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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
violetta1961
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 50 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2021
Der Panzer des Hummers
Minor, Caroline Albertine

Der Panzer des Hummers


ausgezeichnet

Das sehr schöne, gemalte Cover illustriert nicht unbedingt den gelungenen Roman von Caroline Albertine Minor, spiegelt aber ein Gefühl wider: Über Familie, Partnerschaft, Kinder, Freiheit, Tod und Leben nachzudenken.
Gekonnt werden die Geschichten von drei dänischen Geschwistern, die sich voneinander entfernt haben, beschrieben. Ich habe jede Schilderung, ob in Kopenhagen, London oder in den USA sehr genossen. Gefallen haben mir auch die ungewohnten, aber doch alltäglichen Themen wie z.B. der Kopfläusebefall eines Kindes. Eine Lieblingsfigur ist die Seherin Beatrice in den USA. Liebenswürdig, emotional abgewrackt, weise. Durch sie werden andere Themen möglich, Sichtweisen über die Grenze des Todes hinweg. So gibt es auch immer wieder kurze Passagen, in denen Minor versucht, Dialoge zwischen Verstorbenen und Lebenden einzuflechten. Damit integriert sie ein Thema, das oft tabuisiert wird. Ich freue mich schon auf den nächsten Roman!

Bewertung vom 23.07.2021
Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
Schami, Rafik

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen


sehr gut

Das Cover des Buchs gefällt mir: bunt, verspielt und voll denkbarer Möglichkeiten. Wieder einmal hat mich Rafik Schami mit seinen Geschichten bezaubert. Die aktuelle Sammlung von Erzählungen ist in Themen wie Geburtstage, Reisen, Geheimnisse, Tiere usw. eingeteilt. Nicht nur die deutsche Gesellschaft mit ihren Gepflogenheiten, sondern auch die seines Heimatlandes Syrien nimmt der Autor schmunzelnd und selbstironisch unter die Lupe.
Dabei gelingt es ihm spielerisch, vor allem langjährige Beziehungen zwischen Männern und Frauen mit ihren Themen darzustellen. Die Tendenz, vor allem runde Geburtstage eskalieren zu lassen, hat etwas Absurd-Komisches; aber tatsächlich haben viele so Situationen doch auch schon erlebt. Die Kapitel eignen sich auch sehr gut zum Vorlesen und würden sicherlich zu Gesprächen über die eigene und fremde Kultur anregen.

Bewertung vom 17.05.2021
Nachrichten von Männern
Decker, Anika;Berlin, Katja

Nachrichten von Männern


weniger gut

Nach dem Leseeindruck war ich sehr neugierig auf das Buch.
Leider finde ich es enttäuschend. Schon das Cover vermittelt gestalterisch den Eindruck, 40-50 Jahre alt zu sein und wirkt verstaubt.
Zum Inhalt: die vielen Kategorien sind mir zu unübersichtlich und könnten vereinfacht werden. Bei manchen der aufgeführten Nachrichten bin ich verwirrt, weil ich nicht weiß, wer wem antwortet, also: Schreibt jetzt Person 1 oder Person 2?
Das Buch führt in vielen Beispielen, auf welche grobe Art und Weise sich Männer erlauben, mit Frauen zu kommunizieren, mit Frauen, mit denen sie in den meisten Fällen ein enges Verhältnis pflegen oder gepflegt haben. Sicherlich ein Zeichen dafür, dass in puncto Frauenbewegung immer noch einiges brachliegt. Aber, auf der anderen Seite erfährt die LeserIn durch die Nachrichten auch jede Menge über die beteiligten Frauen. Und was da manchmal an Lebensstil hindurchblitzt, wirkt in einigen Fällen auch nicht moralisch einwandfrei ...

Bewertung vom 07.05.2021
Wenn Haie leuchten
Schnetzer, Julia

Wenn Haie leuchten


ausgezeichnet

Das Buch von Julia Schnetzer hat mich sehr begeistert. Sie hat es in zehn verschiedene Kapitel eingeteilt, von denen jedes einzelne absolut lesenswert ist. Ob es nun um das Leuchten der Haie und anderer Meeresbewohner geht, um die Sprachforschung der Delfine oder ganz aktuell um die Viren im Meer: Sie kann die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Meeresforschung verständlich und gleichzeitig mit Witz und Humor übermitteln. So gelingt ihr ein - im besten Sinne - populärwissenschaftliches Buch. Als Leserin erfahre ich viel über die im Vergleich zum Weltall doch noch nicht so intensiv erforschte Meereswelt, die nicht nur uralte sondern auch weltrekordverdächtige Lebewesen beheimatet. Die Autorin, die in Mariner Mikrobiologie promovierte, ist inzwischen auch Gast in Talkshows, nicht zuletzt wegen ihres Talents, auch komplizierte Sachverhalte einfach darzustellen. Ich hoffe auf ein Nachfolgewerk.

