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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
dj79
Wohnort: 
Ilsenburg

Bewertungen

Insgesamt 199 Bewertungen
Bewertung vom 22.04.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


sehr gut

Ultimative Überwachung
Kaitlyn Day ist eine scheinbar naive Bibliothekarin, die als Durchschnittsbürgerin für eine Challenge ausgewählt wurde, bei der es ums digitale Verschwinden geht. Wer es von den zehn Kandidat:innen schafft im Rahmen des Betatests eines neuen Überwachungsapparates aus CIA und modernsten Silicon-Valley-Algorithmen, dreißig Tage verborgen zu bleiben, gewinnt drei Millionen Dollar.

Alle glauben, dass Kaitlyn eine der ersten sein wird, die den Überwachern in die Fänge gerät. Doch sie schlägt sich tapfer, obwohl sie sich mancher brenzliger Situation stellen muss. Parallel dazu erleben wir, mit welchen Methoden der Überwachungsapparat arbeitet und durch welche Spuren andere Kandidaten entdeckt werden. Unsere Spurendichte, wenn wir einfach nur ein normales Leben führen, ist schon enorm. Die Vorstellung, dass diese Überwachungsmöglichkeiten eigentlich schon fast real sind, ist beängstigend. Diese Technologie in den falschen Händen wird extreme Auswirkungen haben.

Im zweiten Teil des Romans erfahren wir in Ansätzen, wie negativ die Macht aus dieser Überwachungsdimension wirken kann. Lockere dynamische Typen werden zu verbissenen Hass erfüllten Menschen mit entsprechenden Fantasien. Der Schritt zur Gefährdung Dritter ist dann nicht mehr weit, wie der Roman temporeich vermittelt.

Von den Charakteren her fühlte ich mich niemandem besonders nah. Die ausgeschiedenen Kandidaten hatten zwar Namen, blieben allerdings dermaßen blaß, dass sie für mich eher Nummern waren. Selbst bei der Hauptfigur Kaitlyn war es eher ein Mitfiebern aus dem Wettbewerb heraus als echte emotionale Zuneigung. Ablehnung empfand ich im Verlauf gegenüber dem Silicon-Valley-Wunderkind Cy Baxter, obwohl Nerds es eigentlich immer leicht mit mir haben.

Trotzdem hat mir der Roman gefallen. Die inhaltliche Idee ist zwar nicht ganz neu, aber es lohnt sich, immer mal wieder die Facetten der totalen Überwachung zu betrachten. Zudem war er spannend geschrieben und ließ sich ein bisschen wie im Rausch lesen. Ich liebe kurze Kapitel und Szenenwechsel, die den ein oder anderen Cliffhanger ergeben.

Bewertung vom 11.04.2023
°C - Celsius
Elsberg, Marc

°C - Celsius


gut

Überbordende Zukunftsperspektiven

Schwarze Flugobjekte sind im chinesischen Luftraum Richtung Taiwan unterwegs und alle Welt erwartet den nächsten Krieg. Doch anders als erwartet will China nicht über Taiwan, sondern über das Weltklima richten. Das erkennt zunächst nur Fayola Oyetunde-Rabelt, eine Klimawissenschaftlerin bei der UNO. Ihre Erläuterungen verhindern einen spontanen Gegenschlag der westlichen Mächte. Trotzdem kommt es zu einer überbordenden Ereigniskette, die teilweise irritiert, unerwartete Kunstgriffe beinhaltet und die Leserschaft herausfordert. Wie bei Elsberg üblich, sind wieder unglaublich viele Charaktere beteiligt.

