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Benutzername: 
ninchenpinchen
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Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 09.05.2022
Der große Fehler
Lee, Jonathan

Der große Fehler


weniger gut

Bis zum Ende durchgehalten

So, nun ist die Quälerei endlich zu Ende! Ohne Leserunde hätte ich abgebrochen. Natürlich hat auch dieses unsägliche Buch so seine Momente, die eher den weiblichen Protagonisten zu verdanken sind: Mrs. Bray und Bessie. Und nur da kommt auch Farbe ins Spiel – etwas Farbe – in der zweiten Hälfte.

Die männlichen Figuren kommen ausnahmslos sehr dröge und sperrig daher: Andrew und der Inspector McClusky.

Es geht in dieser literarischen Biographie um Andrew Haswell Green, der im hohen Alter von 83 direkt vor seiner Haustür ermordet wird, von einem Schwarzen. Andrews Haushälterin, Mrs. Bray ist mehr oder weniger eine Zeugin dieses Mordes und sie findet auch im Buch mehrfache Erwähnung.

Andrew Haswell Green wird auch der Vater von Greater New York genannt, er ist der wesentliche Schöpfer des Central Parks, der York Public Library, des Museums of Modern Art und von etlichen anderen Museen.

Wie eingangs bereits bemerkt, habe ich das Buch nicht gern gelesen, es hat mir überhaupt keinen Spaß gemacht. Die Kapitelüberschriften sind nach den Toren des Central Parks benannt, eigentlich eine ganz gute Idee, aber oft ohne erkennbaren Zusammenhang zwischen der Namensgebung und dem Kapitelinhalt.

Die erste Hälfte des Buches holpert und springt in den Zeiten: Andrews Kindheit und Jugend, der Umzug vom Land nach New York, die furchtbare Lehre und später die Arbeit, alles humor- und zusammenhanglos runtergerasselt. Aufzählungen, wie der frühe Tod der Mutter, später kommen die Ersatzfrauen des lieblosen Vaters, der Andrew beim Abschied zuflüstert: „Du hast Schande über uns gebracht, Andrew.“ (Seite 174)

Schon damals wimmelte es nur so von Betrügereien, Korruption und Fehlern im System.
Da gefiel mir das Zitat auf Seite 88: "Es war schier unglaublich, wie man die öffentlichen Kassen plündern und dennoch mit ein, zwei dummen Behauptungen die Herzen der Leute auf seiner Seite halten konnte." Das gelingt heute in besonderem Maße, da die Mainstream-Medien viel mächtiger und breiter gestreut sind, als damals.
Oder, Seite 288: „Und auch nachdem Samuel die Präsidentschaft durch eine ganze Reihe von Betrügereien und Fehlern gestohlen worden war, kam der Ausflug nicht zustande.“ Kommt einem – ja nicht nur aus USA – äußerst bekannt vor.

Die Reichen und Mächtigen, die so gern ihre Namen an prominenten Gebäuden vermerkt sahen und nur dann auch bereit waren, etwas zu spenden, die scherten sich aber wohl nicht um die Hygiene in den Straßen der Stadt. Und um „Die von Fliegen angefressenen Toten in den Gassen.“ (Seite 121)

In der zweiten Hälfte des Buches kommen die Damen zu Wort und das tut dem Lesefluss ganz gut. Die brillante Bessie Davis hat nicht nur den Männern der damaligen Zeit gut gefallen, sondern auch mir und dem Inspector McClusky. Auch die Haushälterin von Andrew, Mrs. Bray hat es faustdick hinter den Ohren.

Insgesamt bleiben die Protagonisten seltsam blass und der Autor versteht es leider nicht, ihnen Leben einzuhauchen. Da hilft auch das Homosexuelle, was hier mal wieder sein muss – ein schwuler Andrew, ein (möglicherweise) schwuler Freund und eine lesbische Haushälterin – auch nicht weiter.

