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Benutzername: 
ninchenpinchen
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Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 69 Bewertungen
Bewertung vom 02.11.2022
Blutrodeo
Buchholz, Frauke

Blutrodeo


gut

Ein Rachefeldzug

Dieses Motiv des Täters oder der Täter ist leider nicht neu, das habe ich schon bei Tony Parsons, Adler-Olsen und unzähligen anderen Autoren gelesen oder gesehen. Neu ist die Umgebung: die verschandelte Landschaft in Fort McMurray im Norden Albertas. Die indigenen Völker aus „Frostmond“, auf die ich mich hier in Teil 2 gefreut hatte, kommen leider nicht vor oder werden höchstens am Rande erwähnt, da es ihr Gebiet war, das zerstört wurde.

Vom Rodeo habe ich noch nicht oft gelesen. Aber der Titel hier, „Blutrodeo“, ist m. E. nach irreführend, denn die Morde haben nichts mit dem Rodeo zu tun. Höchstens haben die Täter oder die Ermittler mal zugeschaut oder mitgemacht.

Worum geht es also? Ted Garner, der Profiler, den wir bereits aus Frostmond kennen, bekommt hier eine neue Partnerin: Samantha Stern. Auch schade, LeRoux wäre mir lieber gewesen, da ich ihn spannender fand, als den etwas hölzern daherkommenden Ted. Wenn er auch gute Ideen hat und raffiniert zu Werke geht. Denn zwei Morde sind aufzuklären und die Verbindung zwischen den Opfern ist zunächst sehr unklar. Hier werden etliche falsche Fährten gelegt.

Man merkt schon, ich bin von „Blutrodeo“ nicht so begeistert, hatte mich auf die Qualität von Frostmond gefreut.

Pluspunkte sind hier: Der Kriminalroman liest sich extrem flüssig, kommt leicht daher, alles ist gut nachzuvollziehen, man lernt die Gier der Umweltzerstörer kennen und das eingangs erwähnte Motiv des Täters / der Täter. Die Protagonisten sind gut beschrieben, jedenfalls die Täter. Die Kapitel sind perfekt benannt und man weiß immer, wer erzählt und wann sich was abspielt.

Negativ: Die beiden Ermittler bleiben seltsam blass, wirken teilweise unglaubwürdig und dass sie sich nicht ausstehen können, macht die Sache nicht besser. So, wie geschildert, hätte auch die Sauftour der beiden nie stattgefunden. Greta „Thunfisch“ hätte nun auch nicht erwähnt werden müssen und ebenso „Klima“ nicht. (S. 116) Wenn ich Belletristik lese, möchte ich von inszenierter Staatspropaganda verschont bleiben.

Fazit: Sehr flüssiger und durchaus spannender Kriminalroman, der mich leider etwas enttäuscht zurücklässt, denn ich hatte mich auf die Umgebung, Raffinesse und Weisheit von „Frostmond“ gefreut. Diese hohe Qualität kann der Nachfolger leider nicht bieten.

Bewertung vom 24.10.2022
Die Meerjungfrau von Black Conch
Roffey, Monique

Die Meerjungfrau von Black Conch


ausgezeichnet

Bittersüß

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber bei manchen Büchern weiß man schon vorher, dass sie genau das Richtige sein werden. Für die Stimmung, für genau den Augenblick, für die Jahreszeit.
So war es auch bei Monique Roffeys Meerjungfrauenbuch. So schön, so ungewöhnlich, so leicht, so freudig, so poetisch, dennoch traurig: süß und bitter zugleich. Als hätte Frau Roffey daneben gesessen und den Protagonisten über die Schulter geschaut und jeden Moment genauso eingefangen, wie er passiert ist.

Ich konnte kaum glauben, dass es nur eine ausgedachte Geschichte ist, so glaubhaft und realistisch kommt alles rüber. Fein aufgehangen an einem dicken roten Faden, wie man es leider nur zu selten findet. Ich wollte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, habe mit David und Aycayia auf ein gutes Ende gehofft und gebangt, als die Grausamkeiten am schlimmsten waren.

