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Tsubame

Bewertungen

Insgesamt 48 Bewertungen
Bewertung vom 24.08.2020
Wilde Freude
Chalandon, Sorj

Wilde Freude


sehr gut

Der Autor Sorj Chalandon ist gebürtiger Tunesier und gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Frankreichs. Ohne es genauer begründen zu können, fand ich sein Buch sehr 'französisch', was dafür spricht, dass er schon lange in Frankreich lebt und arbeitet.

Das Thema, dem sich Sorj Chalandon in seinem Roman "Wilde Freude" angenommen hat, ist ein sehr weibliches. Es geht um 4 Frauen, von denen 3 an Brustkrebs erkrankt sind. Die Geschichte wird aus Sicht von Jeanne Hervineau erzählt, einer eher ängstlichen Buchhändlerin, die sich für alles und jedes entschuldigt, was ihr bei den anderen schon bald den Namen "Jeanne Sorry" einträgt.

Alle 4 Frauen haben schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht, Jeannes Ehemann Matt kommt mit der Erkrankung seiner Frau nicht klar und verlässt sie, nachdem ihr die Haare ausfallen und sich Jeannes Zustand nicht mehr verbergen lässt.

Das liest sich z.T. sehr beklemmend und man ist froh, dass sich da 4 Gleichgesinnte gefunden haben, um dem Krebs gemeinsam den Krieg zu erklären. Doch nicht nur das. Der Musketierspruch "Einer für alle, alle für einen" wird hier auch in anderen Situationen auf weibliche Art und Weise umgesetzt. Um einer der ihren zu helfen, beschließen die Frauen, einen Juwelier auszurauben...

Mir hat das Buch gefallen, auch wenn es mich nicht gleich mitgerissen hat. Das Thema "Brustkrebs" aus der Feder eines Mannes hätte auch leicht daneben gehen können, aber ich fand, der Autor hat das gut gemeistert und den Frauen bei all dem Elend doch ihre Würde gelassen. Zu guter Letzt kann der Roman noch mit einer überraschenden Wende aufwarten. Leserherz, was willst du mehr?

Bewertung vom 24.06.2020
Das Holländerhaus
Patchett, Ann

Das Holländerhaus


sehr gut

Ein amerikanisches Märchen

Allein vom Titel her hätte ich nicht vermutet, dass die Geschichte des Romans "Das Holländerhaus" in der Umgebung von Philadelphia spielt. Doch da sich Amerika aus vielen unterschiedlichen Einwanderernationen zusammensetzt, waren sicherlich auch ein paar Holländer darunter - in diesem Fall die Familie VanHoebeek, die ihr Vermögen durch den Großhandel mit Zigaretten gemacht hatte und sich von dem Geld ein ein prachtvolles Haus errichten ließ, dessen Beschreibungen fast wie im Märchen anmuten:

"Aus der Ferne betrachtet, von gewissen Aussichtspunkten aus, schien es ein Stückchen über dem Hügel zu schweben, auf dem es errichtet war. Die Fensterscheiben links und rechts der gläsernen Haustür waren so groß wie Schaufenster und wurden von schmiedeisernen Weinranken an Ort und Stelle gehalten. Die Fenster ließen die Sonne nicht nur ins Hausinnere, sondern warfen ihr Licht gleichzeitig auf den weitläufigen Rasen vorm Haus zurück." (S.17)

In diesem Haus leben später die Geschwister Maeve und Danny zusammen mit ihren Eltern. Doch während sich der Vater über das Schnäppchen freut, das er durch einen günstigen Handel erworben hat, ist die Mutter von dem Reichtum irritiert und verlässt die Familie, um in Indien Gutes zu tun.

Ihre Nachfolgerin ist eine deutlich jüngere Frau, die prompt mit ihren beiden eigenen Kindern einzieht und sich als die böse Stiefmutter entpuppt, wie man sie aus zahlreichen Märchen kennt. Sie vertreibt Maeve und Danny aus dem Paradies, als deren Vater überraschend an einem Herzinfarkt stirbt. Als echte Hexe hat sie natürlich schon zu Lebzeiten dafür gesorgt, dass allein ihre eigenen Kinder Begünstigte des Vermögens sind. Nur einen Ausbildungsfond hat sie vergessen, und um ihre Stiefmutter ordentlich zu schröpfen, schmiedet Maeve den Plan, dass ihr jüngerer Bruder Danny Medizin studieren soll.