Fazit: Sperrig, dröge, langweilig, zäh & blass – nicht empfehlenswert.

Bewertung vom 29.04.2022
Unser Teil der Nacht
Enriquez, Mariana

Unser Teil der Nacht


ausgezeichnet

Mann, Gott oder Teufel?

Nun ist das dicke Buch fertiggelesen und es gibt keine Fragen mehr. Die letzten Seiten habe ich mehrmals gelesen, um zu verstehen, was passiert ist. Es bleibt wenig offen und dieses Wenige muss auch offen bleiben, denn die Geschichte entwickelt sich weiter. Ohne uns! Denn der Mensch darin entwickelt sich, er braucht Zeit und er lernt.

Juan Peterson, das ist der Mann, um den sich hier alles dreht. Das Medium, das der geheime Orden haben wollte und brauchte, um sich für alle Ewigkeit die Unsterblichkeit zu sichern. Die Hüter des Geheimbundes kauften Juan bereits als Kind seinen Eltern ab. Der Vater war froh, die Verantwortung für den schwer herzkranken Jungen los zu sein. Die Mutter nicht.

Ich habe mir den erwachsenen Juan immer ein wenig wie David Bowie vorgestellt, wie von einem anderen Stern, Frauen und Männer liebend und in jeder Beziehung außergewöhnlich talentiert. Und tatsächlich taucht ja der junge DB im Buch später leibhaftig auf und begegnet in London den Protagonisten.

Juan hat noch einen etwas älteren Bruder: Luis, über den wir später mehr erfahren. Juan heiratet Rosario und geht damit eine unfreiwillige, aber bewusste Verbindung zu der schlimmsten Schwiegermutter ein, die man sich nur vorstellen kann. Mercedes ist das pure Böse, die selbst ernannte Chefin des weit verzweigten und unendlich reichen Geheimbundes.

Ist Juan nun ein Gott, ist er begabt oder verflucht? „Die Götter verhalten sich immer wie die Menschen, die sie machen.“ (Seite 429) Auf jeden Fall ist Juan das stärkste Medium, dass der Orden jemals hatte. Er versucht oft, sich abzugrenzen und teilweise gelingt es ihm auch. Mit all seiner gewaltigen Macht versucht Juan seinen Sohn Gaspar zu schützen, damit ihn der Orden nicht in seine Fänge bekommt.

Oft klingt die Schwermut einer Violeta Parra durch die Zeilen, die am Ende ihres Lebens „Gracias a la Vida“ komponiert und sich im Anschluss daran umgebracht hat.

Bei der verstörenden Coverabbildung fehlen die Flügel, der Körper und die Umgebung des gefallenen Engels. Ein wenig vom Rest des Gemäldes lässt die Rückseite erkennen und das ist mir vorher – ehrlich gesagt – gar nicht aufgefallen, erst jetzt, wo ich mich mit dem Gemälde beschäftige.

Dieses Buch hält überhaupt so viele Überraschungen bereit, dass man nicht in der Lage wäre, sie alle aufzuzählen, selbst wenn man Spoiler in Kauf nähme. Und es ist ja keineswegs ausgeschlossen, dass viele der Vorkommnisse im realen Leben auch so passieren (Woher weiß die Autorin das alles?), denn momentan ist ja das Satanische auf dem Vormarsch in unserer Welt und das Gegengewicht scheint zu fehlen oder nicht stark genug zu sein. (Ich hoffe, ich irre mich!)

„Jedes Vermögen wird auf dem Leid anderer aufgebaut, und das unsere, auch wenn es auf einzigartige und ungewöhnliche Weise zustande kam, ist keine Ausnahme.“ (Zitat Rosario, Seite 438)

Mein Fazit: Schreib noch ein paar Bücher, Mariana Enriquez, ich werde sie alle lesen, sogar auf Spanisch, wenn's sein muss. Und noch was, gibt's auch 10 Sterne?