Zum Inhalt: David, der junge karibische Fischer, fährt oft mit seiner Piroge, der Simplicity, aufs Meer hinaus, zum Fischfang und zum Gitarre spielen. Die Musik lockt eine Meerfrau an, Aycayia. Sie wurde einst von den eifersüchtigen Frauen ihres Taino-Stammes verflucht, weil sie so wunderschön war und die Frauen Angst um ihre Männer hatten. Ihre vielen Schwestern kamen um und konnten ihr nicht mehr helfen. So musste sie jahrhundertelang als Halbe-Halbe ihr Dasein im Meer fristen. Als David die Wasserfrau bemerkt, „zitterte ihm der Magen vor Begehren und Angst und Erstaunen.“ (Seite 10)

Etwa vierzig Jahre später schreibt David diese Vorfälle in seinem Tagebuch auf, was eben damals, 1976, alles passierte. Diese Tagebucheinträge durchziehen das Buch ebenso, wie Aycayias „Gesänge“, die in Versen ihre Empfindungen mit uns teilt. Aber es kommen noch viele Protagonisten zu Wort: Die Bösen in Form von geldgeilen Jägern, die nur an ihre Trophäe denken und für die Empathie ein absolutes Fremdwort ist. David allerdings hat mehr Freunde, als er dachte, und die verfügen über jede Menge Zivilcourage.

Flora und Fauna auf dieser Insel und im Meer werden so eigenwillig beschrieben, dass nicht nur die Geräusche der Brüllaffen hinter den riesigen Feigenbäumen aus dem Urwald förmlich aus den Seiten gellen. Und die Substanz der Gebäude gerät durch Rosamund in Gefahr, „den schlimmsten Sturm, der im zwanzigsten Jahrhundert in den Kleinen Antillen gewütet hatte […]“ (Seite 231)

Monique Roffey hat eine ganz eigene Sprache entwickelt, „um eine vor Jahrhunderten Vertriebene in der Karibik in unsere moderne Welt zu integrieren.“ (Aus dem Nachwort der Autorin, Seite 235) Auch die Übersetzerin Gesine Schröder hat ganze Arbeit geleistet, um diesen Stil ins Deutsche zu transformieren. Und das ist so fantastisch gelungen, dass mir dieses moderne Märchen noch ganz lange im Kopf bleiben wird.

Allerdings: Das Cover der Originalausgabe fand ich treffender als dieses bunte.

Fazit: Die Flucht aus unserem krisengeschüttelten Alltag gelingt gerade mit diesem Buch besonders gut, weil es spannendes Kopfkino der besonderen Art entstehen lässt, wie es bei mir leider nur ganz selten beim Lesen so zustande kommt. Vergebe fünf voll verdiente Sterne.

Bewertung vom 11.10.2022
Unsterblich sind nur die anderen
Buchholz, Simone

Unsterblich sind nur die anderen


sehr gut

Du kannst niemals raus

Beim Lesen von Simone Buchholz‘ neuem Roman musste ich immer an das Lied „Hotel California“ von den Eagles denken: „You can check out any time you like,
but you can never leave“ (Du kannst jederzeit auschecken, aber du kannst niemals gehen …)

Die beiden Freundinnen Iva und Malin begeben sich auf die Spur ihrer drei vermissten Freunde, von denen sie vier Wochen lang nichts mehr gehört haben, seit diese auf der MS Rjúkandi eingecheckt haben. Die MS Rjúkandi ist eine Nordatlantikfähre, die von Hirtshals, Norddänemark, startet, die norwegische Küste entlangfährt, ab Stavanger auf die offene Nordsee zusteuert, die Shetlands nordwestlich passiert, Tórshavn, Färöer anläuft und dann ihr Ziel an der isländischen Ostküste erreicht: Seydisfjördur. Bei der gesamten Route dürfte es sich (nur auf dem Hinweg) etwa um zweitausendvierhundert Kilometer handeln. (Route, Seite 34)

Schon das Hotel Desperate Rooms in Hirtshals, wo die beiden Freundinnen für die Nacht vor der großen Fahrt einchecken, ist sehr merkwürdig. Sie sind die einzigen Gäste, alles wirkt recht mysteriös. Es gibt nur eine Frau, die die Bar bedient und einen Mann an der Rezeption.

An Bord finden die beiden Freundinnen letztendlich die drei vermissten jungen Männer wieder. Aber ganz anders, als gedacht. Tarik, Flavio und Mo sehen blendend aus, sind bestens gelaunt und gut untergebracht, aber es ist ihnen nicht möglich, die MS Rjúkandi zu verlassen.

Ganz langsam greift der unbeschwerte Geist an Bord auch auf die Sinne der beiden jungen Frauen über. Bei Musik, Tanz und reichlich Zigaretten lässt sich gut feiern und der Alkohol fließt in Strömen. Auch der Sex kommt nicht zu kurz.

