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anushka

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 20.09.2025
Slocombe, Penelope

Sunbirds


ausgezeichnet

Auf der Suche im Tal des Todes

Anne und Robert leben auf einer schottischen Insel. Mit 18 Jahren reiste ihr Sohn Torran nach Indien und kehrte nie zurück. Im Kullu-Tal im vorderen Himalaya-Gebirge verliert sich seine Spur. Das ist nun 7 Jahre her und es gibt keinerlei Hinweise auf seinen Verbleib oder sein Schicksal. Zunächst suchten Anne und Robert noch gemeinsam, doch irgendwann kehrte Robert nach Schottland zurück, während Anne in Indien blieb. Regelmäßig erneuert sie die Suchposter und befragt Einheimische sowie Touristen. Den Kontakt zu ihrem Ehemann hat sie nahezu abgebrochen. Plötzlich taucht Esther, ihre Nichte und Journalistin, mit neuen Hinweisen in Indien auf. Auf einem Roadtrip durch Indien jagen die Frauen zum einen Torran nach, aber auch ihrer eigenen Vergangenheit, aus der sie einiges aufzuarbeiten haben.
Angelehnt scheint die Geschichte an reale Fälle. Das Kullu-Tal hat es unter dem Begriff "Death Valley" tatsächlich in die internationale Presse geschafft, weil hier in den vergangenen Jahrzehnten Dutzende westliche Touristen und Backpacker verschwunden sind. Kullu ist ein pittoreskes Tal und liegt im vorderen Himalaya-Gebirge. Mit seiner atemberaubenden Natur, spirituellen Religionen, einem ganz anderem Lebensstil, sowie seinem Malana Cream (Premium-Haschisch) und zahllosen Moonshine-Raves verursacht Indien scheinbar einen Kulturschock und lässt zahlreiche Menschen glauben, die Erleuchtung gefunden zu haben. Andere verunglücken beim Wandern oder fallen Räubern und Drogenbaronen zum Opfer. Auch Anne ist in diesem Umfeld gezwungen, sich mit den Fragen ihres Lebens auseinander zu setzen. Mit den neuen Möglichkeiten, die Esthers Hinweise eröffnen, fragt sie sich aber auch, ob sie Torran wirklich finden will. Sollte er noch am Leben und freiwillig verschwunden sein, muss sie sich fragen, warum er seine Familie jahrelang im Ungewissen gelassen hat.
Mich hat diese Geschichte emotional berührt, aber auch wütend gemacht. Auf der Reise begegnen Anne und Esther neben suchenden Angehörigen auch sogenannten Aussteigern. Menschen, die aus Ländern stammen, die teilweise extrem restriktive Gesetze für Einwanderer haben, reklamieren für sich selbst, sich aufgrund ihrer spirituellen Selbstfindung versteckt in diesem weitläufigen Gebirge ohne Aufenthaltserlaubnis niederzulassen. Gleichzeitig lassen sie alles Weltliche hinter sich, auch ihre Angehörigen, die zum Teil nie das Schicksal ihrer Geliebten erfahren. Gleichzeitig verschlimmert ihre Nachfrage nach bewusstseinserweiternden Substanzen die Probleme dieser instabilen Region.
Für mich ging es in diesem Buch nicht romantisiert um Loslösung, Selbstfindung und Spiritualität, sondern um eine gut verpackte Kritik an westlichen Reisenden. Gleichzeitig wird aber auch auf der emotionalen Ebene sehr gut beleuchtet, wie Familien jahrelang leiden können, wenn ein - sogar volljähriges - Kind verschwindet. Die Figuren waren komplex und überzeugend, wenn auch nicht immer sympathisch, gezeichnet. Die Geschichte war sehr atmosphärisch und die Naturbeschreibungen haben mich vollends abgeholt.