Bewertung vom 29.03.2022
Das gekaufte Leben
Sommer, Tobias

Das gekaufte Leben


weniger gut

Urlaub mit Identitätswechsel

Zunächst fiel mir das geniale Cover auf von Tobias Sommers neuem Roman: „Das gekaufte Leben“.
Die Ausgangssituation ist spannend und macht neugierig. Clemens Freitag ist alleinstehend, hat überall Schulden, einen mäßig bezahlten Job und nur einen einzigen Freund: Lars.
So fällt es ihm nicht schwer, fast alles hinter sich zu lassen. Und sich vom bisher unberührten Erbe seiner tödlich verunglückten Eltern ein neues Leben zu kaufen. Im Dorf Zaun am Waldsee ersteigert er ein komplett eingerichtetes Haus, samt passender Garderobe und gut sortierter Angelausrüstung. (Daher der tote Hecht auf dem Cover.) Ein Ferienhaus gehört auch dazu, Boot, Auto und Job inklusive.

In die Träumereien des perfekten neuen Daseins mit all den neuen zugänglichen Freunden mischen sich bald erste Ungereimtheiten. Nichts ist so, wie es zunächst schien. Der Vorgänger von Freitag mit der so praktisch passenden Kleider- und Schuhgröße hat sich gänzlich in Luft aufgelöst.

Einzig in Freitags neuer Firma fühlt es sich an wie im Schlaraffenland. Die Kollegen sind hilfsbereit, der Chef ist in Ordnung, die Arbeit macht Spaß und geht flott von der Hand. Das Geld passt auch.

Der Protagonist bleibt für den Leser seltsam blass. Was unterscheidet ihn überhaupt von seinem Vorgänger? Oder ist er sein Vorgänger? Das Verwirrspiel am Ende ist leider so ein hoffnungsloses Durcheinander, dass der Leser sich zwangsläufig fragt: Was ist da passiert? Keine Lust mehr auf eine ordentliche Auflösung gehabt? Oder keine Zeit mehr?

Auch hier wieder, wie bei dtv (neuerdings?) üblich, da werden die Kurzwaffen Pistole und Revolver durcheinander geworfen. Und stellt Heckler & Koch einen Revolver her? (S. 95)

Fazit: Schade, guter, spannender Ansatz. Leider gegen Ende verschenkt. Zu viele Ungereimtheiten verderben den Brei und ließen zumindest mich recht frustriert zurück. ** Schafft der Japaner Keiichirō Hirano den literarischen Identitätstausch besser? Das gelte es bei Gelegenheit herauszufinden.

Bewertung vom 29.03.2022
Der fürsorgliche Mr Cave
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


weniger gut

Vom Wahn, der sich verdichtet

Matt Haig hatte mit der zauberhaften „Mitternachtsbibliothek“ einen ungewöhnlichen, so wunderbaren Roman abgeliefert, der mich wirklich sehr begeistert hat. So hatte ich mich auf das neue Buch gefreut, wurde aber enttäuscht. Denn beim besessenen Mr. Cave kam leider beim Lesen keine Begeisterung auf, zumal mir eine gewisse Unentschlossenheit auffiel, ob Mr. Haig nun einen Krimi, einen Horrorroman oder eine psychologische Studie des Verfalls abliefern wollte. So war ich mehrfach dem Abbruch nahe und wollte mir den vom Dämon besessenen Helikopter-Vater mit seinen Wahnvorstellungen nicht mehr länger antun. Letztendlich habe ich das Buch dann doch noch zu Ende gelesen. Das Ende konnte aber meine Enttäuschung nicht mindern, eher im Gegenteil.

Der englische Originaltitel: „The Possession of Mr Cave“ trifft den Inhalt weit besser, als der deutsche Titel es vermuten lässt, wie so oft. Ich hätte da eher die Begriffe „Zwangsvorstellung“ oder „Obsession“ mit in den Titel einfließen lassen.