Malin genießt die Zeit (nicht nur) mit Tarik, Iva verliebt sich in Richard, den geheimnisvollen Kapitän. Alle verstehen sich prächtig, die Schiffsroute von Hirtshals nach Seydisfjördur, zurück und wieder von vorn wird nie langweilig. Passagiere kommen und gehen. Der Bordmusiker Ola spielt auf. Alles könnte für immer und ewig so bleiben, wenn, ja wenn nicht Lilo, Ivas kleine Tochter, an Land wäre, die sie so schrecklich vermisst ….

SB spielt hier genreübergreifend ein ungewohntes Spiel, verlässt ihr bisher übliches Krimiterrain und siedelt anteilig im Reich der Fantasy, den unsterblichen Mysterien der Unterwasserwelten und erschafft für uns hier eine paradiesische Parallelwelt, die wir nicht gern wieder verlassen.

Fazit: Hotel California auf See: Ich habe am Ende nur ungern wieder ausgecheckt. Und auch wenn der Roman sicher nicht jedermanns Sache ist, meine war’s schon. Dafür gibt’s verdiente vier Sterne.

Bewertung vom 11.09.2022
Ich bin nicht da
Spit, Lize

Ich bin nicht da


sehr gut

Außer Kontrolle

Lize Spit hat sich viel Zeit gelassen für ihren neuen dicken Roman. 571 Seiten. Wir mussten etwa vier Jahre warten und hatten so die Zeit das unvergessliche Werk „Und es schmilzt“ zu verdauen.

Hier sind die Protagonisten älter geworden, wie die Autorin selbst etwa. Leo ist um die zwanzig, als es losgeht und um die dreißig, als es aufhört. Simon, Leos Partner und fast einziger Freund ist ungefähr drei Jahre älter als sie. Das Paar wohnt wie die Autorin in Brüssel. Leo hat Regie und Drehbuchschreiben an der Filmakademie studiert, arbeitet aber als Verkäuferin in einem Umstandsmodegeschäft. Simon ist Grafikdesigner, begnadet und sehr erfolgreich. LS lässt sich viel Zeit für die Entwicklung ihrer Figuren.

Leo hat zwei Freundinnen: Indra und Lotte. Ihre Mutter verunglückte tödlich und zum Vater will sie keinen Kontakt. Bei Simon ist es ähnlich, seine Mutter starb und der Vater agiert in Italien. Es gibt nur Fernkontakt, durchaus häufiger, aber es kommt nie zu persönlichen Begegnungen während dieser Geschichte. Bei Leo verschwindet so nach und nach die eine Freundin aus ihrem Leben: Indra. Und einzig mit Lotte, ihrer Kollegin im Geschäft, teilt sie Freud und Leid. Simons Vater wird ab und zu von Leo informiert, aber zurück kommen nur wenig hilfreiche Vorschläge.

Als Coen in der Agentur anfängt, in der Simon beschäftigt ist, eskaliert die Lage: Simon wird zunehmend paranoid. Aber auch Leo verändert sich. „Ich war schon genauso paranoid wie er, seine Krankheit hatte auch mein Gehirn infiziert.“ (Seite 199)

Spät sorgt sie dafür, dass Simon eingeliefert wird. „Dieses Ding, das in ihm hauste, musste erst ganz aus ihm raus, bevor ich ihn wieder bei mir haben wollte.“ (Seite 287)

In der Psychiatrie arbeitet auch Dr. „Einhorn“, den Leo und Simon auch vorher konsultiert hatten. Sieben Wochen währt die stationäre Behandlung, in der Simon medikamentös gedämpft wird. Mehr soll hier, an dieser Stelle, nicht verraten werden. Auf jeden Fall hat dieses Buch es in sich. Verschiedentlich erinnerte ich mich an Terézia Moras beeindruckenden Roman „Das Ungeheuer“. Nur dass dort der Protagonist erst posthum erfährt, wie schlimm es wirklich um seine Frau bestellt war. Und hier ist Leo live dabei, harrt aus und verhält sich selbst teilweise extrem grenzwertig. So legt sie einmal ein Reiskorn auf sein Kopfkissen, um zu kontrollieren, ob er geschlafen hat, bzw. sich ins Bett gelegt hat. Auch ihre seltsame Starre, dass sie viel zu wenig bis nichts unternimmt, um zumindest für sich die Situation in den Griff zu kriegen, finde ich bedenklich.

Überhaupt fiel mir auf, was für verhängnisvolle und auch extrem übertriebene Rollen die ewig eingeschalteten Handys der Protagonisten spielen. Da wird sich schon gegenseitig zu-gesimst, während man im selben Zimmer am selben Tisch sitzt. Oder beim Radfahren werden E-Mails gelesen oder beantwortet. Was ist das für eine kranke Gesellschaft?