Bewertung vom 20.09.2025
Rubik, Kat Eryn

Furye


sehr gut

"Laugh in places you cried"

Ein Unfall, der keiner ist, auf einer Küstenstraße. Eine Familie, die in den Tod stürzt. Eine Protagonistin, die sich in ihrer Jugend nach einer der Furien benannt hat: Alec. Die namenlose Erzählerin ist eine erfolgreiche Businessfrau, hat unlängst das Vogue-Cover geziert und lebt ein Leben, das sich viele wünschen. Doch ihr Privatleben ist eher trist. Der Vater ist vor Kurzem gestorben, die Mutter gewöhnt sich erst langsam an die neuen Lebensumstände und wird von der Erzählerin auf Singlereisen geschickt. Sie selbst wünscht sich einen neuen Lebensinhalt, doch ein Anruf macht diese Hoffnung zunichte. So fährt sie, mit ihrem Tagebuch von damals im Gepäck, zurück in die Stadt am Meer, die sie zwanzig Jahre zuvor hinter sich gelassen hat und zurück zu den Erinnerung an ihre Zeit mit Meg und Tess. Sie drei, die sich nach den Furien der griechischen Mythologie benannt haben, und in diesem Sommer doch die tragischen Figuren waren. Als Tochter von Auswanderern hat Alec seit Jahren ein Stipendium an einer Elite-Schule und bewegt sich als Außenseiterin in dieser Welt voller Privilegien und Macht. Doch an ihren Freundinnen sieht sie, dass Geld längst nicht glücklich macht. Meg wird von einer alkoholkranken Mutter vernachlässigt, Tess von einem gewalttätigen Vater tyrannisiert. Währenddessen liegt der Sommer vor den Mädchen, eine Zeit voller Lebensfreude, Partys und der ersten großen Liebe. Es ist der Versuch der erwachsenen Protagonistin, ganz im Sinne des Sprichworts "Laugh in places you cried" die Geschichte umzuschreiben.

"Furye" ist ein sehr eindringlicher Roman. Passend zum Cover liegt der Sommer irgendwie über allem, und gleichzeitig liegen Tiefe und Dunkelheit darunter. Man sollte keine leichte Sommerunterhaltung erwarten, es geht um unerfüllte Wünsche und tiefe menschliche Abgründe, die alle mit diesem einen Sommer in Verbindung stehen. Die Geschichte handelt von Macht und Machtmissbrauch, Vertrauen, Verrat und Verlust. In einem Zeitstrang erleben wir die Protagonistin, die noch erwartungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft schaut, im zweiten Handlungsstrang erleben wir sie zwischen unerfüllten Wünschen und dem Verlangen nach Vergebung und Vergeltung. Die Atmosphäre ist eher düster als sommerlich. Auch wenn die Handlung zwischenzeitlich etwas zäh und langsam wirkte, hat sie mich weitgehend gepackt. Das Buch deutet Dinge geschickt an, die teilweise nie explizit erläutert werden und Raum für die eigene Deutung lassen. Die Unumkehrbarkeit der Ereignisse fühlt sich manchmal regelrecht erdrückend an und hebt dadurch die Bedeutung von Entscheidungen hervor, die schon in jungen Jahren von einem selbst oder von anderen getroffen werden. Dieser Roman verbindet viele große Themen geschickt, ohne sie alle auszudiskutieren. Auch wenn die Geschichte letzten Endes gut im Kontext der Mythologie interpretierbar ist, hätte ich mir dennoch ein wenig mehr Erläuterung gewünscht, wie die Mädchen darauf kamen, sich nach den Furien zu benennen, denn wirklich wütend oder "rasend" ist zunächst nur Meg.

Insgesamt ist "Furye" ein gelungener Roman, der gut zum Sommer passt, auch wenn er kein sommerlicher Unterhaltungsroman ist. Der Roman ist tiefgründig, düster und regt zum Nachdenken an, wobei man etliches selbst deuten und einige Längen in Kauf nehmen muss. Die Vielschichtigkeit und die Mühelosigkeit, mit der zahlreiche gesellschaftliche Themen angesprochen werden, haben mir jedoch gut gefallen, genauso wie der eingängige Schreibstil mit seinen zahlreichen Metaphern.