Ich habe lange überlegt, was mir der Autor mit diesem Thriller sagen möchte, denn über weite Strecken habe ich das Gelesene nicht als Thriller, sondern eher als anspruchsvollen Roman empfunden. Neben dem Hauptthema Klimabeeinflussung geht es meinem Empfinden nach vor allem darum, uns den Spiegel vorzuhalten, in jedem von uns ein Bewusstsein zu schaffen, zu dem, was wir gerade tun, was es für andere bedeutet und was dadurch gegebenenfalls an unerwünschten Nebeneffekten entsteht. Es geht um unser Verhalten, Flüchtlingen gegenüber, um unsere Arroganz gegenüber China und den Schwellenländern. Der Westen glaubt immer noch Inhaber der Wahrheit zu sein, über andere hinweg diktieren zu können, wie es weitergeht. Dieser Glaube wird im Roman mehrfach erschüttert und das manövriert auch die Leserschaft ganz schön aus der Komfortzone. Ein weiteres wichtiges Thema ist Meinungsbildung und-beeinflussung sowie die Macht, die darin steckt. Im Verlauf fragt man sich, wer denn nun wirklich die Welt regiert? Spannend, welche Machenschaften im Hintergrund laufen, damit es zu bestimmten Handlungen kommt oder eben auch nicht.

Wenn ich mein Leseerlebnis rückblickend betrachte, fühlte es sich an wie die nächste Krise. Es begann mit Überforderung, ging über in eine Phase der Gewohnheit und endete ein Stück weit in Abstumpfung. Alles wurde begleitet von Unsicherheit. Meint Marc Elsberg das wirklich ernst? Habe ich das richtig erfasst und auch nichts übersehen? Im weiteren Verlauf kam noch Empfindlichkeit dazu. Mich störten plötzlich Dinge, die eigentlich nicht der Rede wert sind, wie ein bisschen aus Star Wars kopierte Technik. Es war Krise in Reinform. Ich hatte Mühe, den Überblick über die Haupthandlung zu behalten und die verschieden Nebenhandlungsstränge voneinander abzugrenzen. Das hat meinen Lesefluss immer wieder ausgebremst, was ich bei Thrillern nicht wirklich mag.

Thematisch fand ich Celsius trotzdem gut, einige Passagen habe ich auch wirklich gern gelesen. Ingesamt erschien mir der Roman allerdings zu zerstückelt, zu komplex, einfach schwer zu begreifen. Über weite Strecken hätte ich mir mehr Orientierung gewünscht. Dann hätte ich für das reine Textverständnis nicht so oft doppelt lesen und zurückblättern müssen. Wenn Marc Elsberg bewusst irritieren und seine Leserschaft auf die Probe stellen wollte, dann ist ihm das sehr gut gelungen. Wenn nicht, ist Celsius nicht sein bester Thriller.

Bewertung vom 03.04.2023
Morgen und für immer
Meta, Ermal

Morgen und für immer


sehr gut

Sprachlich ansprechender historischer Einblick
Ermal Meta erzählt uns das Leben von Kajan, der zu Kriegszeiten bei seinem Großvater am Rande eines albanischen Dorfes aufwächst, von einem deutschen Soldaten Klavierunterricht bekommt, so dass er nach dem Krieg zum berühmten Pianisten avanciert. Trotzdem ist sein Leben leer, denn seine Liebe zu Elizabeta bleibt durch die Machenschaften seiner Mutter unerfüllt. Die linientreue Kommunistin kann und darf die Tochter eines Regimekritikers nicht in der eigenen Familie dulden. Als Kajan sein Talent in der DDR bei einem Musikwettbewerb unter Beweis stellen soll, bietet sich die Möglichkeit zur Flucht.

Die Geschichte des kindlichen und des erstmals verliebten Kajan mochte ich sehr. Sie spiegelt in einem ausgewogenen Verhältnis die Ängste während des Krieges wie auch die glücklichen Momente zu dieser Zeit wider. Dieses Gleichgewicht habe ich auch in der Phase des Verliebtseins empfunden, als sich Elizabeta und Kajan heimlich getroffen haben. Im weiteren Verlauf wird die Geschichte zunehmend politischer. Bespitzelung, Verfolgung, Verhaftung und Vernichtung oppositioneller Kräfte in den Ostblockstaaten rücken immer weiter in der Vordergrund.