Aber zunächst mal zur Geschichte. Der Antiquitätenhändler Terence Cave hat früh, schon als Dreijähriger, seine Mutter verloren und später dann seine Frau und Reuben, den Zwillingsbruder von Tochter Bryony. Alle drei Verluste geschahen mittels unnatürlicher Todesfälle. Reuben starb durch eine Mutprobe, die zeitnah tödlich endete. Da war er erst 15 Jahre alt. Ab hier beginnt dann die Geschichte und gleichzeitig – mehr und mehr – der Realitätsverlust des Vaters und Ich-Erzählers Terence.

„Was auch immer wir in dieser Welt lieben, es entsteht aus unseren Fehlern, unserem Schmerz. Alles, was wir Menschen erschaffen, dient einzig und allein dem Zweck, den Schrecken unserer Existenz zu mildern.“ (Seite 48)

Das Ganze liest sich streckenweise wie ein langer Brief, in dem vom Ich (Terence) zum Du (Bryony) berichtet wird. Zwar bleibt Terence keineswegs blass, dennoch sind seine zunehmenden Zwangsvorstellungen und Stalking-Attacken schwer zu ertragen und schwierig nachzuvollziehen. Die Verdichtung seines Wahns geht je nach Phase teils schleppend, teils rasant voran und mündet in komplettem Kontrollverlust. Außer Cynthia, Bryonys verständnisvoller Großmutter mütterlicherseits, kriegen alle handelnden Personen anteilig von Caves Wahn ab, manche mehr, manche weniger. Bryonys Leid ist natürlich ein Hauptbestandteil der Geschichte.

Das recht ansprechend gestaltete Cover kommt eher positiv daher und wird dem düsteren Inhalt nicht gerecht. Was im Vorsatzblatt der Vogel mit dem Schlüssel zu suchen hat, erschloss sich mir auch nicht. Sieht nett aus, hat aber nichts – oder nur viel zu wenig – mit dem Roman zu tun. (Schlüssel einmal ja, Vogel nie)

Fazit: Aus meiner Sicht deprimierend und nicht empfehlenswert. Es kommt keine Lesefreude auf und die seltsame Entwicklung des irren Protagonisten blieb für mich kaum nachvollziehbar. Wer den Autor noch nicht kennt, der liest lieber „Die Mitternachtsbibliothek“.

Bewertung vom 17.03.2022
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Huber, Christian

Man vergisst nicht, wie man schwimmt


sehr gut

Magisch: nochmal 15 sein

Schon die Leseprobe von Christian Hubers Roman „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ hatte mir außerordentlich gut gefallen, fand ich witzig, unkonventionell, machte mich neugierig. Was mochten wohl die großen Geheimnisse des Protagonisten sein?

1999: Pascal, von allen Krüger genannt, und sein bester Freund Viktor treiben ihr jugendliches Unwesen in Bodenstein an der Naab. Krügers inzwischen alleinerziehende Mutter – im Kleinfamilienernährungsstress - glänzt meistens durch Abwesenheit. Bei Viktor ist es anders. Sein überaus gestrenger Vater ist Lehrer, wegen seiner häuslichen und schulischen Erziehungsmethoden ist er als „der Sergeant“ bekannt.

In Bodenstein gibt es von den Jungs einige sehr angesehene junge Erwachsene: Ayla, Anna und Dave, der Skaterkönig. Denen möchte man imponieren, da möchte man dazu gehören.

Da platzt Jacky, die 16-jährige Zirkusakrobatin, in das Leben und Treiben der Jungs und viele Wertigkeiten verschieben sich.

