Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Tsubame

Bewertungen

Insgesamt 45 Bewertungen
Bewertung vom 05.08.2022
Die Übung
Petrucci, Claudia

Die Übung


ausgezeichnet

"Jede Beziehung ist ein Schauspiel: Man bleibt in seiner eigenen Rolle bis zum letzten Akt." Faszinierendes Leseerlebnis aus Italien!

Bewertung vom 05.08.2022
Die Widerspenstigkeit
Bonné, Mirko

Die Widerspenstigkeit


ausgezeichnet

Die Ausgabe des Klassikers "Der kleine Prinz", der seit Jahren in meinem Bücheregal steht, ist von 1976. Ich habe das Buch während der Schulzeit von einer Freundin geschenkt bekommen. Meine Lieblingsfigur war damals der Fuchs, der mit Weisheit und Gewitztheit aufwarten konnte. Von ihm stammen die berühmten Worte: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

Und eben dieser Begegnung mit einem Fennek, wie die kleinen Füchse mit den großen Ohren in den Sandwüsten Nordafrikas genannt werden, hat der Autor Mirko Bonné das vorliegende Werk "Die Widerspenstigkeit" gewidmet.

Wir lernen den Ich-Erzähler kennen, als er mitten in der Wüste dabei ist, das Wrack des Flugzeugs von Antoine de Saint-Exupéry auszugraben, mit dem dieser und sein Mechaniker Prévot bei dem Versuch, den Streckenrekord Paris–Saigon aufzustellen, 1935 abgestürzt waren.

Ein Wüstenfuchs beobachtet ihn dabei und verlangt vom Erzähler, "gezähmt" zu werden.

Mirko Bonnés Geschichte setzt sich mit bekannten Sätzen und Begriffen aus dem Original auseinander und nimmt sie sogar ein wenig auf die Schippe, indem er den Fennek sagen lässt "Man sieht nur mit den Ohren gut."

Auch eine Rose kommt in dieser Geschichte vor, Schlangen und natürlich auch ein Prinz.

Die 2017 im Karl Rauch Verlag erschienene Ausgabe ist sprachlich, optisch, haptisch und auch inhaltlich ein Genuss und allen Freundinnen und Freunden des Kleinen Prinzen wirklich Wärmstens zu empfehlen.

Bewertung vom 04.08.2022
Mutabor
Scheuer, Norbert

Mutabor


sehr gut

Die Geschichte der Nina Plisson

Nach "Peehs Liebe" und "Winterbienen" ist "Mutabor" inzwischen das dritte Buch, das ich von Norbert Scheuer gelesen habe. Wie bei allen seinen Büchern spielt die Geschichte in Kall in der Nordeifel, eine Gemeinde, in der sich die unterschiedlichsten Gestalten tummeln. Man trifft sogar alte Bekannte aus Vorgängerromanen wieder wie Paul Arimond, der bereits im Roman "Die Sprache der Vögel" seinen Auftritt hatte. In ihn ist die junge Nina Plisson, Hauptprotagonistin des vorliegenden Bandes, unsterblich verliebt, doch leider interessiert er sich nicht für sie - jedenfalls nicht zu Beginn.

Dann ist da noch der griechische Gastwirt Evros, der mit den verbliebenen zwei Daumen seiner Hände rätselhafte Göttergeschichten auf Bierdeckel schreibt, die Grauköpfe, die in der Cafeteria des Supermarkts täglich den neuesten Klatsch austauschen oder Ninas alte Lehrerin Sophia, die dem Mädchen das Schreiben beibringt, nachdem diese sich jahrelang nur in Klecksen (wunderbar illustriert von Norbet Scheuers Sohn Erasmus) ausdrücken konnte.

Nina kann sich nur noch dunkel an ihre Mutter erinnern und ihr Vater ist ihr gänzlich unbekannt. Keiner will ihr Näheres sagen, Schweigen umhüllt den Verbleib ihrer Mutter.

In seiner gewohnt poetischen Sprache erzählt Scheuer von Vernachlässigung, Missbrauch, Untreue, Betrug und all den dunklen Geheimnissen, von denen in Kleinstädten wie Kall nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird. Nina ist sich jedenfalls sicher, dass ihr die Grauköpfe niemals etwas erzählen werden und dass sie alles selbst herausfinden muss.