Bewertung vom 03.04.2021
Gefangen und frei
Sheff, David

Gefangen und frei


sehr gut

Sehr überzeugend!
David Sheff schreibt klar, informativ und mitfühlend über den Gefangenen Jarvis Jay Masters. Je mehr der Leser über dessen Familiengeschichte erfährt, desto verständlicher wird es, wie sein Leben in Gewalt, Kriminalität und letztendlich im Gefängnis mündet. Dort verbringt er wegen eines nicht begangenen Verbrechens viele Jahre im Todestrakt. Durch Betreuer und Freunde findet Jarvis Masters schließlich zum Buddhismus und gibt seinem Leben eine entscheidende Wendung. Ich fand die Beschreibungen des Alltags im amerikanischen Gefängnis interessant und nachvollziehbar; ebenso die mentale Entwicklung Masters' in buddhistischen Stufen, die auch eine Gliederung in den Kapiteln des Buches darstellen. Als Leserin von Pema Chödröns Büchern habe ich mich besonders über die intensive Freundschaft zwischen Jarvis und ihr gefreut. Ein Buch, dass Hoffnung macht auf die Möglichkeit, Gewaltspiralen zu unterbrechen. In diesem Sinne ein Beitrag zu Frieden und Verständnis.

Bewertung vom 08.03.2021
Der Zirkus von Girifalco
Dara, Domenico

Der Zirkus von Girifalco


ausgezeichnet

Ein großer Erzähler
Domenico Daras Roman spielt in der kleinen kalabrischen Stadt Girifalco. Dabei beschreibt er einige sehr unterschiedliche Personen - deren Charakter und Schicksal im Verlauf des Romans immer wieder aufgegriffen wird - so anschaulich, humorvoll und tiefgründig, dass man bald das Gefühl bekommt, sich in diesem kleinen Ort, wo jeder jeden kennt, selbst aufzuhalten. Am Ende des Buches gibt es ein Personenregister, um den Überblick zu behalten. Als ein verirrter Zirkus seine Zelte für einige Zeit in Girifalco aufschlägt, kommen noch andere Verwicklungen und Aufregungen dazu. Die Themen sind sehr menschlich: unerfüllte Liebesbeziehungen, vermisste Menschen, sexuelle Ausschweifungen bis hin zu geistiger Behinderung und moralischer Ausgrenzung lediger Mütter.
Das Lebensgefühl dieses altmodisch oder zeitlos anmutenden süditalienischen Ortes, fast eines Dorfes, ist sehr schön getroffen.
Zusätzlich angereichert wird das Buch durch astronomisch-philosophische Betrachtungen über das Leben, das Schicksal, den Zufall. Ich möchte noch viel mehr von diesem Autor lesen. Einfach wunderbar!

Bewertung vom 24.02.2021
Aus der Mitte des Sees
Heger, Moritz

Aus der Mitte des Sees


sehr gut

Schwimmen und beten
Moritz Heger nimmt uns in seinem in 14 Tage eingeteilten Roman mit in den Alltag und langfristigen Ablauf einer Benediktinerabtei. Seit dem Fortgang seines etwa gleichaltrigen Mitbruders Andreas, der mit einer Frau in der profanen Welt eine Familie gründet, hinterfragt Bruder Lukas, der im Mittelpunkt des Romans steht, seinen weiteren Lebensweg. Soll er im Kloster bleiben, in dem es fast nur noch alte Mönche gibt, oder soll er den starken Gefühlen folgen, die Sarah bei ihm auslöst und es Andreas gleichtun? Lukas geht täglich im See schwimmen und o.g. Themen werden meditativ im Wasser reflektiert. Das Buch ist einfühlsam und ruhig geschrieben. Welche Entscheidung Lukas schließlich trifft, bleibt bis zum Ende unvorhersehbar. Mir hat der detaillierte Einblick ins Klosterleben und in die Gefühls- und Gedankenwelt eines Mönchs sehr gut gefallen.