Gerät man wie Kajan unglücklich in die Mühlen des Systems ist das gezeichnete Schreckensszenario zutreffend und viel zu viele unschuldige Menschen waren davon betroffen. Da es hier keine Nebengeschichten gibt, entsteht der Eindruck, dass alle Menschen im Ostblock derartigen Quälereien ausgesetzt waren. Eine Abgrenzung zwischen den Regimen hinsichtlich des Unrechts-Ausmaßes habe ich ebenfalls vermisst, auch wenn jedes Unrecht letztlich bleibt, was es ist. So werden nach meinem Empfinden alle Verbrechen auf das Level von Goli Otok gehoben, was auch nicht richtig ist.

Ist man sich dessen bewusst, kann Kajans Lebensgeschichte sehr bereichernd im Verständnis der Historischen Gegebenheiten sein und wie diese vielleicht mit ihren Auswirkungen bis ins Heute weiter strahlen. Dabei hat für mich die Erkenntnis, dass der Krieg für Viele 1945 längst noch nicht zu Ende war, den größten Mehrwert.

Einige Schilderungen im Roman waren schwer zu ertragen, an anderer Stelle hat mich der Autor im positiven Sinn emotional tief berührt. Ermal Meta beherrscht das Wechselbad der Gefühle, ohne dabei kitschig zu werden. Er verwendet eine Sprache, die das beschriebene Szenario in ein realistisches Licht taucht, auch wenn ich die Ansammlung an Katastrophen in Kajans Leben etwas überbordend finde. Insgesamt ein interessanter, mitreißender Roman über einen Charakter, mit dem man extrem leidet und stets auf einen guten Ausgang hofft.

Bewertung vom 12.03.2023
Iss dich fit mit Caro
Günther, Caro Mareike

Iss dich fit mit Caro


gut

Viel Leckeres und ein paar Sportlersünden

Essen zubereiten und natürlich auch der Verzehr von leckeren Gerichten ist eine meiner Leidenschaften. Damit darunter meine Gesundheit nicht allzu sehr leidet, bin ich stark interessiert an jeglichen Inspirationen für kalorienarme, gesunde Rezepte. Wenn sich diese zügig kochen lassen, bin ich auch unter der Woche begeistert. Da kam mir das neue Kochbuch der mir noch unbekannten Influencerin Caro Mareike Günther gerade recht, verspricht es doch genau das, was ich möchte.

Der Aufbau folgt der gleichen Struktur wie andere Kochbücher auch: Nach einem einführenden Kapitel folgen Abschnitte zu Frühstück, Salat, Hauptgericht, Meal Prep und Dessert. Während die ersten drei Kapitel recht umfangreich sind, gibt es für die letzten beiden jeweils nur ein paar Seiten. Das passt zur gesunden Ernährung. Das Frühstückskapitel liefert Getreidegerichte unter Verwendung von Haferflocken, teilweise auch Hirse, Buchweizen, Quinoa sowie Chia- und Leinsamen und diverse Gerichte mit Eiern. Abwechslungsreicher sind die Kapitel zu Salaten und Hauptgerichten. Hier wird es richtig bunt. Neben vielen Gemüsen und Salaten, kommen verschiedene Fleischsorten und auch Fisch zum Einsatz. Die Kombinationen wirken international inspiriert, sind in weiten Teilen wirklich neu für mich. Das Meal Prep Kapitel hat mich ein bisschen enttäuscht, weil ich mir hier etwas anders als Brotrezepte vorgestellt hatte. Die Desserts wirken wieder vielversprechend. Ganz toll finde ich übrigens die Mix & Match Anleitungen für Bowls und Smoothies. Caro fokussiert sehr genau, worauf es hier ankommt.