Bewertung vom 20.09.2025
Teige, Trude

Wir sehen uns wieder am Meer


sehr gut

Zweiter Weltkrieg aus einer norwegischen Perspektive - Berührend und spannend

1944, Bodø: Norwegen ist während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen besetzt. Birgit Johansen entschließt sich zu einer Ausbildung als Krankenschwester und geht in den Norden Norwegens um dort zu helfen. Durch eine Affäre mit ihrem Russischlehrer hat sie eine Faszination für das Land und die Sprache gelernt. Dadurch ist es ihr möglich, unter anderem mit der 16-jährigen ukrainischen Zwangsarbeiterin Nadia zu sprechen und sich für sie einzusetzen. Als kurze Zeit später ein schwer verletzter russischer Kriegsgefangener eingeliefert wird, schließt sich Birgit dem Widerstand an und begibt sich in höchste Gefahr.

Nachdem auch schon der erste Band davon handelte, wie Kriegstraumata sich auch auf nachfolgende Generationen auswirken, haben wir hier im dritten Band auch wieder eine Enkelin, die sich an die Enkelin von Tekla wendet, um die Geschichte ihrer Großmutter zu teilen, die eine der besten Freundinnen Teklas war. Ich habe mich in Anbetracht der Menge an Romanen mit Handlungen im Zweiten Weltkrieg gefragt, welche Geschichten noch erzählt werden können, ohne sich wie eine Wiederholung anzufühlen. Und doch ist es Trude Teige gelungen. Zum einen weiß man über Norwegens Rolle im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise wenig und zum anderen endet die Handlung um Birgit nicht mit der Befreiung Norwegens, sondern reicht tatsächlich bis in den Kalten Krieg hinein. Dabei ist Birgit keine unrealistische Heldin, sondern findet sich zunächst eher unfreiwillig im Widerstand wieder aufgrund ihrer Russischkenntnisse. Durch die eingestreuten Kontakte zu Tekla und Anneliese werden Verknüpfungen zu den vorherigen Bänden geknüpft, aber auch andere Frauenschicksale des Zweiten Weltkriegs dargestellt. Dennoch ist eine Kenntnis der vorherigen Bände nicht zwingend nötig. Neben dem norwegischen Widerstand widmet sich das Buch auch dem Thema der Kollaboration und dem der Zwangsarbeit, wofür Menschen bis nach Norwegen verschleppt wurden, um dort in Fischfabriken zu arbeiten. Das ganze passiert weitgehend einfühlsam und spannend, in einem unaufgeregten Stil wird eine dunkle Zeit der europäischen Geschichte erzählt und die Leiden vieler Menschen nachfühlbar vermittelt, wobei der Handlungsstrang in der Fischfabrik etwas farblos bleibt und einige Figuren weniger überzeugen als andere. Insgesamt ist dieses Buch ein guter Abschluss der Trilogie.

Bewertung vom 20.09.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Ein grandioses Gedankenspiel, das aber nicht an den Vorgänger herankommt

In ihrem neuen Buch widmet sich Gaea Schoeters wieder einem sehr interessanten Gedankenspiel. Im Regierungsviertel Berlins, und später in der ganzen Stadt, tauchen plötzlich Elefanten auf. Wie der überraschte Bundeskanzler Hans Christian Winkler feststellen muss, sind sie ein Geschenk des Präsidenten von Botswana, als Reaktion auf ein neues Gesetz, dass die Einfuhr von Jagdtrophäen einschränkt. Nun sollen die Europäer mal mit Megafauna leben, so wie sie es im Geiste des Artenschutzes von anderen Ländern verlangen.
In relativ knappem Umfang lässt die Autorin eine neue Realität entstehen. Deutschland ist bald auch von fremden Plfanzen überwuchert, die Natur passt sich an. Den Menschen fällt es eher schwerer, es kommt zu Konflikten mit den Tieren. In einer pollitischen Satire nimmt die Autorin die heutige Denk- und Handlungsweise der Politik aufs Korn, zeigt die politischen Spielchen auf, die zwischen verschiedenen Parteien und Ministerien stattfinden, mit teils abstrusen Ideen zum Umgang mit den Elefanten. Auch, wie die ganze Situation den Populisten in die Hände spielt, ist sehr treffend nachgezeichnet, die Parallelen zum Umgang mit Migration und Flucht sind kaum zu übersehen. Viele kluge Gedanken und Ideen werden absolut zielgenau platziert, die Figuren glaubhaft und realistisch ausgearbeitet. Man leidet förmlich mit dem fiktiven Bundeskanzler mit, wie er versucht, mit der Situation umzugehen und die Regierungskoalition zu retten.
Die Autorin schafft eine unterhaltsame Geschichte mit einer guten Prise Humor und Satire, legt aber gleichzeitig, wie schon bei ihrem vorherigen Buch, den Finger in die Wunde. Welche Mitschuld haben die europäischen Staaten an der Situation der afrikanischen Länder? Was verlangen sie von anderen Bevölkerungen für ihr eigenes Verständnis von Umwelt- und Artenschutz? Welche Lebensrealitäten der einheimischen Menschen ignorieren sie dabei? Neben jeder Menge interessanten Wissens über die Elefanten selbst, bietet die Autorin wieder viele kluge Denkanstöße, die einen noch länger beschäftigen. Für mich kommt dieses Buch dennoch nicht ganz an den Vorgänger "Trophäe" heran. Die Autorin zeigt eine beeindruckende Kenntnis der deutschen Politik, ich hätte mir jedoch einen etwas längeren Roman gewünscht und weniger große Zeitsprünge. Die Geschichte hätte noch etwas intensiver und noch stärker an den Tieren und der Bevölkerung sein können. Insgesamt schreibt die Autorin aber auf einem ganz eigenen Level wunderbar kluge Geschichten mit gesellschaftlicher Relevanz.