Nun könnte man denken, man wüsste wie dieses Märchen ausgeht. Schließlich werden alle bösen Stiefmütter letztendlich bestraft und es gibt ein paar glückliche Gewinner. Doch so einfach ist es in der Geschichte von Ann Patchett dann doch wieder nicht, denn das wahre Leben sieht in der Regel anders aus. Und so begleitet man die beiden Geschwister durch ihr Leben und stellt fest, dass die Zeit vielleicht nicht alle Wunden heilt, manches im Laufe der Jahre aber doch unwichtiger erscheinen lässt.

Die rund 400 Seiten des Romans sind unterhaltsam und fesselnd erzählt, man erfährt einiges über das Wirtschaftswachstum der 50er und 60er Jahre, doch ein paar Längen gab es meiner Meinung nach leider auch. Daher 'nur' 4 Sterne von mir, aber lesenswert ist die Geschichte auf jeden Fall!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.03.2020
Hotel Cartagena / Chas Riley Bd.9
Buchholz, Simone

Hotel Cartagena / Chas Riley Bd.9


sehr gut

Ein Krimi mit Sogwirkung

Da ich bereits den Vorgängerband von "Hotel Cartagena" gelesen hatte, war ich an den eigenwilligen Schreibstil der Autorin Simone Buchholz schon ein wenig gewöhnt. Doch in diesem Buch setzt sie noch einen drauf. Das Ganze wirkt fast experimentell.

Doch worum geht es überhaupt? Staatsanwältin Chastity Riley feiert mit ihren Kollegen den Abschied von Hauptkommissar Faller, der in den Ruhestand geht. Man hat sich für das Fest die Bar eines luxuriösen Hotels am Hamburger Hafen ausgesucht. Doch aus der Feier wird mit einem Schlag eine Geiselnahme, als eine Gruppe bewaffneter Männer in die Hotelbar eindringt.

In einem weiteren Erzählstrang erfährt man von einem gewissen Henning, der einst nach Südamerika aufbrach, um in der Welt sein Glück zu suchen.
Wie das alles zusammenhängt, wird erst allmählich klar. Zunächst wissen weder die Geiseln noch der Leser, worum es in dieser Geschichte genau geht.
Eins ist jedoch von Anfang an klar: es geht um große Gefühle und komplizierte Beziehungen, die Simone Buchholz in ihrem typischen Erzählstil offenlegt. Dabei spielt sie mit unterschiedlichen Tempi und irgendwann hatte ich tatsächlich das Gefühl, als befände ich mich inmitten eines Musicals, wo die Akteure plötzlich zu singen und zu tanzen anfangen (ich spiele da auf die Stelle mit dem 'Karussell' an). Das mag nicht jedem gefallen, aber ich fand es irgendwie innovativ.

Weniger gefallen hat mir das überstürzte Ende, zu dem ich aber nichts näher verraten möchte.
Alles in allem ein rasantes Lesevergnügen und ein Krimi, der mal so ganz anders daher kommt, als man es als Leser gewohnt ist.

Bewertung vom 01.03.2020
Das Evangelium der Aale
Svensson, Patrik

Das Evangelium der Aale


ausgezeichnet

Faszination Aal

Seit es mit unserem Planeten immer weiter bergab geht, erscheinen immer öfter Bücher, die sich mit den Wundern unserer Erde auseinandersetzen - nicht in Form eines rein wissenschaftlichen Textes, sondern in Form einer fiktionalen oder nicht-fiktionalen Naturbeschreibung. Während ich Sachbücher oft als etwas trocken empfinde, vereint das so genannte "nature writing" interessante Fakten mit persönlichen Erfahrungen, Erlebnissen und Gefühlen des Autors. Wenn sich dann ein so begnadeter Schreiber wie Patrik Svensson dem Thema Aal annimmt, dann bekommt dieser auf den ersten Blick wenig sympathische Fisch einen Fürsprecher, dem es gelingt auch aus dem größten Aal-Skeptiker einen frisch gebackenen Aal-Fan zu machen.

Ich selbst kannte den Aal bisher hauptsächlich aus der bekannten und extrem abstoßenden Szene in der "Blechtrommel" und habe mir sonst keine weiteren Gedanken um diesen Fisch gemacht. Jetzt, wo ich um die "Aalfrage" weiß und um die Strapazen, die der Aal auf sich nimmt, um sich fortzupflanzen, bin ich fasziniert von diesem Wesen, gleichzeitig aber auch traurig, dass es ihn wahrscheinlich bald schon nicht mehr geben wird.
"Das Evangelium der Aale" ist Zeugnis eines faszinierenden Wasserbewohners, der die Menschheit lange Zeit an der Nase herumgeführt hat, sich in Gefangenschaft nicht züchten lässt und der sogar vom Tode auferstehen kann.
Ein tolles Buch! Von mir eine ganz klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 25.02.2020
Rote Kreuze
Filipenko, Sasha

