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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
violetta1961
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 50 Bewertungen
Bewertung vom 19.08.2023
Tasmanien
Giordano, Paolo

Tasmanien


sehr gut

Sinnsuche - innen und außen
Paolo Giordanos neues Werk führt uns vor allem in die Denk- und Empfindungswelt des Autors. In seinem Roman verfolgt der Journalist Paolo, der sicher auch autobiografische Züge trägt, ein Buchprojekt, in dem es um Geschichte und Hintergründe der beiden Atombomben geht, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Ein anderer Strang sind Artikel, die Paolo im Bereich Klimawandel für Zeitungen schreibt. Er ist eher ein Charakter, der sich treiben lässt, einfühlsam Dynamiken seiner Freundschaften und seiner Ehe beschreibt. Es gelingt ihm sehr gut, die feinen Nuancen in menschlichen Begegnungen zu erfassen. Verwoben damit sind neue Entwicklungen im Bereich der Physik, die hier in Form von Hochschulszenen und Fachkongressen integriert sind, aber nie langweilig für Fachfremde. Ein vielschichtiges Buch, in sensibler schöner Sprache geschrieben. Empfehlenswert.

Bewertung vom 25.07.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Seine vielen Kriminalromane sind in Japan sehr bekannt. Seishi Yokomizos "Mord auf der Insel Gokumon" ist erst das zweite, ins Deutsche übersetzte Werk. Leider! Der Detektiv Kosuke Kindaichi, der auch hier einen sehr komplizierten Fall aufklären soll, ist herrlich charakterisiert.
Durch persönliche Eigenarten, eigenwilligen Humor und detailliertes Nachfragen a la Columbo begleitet er uns Lesende durch den Roman und legt unterschiedliche Lösungsansätze für die Untaten vor. So bleibt es immer spannend bis zum sehr überraschenden Schluss.
Neben der authentischen Beschreibung der anderen Hauptfiguren gelingt Seishi Yokomizo ebenfalls eine erfrischende Beschreibung der Inselbewohner und ihrer Gesellschaftsstruktur. Ebenfalls entwirft er atemberaubende Landschafts- und Stimmungsbilder. Nicht zuletzt ist dies auch ein Verdienst der Übersetzerin Ursula Gräfe, die es durch ihre Sprachkunst wunderbar versteht, uns die japanische Lebens- und Denkweise auf einer kleinen Insel in der Nachkriegszeit zu vermitteln.

Bewertung vom 07.05.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


sehr gut

Robert Simon, die Hauptperson in diesem sehr lesenswerten Roman, wächst als Kriegswaise ohne Ausbildung auf und verdient sein Geld mit Gelegenheitsarbeiten auf dem Karmelitermarkt in Wien. Als er wagt, ein altes verlassenes Café zu pachten, beginnt die Geschichte des Romans. Mit viel Tatkraft verwirklicht er seinen Traum. Die Gäste des Cafés sind Menschen aus dem Arbeitermilieu, deren Charakter und Lebenssituation einfühlsam beschrieben werden. Das Café ohne Namen wird Ort ihrer Geschichten, ihrer alltäglichen Probleme und Freuden. Wir begleiten das Café von Anfang bis Ende, eine abgeschlossene Ära. Was bestimmt das Leben der Menschen, wozu haben sie keine Zeit oder Kraft, weil sie ihr Leben bestreiten müssen? Ein gelungenes Buch, eher leise und unaufgeregt, dafür aber fein, leicht melancholisch und einfühlsam geschrieben.

Bewertung vom 05.04.2023
3000 Yen fürs Glück
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


gut

Als ich heute zu einer bekannten Buchladenkette ging, sah ich sie zum ersten Mal: Kakeibo-Haushaltsbücher auf Deutsch! Die Autorin Hika Harada nimmt immer wieder Bezug auf diese schon sehr lange existierenden japanischen Hilfen, um Ausgaben im Haushalt zu kontrollieren und für ein großes Ziel zu sparen. Nach dem ersten Drittel des Buches stellte sich bei mir eine gewisse Unzufriedenheit ein: es werden viele Möglichkeiten des Sparens beschrieben, wie sie im Grunde auch auf Deutschland übertragbar wären, aber die Figuren in dem Roman scheinen sich in einem Ausmaß mit dem Sparen zu beschäftigen, dass man als Leser vorsichtig sein muss, diese Eigenschaft nicht grundsätzlich auf Japaner zu übertragen und sie als materiell einzustufen. Die Personen finde ich zum großen Teil nachvollziehbar beschrieben und habe neugierig verfolgt, wie es mit ihrem Schicksal weitergeht. Besonders Großmutter Kotoko hat mir sehr gut gefallen.
Leider unterlaufen der Übersetzerin nicht nur einzelne kleine Fehler,
sondern auch unverständliche Zuordnungen. Zum Teil sind die Sätze sehr einfach strukturiert, so dass ich als Leserin japanischer Literatur, die Übersetzung eher schwächer finde. Ich finde das Buch lesenswert, um Lebensbedingungen und unterschiedliche Familienstrukturen in Japan kennenzulernen.