Bewertung vom 01.02.2021
Krass
Mosebach, Martin

Krass


sehr gut

Das Buch teilt sich in drei Teile auf.
Im ersten Teil lernen wir im Jahr 1988 den Charakter des charismatisch-machtbesessenen Geschäftsmannes Ralph Krass in Neapel kennen.
Er zieht einen Kreis von Menschen in seinen Bann, denen er großzügig ein Dolce Vita bietet, die sich jedoch seinen Regeln unterwerfen müssen.
So auch sein unsicherer Assistent Dr. Jüngel. Eine weitere wichtige Figur ist Lidewine Schoonemaker, die aufgrund ihres autonomen Charakters ebenso schnell aus dem Kreis entlassen wird, wie sie in ihn hereingezogen wurde. Nach einem Eklat im dubiosen geschäftlichen Bereich, löst sich der illustre Kreis auf.
Im Teil zwei erfahren wir vom Schicksal Dr. Jüngels einige Monate später: Verlassen und mittellos versucht er, in einem kleinen Ferienhaus eines Freundes Abstand zu gewinnen. Dieser Teil gehört für mich zu dem besten Abschnitt des Buches. Er ist schnörkellos und nachdenklich geschrieben,
aber sehr interessant. Die Geschichte um den alten Schuster ist meisterhaft.
Teil drei spielt 20 Jahre später, 2008 in Kairo. Der gealterte Krass ist dort gestrandet, ein Geschäft hat nicht geklappt, er ist plötzlich mittellos, lernt den jungen Anwalt Mohammed kennen, der sich um ihn kümmert, auch als er krank wird. Dass auch Dr. Jüngel und Lidewine Schoonemaker just in diesem Moment in Kairo zu tun haben, sich sogar im selben Hotel und auch noch den Anwalt kennenlernen, der sie zu Krass bringt, sind für meinen Geschmack einfach zu viele Zufälle. Und auch der Niedergang des Machtmenschen Krass, der sich bedingungslos in die Hände des Anwalts begibt, ist mir zu schnell konstruiert.
Insgesamt aber ist der Roman ungewöhnlich und eine tolle zeitlose Charakterstudie von Machtmenschen, wie wir sie aus Politik und Wirtschaft kennen. Martin Mosebach überzeugt durch seine ironische Sprache und seine grotesk-amüsanten Beschreibungen von gesellschaftlichen Konstellationen.

Bewertung vom 20.01.2021
Vati
Helfer, Monika

Vati


ausgezeichnet

Monika Helfer fügt hier kunstvoll die Facetten ihres Vaters zusammen.
Sie erinnert sich selbst und führt Gespräche über ihren Vater mit ihren Schwestern u.a..
Dabei nimmt sie die Leser auf verschiedene Stationen ihrer Kindheit in der Nachkriegszeit mit, schildert z.B. das zunächst glückliche Familienleben mit dem aufgrund einer Beinprothese humpelnden Vater, der eine Stelle in einem Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen erhält. Man erfährt Humorvolles und Fragliches über die zahlreichen Familienmitglieder. Begreiflich nah werden Armut und Schicksalsschläge, aber auch Zusammenhalt, Sympathie und Unterstützung.
Was hat ihren Vater ausgemacht? Ein großes Thema spielt dabei auch seine Liebe zu Büchern.
Mir hat besonders gut die Sprache gefallen: österreichische Wörter und Ausdrücke kennenzulernen, bereichert. Durch unbedeutende, eigentlich sinnfreie Wiederholungen und rhythmische kurze Dialoge schildert die Autorin das Denken der Kinder und den alltäglichen Umgang realistisch und mit einem Hauch Melancholie. Ein gelungener Familienroman.

Bewertung vom 04.12.2020
Wo du nicht bist
Gebert, Anke

Wo du nicht bist


ausgezeichnet

Diese bewegende Liebesgeschichte spielt im Berlin der Nachkriegszeit.
Irma Weckmüller sucht in den Trümmern ihren Verlobten, den jüdischen Arzt Erich Bragenheim. In Rückblenden wird diese auf einer wahren Begebenheit basierenden Liebesgeschichte erzählt. Sie beginnt 1929, als Irma, ihre Schwester begleitend, den Arzt kennenlernt. Bis zur Deportation erfahren wir die berührenden Anfänge und leiden mit Irma mit, denn ihre Verbindung und Heirat wird durch die nationalsozialistische Herrschaft unmöglich gemacht. Diese Heirat jedoch gelingt Irma nach langen Jahren juristischen Kampfes posthum, denn Erich wird von den Nationalsozialisten ermordet. Aus der Sicht Irmas beschreibt die Autorin Anke Gebert eindrucksvoll die damaligen Lebensverhältnisse, nicht nur die der jüdischen Menschen, sondern auch die der Frauen. Wir erfahren von Alltag, Hunger und Elend 1945 und vom Denunziantentum in den 1930er Jahren.
Der Roman ist sehr gut recherchiert und ähnlich wie ein Film in zeitlichen Rückblenden angelegt. Er ist flüssig zu lesen, einfühlsam und fesselnd geschrieben.