Der Roman ist in drei Ebenen eingeteilt: die Gegenwartsebene, in der Leo versucht ein Verbrechen zu verhindern; die Entwicklungsgeschichte des Paares und schlussendlich im Hauptteil der Verlauf von Simons Krankheit gepaart mit der Ohnmacht der Ärzte und der Pharmaindustrie.

Fazit: Ein ungewöhnlicher Roman, sehr empfehlenswert für hartgesottene Gemüter und ein würdiger Nachfolger für „Und es schmilzt“. Einige Stellen im ersten Drittel fand ich etwas aufgebläht, dennoch 4,5 verdiente Sterne.

Bewertung vom 11.09.2022
Ich verliebe mich so leicht
Le Tellier, Hervé

Ich verliebe mich so leicht


schlecht

Eine nervige Mogelpackung

2007 wurde die Erzählung (ist es überhaupt eine?) „Ich verliebe mich so leicht“ von Hervé de Tellier in Paris veröffentlicht. Da aber 2021, offenbar mit großem Erfolg, vom selben Autor „Die Anomalie“ hier in Deutschland erschien, dachten sich die Leute vom rowohlt Verlag sicher: Hier satteln wir auf und bringen die alte Kamelle neu raus. Als Roman. Ob sie sich damit einen Gefallen getan haben, steht auf einem anderen Blatt.

Suhrkamp hat mal mit den Büchern der Autorin Elena Ferrante ein ähnliches Spiel gespielt. Die vierbändige Freundinnen-Saga war extrem erfolgreich und danach wurden dann die alten unbedeutenden Kamellen aufgewärmt.

Diese trickreiche Mogelpackung, jedenfalls, mit extra dickem Papier, vielen leeren oder nur zum Bruchteil gefüllten Seiten und mit doppeltem Inhaltsverzeichnis hat mich sehr verärgert. Was soll so was?

Ich dachte, ich bekäme einen Roman von diesem Autor, der 2020 mit dem bedeutenden Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Möglicherweise verdient für „Die Anomalie“, das Buch wartet noch auf mich auf dem SuB. Bekommen habe ich nun dieses unsägliche Machwerk, das mir überhaupt nicht gefallen hat.

Denn: Es passiert eigentlich nichts in dieser Geschichte. Oder so gut wie nichts. Die Protagonisten haben nicht mal Namen, sie heißen: „Unser Held“ und „Die Heldin“. Was es mit dauernden Wiederholungen von „Unser Held tut dies und das“ und „Unsere Heldin erscheint oder auch nicht“ nicht besser macht. Ich wiederhole mich nun auch: Was soll so was?

Der Held rennt der Heldin hinterher, nervt sie mit unzähligen Anrufen (er hängt an ihr fest, so eher der OT „Je m’attache très facilement“) und sie will eigentlich nichts – oder nichts mehr – von ihm wissen. Das ist alles. Hin und wieder wird dann noch ihr Fahrrad im Kofferraum seines Leihwagens verstaut, wobei er sich sein Hemd schmutzig macht. Boah ey.

Fazit: Überflüssig ist fast noch geprahlt, das geht schon eher in den Negativbereich. Schade um die Zeit (zum Glück ging’s ja wenigstens schnell vorbei) – und wer’s gekauft hat, schade ums Geld. Bin sehr enttäuscht.

Bewertung vom 01.08.2022
Eine Feder auf dem Atem Gottes
Nunez, Sigrid

Eine Feder auf dem Atem Gottes


sehr gut

Von Schocks und Offenbarungen

Sigrid Nunez ist eine meiner Lieblingsautorinnen, denn „Der Freund“ wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Ebenso, etwas abgeschwächt, „Was fehlt dir“. Hier schreibt sie ihr Debüt, autobiographisch, vom Aufwachsen in New York.

Der Roman ist in vier Sequenzen unterteilt: Vater, Mutter, Ballett und ihre Liebe (nicht unbedingt die erste!).

SN ist also ein Mix aus Deutschland, China und Panama. Möglicherweise schreibt sie deshalb so ungewöhnlich und bringt den Leser zum Nachdenken. Das schaffen nur die guten Romane.