Bewertung vom 17.03.2023
Wir hätten uns alles gesagt
Hermann, Judith

Wir hätten uns alles gesagt


gut

Judith Hermann schreibt hier hauptsächlich Autobiographisches. Aufgrund ihrer familiären Vorgeschichte, besonders der seelischen Verfasstheit ihres Vaters, kann man erahnen, wie das emotionale Klima in ihrer Kindheit und Jugend war. Sicher ist ihr das Schreiben zu einer inneren Heimat geworden.
So mutig aufschlussreich auch diese familiären Enthüllungen sind, so lose aneinandergereiht wirkt leider das Buch. Erlebtes, Vorgefundenes, Beziehungen springen hin und her - wenig Anknüpfungspunkte bleiben. Einerseits entspricht das dem tatsächlichen Naturell der Gedankenwelt, andererseits bleiben für mich viele Unklarheiten, besonders über Beziehungen zu den Mitmenschen der Autorin. Ist Jon z.B. ein Freund oder (Ex)Partner? Aus Sicht der Schreibenden ist das kein Thema, aber für mich als Leserin hätte ich gern ein bisschen mehr Klarheit und Struktur gehabt.
Die Gedanken über das Schreiben hingegen finde ich sehr informativ und inspirierend.

Bewertung vom 08.03.2023
Fatmanurs fabelhafte Backwelt
Kilic, Fatmanur

Fatmanurs fabelhafte Backwelt


ausgezeichnet

Obwohl sie auf Instagram- und Tiktok-Kanälen ein Star ist,
kannte ich Fatmanur Kilic nicht (weil ich die Kanäle nicht nutze).
Dennoch war ich von ihren Rezepten gleich begeistert, weil sie nicht schwer nachzubacken sind und köstlich aussehen. Fatmanur gibt auch einige Tipps weiter, die sie als Konditorin gelernt hat. Das Buch ist schön gestaltet und auch für AnfängerInnen geeignet. Am Anfang stellt die Autorin sich sympathisch vor und zeigt Basisgegenstände und Lebensmittel, die man für ihre Rezepte im Haus haben sollte. Mir hat gut gefallen, dass es einfache Grundrezepte für Teige und Cremes (als Füllungen) gibt, die man variieren kann. Für die meisten Rezepte gibt es Videoanleitungen, wunderbar.
Der überwiegende Teil der Rezepte sind "süß", einen kleineren Teil bilden herzhafte Backwaren, die zum Teil aus der türkischen Heimat der Familie stammen wie Pide, Börek oder Fladenbrot.
Fazit: ein schön gestaltetes Buch mit tollen, leicht nachzubackenden köstlichen Rezepten!

Bewertung vom 26.02.2023
Als Großmutter im Regen tanzte
Teige, Trude

Als Großmutter im Regen tanzte


ausgezeichnet

Aufdecken norwegisch-deutscher Familiengeheimnisse nach dem 2. Weltkrieg
Das Cover zeigt ein Foto, auf dem eine jüngere Frau nachdenklich im Schatten eines Baumes auf einem Felsen am Meer sitzt. Dieses Bild drückt schon viel über den Roman aus. Die Geschichte wird in zwei sich häufig abwechselnden Zeitebenen erzählt, die auch mit unterschiedlichen Schrifttypen leicht zu erkennen sind. In der Gegenwart flüchtet die Protagonistin Juni vor ihrem gewalttätigen Ehemann auf die Insel ihrer Großeltern. Sie räumt das Haus ihrer verstorbenen Großeltern und ihrer ebenfalls verstorbenen Mutter Lilla auf und stößt so auf die Familiengeschichte, die vor ihr geheim gehalten wurde.
Ihre Großmutter Tekla, in Norwegen als "Deutschmädchen" diskriminiert, verlässt mit ihrem Ehemann, dem deutschen Soldaten Otto, Norwegen.
Sie wollen ein neues Leben im von Russen besetzten, völlig zerstörten Demmin beginnen. Dieser Erzählstrang beginnt Ende des 2. Weltkriegs und stellt die Situation norwegischer Frauen dar, die sich in deutsche Soldaten verliebt hatten. Sehr berührend wird das damalige Leben mit Angst und brutalen Übergriffen von der sowjetischen Besatzungsmacht geschildert. Einiges war mir schon darüber bekannt, der Massensuizid in der kleinen ostdeutschen Stadt Demmin jedoch war mir neu; eine gelungene Bewusstmachung, diese historische Tatsache im Roman zu beschreiben.
In der Gegenwart lesen wir von der Suche der Enkelin Juni, die Fotos, Briefe u.a. findet, die nach und nach ihr Familiengeheimnis lüftet. Dadurch kann sie nachträglich ein Verständnis der Konflikte ihrer Mutter Lilla mit der Großmutter Tekla sowie ihrer eigenen gewinnen. Bei der Suche wird sie von Georg, einem neuen Nachbarn auf der Insel, unterstützt. Mein einziger Kritikpunkt ist die Figur Georg. Als attraktiver, nahezu traumhafter Mann in Junis Alter, der sich auch noch beruflich mit Historie beschäftigt, finde ich ihn etwas zu konstruiert. Ein großes Thema dieses Romans sind unbekannte Väter und die Spurensuche nach ihnen. Das Buch ist wunderbar geschrieben, die Charaktere plastisch. Ich konnte von Anfang bis Ende in den Sog der Geschichte eintauchen. Ein sehr zu empfehlendes Buch!