Rote Kreuze


ausgezeichnet

In einem Mietshaus in Minsk treffen der junge Alexander und die über neunzigjährige Tatjana Alexejewna aufeinander. Die alte Dame hat ein rotes Kreuz auf seine Tür gemalt, mit Hilfe dessen sie sich im Haus orientiert. Tatjana Alexejewna hat Alzheimer und möchte ihrem Nachbarn ihre Geschichte erzählen, solange sie sich noch an diese erinnern kann.
Alexander, Vater einer kleinen Tochter, folgt seiner Nachbarin zunächst widerwillig in deren Wohnung, hört ihr dann aber doch mit zunehmendem Interesse zu, während diese ihm die unsagbaren Schrecken schildert, die ihr unter Stalin widerfahren sind.
Doch auch Alexander hat eine Vorgeschichte, die er Tatjana Alexejewna allmählich offenbart...

Der Autor Sasha Filipenko ist ein umtriebiger Mensch. Er arbeitete bereits als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satire-Show und als Fernsehmoderator. Nun liegt mit "Rote Kreuze" der erste von vier Romanen erstmals auch auf deutsch vor und ich habe mich gefragt, warum ich mit dieser Geschichte, die so vielversprechend begann, eigentlich nicht warm geworden bin.
Vielleicht liegt es ja gerade an dieser Vielseitigkeit des Autors, dem es meiner Meinung nach nicht so recht gelingt, seine Figuren mit echten Gefühlen auszustatten. Ich konnte mich in die Personen nicht einfühlen, zu stark die Distanz und der Anspruch des Autors, die recherchierten historischen Dokumente lückenlos in die Geschichte einzufügen. Briefe und Telegramme lesen sich in etwa so spannend wie eine x-beliebige Gebrauchsanweisung, weshalb ich sie auch einfach überlesen habe.
Alles in allem fand ich die Geschichte um Tatjana Alexejewna gelungener als die um ihren Nachbarn Alexander, doch obwohl das Thema "Leben unter Stalin" eigentlich sehr interessant und zweifellos wichtig ist, hat mich die Geschichte nicht berühren können. Ich glaube, um ein richtig guter Schriftsteller zu sein, braucht es eben doch etwas mehr als nur eine "gute story".

Bewertung vom 25.02.2020
Ein wenig Glaube
Butler, Nickolas

Ein wenig Glaube


sehr gut

Mit "Ein wenig Glaube" rührt Nickolas Butler an ein Thema, bei dem man sich in heutiger Zeit leicht in die Nesseln setzen kann. Ich hatte zunächst die Befürchtung, dass die Geschichte ins Schwülstige abrutschen könnte, doch Nickolas Butler ist ein guter Erzähler, der all seinen Figuren ihr Recht auf Glaubensfreiheit lässt, sich aber dennoch nicht scheut, Religion und Glauben in Frage zu stellen und wenn nötig auch zu kritisieren.
Der Roman beginnt mit einer Szene auf dem Friedhof. Lyle Hovde, Hauptprotagonist der Geschichte, ist mit seinem Enkel Isaac unterwegs, um sich um das Grab seines Sohnes zu kümmern, den er in jungen Jahren verloren hat. Enkel und Großvater haben eine harmonische und innige Beziehung, nichts kann den Frieden trüben, so scheint es. Allmählich erfährt man, dass Isaac der Sohn von Lyles und dessen Frau Pegs Adoptivtochter Shiloh ist, die übergangsweise wieder bei ihnen eingezogen ist. Shiloh hat sich einer religiösen Sekte angeschlossen und verliebt sich schon bald in deren charismatischen Führer. Sie überredet ihre Adoptiveltern, ebenfalls mit in das Gebetshaus, ein ehemaliges Kino, zu kommen, und obwohl Lyle und seine Frau eigentlich viel lieber in ihre eigene Kirche gehen würden, stimmen sie dem Vorschalg ihrer Tochter zu.
Lyle jedoch bleibt der skeptische Beobachter und Zweifler und bekommt schon bald die Sanktionen seiner Tochter zu spüren, die ihm schließlich den Umgang mit seinem Enkel verbietet.
Nickolas Butlers Kunst besteht darin, nicht nur die fortschreitende Entfremdung zwischen Eltern und Tochter darzustellen, sondern auch die Liebe und Ohnmacht zu vermitteln, mit der Lyle und Peg auf ihre eigene Art versuchen, diesen Prozess aufzuhalten. Im Gegensatz zu der Sekte, die Liebe predigt, sind sie es, die Liebe praktizieren – nicht nur im Umgang mit ihrer Tochter und ihrem Enkel, sondern auch im Umgang mit den Menschen, die sie ihr Leben lang begleitet haben wie der an Krebs erkrankte Hoot oder das Ehepaar Otis und Mabel. Und am Ende ist es Lyle, der Skeptiker, der die Entscheidung trifft, seinen Enkel aus den Fängen der Sekte herauszuholen ...
Fazit: Die Geschichte entfaltet sich gemächlich und lässt Gläubige und Nicht-Gläubige aufeinandertreffen. Das führt zu interessanten Fragestellungen, die einem jedoch nicht das Gefühl geben, der Autor wolle einem etwas "überstülpen". Da die Geschichte zudem an eine wahre Begebenheit angelehnt ist, behandelt sie ein Thema, über da es sich definitiv nachzudenken lohnt.