Der Vater, Chang, war nicht jemand, der nicht sprach, sondern jemand, dem niemand zuhörte. (S. 30) Eine traurige Figur mit viel Arbeit, wenig Kontakten nach außen. In der eigenen Familie fand er keine Zuneigung, von der viel jüngeren deutschen Frau schon gar nicht, aber auch nicht von den drei gemeinsamen Töchtern. Es bleibt ein Rätsel, warum diese Frau diesen Mann geheiratet hat.

Von den zwei Schwestern erzählt SN hier wenig. Dafür spielt das Ballett eine große Rolle. Ich habe noch nie so viel Desillusionierendes über Ballett gelesen. Vom ständigen Hunger und den deformierten Füßen der Frauen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich das nur Sadisten anschauen. Oder dass die Erfinder und Trainer Freude am Quälen ihrer Schützlinge empfinden.

Aber für Sigrid bedeutete das Ballett „Teil der Welt zu sein und sich ihr gleichzeitig zu entziehen.“ (S. 125) Diese wunderbare Möglichkeit zur Alltagsflucht bot ihr diese Kunst.

Dann, zum Schluss, kommt die Liebe und sie ist kompliziert. Erfüllung im herkömmlichen Sinn kann es nie geben, das ist von Anfang an beiden klar. Vadim ist verheiratet und eine Trennung von der Frau kommt nicht in Frage. Hier ist ganz viel Illusion, Schönfärbung und ganz, ganz wenig Realität im Spiel. Aber ist die Liebe nicht immer so?

Fazit: Sehr lesenswert, wenn man auf kontinuierliche Handlung verzichten kann. Gegen den Strich gebürstet eben. Aufpassen: mit viel Inhalt zwischen den Zeilen. Vier Sterne.

Bewertung vom 19.07.2022
Die versteckte Apotheke
Penner, Sarah

Die versteckte Apotheke


weniger gut

Geheime Gifte und ein verstecktes Register

Als ich dieses Buch las, durchlief ich vier emotionale Zustände: Neugier, Gespanntheit, Verwirrung und – vor allem – gefühlte Belanglosigkeit. Gleichzeitig nahm ich mir vor, solche unbedeutenden Bücher in Zukunft nicht mehr zu lesen.

Das wirklich bezaubernde Cover (Respekt!) lässt einen zu diesem Buch greifen. Und die Idee dieses Romans ist gar nicht uninteressant, obwohl nun wirklich auch nichts Neues. Denn der Markt wimmelt vor Büchern mit Geschichten auf zwei Zeitebenen, in der die Frau der Gegenwart das Geheimnis der Frau der Vergangenheit aufdeckt.

Solche Bücher liest meine Tante am liebsten und meistens sind es da alte Tagebücher oder alte Briefe der Historie, die in der Gegenwart entschlüsselt werden. In diesem Fall hier ist es ein Fläschchen und später ein Register. Diese Bücher „Geheimes-Irgendwas-wird-gefunden“ verkaufen sich offensichtlich so gut, dass auf dieser Masche immer wieder herumgeritten wird. Das trifft auf die „Lädchen-Bücher“ auch zu, aber lassen wir das. In Zukunft wende ich mich Gehaltvollerem zu. Das habe ich mir fest vorgenommen!

London: In der versteckten Apotheke haben wir drei Haupt-Protagonisten: Caroline in der Gegenwart und Eliza und Nella in der Vergangenheit, im 18. Jahrhundert.

Caroline flüchtet aus USA nach Europa, um ihren fremdgehenden Ehemann zunächst hinter sich zu lassen. „Ich stand nun am Scheideweg und blickte nicht zurück auf die Straße hinter mir, die mit Monotonie, Angepasstheit und den Erwartungen anderer gepflastert war.“ (Seite 330)

In der Themse beim Mudlarking (bedeutet im Flussschlamm nach Schätzen suchen) entdeckt Caroline ein geheimnisvolles Fläschchen und recherchiert, was es damit auf sich hat. Eine Bibliothekarin hilft ihr dabei, eine Freundschaft entsteht.

Eliza ist ein 12-jähriges Mädchen in der Vergangenheit, die im Auftrag ihrer Herrin in Nellas geheimer Apotheke Gift besorgt.

Ich konnte mit den drei Protagonisten nicht viel anfangen, sie blieben mir fremd, ihre Handlungen konnte ich nicht nachvollziehen. Zu Vieles fand ich äußerst unrealistisch. Ich hätte also weder über meine Schandtaten genauestens und unverschlüsselt Buch geführt*, mit echten Namen(!); noch hätte ich als 12-Jährige meinen Arbeitgeber vergiftet, einfach so, ohne langes Federlesen.

