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a.n.
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Insgesamt 124 Bewertungen
Bewertung vom 29.07.2018
Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren
Benjamin, Ali

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren


ausgezeichnet

Das Leben – Wunder und Wehe
Was für ein seltsames Mädchen diese Suzy. Gerade einmal 12 Jahre alt und dabei eine beeindruckende weil tiefgründige Gedankenwelt, die jedem Leser die Augen und das Herz öffnet. Unbedarft, dem Ernst des Lebens noch nicht preis gegeben blickt sie auf ihre Umgebung. Eine intelligente Naivität und Reinheit umgibt Suzy. Doch das Leben mit seinen Lehren wird auch sie herausfordern. Suzy ist bereit, auch wenn sie einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Naivität und natürlichen Unbedarftheit dafür hergeben wird.
Mit ihrer sehr liebevoll und äußerst unterhaltsam erzählten Geschichte erhalten auch wir eine vielleicht nie genutzte Chance, sich eigenen heiklen Problemen, Sorgen und Ängsten mit Energie und festem Willen zu nähern; wie ein Kind eben, mit einem anderen Blick, einer reinen Neugier, unzerdacht und unzerredet. Obwohl es vor allem um das Erwachsenwerden der Protagonistin geht, könnten ihre Stationen durchaus auch auf viele andere zutreffen. Sich, andere und alles, was uns umgibt besser verstehen sollte eines jeden Wunsch sein. Wie viel Suzy steckt dabei noch in einem selbst?
Tod, Verlust, Trauer und Unverständnis spielen zwar eine gewisse thematische Hauptrolle in der Lektüre, dennoch wird einem beim Lesen nie Schwer ums Herz. Ganz im Gegenteil: man begreift, dass alles zum Leben gehört. Wunder und Weinen, Lernen und Verstehen, Akzeptieren und Annehmen. All das wird hierbei aber nie mit Hinnehmen oder Desinteresse verwechselt. Durch Suzys Augen bekommen wir Erwachsenen die einmalige Gelegenheit, tief in die Seelen nicht nur unserer eigenen heranwachsenden Kinder zu blicken, sich an das eigene Damals zu erinnern und zu erfassen, was wir selber schon fast vergessen haben: wie schwer es eigentlich ist, erwachsen zu werden; mit allem, was dazu gehört. Ein besseres Verstehen macht uns auch zu verständnisvolleren und hilfreichen Wegbegleitern.

Bewertung vom 22.07.2018
Der englische Liebhaber
de Cesco, Federica

Der englische Liebhaber


gut

Das kurze Glück in dunklen Tagen
Die Stunde Null. Der zweite Weltkrieg ist gerade zu Ende. Ein kurzes Aufatmen. Das Leben geht weiter. Irgendwie. Mitten unter ihnen die junge Anna. Sie arbeitet als Dolmetscherin für die britische Besatzungsmacht. Sie begegnet Jeremy, einem Offizier, einem eigentlichen Feind. Doch die Liebe kennt keine Grenzen, kein Richtig, kein Falsch. Das verbotene Glück scheint nur von kurzer Dauer. Romantik ist nur in eng abgesteckten Grenzen möglich.
Umso mehr gibt dieses Buch der leisen Töne der Lebensgeschichte einer mutigen Frau den Raum, den sie verdient. Durch Annas Augen und mit Annas Herz blicken wir auf die Vergangenheit. Stille Stärke im Verborgenen. Nicht minder interessant ist der sich im Laufe der Lektüre wandelnde Blick ihrer Tochter Charlotte auf die Geschehnisse. Sie, das Kind einer starken Liebe, musste ebenso für diese Tatsache büßen, wie ihre Mutter. Zwei Erzählebenen verlaufen nebeneinander und verbinden sich. Die Vergangenheit wird zur Gegenwart. Was verursacht Krieg in den Herzen der Menschen? Mechanismen, die bei Kriegsende nicht abstellbar sind. Eine neue Ära mit den „alten“ Menschen?
Einfühlsam und detailliert erzählt „Der englische Liebhaber“ nicht nur eine einzigartige Liebesgeschichte sondern thematisiert auch eine, wenn auch sehr späte, Annäherung der Tochter an ihre Mutter. Eine späte Versöhnung mit ihrem eigenen Schicksal, ein historisch unterlegtes Zeitzeugnis mit biographischen Zügen für den Leser. Ein Stück Deutscher Geschichte. Lesenswert für uns, die diese Zeit glücklicherweise nicht miterleben mussten, die aber doch immer mit ihr verbunden sind.