Zur Inspiration ist das Kochbuch perfekt, viele Rezepte würde ich wie abgedruckt nachkochen. Manches gefällt mir aber auch nicht. Bei einigen Rezepten wird Proteinpulver oder Kollagenpulver verwendet. Auch an anderer Stelle hatte ich hier und da das Gefühl, dass teure Trendzutaten genutzt werden. Das ist wahrscheinlich der Einschlag der Influencerin. Genauso bewerte ich die extrem schönen Bauchfrei-Fotos von Caro. Die setzen einen ziemlich unter Druck. Die wenigsten sehen so aus. Mich lässt Caro damit ein bisschen neidisch zurück.

Ansonsten gibt es kaum Anlass zur Kritik. Vielleicht wären bei diesem Titel auch Kalorienangaben angebracht. Die vermisse ich bei vielen Kochbüchern. Letztlich habe ich schon ein paar leckere Gerichte zubereitet und mich umfänglich in der Smoothiewelt getummelt. Mein aktuelles Lieblingsgericht aus Caro‘s Kochbuch ist das One Pot Chicken Tikka.

Bewertung vom 03.03.2023
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


ausgezeichnet

Ein literarischer Geniestreich

Aufgrund des quietschbunten Covers wollte ich diesen Roman eigentlich gar nicht lesen. Ich habe diese Mischung aus sich gerade brechender Riesenwelle und Weltraumnebel als abschreckend empfunden. Als plötzlich das Buch überall auftauchte, fing ich an, mich damit zu beschäftigen, fand Gaming als Gemeinsamkeit mit den Charakteren und fing schließlich an, es zu lesen.

Ich kann nur konstatieren: Es hat sich wirklich, wirklich und nochmals wirklich gelohnt. Gabrielle Zevin ist eine wahre Künstlerin. Mit gut verständlichen, gleichzeitig ganz wunderbaren Formulierungen schafft sie eine Atmosphäre von in Liebe ausufernder Freundschaft. Dabei bringt sie die Gefühlswelt ihrer Protagonist:innen ebenso auf den Punkt wie die Entstehung eines Computerspiels von der ersten Idee bis zum letzten Testzyklus. Die Autorin zieht ihre Leserschaft in die Geschichte hinein, macht sie zu Komplizen des Geschehens. Das Gelesene fühlt sich an, als wäre man mit im Raum, Teil der Welt, die sie beschreibt.

Dabei stattet Gabrielle Zevin ihre Welt mit kleinen liebevollen, scheinbar unwichtigen Details aus, auf die sie dann hunderte Seiten später wieder zurückgreift, nur um an eine frühere Erzählung nochmals mit inzwischen erweitertem Wissen anzuknüpfen. Dadurch bekommt der Roman eine Tiefe, die ich unheimlich gern mochte. Zudem liebe ich die Anlage der Charaktere, von denen ich nur einen einzigen gar nicht mochte. Beginnend mit den liebevollen Großeltern der beiden Hauptfiguren wird ein ganz besonderes Beziehungsgeflecht aufgebaut. Niemals urteilend, stattdessen immer mit weisen Anekdoten unterstützend begleiten sie Sam, den Mathematikstudent, und seine Kindheitsfreundin Sadie, angehende Informatikerin, ins Leben.

Ich bewundere Sadie, weil sie so coole Dinge kann, wie eine Grafik-Engine programmieren. Sie besteht in der von Männern dominierten Welt der Spielebranche für Computer und Konsolen. Als Gamerin und als Entwicklerin muss sie eine Menge Gegenwind aushalten, auch wenn dies manchmal fast nicht möglich erscheint. Sam ist der typische Underdog, der lange braucht, um über sich hinaus zu wachsen. Den kindlichen Sam habe ich direkt lieb gewonnen. Daran änderte sich auch nichts, als er berufliche wie zwischenmenschliche Chancen verstolpert, weil ihm hier und da die notwendige Sensibilität fehlt.

Letztlich bin ich glücklich, mich auf diesen Roman eingelassen zu haben. Der Roman war das erste Lese-Highlight in diesem Jahr. Sehr gern empfehle ich die Lektüre.