Der Leser ist mittendrin im spannenden Geschehen und erlebt die Protagonisten hautnah, schaut ihnen über die Schulter, möchte sie oft warnen, sich mit ihnen freuen, mit ihnen feiern. Worauf kommt es wirklich an im Leben?
Zitat, Seite 351: „Jacky und eine Eigentumswohnung. Finanziert durch einen Bausparer und einen Kredit mit Staffelzinsen bei der Sparkasse. Alles abgeschliffene Eiche, Terrakotta-Blumentöpfe auf dem winzigen Balkon, der nur Sonne bekommt, wenn diese sich in den Fensterscheiben der gegenüberliegenden Häuserfassaden spiegelt. Eine Einbauküche aus dem Katalog. Aktenordnerschränke. Nur noch siebzig Jahre abbezahlen, bis man endlich sterben darf, und auf dem Fensterbrett verwelkt das Basilikum.“

Nur eine Sache hat mich gestört und das möchte ich Herrn Huber und auch dem Lektorat ankreiden: Ein Revolver ist keine Pistole und das wird hier leider dauernd durcheinander geworfen. Schade!

Fazit: Wer Coming-of-Age höchster Güteklasse lesen will, der ist hier genau richtig. Ein super-spannender Roman, sogar mit kompletter Musikliste, der sehr leichtfüßig daherkommt und großes Lob verdient. Magisch!

Bewertung vom 22.02.2022
Butter
Yuzuki, Asako

Butter


weniger gut

Drei Frauen und ein Truthahn

Dieser Roman „Butter“ ist schwierig zu beschreiben, da er keinen roten Faden hat und wenig Struktur. Der Leser weiß an keiner Stelle, wo alles hinführen soll und ist am Ende auch nicht viel schlauer. Von allen asiatischen Romanen, die ich bis jetzt gelesen habe, hat dieser hier mir am wenigsten gefallen. Der Vergleich mit „Die Vegetarierin“ ist auch hinfällig. Manchmal liest sich „Butter“ zäh, oft kommt Langeweile auf, manchmal auch ein Hoffnungsschimmer, aber so richtig glücklich bin ich nicht damit geworden.

Worum geht es nun? Rika, die Protagonistin, ist Journalistin bei einer Frauenzeitschrift und hat sich vorgenommen, die Geschichte von Manako Kajii zu ergründen. M. K. sitzt im Gefängnis und soll mindestens drei Männer getötet haben. Rikas Besuche bei M. K. sind meist sehr mysteriös oder M. K. will sie gar nicht sehen und die Fahrt ins Gefängnis war vergeblich, also Zeitverschwendung. Kajii lügt auch wie gedruckt, so dass weder der Leser noch Rika weiß, was nun Sache ist. Das ist für beide Parteien recht unbefriedigend.

Nun lässt Rika sich von Kajii durch die Geschichte treiben. Da werden Mutter, Schwester und Nachbarn der Gefangenen besucht, da wird Essen gegangen, sogar von ihr angeordneter Sex wird durchgeführt. Ein Kochkurs darf dabei natürlich auch nicht fehlen. Befriedigende Antworten gibt es nie, aber die Autorin versteht es schon hin und wieder den Leser zu schockieren.

Einmal dachte ich auch, huh, jetzt wird es doch noch spannend, als Reiko, Rikas extrem übergriffige Freundin, plötzlich und unverhofft zu Wort kommt. Ab Seite 268. War dann aber doch wieder nichts. Ich konnte mich weder in die eine, Rika, noch in die andere Frau, Reiko, einfühlen und in Kajii schon gar nicht.

Ab Seite 379 dachte ich, das Verhältnis der beiden Protagonisten Rika und Kajii kehrt sich um. Zugunsten von Rika, die endgültig die Oberhand gewönne, weil sie von Natur aus gütig ist und Kajii nie Güte gewohnt war. Aber auch das war nicht so.

Zum Spiel mit den Identitäten. Wer ist wer? Wer erweitert wessen Horizont? Wer erkennt Dinge, die bisher verborgen waren? Oder darf man nur an das glauben, was unmittelbar erreichbar ist? Soll man ein vermeintliches Idol anbeten und Fankult betreiben, oder lieber nicht? Allein oder zu zweit? Dieses Spiel hätte echt was werden können, wurde aber nicht. Schade!
So wurde es lediglich zur Frage aller Fragen, warum es keinen Truthahn geben durfte.