Bewertung vom 28.01.2020
All unsere Jahre
Page, Kathy

All unsere Jahre


ausgezeichnet

Ich hätte nie gedacht, dass ein "Eheroman" mich so begeistern könnte. Berührend, spannend, gut geschrieben - 6 Sterne, wenn es sie gäbe

Bewertung vom 28.01.2020
Long Bright River
Moore, Liz

Long Bright River


ausgezeichnet

Streets of Philadelphia

1994 erschien das Lied 'Streets of Philadelphia' von Bruce Springsteen zu dem HIV-Film “Philadelphia” mit Tom Hanks und Denzel Washington. Schon damals ahnte man, dass unter der Oberfläche der amerikanischen Millionenstadt, in der am 4. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung beschlossen und verkündet wurde, wohl längst nicht alles so strahlt, wie es der äußere Anschein vielleicht glauben machen will.
Nun hat die Amerikanerin Liz Moore Philadelphia in ihrem Roman 'Long Bright River' erneut zum Schauplatz gemacht und führt den Leser mitten hinein in die Opioid-Krise der Stadt. Millionen Amerikaner sind süchtig, der Stadtteil Kensington steht in Philadelphia für das ganze Elend derer, die nur noch dafür leben, den nächsten Schuss aufzutreiben.
Die beiden Hauptpersonen des Romans sind Mickey und Kacey, die bei ihrer harschen Großmutter aufwachsen mussten, da sie schon früh ihre Eltern verloren haben. Mickey, die Ältere, bekommt schon in jungen Jahren die Aufgabe übertragen, auf ihre kleine Schwester aufzupassen, die die Fähigkeit hat, sich jede Menge Schwierigkeiten einzuhandeln. Sie selbst ist eine Einzelgängerin, die lieber liest und nur schwer Anschluss findet. Doch trotz ihrer Unterschiede halten die beiden Schwestern zusammen, bis es mit einem Male zum Bruch kommt.
Als Leser(in) erfährt man bereits sehr früh, dass die beiden seit 5 Jahren nicht mehr mit einander gesprochen haben. Mickey ist inzwischen Streifenpolizistin, hat einen Sohn und schlägt sich mit den Problemen einer alleinerziehenden Mutter und berufstätigen Frau in einer Männerdomäne herum. Kacey ist abgerutscht, drogensüchtig und geht auf der Kensington Avenue anschaffen. Doch obwohl zwischen den beiden Schwestern Funkstille herrscht, hat Mickey nie aufgehört, heimlich über ihre Schwester zu wachen. Als sich die Morde an jungen Prostituierten häufen und Kacey mit einem Male verschwunden ist, muss Mickey ihr Schneckenhaus verlassen und begibt sich auf die Suche nach ihrer Schwester.
Meine Meinung: Nein, das Buch ist kein Thriller, auch wenn ein Serienmörder darin vorkommt. Aber es gibt sich ja auch gar nicht als solcher aus, sondern als Roman und dieser ist so spannend geschrieben, dass mich die Geschichte sofort in ihren Bann gezogen hat. Die Kapitel springen zwischen 'damals' und 'jetzt' hin und her und so taucht man immer tiefer ein in die Geschichte der Geschwister, verschüttete Familiengeheimnisse, die Stadt Philadelphia mit ihrem Drogenproblem und - ganz nebenbei - den Kriminalfall um einen Prostituiertenmörder.
Besonders berührt haben mich die Schilderungen der Säuglinge von heroinabhängigen Müttern und deren schmerzhaften Entzugserscheinungen. Ich kenne sonst kein Buch, das diesen kleinen und so hilflosen Opfern bisher eine Stimme gegeben hätte.
Für mich war der Roman "Long Bright River" ein ganz großes Leseerlebnis, das mich nicht nur gefesselt, sondern auch zum Nachdenken gebracht hat.