Bewertung vom 19.02.2023
Equilon
Raich, Sarah

Equilon


sehr gut

Wenn Eliten für Gerechtigkeit sorgen wollen
Der Algorithmus EQUILON soll die von Klimawandel und Überbevölkerung gezeichnete Erde wieder bewohnbar machen. Dafür wählt er aus der gesamten Bevölkerung die 1 Milliarde aus, die ihn dabei am besten unterstützen kann. Für das Ranking wird ein Score berechnet. Jenna hat den erforderlichen Score geknackt, wird aus Old B. in Europa abgeholt und nach New Valley, Jenas Traumziel gebracht. Dafür hat sie ihr ganzes Leben gearbeitet, sich maximal ins Zeug gelegt. Dorian ist da ganz anders. Er ist geneigt aufzugeben bis er die kleine Maggie und ihre Mutter Hannah trifft.

Sarah Raich konstruiert einen gut durchdachten Jugendthriller, der die aktuell wichtigen Themen Klimakrise, Künstliche Intelligenz sowie die sich vergrößernde Schere zwischen arm und reich in die Zukunft fortschreibt. Die MegaGoods haben mit Hilfe des Algorithmus ein Leben für alle designed, das von maximaler Kontrolle und Armut für die meisten gekennzeichnet wird. Gerade als die schöne Welt der 1 Milliarde zu bröckeln beginnt, kommt Jenna in New Valley an.

Beide, Jenna und Dorian, sind keine wirklichen Helden. Sie lassen sich leicht beeinflussen und haben einen leichten Hang zum Jammern. Während sich Dorian zu Beginn des Thrillers auf dem Tiefpunkt seines Selbstbewusstseins befindet und dann langsam über sich hinauswächst, scheint es lange bei Jenna genau andersherum zu sein. Deshalb waren mir beide Hauptfiguren gar nicht so richtig sympathisch. Viel lieber mochte ich die kleine Maggie, die ihre Armut und Angst stoisch erträgt und im richtigen Moment immer wieder den notwendigen Mut aufbringt. Besonders sympathisch ist mir ihre mehrfach vorgetragene Forderung nach Essen und ihre Zufriedenheit, wenn sie ihren Hunger mit einem Nahrungsblock stillen kann.

Gefallen hat mir mir die sprachliche Gestaltung. Sarah Raich hat das schöne New Valley vor meinem inneren Auge entstehen lassen, mit all der Technik und auch den unschönen Dingen darin. Auch von den ebenfalls designten Menschen, also von den Styles, den Frisuren und dem Make-up hatte ich eine gute Vorstellung sowie vom Umgang der Valley-Bewohner miteinander. Darüber hinaus mochte ich die Geschwindigkeit, die durch den Spannungsbogen beim Lesen entstanden ist. Am besten hat mir der wechselnde Blick der beiden Hauptfiguren auf dieselben Situationen gefallen. Diese Staffelstabübergabe an besonders spannenden Stellen war einfach genial.

Etwas kritisch sehe ich die Vorhersehbarkeit so mancher Szenerie und die gehäufte Lebensgefahr in Verbindung mit Wasser. Dem Lesevergnügen tut dies insgesamt aber keinen Abbruch, weshalb ich den Jugendthriller gern empfehle.

Bewertung vom 18.02.2023
Moderne Führung und Selbstorganisation
Puckett, Stefanie

Moderne Führung und Selbstorganisation


ausgezeichnet

Ansprechender Werkzeugkasten zur Weiterentwicklung eigener Führungskompetenzen
Die Arbeitswelt verändert sich gerade massiv. Ich merke das im täglichen Doing daran, dass jahrelang komfortabel, wie selbstverständlich gelebte Prozesse nicht mehr wirklich gut funktionieren. Zum einen sind häufiger, wechselnde Kollegen mit jeweils anderen Impulsen beteiligt, zum anderen sind die Anforderungen des Marktes an unsere Produkte und Services komplexer geworden, bedürfen einer intensiven Zusammenarbeit interdisziplinärer Teams. Um in diesem Kontext (m)eine Führungsrolle anzunehmen, zu stärken und ggf. neu auszurichten, habe ich mich mit dem vorliegenden Sachbuch „Moderne Führung und Selbstorganisation“ sowie den zur Verfügung gestellten digitalen Extras auseinandergesetzt.