Fazit: Aus meiner Sicht leider nicht empfehlenswert. Viel Butter ja und die lieber essen als darüber lesen. Tolles Coverdesign, aber literarisch unbefriedigendes Verwirrspiel um diese drei Frauen und eine Handvoll Männer. Das können andere besser.

Bewertung vom 14.02.2022
Dschinns
Aydemir, Fatma

Dschinns


sehr gut

Die inneren Ungeheuer

Im Roman „Dschinns“ erfahren wir eine Sicht türkischer Gastarbeiter auf Deutschland. Das arme Deutschland, das kalte und herzlose Land (Seite 9) kommt dabei nicht besonders gut weg. Hier wird das Geld verdient, was in der türkischen Heimat nicht zu verdienen ist und dazu muss man eine fremde Sprache lernen, was der älteren Gastarbeitergeneration meist nicht besonders gut gelingt. (Allen anderen älteren Generationen natürlich auch nicht.)

Da sowohl die Arbeit am Buch, wie auch der Aufenthalt der Autorin hier gefördert wurde, hätte ich mir an manchen Stellen gewünscht, dass unser Land besser dabei weg gekommen wäre. Zwar: Ob das dann noch realistisch gewesen wäre, sei dahingestellt. Das Obligatorische: Bin ich Männlein oder Weiblein? Kommt auch, aber ohne das wohl keine Förderung.

Aber: Worum geht es? Hüseyin, das Oberhaupt dieser Familie, die hier beschrieben wird, stirbt plötzlich und unerwartet nach dreißig Jahren Arbeit in Deutschland in der lange erträumten und frisch erworbenen Eigentumswohnung in Istanbul. Jetzt müssen Frau und die vier Kinder zur Beerdigung von Deutschland in die Türkei fliegen. Und schnell muss es gehen. Sevda, die älteste Tochter und Hakan, der älteste Bruder, schaffen das nicht pünktlich. Emine, die Mutter, gerät bei der Beerdigung mit ihrer Schwägerin aneinander, die sie zutiefst verabscheut. Emine verabscheut Ayşe schon fast ihr ganzes Leben lang. Warum erfahren wir im Lauf der Handlung.

Jedes Familienmitglied bekommt ein Kapitel für sich, auch Perihan, die jüngere Schwester, und Ümit, der jüngere Bruder. Jeder von ihnen trägt seine „Dschinns“ mit sich herum. Die belastenden Dinge, die inneren Ungeheuer, die nicht verarbeiteten Traumata. Es ist ein schwieriges Leben ohne die Wurzeln, die man irgendwo eingraben kann. „Weil man nur dort zuhause war, wo man jemanden hatte, der einen verstand.“ (Seite 275)

Der Roman liest sich extrem flüssig, ist sehr, sehr gut geschrieben, Respekt. Die Autorin ist in Deutschland geboren und dies ist keine Übersetzung. Also: Deutsch ist ihre Muttersprache, wenn sie auch türkischer Abstammung ist. Inwieweit der Roman autobiographisch sein könnte, weiß die Leserin nicht.

Worüber die Leser auch durchaus mal nachdenken sollten, das ist die „Sinnlosigkeit“ unserer deutschen Vorgärten, in denen nur getrimmtes Gras steht und nichts Nahrhaftes wächst. (Seite 95)
Oder weiterhin Nachdenkenswertes: „[…] wie in Deutschland, wo jeder allein in seinem Zuhause sitzt und jede Geldmünze dreimal umdreht und alle immer nur bei der Arbeit oder im Bett sind.“ (Seite 300)

Fazit: Interessante Lektüre, genauso empfehlenswert, wie zwiespältig. Durchaus spannend, bei mir läuft es auf vier Sterne hinaus. Den einen Stern muss ich (leider!) abziehen, da mal wieder ein Protagonist nicht weiß, ob er lieber Männlein oder Weiblein ist. Wenn auch genial eingeflochten. Nicht schlimm das, aber es geht ja im Genderland kaum noch "ohne".