Als Leser(in) begleitet man das Mädchen auf ihrer Suche nach Antworten, rätselt wie sie über das zerkratzte Gesicht des Reiters auf dem Foto in Evros' Gaststätte oder den Verbleib der Mutter und ist am Ende des Romans um ein paar Antworten reicher.

Mir hat der Roman wieder gut gefallen, auch wenn ich manche Botschaften wie etwa die Geschichten auf den Bierdeckeln schon sehr kryptisch fand und immer noch ein paar unbeantwortete Fragen habe. Am besten ich lese das Büchlein gleich noch einmal. Ich bin mir sicher, dass die Antworten dort irgendwo stecken müssen.

Bewertung vom 19.05.2022
Die Gemüsebäckerei
Wallentinson, Lina

Die Gemüsebäckerei


sehr gut

Backen mit Gemüse
Dieses Buch mit seinen ungewöhnlichen Rezepten hat mich angenehm überrascht. Hier wandern nicht nur Bohnen, Karotten, Rote Bete, Zucchini oder Sellerie in diverse Backwaren, hier gibt es wirklich für jeden Geschmack etwas Neues zu entdecken.

Ich selbst habe mit den Hamburger-Brötchen auf S. 90 begonnen, sie mit selbst gemachten Burgern gefüllt und die nicht verwendeten Brötchen - so wie vorgeschlagen - einfach eingefroren. Zwar schmeckt man die Bohnen in Kombination mit Fleisch, Salat, Zwiebeln, Ketchup und Senf nicht mehr heraus, aber die Brötchen sind nach dem Aufbacken schön knusprig und Hülsenfrüchte sollen bekanntlich ja gesund sein.

Weiter ging's mit dem Möhrenknäcke auf S.46, das nicht nur gut aussieht, sondern daneben auch gut schmeckt. Zum Bestreichen war es leider nicht geeignet, da ich es wohl ein bisschen zu dünn ausgerollt hatte, aber zum Wegknuspern war es ein idealer Snack.

Es folgte das Rote-Bete-Knäcke mit Cranberrys auf S. 42 und das sah wirklich wunderschön aus mit seinem kräftigen Rotton. Ich hatte ein bisschen Sorge, dass das Knäckebrot wieder auseinanderbrechen würde und habe die Honigmenge ein wenig erhöht und zusätzlich ein paar Haferflocken dazugegeben. Das Resultat war ausgesprochen lecker und stabil. Allerdings schmeckt das Knäckebrot ofenfrisch am besten, denn obwohl ich den Rest gleich in eine Dose gepackt habe, hatte es seine Knusprigkeit am nächsten Tag leider eingebüßt.

Eigentlich wollte ich heute noch das Schwedische Weichgebäck mit Kaffee und schwarzen Bohnen auf S. 74 testen, doch hier bin ich dann das erste Mal über einen kleinen Fehler bzw. eine Unklarheit gestolpert. Während unter den Zutaten 200g Haferflocken aufgelistet sind, ist im Text mit einem Mal von Hafermehl die Rede. Da ich unsicher war, was von beiden denn nun gemeint ist, habe ich mich kurzerhand umentschieden, so dass es heute statt dessen das Sirupweichgebäck mit schwarzen Bohnen auf S. 89 gibt.

Fazit: Von kleinen Flüchtigkeitsfehlern abgesehen, ist das Buch eine wunderbare Lektüre mit vielen frischen Ideen, die aus den Teigwaren nicht nur eine gesunde, sondern auch eine farbenfrohe Gemüsebäckerei machen.

Bewertung vom 23.04.2022
Automaton
Glanz, Berit

Automaton


sehr gut

Dem Roman "Automaton" von Berit Glanz liegt ein ungewöhnliches Thema zugrunde: Die alleinerziehende und unter Angststörungen leidende Mutter Tiff schlägt sich mit schlechtbezahlten Online-Jobs für die Plattform Atoma durch. Damit künstliche Intelligenz in der Zukunft funktionieren kann, muss sie erst von menschlicher Intelligenz gefüttert werden. Und so sehen sich Tiff und weitere clickworker Tag für Tag langweilige Videoaufnahmen von Lagerhallen und anderen Objekten an, um anschließend festzuhalten, ob darauf irgendwelche Veränderungen zu verzeichnen sind. Ein wenig Abwechslung bringt das Erscheinen eines Obdachlosen, der sich mit seinem Hund vor einer der Lagerhallen niederlässt und diesem regelmäßig aus einem Buch vorliest.