Bewertung vom 27.01.2023
Der Inselmann
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


gut

Hans' Rückzug auf die Insel
Dirk Gieselmann kann sehr gut schreiben. Sein Stil ist angenehm zu lesen; rhythmische Wiederholungen erinnern an den Chor antiker Dramen. So empfinde ich den Roman als zeitlos. Es gibt kaum Indizien, ihn zeitlich einzuordnen, aber das macht auch seinen Reiz aus, gibt ihm etwas Sagenhaftes. Während ich den Protagonisten Hans einfühlsam beschrieben finde und mir gut vorstellen kann, sind mir leider die Eltern Roleder zu blass beschrieben. Mir ist nie klar geworden, warum die Eltern ihr einziges Kind so distanziert und lieblos behandeln. Ebenso fehlt mir ein Anhaltspunkt, warum die Familie auf die Insel zieht. Aus Armut? Werden sie aus der Gesellschaft ausgegrenzt? In diesem Roman gibt es poetische, fast philosophisch geschriebene Gedanken neben harten Lebenswirklichkeiten. Der Grundton der Geschichte ist melancholisch bis düster. Ich hätte mir als Ergänzung dazu noch mehr über die Freiheit und Naturliebe des Eremitenlebens auf der Insel gewünscht.

Bewertung vom 16.01.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

Geheimnisse stärken das Lebensgefühl
Das ist das erste Buch, das ich von Arno Geiger gelesen habe. Ich bin begeistert. Um sein Geheimnis herum, das viele Jahre lang seinen Alltag begleitet hat, von den noch erfolglosen Anfängen bis zum jetzigen Status eines bekannten Schriftstellers, beschreibt er unterhaltsam und lehrreich sein Leben. Darin berührt er nicht nur seinen Werdegang als Schriftsteller, der 2005 mit dem Erhalt des Deutschen Buchpreises enormen Auftrieb bekam, sondern auch seine Beziehungen zu Partnerinnen, seiner Ehefrau, seiner Familie und Freunden, sowie dem Betrieb in Verlag und Buchwesen. Besonders gefallen haben mir einerseits seine anschauliche, stilsichere und humorvolle Art des Schreibens sowie die Lebensbetrachtungen. Diese zieht er zum einen aus den Erfahrungen, die aus seiner geheimnisvollen Tätigkeit resultieren, zum anderen aus Vergleichen verschiedener Phasen in seinem Leben. Dieser autobiografische Roman hat mir so gut gefallen, dass ich jetzt weitere Bücher von ihm lesen werde.

Bewertung vom 07.12.2022
Ein Leben für das Recht auf Liebe / Die Hafenärztin Bd.3
Engel, Henrike

Ein Leben für das Recht auf Liebe / Die Hafenärztin Bd.3


sehr gut

Ein großes Lesevergnügen
Das lesenswerte Buch ist eine gelungene Mischung zwischen historischem Roman und Krimi. Die Hauptfiguren sind lebendig beschrieben und man verfolgt einerseits das private Schicksal von Anne, Helene und Berthold, andererseits den Kriminalfall im Hamburger Hafen. Die Geschichte spielt im Jahr 1911 und ist gut recherchiert. Nicht nur die Methoden der Poilzei waren eine völlig andere verglichen mit heutigen technischen Möglichkeiten, auch die moralischen Maßstäbe, an denen unabhängige Frauen gemessen wurden. Besonders die damalige recht abhängige Situation der Frauen und mutige Vertreterinnen, die die Lage der Frauen verbessern wollen, liegen der Autorin am Herzen. Ihr Stil ist süffig, das Buch lässt sich schnell lesen. An der einen oder anderen Stelle hätte ich mir vielleicht etwas weniger Umgangssprache gewünscht. Ansonsten aber ein tolles Buch, auf dessen Fortsetzung ich gespannt warte.