Bewertung vom 06.01.2022
Die Enkelin
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Die Abnabelung aus der alten Welt

In Bernhard Schlinks Roman „Die Enkelin“ geht es zunächst um einen Todesfall. Birgit, die Ehefrau des Buchhändlers Kaspar, stirbt plötzlich und unerwartet. Möglicherweise hat sie auch nachgeholfen, diese genauere Interpretation wird dem Leser überlassen. Der Fund der toten Ehefrau gestaltet sich schon ein wenig gruselig, so möchte wohl niemand seine bessere Hälfte vorfinden.

Auch unerwartet sind die Inhalte von Birgits hinterlassenen Aufzeichnungen, die eigentlich zum Roman anwachsen sollten. Es gab sogar schon einen interessierten Verleger. Kaspar entdeckt also seit Birgits Tod täglich Neues und Unerwartetes und muss sich erst einmal damit arrangieren. Aus Birgits Notizen geht hervor, dass sie zur Zeit ihres Kennenlernens sogar schwanger war und später eine Tochter geboren hat. Der Freundin und Geburtshelferin wurde von Birgit auferlegt, das frisch geborene Mädchen gleich wegzugeben. Kaspar hatte von alledem nichts bemerkt und auch keinen Verdacht in irgendeiner Beziehung. Kaspar erzählt später von Birgit: „Sie hat ihren Ort in der Welt nicht gefunden.“ Seite 229.

Kaspar geht nun auf die Suche und findet die Tochter, Svenja, deren Ehemann und die „Enkelin“. Mit vielen Demütigungen, auch derben finanziellen Zugeständnissen erreicht der nun einsame Mann gelegentliche Besuche von Sigrun, der Enkelin.

Svenja, Birgits Tochter, die ihre Mutter nie kennenlernen durfte, sagt zu Kaspar: „Wir werden die neue Welt nicht erleben. Wir können nur für sie kämpfen. Aber sie wird kommen.“ (Seite 256) Das mutet fast so an, als spräche sie über unsere Gegenwart.

Sigrun, die Heranwachsende, geht in diesem Roman auf ihre ganz persönliche Heldenreise. Und Kaspar, der Stiefgroßvater, gibt Sigrun Hilfestellung dabei. Wie man vielleicht merkt, beschäftigt mich gerade sehr das Thema „Herr der Ringe“. Und ähnlich wie Frodo oder zuvor Bilbo verlässt unsere Sigrun hier das Auenland, sprich die völkische (rechte) Siedlung. Kaspar, der Stiefgroßvater wirkt hier als Verstärker, indem er der Enkelin andere Möglichkeiten aufzeigt. Der Gartenzaun wird also gleichermaßen eingerissen und die Protagonistin erweitert ihr Erlebnisfeld. Die ihr aufgezwungenen Begrenzungen funktionieren nicht mehr. Neue Erlebniswelten werden entdeckt und je nach Möglichkeit tiefergehend erkundet. Es geht hier um wenige Jahre vom Teenager zum jungen Erwachsenen.

Fazit: Welche politische Richtung wir auch vertreten, wir müssen lernen, die andere Seite zu akzeptieren, uns nach Möglichkeit kooperativ zu verhalten. Also in etwa so, wie sich Kaspar Sigrun gegenüber verhält. Vielleicht ist es das, was wir aus dieser Lektüre mitnehmen können. 5 Sterne, verdiente Sterne.

Bewertung vom 30.11.2021
Eifersucht
Nesbø, Jo

Eifersucht


weniger gut

Das kann er besser

Von Jo Nesbøs sieben Kurzgeschichten im Hardcover „Eifersucht“ war ich so dermaßen enttäuscht, dass ich fast keine Worte dafür finde.
Die erste Story „London“ war noch die beste und in der Leseprobe sogar vollständig zu genießen und – große Vorfreude, in der Hoffnung, der Rest wäre genauso gelungen. Aber ganz, ganz weit gefehlt.