Der Ansatz des Buches ist zunächst den Blick auf sich selbst zu richten. Ausgehend von der Reflexion und dem Verständnis der eigenen Persönlichkeit lassen sich Stärken und Potenziale des Selbst erkennen. Gelingt uns im Kontext der Potenziale häufiger das Verlassen der Komfortzone, entwickeln wir uns automatisch weiter. Erfolgt dies bewusst, können Zukunftskompetenzen zielgerichtet gefördert und ausgebaut werden. So lernen wir durch das Setzen eigener Ziele und durch getroffene Entscheidungen unsere Handlungsmöglichkeiten zu erweitern sowie unser Umfeld aktiver zu gestalten. Beim Wirken auf unser Umfeld geht es vordergründig um das Verstehen des Gegenübers und das darauf ausgerichtete sozial und auch emotional intelligente Handeln.

Was hier kurz zusammengefasst ziemlich theoretisch anmutet, kommt im Buch recht locker und gut verständlich daher. Deshalb hat es auch Spaß gemacht, sich mit den vielen Detailthemen auseinanderzusetzen. Gespickt mit Beispielen, Schaubildern und Anregungen zum Aktivwerden bei Übungen und Herausforderungen ist es der Autorin gelungen mich durchgehend motiviert zu halten. Passende Zitate von Persönlichkeiten wie beispielsweise Goethe, Einstein oder Sokrates haben mich öfters anerkennend schmunzeln lassen. Ich habe das Buch gern jeden Abend zur Hand genommen, ein zwei Kapitel gelesen und Themen, die mich besonders angesprochen haben, direkt auf mich und mein Umfeld reflektiert. Als besonderes Highlight empfinde ich hier, dass psychologische Fallen und Stolpersteine an den passenden Stellen aufgezeigt werden.

Am meisten helfen mir persönlich die Erkenntnisse zum Imposter-Syndrom, zum Gruppendenken und zum Pygmalion-Effekt sowie die letzten drei Kapitel. Motivation für mein aktuelles Führungsverständnis ziehe ich aus Musterbrecher und Organisationsrebellen. Direkt weiterarbeiten werde ich an den Zukunftskompetenzen Entscheidungsklugheit, Lösungsorientierung und Kreativität. Im Rahmen der Entwicklung meiner Lösungsorientierung finde ich die Methode des Future-back-Thinking interessant. Das Kapitel Emotional und sozial intelligent handeln wird mich professioneller wirken lassen. Jetzt muss ich nur noch meine Komfortzone verlassen und loslegen.

Das einmalige Lesen des Buchs verschafft einen guten Überblick über die Vielfalt an Ansatzpunkten und Methoden auf dem Weg zur Modernen Führung. Ich verstehe das Buch allerdings eher als Arbeitsbuch, in dass man immer wieder hineinschaut, wo man in seinem Entwicklungsprozess einzelne Übungen mit Hilfe der digitalen Extras ausführt. Ich kann das nur empfehlen.