Bewertung vom 08.07.2018
Naturnahes Kochen - einfach, gut, gesund
Seitz, Erwin

Naturnahes Kochen - einfach, gut, gesund


ausgezeichnet

Was der Mensch braucht
Gutes aus der Natur schonend zubereitet; das ist es, was wir nicht nur hin und wieder wirklich brauchen. Und wenn das Ergebnis auch noch ausgesprochen schmackhaft ist, hat so mancher Hobby-Koch gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Mit „Naturnahes Kochen“, einem Ernährungskaleidoskop zwischen Roh- und Hausmannskost, ist dem Autor ein wichtiger Beitrag dazu gelungen. Er führt enthusiastisch in die Materie ein, überzeugt nicht nur mit Argumenten sondern vor allem auch mit dem Ergebnis – schmackhafte, gesunde Speisen und Kreationen, die es wert sind, dauerhaften Eingang in die häusliche Küche zu finden. Sich gesund ernähren bedeutet unter anderem auch, Naturprodukte weitestgehend unverarbeitet zuzubereiten. Doch das ist keinesfalls ein Rückschritt. Auch eine Geschmacksumstellung ist nicht zu befürchten. An sich nur Umdenken und sich einige Dinge klar vor Augen halten, sind hierbei die wichtigsten Triebfedern. Mal mit etwas mehr Aufwand verbunden, dann wieder mit nicht alltäglichen Zutaten-Kombinationen, behält er doch immer die Natur, die Herkunft der Produkte im Blick und schärft dabei den des neugierigen Lesers und alsbald begeisterten Nachkochs.
Eine ausführliche Warenkunde eröffnet den Reigen. Für den einen zu langatmig, für den anderen genau die richtige Einführung zum wirklichem Verinnerlichen, worauf es wirklich ankommt und warum gerade diese Produkte eine größere Rolle auf unserem täglichen Speiseplan spielen sollten. Alles ist im Fluss, ein Kreislauf, zu dem auch wir gehören. Alles beginnt schon weit vor dem Kaufen, vor dem Kochen, vor dem Genießen. „Naturnahes Kochen“ ist daher viel mehr als nur ein Kochbuch mit Rezepten. Es klärt auf, es erklärt wichtige Zusammenhänge, sensibilisiert uns für Natur und Tier, praktisch dem Umgang mit unseren lebenswichtigen „Nahrungsmitteln“ und vor allem für uns selbst. Der Autor blickt mit uns weit über den Tellerrand. Und danach, so kann ich garantieren, blickt jeder etwas anders wieder zurück auf seinen Teller, auf dem das eben naturnah zubereitete Lieblingsgericht duftend auf den genussvollen Verzehr wartet.

Bewertung vom 01.07.2018
Die Magnolienfrau
De Stefani, Sabrina

Die Magnolienfrau


sehr gut

Eine Frau – ein Leben – ein Schicksal
Packend, emotional, spannend, einfühlsam sind nur einige Attribute um dieses facettenreiche Schicksal kurz zu beschreiben. Sie hat wirklich alles erlebt – Gefahr, Liebe. Leid, Verlust, Flucht, Mutterglück. Und sie ist daran gewachsen. Spiritualität spielt hierbei eine fast zentrale Rolle in ihrem Leben. Doch wie hoch war der Preis. Sabrina verzaubert und macht Mut. Wie sie lächelt! Einem unbändigem Freiheitsdrang zu folgen bedeutet Mut, Optimismus und einen festen Glauben an sich selbst.
Autobiographisch erzählt, besticht das Buch vor allem aber durch literarische Freiheiten und Abschweifungen. Das Porträt einer sehr eigenen Frau, die ihren Weg geht, der einer Odyssee gleicht. Sie steht im Fokus. Leider bleibt aber so der Blick des Lesers auf ihre Umgebung trüb, obwohl eben auch dies stellenweise von sehr großem Interesse gewesen wäre. Das Auf und b in ihrem Leben spiegelt sich ungewollt auch im Schreibstil der Autorin wider. Ihre Erlebnisse schildert sie in wechselnder Intensität. So manche Station ihres Lebens wird regelrecht stiefmütterlich behandelt. Einzig die Magnolien ziehen sich wie ein rotes Band durch Leben und Werk.
Freiheit muss nicht Glück bedeuten, kann aber trotzdem eine Erfüllung sein, wenn auch ohne wirkliches Happy End. Es ist, als hätte sie immer schon gewusst, dass sie kein alltägliches Leben führen wird. Interessant und lesenswert doch nicht beneidenswert; so vom Lesesessel aus betrachtet. Nicht alles wird ganz bis zum Ende erzählt. Der Leser bleibt mit einigen Fragen zurück. Wie also nicht in einigen Jahren noch einen Teil zwei.