Die Geschichten plätschern dahin, langweilig, platt, vorhersehbar und dieses großen Autors eher unwürdig. Schnipsel aus dem Notizbuch, zu kleinen Geschichtchen eilig und lieblos zusammengeschustert. So hat es jedenfalls auf mich gewirkt. Wurde da seitens des Verlages zu viel Druck gemacht? Und war keine Zeit für ein großes Werk, wie z. B. „Ihr Königreich“, einer der besten Kriminalromane, die ich je gelesen habe – und ich habe viele gelesen. Wirklich viele!!!

Das Buch an sich ist nett anzuschauen mit interessantem Cover,wenn man diesen Stil mag, blauem Schnitt, blauem Vorsatzpapier und blauem Lesebändchen.

Die Titelgeschichte „Eifersucht“ ist zwar nicht unspannend, aber mit zu viel und zu langatmiger sooo ausführlicher Kletterei. M. E. nach nicht wirklich interessant für die Nicht-Bergsteiger unter uns. Und das Ende dieser Geschichte kann man sich mit ein wenig Denksport selbst zusammenreimen.

Fazit: Leider überhaupt nicht empfehlenswert. Den zweiten Stern gebe ich nur, weil ich den Autor toll finde. Also: Kauft euch lieber „Ihr Königreich“, diesen raffiniert irren Wahnsinnskrimi, der ist jedes Geld wert.

Bewertung vom 15.11.2021
Meeressarg / Fabian Risk Bd.6
Ahnhem, Stefan

Meeressarg / Fabian Risk Bd.6


sehr gut

Blutbad in Kopenhagen

Meeressarg von Stefan Ahnhem ist bereits der 6. Kriminalroman mit Kommissar Fabian Risk. Der dicke Krimi mit den 504 Seiten liest sich sehr flüssig, trotz der vielen Protagonisten, und es macht nichts, wenn man die Vorgänger nicht kennt. So wie ich. Es würde sicher dennoch lohnen, eine Reise in der Vergangenheit anzutreten und die Vorgeschichte von Fabian Risk und dem allseits verhassten Kim Sleizner zu erkunden.

Fabian Risk hat jetzt seinen Sohn verloren und das erfährt man bereits in der Widmung am Anfang. Theodor ist nur sechzehn Jahre alt geworden, er hat sich umgebracht, im Knast, und Fabian untersucht die seltsamen Umstände. Obwohl Frau und Tochter die Sache ruhen lassen wollen.

Dann gibt es noch Dunja Hougard, Risks frühere, in Ungnade gefallene Kollegin. Die ermittelt im Untergrund intensiv und unerschrocken gegen Kim Sleizner. Gemeinsam mit dem Asiaten Qiang, dem Inder Fareed und manchmal auch mit Michael Rønning.

Tja … und wie sind der Mann und die Frau zu Tode gekommen, die in dem Auto am Meeresgrund liegen? In dem Auto, das für die beiden zum titelgebenden Meeressarg wurde?

Kim Sleizner, der überaus korrupte Polizeichef von Kopenhagen setzt Jan Hesk in der Sache als Chef-Ermittler ein, weil er glaubt, dass der ihm gegenüber so loyal ist, dass da nichts passieren kann. Aber da hat er sich gewaltig getäuscht.

Von dem Paar in zwei Kajaks, die im verheißungsvollen Prolog den Meeressarg entdeckt haben, hätte ich gern mehr erfahren. Schade.

Gestört hat mich zudem der zeitliche Ablauffehler auf den Seiten 119 – 121, der so leicht hätte vermieden werden können.

Fazit: Wer einen überaus spannenden Krimi lesen möchte, der das Wort „Pageturner“ mehr als verdient hat, der ist hier richtig. Zumal fast jedes Kapitel mit einem Cliffhanger endet und man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Vier Sterne.