Bewertung vom 13.02.2023
Young Mungo
Stuart, Douglas

Young Mungo


ausgezeichnet

Gewalt und Homophobie der 90er
Es ist die Zeit der großen Sorgen, Margaret Thatcher ist die Regierungschefin, Kohlekumpel und Werftarbeiter haben ihre Jobs verloren, Straßenschlachten zwischen Katholiken und Protestanten sind an der Tagesordnung, Alkoholsucht grassiert in vielen Familien. Das Leben bzw. Überleben der sich selbst überlassenen Jugendlichen ist eine dauerhafte Herausforderung. In diesem Leben ist kein Platz für verweichlichte Jungen. Als solcher wird auch Mungo von seinen Mitmenschen betrachtet. Ohne eigene Freunde, in seinem Selbstbewusstsein boykottiert von seinen Ticks, wird er von seinen Geschwistern, Hamish und Jodie, abwechselnd in deren Lebenswirklichkeit hineingezogen. Sich kümmernde Eltern sind nicht vorhanden. Der Vater ist tot. Die Mutter entweder betrunken oder fernab ihrer Kinder engagiert, den nächsten potentiellen Lover von sich zu überzeugen.

In diesem Umfeld begleiten wir Mungo in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Handlungssträngen. Wir begegnen seinem Hunger am Abend, wenn er warten muss, dass seine Schwester von ihrer Schicht nach Hause kommt und ihn versorgt. Wir sind dabei, wenn ihn sein Bruder zwingt, mit ihm in den Bandenkrieg gegen die Katholiken zu ziehen. Mungo wird Zeuge von maßloser Gewalt, ihm selbst werden schlimmste Verletzungen beigebracht. Schlimme Erfahrungen gepaart mit Gefühlen der Einsamkeit sind sein Leben. Einziger Lichtblick ist James, den Mungobei einem einsamen Streifzug kennen lernt.

Mir hatte das Debüt von Douglas Stuart, Shuggie Bain, sehr gut gefallen, weswegen ich unbedingt diesen neuen Roman lesen wollte. Young Mungo gefällt mir noch besser. Die Sprache ist noch etwas ausgefeilter, die Schilderung der Geschehnisse gnadenlos. Es geht neben den Nöten der Menschen seinerzeit vordergründig um Gewalt und Homophobie. Douglas Stuart legt den Finger tief in die Wunde, schönt nichts. Aus meiner Sicht hat sich der Autor selbst übertroffen. Ich bin gleichermaßen schwer begeistert und erschüttert von der Deutlichkeit der Darstellung.

Mit Young Mungo mutet man sich Einiges zu, zeitweise ist das Lesen schwer auszuhalten. Trotzdem gebe ich eine ganz klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 09.02.2023
Schnell mal vegan
Seiser, Katharina

Schnell mal vegan


sehr gut

Man muss sich langsam öffnen
Ich muss zugeben, dass ich zunächst keinen guten Zugang zu Buch gefunden habe. Die ersten 20 Seiten des Kochbuches enthalten viele Verweise auf weitere Werke der Autorin. Zudem empfinde ich die Einführung ganz schön belehrend, so dass ich nach der Lektüre dieser ersten Seiten eine leichte Abneigung entwickelt hatte und dann natürlich beim Durchblättern der Rezepte besonders kritisch drauf geschaut habe.

Ich habe dann einige Rezepte entdeckt, wo ich mich gefragt habe, was diese Dinge in einem Kochbuch zu suchen haben. Das kann doch jeder, dachte ich. Avocado-Toast oder das Spargelrezept auf Seite 72 seinen hier beispielhaft genannt. Zudem habe ich festgestellt, das viele Rezepte Knoblauch enthalten, den ich persönlich nicht so mag. Doch ich wollte nicht in dieser meckernden Haltung verbleiben, sondern die Challenge mal einige Wochen nur vegan zu essen, tatsächlich auch annehmen.

Ich habe die Rezepte intensiver studiert und letztlich leckere neue Gerichte aufgetan. Dabei habe ich bei den Verwendungsmöglichkeiten von Avocado dazugelernt. Ich stelle im Zusammenhang mit dieser Zutat eine bisher eingeschränkte Kreativität meinerseits fest. Der Guacamole-Salat war toll, der Ananas-Avocado-Salat ein richtiges Highlight. Von den Suppen haben mir die Rote Linsensuppe und die Erbsensuppe mit Minze gefallen. Spannend, weil ich nie auf diese Kombination bzw. Namen kommen würde, fand ich Spinatreis und Bloody-Mary-Salat. Durch die inzwischen guten Erfahrungen bin ich bereit, weitere Rezepte zu probieren, sogar zu Gerichten, wie Waldorf-Salat, die ich in der Vergangenheit eher abgelehnt habe.