Bewertung vom 10.06.2018
Alles was glänzt
Gamillscheg, Marie

Alles was glänzt


sehr gut

Ein Berg und seine Menschen
Die bergige Natur spiegelt sich gleichermaßen im Auf und Ab der Menschen, die darin leben, lieben, hassen, zweifeln, wider. Zwar sanft doch zügig wird der Leser in die Handlung eingeführt. Gespannt und aufmerksam erklimmt er die Höhen, sieht in tiefe Schluchten. Wenn die Natur kollabiert, was geschieht dann mit den Menschen? Reue? Wie sensibel ist man als Leser? Wie tangiert einen das Leben anderer wirklich?
Viele Nebenschauplätze, dramatische, heitere und nachdenklich stimmende Begebenheiten. Ein Wechselbad der Eindrücke. Mal fesselnd, mal interessant aber auch mitunter banal und langatmig. Man nimmt es gern in Kauf, will man selbst doch wissen, was eigentlich geschah und vor allem, was mit den Dorfbewohnern in Zukunft geschehen wird.
Die gute alte Zeit. Vorbei. Doch wie mit der einschneidenden Veränderung umgehen? Gehen? Wohin? Bleiben? Wofür? Jeder Bewohner des kleinen Bergdorfes reflektiert sein Leben und das Miteinander. Charaktere und der Begriff Gemeinschaft werden so indirekt mit unter die Lupe genommen.
Nach außen hin ist der Roman daher eher handlungsarm. Der Hauptteil spielt sich in den Köpfen der Menschen ab. Ebenso ergeht es dem Leser, der sich auf einiges ganz allein seinen Reim machen muss. Die Autorin überlässt ihn ebenso seinen Gedanken, wie sie es bei den Protagonisten tut. Dieser Umstand wird zu manch Enttäuschtem führen, da nicht immer eine eindeutige Handlungsrichtung vorgegeben wird, macht den Roman aber zugleich wiederum speziell, wenn auch gewöhnungsbedürftig.
Ein Roman, bei dem man nicht alles vorgebetet bekommt sondern der dazu anregt, mit- und vor allem weiter zu denken.

Bewertung vom 06.05.2018
Mindful@work
Braun, Ralf

Mindful@work


sehr gut

Achtsamkeit, aber Achtung
Achtsamkeit, das Achten auf sich selbst ist jedem bekannt, wenn auch nicht immer in der gleichen Intensität praktiziert. Bei der Achtsamkeit, die in diesem Buch vorgestellt wird, handelt es sich vorrangig um den Umgang mit meinen Mitmenschen, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit seinen Kollegen. Teamwork allerdings ist in der heutigen Arbeitswelt leider immer weniger gefragt. Die Kollegen sollen konkurrieren. In diesem Fall kann das Buch zumindest eine kleine Hilfestellung bezüglich des Ertragens bieten. Einiges ist in diesem Zusammenhang neu formuliert und berufsbezogen zusammengestellt, doch das meiste ist dem Leser bereits bekannt – Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit, Umgang mit Stress, körperliche und seelische Gesundheit.
Leicht verständlich geschrieben, bereitet der Autor dem Leser einen raschen Einstieg in die Thematik. Ein Lesen hintereinander weg ist nicht unbedingt nötig, da jedem Leser situationsbedingt ja etwas anderes wichtiger ist als es nun die Reihenfolge des Buches vorgibt. Die wenigsten Leser werden sich allerdings an die vom Autor empfohlene Lese-Strategie halten.
Drei mal tief durchatmen ist nie verkehrt. Daher konnte auch ich sehr schnell die beispielsweise vorgestellten Atemübungen sehr gut in meinen Arbeitsalltag integrieren. Ein schnell wirkender positiver Effekt, von dem niemand etwas mitbekommt. Ebenso unauffällig kann man die Finger- und Körperübungen durchführen. Zum Teil sehr simple Handlungen, die man nun mit mehr Bewusstsein ausführt und von denen man nicht gedacht hätte, dass sie so wirksam sind, wenn man sich wirklich darauf einlässt. Doch Vorsicht ist immer geboten, wenn es um Entschleunigen geht. Dies offensiv und offensichtlich für sich durchzusetzen, kann auch kontraproduktiv auf das Kollektiv wirken und das genaue Gegenteil bewirken.
Obwohl ein besseres Miteinander angestrebt wird, ist es doch fraglich, ob die aufgeführten Anliegen, wie bereits erwähnt, auch immer auf fruchtbaren Boden treffen. Jeder muss für sich lesen und verinnerlichen. Inwieweit dies dann auch wirklich in der Praxis anwendbar ist, bleibt jedem selber überlassen. Doch Achtung, wer nur allein achtsam ist, der steht bald an der Wand. Inwieweit das vermittelte Wissen das eigene Leben wirklich erleichtert, liegt nicht nur in der eigenen Hand. Es kommt auch immer auf die Mitmenschen an und eben besonders auf den Grad der Achtsamkeit, den diese praktizieren.
Leider ist dieser Ratgeber eher nur für Büroberufe geeignet. Postboten, Handwerker oder in ähnlichen Berufsgruppen Tätige werden damit kaum etwas anfangen können. Es wird kein Leben verändern, doch kann es den einzelnen Tag verbessern, wenn schon nicht auf Arbeit, dann in jedem Fall in seinem Privatleben.