* Nachtrag zum Register: Ohne ein aufbewahrtes Register hätte Caroline das ja später nicht finden können. Und sie ist ja auch klüger als die Behörden, die ja den geheimen Zugang nicht entdecken konnten. Praktischerweise wurde alles ja auch so eingerichtet, dass die Bausubstanz für Caroline, die Entdeckerin, erhalten blieb. Und das in London, einer Hauptstadt Europas, wo normalerweise jeder Quadratzentimeter verbaut wird.

Im ganz gefälligen Anhang gibt es dann noch ein paar Giftrezepte und auch Ungiftiges zum Nachbauen, wie z. B. Shortbread.

Fazit: Ein unrealistischer, über-konstruierter Schmöker, möglicherweise als nette, anspruchslose Sommerlektüre geeignet. Warum dieses Buch schon in elf Sprachen übersetzt wurde, ist mir ein Rätsel.

Bewertung vom 14.06.2022
Der Morgenstern / Der Morgenstern-Zyklus Bd.1
Knausgard, Karl Ove

Der Morgenstern / Der Morgenstern-Zyklus Bd.1


sehr gut

Alle müssen alles aushalten

Zu Beginn gleich ein Zitat von relativ weit hinten, auf Seite 821: „Was jenseits der Reichweite ihrer Sinne liegt [gemeint sind hier die Tiere], gibt es für sie nicht, es existiert schlichtweg nicht in der Welt.“
Wenn ich mir jetzt die Fische und andere Wasserlebewesen vorstelle, die natürlich die ganze Welt jenseits des Wassers nicht – oder kaum – wahrnehmen können, so wie die meisten von uns die wirkliche Wasserwelt nicht wahrnehmen können …. Ja, dann bleibt so viel Unerkanntes übrig, wie die ganze Luftwelt für die Fische. Was mag es noch jenseits unserer Wahrnehmungswelt alles geben? Wir wissen ja nicht mal, wer wir wirklich sind und wo wir herkommen. Damit meine ich jetzt nicht die Bäuche unserer Mütter, sondern wo der Mensch an sich herkommt. War er schon immer auf diesem Planeten?

Also zäume ich hier das Pferd vom Schwanz auf und beginne mit dem Ende, bzw. mit dem Anfang vom Essay am Ende.

Knausgård macht es uns hier nicht leicht mit diesem dicken Buch mit seinen 891 Seiten. Es liest sich schön und schrecklich zugleich, aber man bleibt dran, kann es nicht weglegen, obwohl nicht alles gefällt. Bei Weitem nicht alles.

Zunächst fand ich die Anzahl der Protagonisten zu unüberschaubar, fing doch jedes Kapitel mit einem neuen Erzähler an – neun sind es insgesamt – und alle sprachen in der Ich-Form. Wer davon ist so richtig hängen geblieben? Natürlich Arne, das ist der vom Anfang, mit der verrückten Frau, drei Kindern und zwei toten Katzen. Gruselig schon zu Beginn. Er begräbt eine Katze, die noch nicht richtig tot ist und die Katzenmutter dieses armen Tieres stirbt auch keines natürlichen Todes. Hier beginnt schon die Schrägheit der gesamten Atmosphäre im Roman. Arne fährt betrunken Auto und überall auf der Straße laufen Krebse herum. Massenhaft geangelte Fische stinken in Arnes Keller vor sich hin. Auch nach der Abreise aus dem Sommerhaus noch. Die verrückte Ehefrau wird vorher noch schnell ins nächstgelegene Krankenhaus abgeschoben.

Hat der Morgenstern, der neue, das alles ausgelöst und zu verantworten? Die ganze Welt ist aus den Fugen geraten, so wie unsere gerade auch. Da wird alles geleugnet, was nicht ins System passt, und: „Keiner hat jemals ein vernünftiges Gespräch mit einem Leugner geführt. Das geht einfach nicht.“ (Seite 790)

Arne hat einen Nachbarn in diesen Norweger-Sommerhäusern in Bergen am Meer: Egil. Auch Egils Welt ist aus den Fugen geraten, deshalb schrieb er den Essay am Ende: „Über den Tod und die Toten“, ab Seite 817. Hier wird nach viel Philosophie eine Zugbekanntschaft von Egil thematisiert und eine Beerdigung, derlei Merkwürdigkeiten kann man sich kaum ausdenken, die müssen schon so passiert sein.

