgang neugierig.

Bewertung vom 21.03.2020
Ein wenig Glaube
Butler, Nickolas

Ein wenig Glaube


sehr gut

Peg und Lyle Hovde sind schon lange verheiratet, haben gemeinsam Höhe und Tiefen erlebt. Als ihre Adoptivtochter Shiloh mit ihrem fünfjährigen Sohn Isaak zurück nach Hause zieht, beginnen sie auch ihr Großelterndasein zu genießen. Doch dann zieht es Shiloh immer mehr zu einer dubiosen Glaubensgemeinschaft, dem Bund der Flusstäler, und verfällt dem charismatischen Prediger Steven. Doch als dieser Isaak zum Glaubensheiler erklärt, müssen Peg und Lyle eine schwierige Entscheidung treffen.
Glaube, Fanatismus und die Instrumentalisierung der Kleinsten und Schwächsten einer Gemeinschaft. Nickolas Butler hat sich hier eines ungeheuer sensiblen Themas angenommen. Der Glaube als privates Ereignis, und die Herausforderung, Selbstbestimmtheit zu achten und diejenigen zu beschützen, die (noch) nicht selbst in der Lage sind für sich einzutreten.
Nickolas Butlers Stärke liegt in der großartigen Charakterisierung seiner Figuren. Allen voran Lyle, einem großherzigen, aufmerksamen und liebevollem Ehemann, Vater und Großvater. Butlers Stärke in die Herzen der Männer zu schauen ist gleichzeitig ein bisschen seine Schwäche, denn neben Lyle verblassen die anderen Personen, vor allem die Frauen in dieser Geschichte. Lyle ist ein sehr erdverbundener Mann, steht treu zu seiner Frau, ist unverdrossen trotz seines Alters fleißig, steht mit beiden Beinen in der Realität. Seit dem Tod seines Sohnes Peter, der als Baby verstarb, hat Lyle den Glauben an einen Gott verloren. Trotzdem versucht er seine Tochter zu verstehen, sucht Rat bei seinem Kindheitsfreund, der der Priester seiner Heimatgemeinde ist. Er fühlt große Liebe zu seiner Familie, zu Shiloh und vor allem zu Isaak. Doch letztlich sind ihm die Hände gebunden, wenn er das kleine Kind aus den Fängen der Sekte befreien will.
Ein wenig Glaube ist ein Buch, das nachdenklich stimmt, bedrückt, berührt und auch zornig macht. Es ist keine abwegige Geschichte, die Butler hier erzählt. Charismatische Anführer, die genau die Sorgen und Ängste derer, die sich Hilfe und Trost erhoffen, zu eigenen Zwecken ausnutzen, sich bereichern und auf deren Kosten sich profilieren, gab und gibt es immer wieder. Dieses Thema aufzugreifen war eine gute Entscheidung.