Eines Tages ist der Obdachlose verschwunden. Zurück bleibt der Hund, an welchem Tiff Zeichen von großem Stress zu erkennen meint. Zusammen mit ein paar Co-Workern macht sie sich auf die Suche nach "Mr. Beard", ohne zunächst zu wissen, in welchem Land und in welcher Stadt sie überhaupt suchen sollen.

In einem zweiten Erzählstrang lernt man als Leser(in) die junge Stella kennen, die einen ähnlich monotonen Job wie Tiff ausübt: sie arbeitet in einer Fischfabrik in Kalifornien, beschließt dann aber auf einer Hanfplantage ihr Glück zu versuchen.

Wie all das zusammenhängt erschließt sich erst allmählich und wird am Ende schließlich zufriedenstellend aufgelöst. Für mich war der Roman "Automaton" ein Blick in die mir bis dato unbekannte Welt der clickworker, die genau wie Erntehelfer und Fabrikarbeiter meist mit unterbezahlten Jobs ihren Lebensunterhalt bestreiten, noch dazu anonym und vertraglich zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Doch Berit Glanz zeigt in ihrer Geschichte auch, was Menschen durch Solidarität, Empathie und Beobachtungsgabe alles erreichen können; alles Fähigkeiten, zu denen eine KI eben nicht in der Lage ist.

Bewertung vom 06.03.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


gut

Tolles Cover, enttäuschender Inhalt

Ich gebe zu: Ich wollte dieses Buch unbedingt haben! Nicht aufgrund der kurzen Leseprobe, was eigentlich naheliegend wäre, sondern aufgrund des leuchtend orangefarbenen Covers, das nicht nur wunderbar zur Geschichte passt, sondern welches ich auch als extrem ästhetisch empfinde.

Nun ist das vielleicht nicht der beste Grund, sich für ein Buch zu entscheiden, aber wie will man nach der Lektüre des Klappentextes oder ein paar Seiten Leseprobe ernsthaft entscheiden können, ob einem das Buch gefällt oder nicht?

Also habe ich über die drei Frauen unterschiedlichen Alters gelesen, die unabhängig von einander im Theater sitzen, um sich ein Beckett-Stück anzusehen, während draußen irgendwo in Australien die Buschfeuer toben.

Das Beckett-Stück kannte ich nicht, aber nach der spärlichen, im Buch geschilderten Handlung, kann man sich gut vorstellen, dass die Gedanken der Zuschauer(innen) auf Wanderschaft gehen und sie sich mit ihren eigenen Problemen und Nöten beschäftigen.

Da ist zum einen die etwas steife Literaturprofessorin Margot, der man soeben den allmählichen Ruhestand nahegelegt hat und deren demenzkranker Mann sie im Schlaf mit spontanen Prügelattacken überfällt, Summer, die im Theater als Platzanweiserin arbeitet und mit Panikattacken kämpft, während ihre Lebensgefährtin in die gefährliche Feuerzone gefahren ist, um nach ihren Eltern zu sehen und last but not least Ivy, eine ehemalige Studentin Margots, die seit dem tragischen Verlust ihres ersten Kindes von Zweifeln und Ängsten heimgesucht wird.

Leider habe ich nach einer Weile angefangen, mich bei der Lektüre zu langweilen, weil es zwar nicht an Dramen mangelt, mit denen die einzelnen Figuren ausgestattet wurden, aber ich hatte leider auch keinen Augenblick das Gefühl, dass es sich um Menschen aus Fleisch und Blut handeln könnte. Dazu immer wieder Parallelen zu dem gezeigten Beckett-Stück, Gedanken zu Klimawandel und Plastikmüll ... es gab viele angerissene Themen, aber eben wenig Leben und Tiefe in dem so schön verpackten Roman.

Daher leider nur 3 Sterne von mir ...

Bewertung vom 07.02.2022
So reich wie der König
Assor, Abigail

So reich wie der König


ausgezeichnet

Ein modernes Anti-Märchen aus Marokko

Sarah ist arm und sie lebt in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Slums von Casablanca. Sie ist Französin und ist mit mit ihrer Mutter, die auf den falschen Mann gebaut hat, hier gestrandet. Das Geld, mit dem sie sich in Marokko eine neue Zukunft aufbauen wollten, ist futsch, die Mutter muss ihren Körper an fremde Männer verkaufen und auch Sarah lernt früh, dass ihr Aussehen ihr einziges Kapital darstellt.