Bewertung vom 13.03.2018
halb zehn - das Frühstückskochbuch
Prus, Agnes

halb zehn - das Frühstückskochbuch


sehr gut

Halb zehn – Entschleunigen, Beisammensein, Genießen
Blättert man in diesem Frühstückskochbuch, scheint man schier die Qual der Wahl zu haben. Was es nicht so alles für leckere Möglichkeiten gibt, den Tag genussvoll zu beginnen. Doch das ändert sich schnell, sobald man genauer hinsieht. Jenseits von Milch und Müsli, Brötchen und Marmelade liegt ein reich gedeckter Frühstücktisch von süß bis herzhaft, von leicht bis reichhaltig, von kalt bis warm, wobei die Kapitelübersicht den Schwerpunkt nur vermeintlich auf süß(lich) legt. Die jeweiligen Zubereitungszeiten variieren ebenfalls sehr stark.
Die meisten vorgestellten Rezepte sind ohne besondere Küchenutensilien sowie mit Zutaten herzurichten, die es in fast allen Supermärkten zu kaufen gibt. Obwohl es sich „nur“ um die Zubereitung von Frühstück handelt, sollte man auch hierbei schon etwas Geschick und Kreativität aufzubieten haben, um sich nicht schon am morgens in Stress zu versetzen, sollen die Gerichte doch die Weichen in einen gelungenen Tag stellen. Das Frühstück soll zelebriert werden. „Halb zehn“ ist daher eher als eine Einladung zum gemeinsamen Frühstücken mit der Familie oder zum Brunchen mit Freunden an freien Tagen oder Wochenenden zu sehen, wird es doch nur unter diesen Gesichtspunkten seinen Zweck vollends erfüllen.
Brot und Brötchen selber backen ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Man darf das Familienoberhaupt also auch beruhigt erst einmal zum Bäcker schicken und in aller Ruhe weiterblättern und sich inspirieren lassen. Hier ist für jeden Appetit sowie jedes Geschmäckle etwas dabei. Meine persönlicher Favoriten sind Röstbrot mit Pfifferlingen und Comté, als Nachspeise Grießbrei mit Erdbeerkompott und ganz zum Schluss noch einen Haselnuss-Zimt-Latte. Hmmmmm!
Alle Rezepte werden kurz vorgestellt. Dann folgt die Zutatenliste, gefolgt von der Anleitung zur Zubereitung. Am Ende findet man die Nährwertangaben, die man sich bei manchen Gerichten besser nicht so genau ansieht. Genießer sind gefragt, keine Kalorienzähler. Die Fotos der fertigen Gerichte sind eher schlicht gehalten, wirken so aber recht stilvoll.