Die Beschäftigung mit Katharina Seiser‘s Kochbuch hat mir meine doch noch hohe Hemmschwelle gegenüber veganer Küche offenbart. Die Challenge ist noch nicht ganz geglückt, aber durch ihre Anregungen beschäftige ich mich intensiv mit Ernährung ohne Fleisch und andere tierische Produkte. Ich empfehle, eine vielleicht angestrebte Ernährungsumstellung langsam anzugehen, damit der Ehrgeiz es zu schaffen über den leckeren Geschmack kommt. Ansonsten ist die Gefahr des Aufgebens wie bei Diäten recht groß. Auch wenn ich nicht sofort überzeugt war, finde ich das Buch inzwischen hilfreich.

Bewertung vom 02.02.2023
Salomés Zorn
Bekono, Simone Atangana

Salomés Zorn


sehr gut

Diskriminierung bis zur Eskalation
Salomé Atabong ist ein junges Mädchen, dessen Wurzeln bis nach Kamerun reichen. Sie lebt mit ihren Eltern in einem kleinen Dorf in den Niederlanden. Täglich muss sie unterschwelligen sowie offenen Rassismus ertragen, angefangen von nicht beseitigten Hundehaufen auf dem Grundstück der Atabongs, über alltägliche Beleidigungen bis hin zu ausgeübter Gewalt. Ihr dahingehend leidgeprüfter Vater gibt ihr einen folgenschweren Rat: „Du musst deiner Faust folgen.“, „So, als ob du ein Loch in deinen Feind schlagen willst.“

Also kämpft Salomé, getrieben von einer jahrelang angewachsenen Wut, gegen ihre Peiniger. Sie will einfach kein Opfer sein. Als es eskaliert, muss sie in den Donut, eine Jugendstrafanstalt, wo sie eine Therapie machen muss. Dabei tauchen wir in Salomés Innenleben ein und lesen von ihrer Gefühlswelt, von Salomés Bekannten und Verwandten, von den Einflüssen auf ihr Leben. Die Protagonistin selbst ist mir zu keinem Zeitpunkt besonders sympathisch gewesen. Aufgrund ihrer schnippischen, anlehnenden Art blieb eine gewisse Distanz, die ich trotz Verständnis für ihren Gemütszustand nicht abbauen konnte.

Der Schreibstil ist modern, etwas gewöhnungsbedürftig, weil sich in ihm sämtliche Irritation der Protagonistin widerspiegelt. Der Text enthält beschreibende Passagen wie den langen Urlaub in Kamerun, Träume, passende Ausschnitte aus griechischen Sagen und eben zahlreiche Gefühlsfetzen. In ihrem allgegenwärtigen Zorn springen die Gefühle, fahren ein Stück weit Achterbahn. Doch gleichzeitig entsteht während der Therapie bei allen Ungerechtigkeiten so etwas wie vernünftige Einsicht, dass Gegengewalt keine Lösung sein wird. Natürlich ist dies gemein, aber leider die Realität.

Die Auseinandersetzung mit Diskriminierung auf Basis von Salomés Zorn offenbart viele kleine rassistische Statements, die sich überall in unserem Sprachgebrauch wiederfinden, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Ich frage mich, ob es je möglich sein wird, sie ganz verschwinden zu lassen. Reaktionen von Diskriminierung Betroffener erscheinen für mich in einem neuen Licht. Deshalb möchte ich die Lektüre empfehlen, es erscheint mir als gesellschaftliche Notwendigkeit, an dieser Stelle ein besseres Bewusstsein zu entwickeln.