In der französischen Schule, die Sarah besucht, beobachtet sie die Töchter und Söhne wohlhabender muslimischer Familien, die von ihren Chauffeuren gebracht und abgeholt werden, lernt ihre Gepflogenheiten und hängt mit einer Clique ab, zu der auch Driss gehört, von dem gesagt wird, er wäre so reich wie der König.

Sarah träumt von Diamantringen an jedem ihrer Finger, Angestellten, die sie nach Belieben feuern kann und einem Leben, in dem die Reichen das Sagen haben. Sie beschließt, den gehemmten und eher hässlichen Driss zu verführen und ihn dann zu heiraten.

Die beiden werden tatsächlich ein Paar und was aus niederen Beweggründen begann, entwickelt sich zu einer zarten Liebesgeschichte zweier Seelengefährten, beide Gefangene eines Systems, das für jede(n) einzelne(n) einen vorherbestimmten Platz vorsieht.

Abigail Assor, selbst in Casablanca geboren und einige Jahre dort aufgewachsen, erzählt sehr gekonnt vom Leben dieser unterschiedlichen sozialen Klassen, die allerdings eines gemeinsam haben: es dreht sich bei allen fast ausschließlich ums Geld. Die einen stützen ihre Macht darauf, die es ihnen erlaubt, notfalls auch Polizisten zu bestechen, die anderen brauchen es, um täglich irgendwie satt zu werden. Während die einen gelangweilt ihre Statussymbole wie Rollex, Gucci-Kappen oder schnelle Schlitten zur Schau stellen und die Zeit mit Pool-Parties und Drogen tot schlagen, träumen die anderen - wie Sarah - davon, diesem erlauchten Zirkel irgendwann selbst anzugehören.

Die Schattenseiten solch eines Arrangements werden ebenfalls geschildert, denn die mächtigen muslimischen Männer schlagen ihre Frauen, die ihren Unmut wiederum an den Dienstboten auslassen.

Mich hat das Buch gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Auf der einen Seite öffnen sich Sarah und Driss einander, zeigen ihre Verletzlichkeit und geben einander Halt, auf der anderen Seite sind es rein konsumorientierte Jugendliche ohne besondere Ideale, die ihren Müll einfach auf die Straße werfen, schwach und abhängig von ihren Eltern sind und schon nach dem ersten Aufbegehren klein beigeben.

Für mich ist "So reich wie der König" kein Entwicklungs- oder Emanzipationsroman, bei dem die Protagonisten über sich selbst hinauswachsen, sondern eher der resignierte Blick auf eine Kultur, in der jeder seinen Platz kennt und nicht etwa in einem guten Schulabschluss eine Chance wittert, sondern sich statt dessen lieber in Träumen verliert - von einem Leben in Luxus an der Seite eines reichen Mannes oder aber von der Flucht in ein "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" wie Amerika.

Bewertung vom 03.02.2022
Der Holländer / Liewe Cupido ermittelt Bd.1
Deen, Mathijs

Der Holländer / Liewe Cupido ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

ein Kriminalroman, den man am Ende mit einem zufriedenen Lächeln zuklappt

Schon das Cover hat mir an diesem Kriminalroman große Freude bereitet. Das Watt schimmert golden im letzten (oder ersten?) Licht des Tages, man erkennt zwei Wattwanderer im Hintergrund und das Meer nähert sich bedrohlich.

All das passt exakt zu dem Inhalt der Geschichte, bei der ein toter Wattwanderer auf einer Sandbank im deutsch-niederländischen Grenzgebiet 'De Hond' aufgefunden und vom holländischen Grenzschutz in die Niederlande gebracht wird, bevor die Flut den Leichnam wegschwemmen kann. Der Tote war zwar Deutscher, aber der ehrgeizige Brigadekommandeur Henk van de Wal besteht darauf, dass die Leiche auf niederländischem Gebiet lag und somit in die Zuständigkeit der Niederländer fällt.

Derweil schickt die Bundespolizei in Cuxhafen ihren besten Mann Liewe Cupido, genannt "Der Holländer" in das Gebiet, um inoffiziell in dem Fall zu ermitteln. Cupido ist ein schweigsamer, etwas einsamer Typ, ohne nennenswerte Laster. Vielleicht ist die Freude an einem reichhaltigen Frühstück die einzige 'Schwäche', die er nach Außen hin erkennen lässt. Er ist auf seine Art sympathisch, hat ein Herz für talentierte, unterforderte junge Polizeibeamte und er pendelt zwischen der deutschen und der niederländischen Seite hin und her, bis der Täter schließlich überführt ist und er sein 'Berichtchen' schreiben kann.