Der Journalist Jostein ist noch so ein Protagonist, der hängen bleibt im Gedächtnis, einfach weil er solche Unmengen an Alkohol trinken kann, dass man es kaum zu glauben vermag. Er betrügt seine Frau, fällt öfter mal in Ohnmacht, einmal auch ins Koma und irrt seitenlang in der Anderswelt herum.

Die Frauen sind nicht so markant und gerieten ob der Textfülle bei mir mehr oder weniger schon in Vergessenheit: Turid, Josteins Frau, arbeitet in der Psychiatrie. Sie muss mit einem harten Schicksalsschlag fertig werden und Monster im Wald verkraften.
Dann ist da noch Kathrine, die Pfarrerin, mit den Wahnvorstellungen (oder sind es keine?), Vibeke, Solveig und andere.

Manche der Protagonisten kennen sich und begegnen sich, andere wirken wie zufällig ins Buch geraten. Allen gemeinsam ist das Staunen über oder die Angst vor diesem Morgenstern.

Ich weiß nicht, ob das Buch empfehlenswert ist oder nicht. Ich habe es gar nicht gern gelesen und konnte es trotzdem nicht aus der Hand legen. Warum liest man so ein dickes Buch?

Und es werden noch mehr, so die „Androhung“, siehe hier aus dem Interview mit dem Autor: Früher hätte er, deutet er an, wohl zuerst an sein Werk gedacht. Aber das sei nun im Vergleich mit seiner Familie unbedeutend. Trotzdem hat er weiter gro

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Bewertung vom 21.05.2022
Liebesheirat
Ali, Monica

Liebesheirat


sehr gut

Stolz und Scham

Liebesheirat von Monica Ali habe ich mit großem Vergnügen gelesen und – tatsächlich – sogar einiges noch dabei gelernt. Zwar hätte ich mir ein anderes Ende gewünscht, möglicherweise ein weniger konventionelles Ende. Aber mehr zu meckern gibt es nicht.

Ich bin vor längerer Zeit durch „Die gläserne Frau“ (OT Untold Story) auf Monica Ali aufmerksam geworden. Und weil dieser Roman immer noch zu meinen Highlights gehört, war ich dann sehr interessiert, als ich auf „Liebesheirat“ aufmerksam wurde. Oh, Monica Ali hat ein neues Buch rausgebracht, das muss ich unbedingt lesen! Neunzehn Tage habe ich dafür gebraucht. Macht immerhin über dreißig Seiten pro Tag, daran sieht man: langweilig ist dieser Stoff bestimmt nicht.

Alis Idee, zwei völlig unterschiedliche Familien im noblen London durch eine Verlobung zusammenzupacken, die gefiel mir. Es gibt hier also Yasmin, die Assistenzärztin aus einer indischen Familie mit vier Personen: Ma, Baba und noch Arif, Yasmins jüngeren Bruder. Baba ist damals in Indien „den Klauen der Armut entkommen“. (Seite 101) Eben durch die titelgebende „Liebesheirat“.

Joe, Yasmins Verlobter, stammt aus einer englischen Familie mit zwei Personen: Harriet und Joe. Mutter und Sohn, eine Konstellation, die durchaus Probleme aufwirft. „Joe wohnte bei seiner Mutter, weil er es leid gewesen war, in einer Mietwohnung zu leben und auch, weil Harriet sich über seine Gesellschaft freute.“ (Seite 32) Ein Ansatz, der vielen Leuten gut zu Gesicht stehen würde, aber heutzutage leider nicht mehr sehr populär ist.

Und wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Ma (Anisah) sich so gut mit Harriet verstehen würde? Anisah, die erzkonservative Inderin, und Harriet, die emanzipierte Autorin, die auch gern am laufenden Band provoziert.

Joe besucht ab und zu den Psychiater Sandor, diesen Besuchen sind einige Kapitel gewidmet. „Sandor wartete. Manchmal wurde die wichtigste Arbeit in den Momenten des Schweigens geleistet.“ (Seite 231) Warum Joe glaubt, eine Therapie zu benötigen, möchte ich hier nicht verraten.

Bei den Protagonisten ist viel von Schuld und Schuldgefühlen die Rede. So hatte Harriet mal verkündet: „Schuld ist von allen Gefühlen eindeutig das nutzloseste. Das erbärmlichste und auch das egozentrischste.“ (Seite 267) Das sollten gerade wir Deutsche uns mal auf die Fahnen schreiben!

Das Kapitel „Haram“, ab Seite 261, hat mir am allerbesten gefallen. Eine Wucht! Auf solche Ideen muss man erstmal kommen! Aber hier wird nichts verraten, das müsst ihr schon selbst lesen.