Bewertung vom 18.02.2018
Der Reisende
Boschwitz, Ulrich Alexander

Der Reisende


ausgezeichnet

homo homini lupus
Schon das kurze Vorwort hat es in sich. Die Weichen sind gestellt. Der Zug ist ins Rollen gekommen und mitreisen werden Angst, Verzweiflung, Hass und Willkür. Otto Silbermann wird dabei auf der Strecke bleiben. Dem Leser wird nichts erspart. Er geht den ganzen Weg mit ihm.
Anständiges Miteinander wird zum immer seltener werdenden gnädigen Abgeben und Dulden. Dankbarkeit und Ducken werden dafür erwartet. Der Leser ist schon ab der ersten Seite höchst alarmiert. Silbermann hingegen weiß sehr lange nicht, was mit ihm geschieht. Das Unheil kommt schleichend. Gedanken, Worte, Taten – geschürt und mit Rechtfertigung gestützt.
Zu allen Zeiten ist diese Saat aufgegangen. Verwirrend ist, dass man manche Argumente verstehen kann. Alles sind menschliche Reaktionen, charakterlich gesteuerte Verhaltensweisen. Beide Seiten wollen überleben, nur nicht auffallen. Gleichzeitig ist man schockiert, wie überzeugt jeder ist, genau das richtige zu tun. Beklemmende Realität.
Keiner hat etwas gesehen, keiner hat das gewollt. Das geht mich nichts an. Was sollten wir denn machen? Wir würde man selbst in derselben Situation handeln? Wäre man wirklich anders, wenn es um die eigene Sicherheit geht? Wegschauen oder aktiv mittun; beides führt zum gleichen Ergebnis. Nachbarn werden zu Feinden, selbst Freunde zur Bedrohung. Mobbing endet im Massenmord.
Schon während des Lesens kann sich seiner selbst nicht mehr sicher sein. Die Mitmenschen von damals unterscheiden sich in Nichts von uns heute.
Passivität erzeugt dieselbe Schuld wie aktives Handeln. Rechtfertigungen und Unschuldsbeteuerungen sind wertlos. Anpassung, Stillhalten oder Gleichtun versprechen Rettung und Verschonung. Die Angst und Verzweiflung der anderen können an das eigene Dilemma nie heranreichen. Die dabei offen gelebte Unmenschlichkeit wird zur erschreckenden Normalität. Vielleicht ist es aber gerade dies ein fester Bestandteil menschlichen Handelns ist, das jeder in sich trägt. Diese Erkenntnis zeigt das Schicksal Otto Silbermanns, das stellvertretend für Millionen Menschen steht, nur allzu deutlich. Ich halte die geschilderten Mechanismen keineswegs für ein typisch deutsches Phänomen. Daher stellt die Lektüre für mich der gesamten Menschheit ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Erinnerung, Mahnung und Warnung. Denn wenn die Umstände es für einem selbst zu verlangen scheinen, ist der Mensch dem Menschen ein Wolf, kein Mensch.

Bewertung vom 28.01.2018
Das Vermächtnis der Spione / George Smiley Bd.9
le Carré, John

Das Vermächtnis der Spione / George Smiley Bd.9


sehr gut

Keine Ehrenmänner
Wer ist Mensch, wer ist Marionette? Eine Geheimaktion läuft aus dem Ruder. Wir tauchen in eine Welt voller Lug und Trug ein, in der man nie sicher weiß, wer hier die „Guten“ sind, welche Operation man wirklich gutheißen kann. Gut und böse, gerecht und richtig sind in diesem Roman auch genau die Attribute, um die es gerade nicht geht. Ein befremdliches Milieu, in dem die Handlung spielt. Ein Ex-Spion erzählt frei von der Leber weg, wie er zum Geheimdienst kam und wie eben eines aus dem anderen folgte. Kein Unrechtsbewusstsein, keine Reue, keine Scham. Eine Person, der man zwar interessiert Gehör schenkt, die man aber eigentlich nicht kennen möchte. Der Leser bleibt auf Abstand, ohne sich aber von der Handlung zu entfernen.
Der Sprecher besitzt eine eher hohe Stimme. Sehr deutliche Worte, dezent betont, zügig gesprochen. Ein beinahe Abhandeln. Aalglatt, nicht greifbar, nicht angreifbar. Einmal Spion, immer Spion. Regelrecht unbeteiligt schildert die Hauptfigur als Ich-Erzähler, was sich damals zutrug. So war das eben. Nichts ficht ihn an. Ein williger Handlanger und dennoch kein Überzeugungstäter.
Undurchsichtig, verschlungen, nüchtern, sachlich, ganz wie in dieser Schattenwelt, von der man als „normaler“ Mensch ja nie tangiert wird, ist bisweilen auch der Handlungsfaden gestrickt. Konzentration und wirkliches Interesse sind beim Hören / Lesen gefragt, um wirklich zu durchschauen, welche Größenordnungen selbst kleinere Sachverhalte annehmen können.