Das Buch ist gut und anspruchsvoll geschrieben, die Wattbeschreibungen machen Lust auf Meer und ich hoffe, dass es ein Wiedersehen mit Liewe Cupido geben wird. In mir hat er jedenfalls einen neuen Fan gewonnen.

Bewertung vom 05.10.2021
Nichts als Gutes
Slupetzky, Stefan

Nichts als Gutes


sehr gut

Die etwas anderen Grabreden

Stefan Slupetzky kenne ich als Autor seiner Lemming-Krimis, was mich neugierig auf dieses Büchlein gemacht hat.
"Nichts als Gutes" lautet der Titel dieser fiktiven Grabreden, dabei ist es gar nicht immer so einfach, nur Gutes über einen Verstorbenen zu erzählen. Manchmal führen die Reden zu überraschenden Geständnissen oder es blitzen alte Rivalitäten und Feindseligkeiten auf.
Die von Stefan Slupetzky erdachten Grabreden sind z.T. amüsant, dann wieder nachdenklich oder tiefgründig. Obwohl das Buch gerade mal 159 Seiten hat, braucht es seine Zeit, sich mit den einzelnen Lebensläufen zu beschäftigen. Ich habe die Geschichten immer vor dem Einschlafen gelesen.
Die nicht ganz ernst gemeinte Lektüre hat mir gefallen, auch wenn es mir immer etwas schwer fällt, bei "Kurzgeschichten" am Ball zu bleiben.
Als nächstes lese ich dann wohl wieder einen seiner Lemming-Krimis.

Bewertung vom 15.09.2021
Shuggie Bain
Stuart, Douglas

Shuggie Bain


ausgezeichnet

Wenn die eigene Mutter alkoholabhängig ist

Der Roman "Shuggie Bain" hat es wirklich in sich. Relativ harmlos fängt die Geschichte an und "steigert" sich von einem Tiefpunkt zum nächsten, wenn man das überhaupt so sagen kann.

Shuggie Bain ist jüngster Spross von drei Geschwistern, allesamt Kinder von Agnes Bain, aber nur Shuggie ist auch Sohn von "Big Shug", Ehemann Nr. 2 im Leben seiner Mutter.

Die schöne und anspruchsvolle Agnes langweilt sich in ihrem Leben und sie trinkt wie eigentlich alle in ihrem Umfeld. Ihr Mann, ein Taxifahrer, geht fremd, ihre Kinder gehen ihre eigenen Wege - bis auf ihren Jüngsten, der an seiner Mutter hängt und sich größte Mühe gibt, auf diese aufzupassen.

Doch Shuggie hat genug mit sich selbst zu tun, denn seine Art eckt bei den anderen Kindern an. Shuggie spricht wohl artikuliert und nicht den groben Glasgower Slang - großartig übersetzt von Sophie Zeitz. Er mag keinen Fußball und er tanzt, wenn ihm keiner außer Agnes dabei zusieht. Schnell wird er als "Schwuchtel" betitelt und von den anderen schikaniert.

Nach einem Streit mit ihren Eltern, bei denen Agnes mit Kind und Ehemann bisher wohnte, zieht die Familie raus nach Pithead, eine alte Bergmannssiedlung, geprägt von Armut, Trostlosigkeit und Alkoholismus. Nachdem Big Shug seine Familie dort abgeladen hat, verlässt er sie für immer, um mit einer anderen Frau zusammenzuleben.

Für Agnes beginnt eine Abwärtsspirale, die sie immer tiefer in die Alkoholabhängigkeit zieht. Das alles ist bei all dem damit verbundenen Schrecken, großartig geschildert von Douglas Stuart, der in dem Buch seine eigenen Kindheit verarbeitet hat.

Es gibt Szenen und Sätze in dem Roman, die man nicht mehr vergisst, wie etwa die Stelle, wo Shuggie seine Mutter nach verzweifelter Suche schließlich auf einer Party mit zerrissenem Kleid unter einem Stapel abgelegter Mäntel findet.

Der Roman schildert eine Lebensrealität, die man sich nur schwer vorstellen kann, die aber durch den Autor großartig zum Leben erweckt wird. Den Booker Preis hat er mit diesem Debüt meiner Meinung nach zu Recht gewonnen. Man kann auf weitere Romane gespannt sein!