Wir jedenfalls erleben die Protagonisten hautnah, ihre Beziehungen zueinander, ihre Jobs, ihre kleinen Kümmernisse, ihre großen Geheimnisse, ihr Leid, und auch ihre Freuden und ihren Zusammenhalt, wenn’s drauf ankommt.

Fazit: Ein knapp 600-Seiten-Roman, der zwischen zwei Kulturen spielt und mit überraschenden Wendungen nie langweilig wird. Mit viel Humor und genauso viel Herz geschrieben. Wer schräge Familienromane gern mag, der ist hier genau richtig.

Bewertung vom 09.05.2022
Der große Fehler
Lee, Jonathan

Der große Fehler


weniger gut

Bis zum Ende durchgehalten

So, nun ist die Quälerei endlich zu Ende! Ohne Leserunde hätte ich abgebrochen. Natürlich hat auch dieses unsägliche Buch so seine Momente, die eher den weiblichen Protagonisten zu verdanken sind: Mrs. Bray und Bessie. Und nur da kommt auch Farbe ins Spiel – etwas Farbe – in der zweiten Hälfte.

Die männlichen Figuren kommen ausnahmslos sehr dröge und sperrig daher: Andrew und der Inspector McClusky.

Es geht in dieser literarischen Biographie um Andrew Haswell Green, der im hohen Alter von 83 direkt vor seiner Haustür ermordet wird, von einem Schwarzen. Andrews Haushälterin, Mrs. Bray ist mehr oder weniger eine Zeugin dieses Mordes und sie findet auch im Buch mehrfache Erwähnung.

Andrew Haswell Green wird auch der Vater von Greater New York genannt, er ist der wesentliche Schöpfer des Central Parks, der York Public Library, des Museums of Modern Art und von etlichen anderen Museen.

Wie eingangs bereits bemerkt, habe ich das Buch nicht gern gelesen, es hat mir überhaupt keinen Spaß gemacht. Die Kapitelüberschriften sind nach den Toren des Central Parks benannt, eigentlich eine ganz gute Idee, aber oft ohne erkennbaren Zusammenhang zwischen der Namensgebung und dem Kapitelinhalt.

Die erste Hälfte des Buches holpert und springt in den Zeiten: Andrews Kindheit und Jugend, der Umzug vom Land nach New York, die furchtbare Lehre und später die Arbeit, alles humor- und zusammenhanglos runtergerasselt. Aufzählungen, wie der frühe Tod der Mutter, später kommen die Ersatzfrauen des lieblosen Vaters, der Andrew beim Abschied zuflüstert: „Du hast Schande über uns gebracht, Andrew.“ (Seite 174)

Schon damals wimmelte es nur so von Betrügereien, Korruption und Fehlern im System.
Da gefiel mir das Zitat auf Seite 88: "Es war schier unglaublich, wie man die öffentlichen Kassen plündern und dennoch mit ein, zwei dummen Behauptungen die Herzen der Leute auf seiner Seite halten konnte." Das gelingt heute in besonderem Maße, da die Mainstream-Medien viel mächtiger und breiter gestreut sind, als damals.
Oder, Seite 288: „Und auch nachdem Samuel die Präsidentschaft durch eine ganze Reihe von Betrügereien und Fehlern gestohlen worden war, kam der Ausflug nicht zustande.“ Kommt einem – ja nicht nur aus USA – äußerst bekannt vor.

Die Reichen und Mächtigen, die so gern ihre Namen an prominenten Gebäuden vermerkt sahen und nur dann auch bereit waren, etwas zu spenden, die scherten sich aber wohl nicht um die Hygiene in den Straßen der Stadt. Und um „Die von Fliegen angefressenen Toten in den Gassen.“ (Seite 121)

In der zweiten Hälfte des Buches kommen die Damen zu Wort und das tut dem Lesefluss ganz gut. Die brillante Bessie Davis hat nicht nur den Männern der damaligen Zeit gut gefallen, sondern auch mir und dem Inspector McClusky. Auch die Haushälterin von Andrew, Mrs. Bray hat es faustdick hinter den Ohren.

Insgesamt bleiben die Protagonisten seltsam blass und der Autor versteht es leider nicht, ihnen Leben einzuhauchen. Da hilft auch das Homosexuelle, was hier mal wieder sein muss – ein schwuler Andrew, ein (möglicherweise) schwuler Freund und eine lesbische Haushälterin – auch nicht weiter.

Fazit: Sperrig, dröge, langweilig, zäh & blass – nicht empfehlenswert.