Bewertung vom 11.08.2025
Zwickau, Dora

Gesellschaftsspiel


sehr gut

Die Zukunft beginnt in Weimar, leider nur bis zur Planungsphase - Ein Roman am Puls der Zeit

Es gibt Aufregung in der Techbranche. Der Milliardär "Double Z" wählt eine Stadt aus, um ein Demokratie-Experiment zu starten und eine Gesellschaft zu bilden, die allein vom Willen der Bewohner gesteuert wird. Seine Wahl fällt dabei auf Weimar. Hier haben die Schwestern Isabelle und Annika jedoch eigentlich ganz andere Sorgen. Zusammen mit ihrer Tante Dagmar kommen sie am Sterbebett der Mutter zusammen, die nach einem Schlaganfall bereits hirntot ist. Da kommt die App von Double Z zur Neugestaltung als Ablenkung gerade recht. Lediglich Annika, die selbst mit einem Entwickler zusammen ist, hält sich zunächst davon fern, doch bald ergreift die Faszination die ganze Stadt und darüber hinaus.

Ich finde den Titel dieses Romans absolut passend und sehr gut gewählt. Dies ist eine Geschichte über Menschen, die so viel Geld haben, dass sie aus Langeweile mit unseren Gesellschaftssystem spielen. Wer ein bisschen in die Materie einsteigt, wird schnell darauf stoßen, welche zynischen Ideen die Tech-Milliardäre für die heutige Menschheit haben. Das reicht von den sogenannten Freedom-Cities bis zu Seasteading; Versuche, Gesellschaften außerhalb jeglicher Regierungen und damit Gesetzessysteme zu schaffen. In der Rolle der Politiklehrerin diskutiert Isabelle die Bedeutung mit ihren Elftklässler:innen und Dagmar als Soziologie-Dozentin mit ihren Studierenden. Dabei werden wichtige Dimensionen beleuchtet und vor allem im Kontext von Isabelles Schulklasse auch das Dilemma des Rechtsrucks thematisiert. Beides sind passende Kontexte, sodass die Diskussionen vielleicht etwas akademisch, aber nicht unpassend wirken. Die Figuren sind weitestgehend überzeugend, wobei gerade Annika aus der Entwickler-Blase etwas blass bleibt. Einige persönliche Nebenschauplätze waren vielleicht auch überflüssig. Aber die Entwicklung der Geschichte insgesamt ist realistisch und absolut zeitgenössisch. Die Autorin thematisiert ein hochaktuelles und realistisches Szenario, von der App-Sucht vieler Beteiligter bis hin zum unvermeidbaren Shitstorm. Stilistisch wechselt die Geschichte dabei zwischen den Perspektiven der drei Frauen der Familie, unterbrochen von "Transkripten" aus Tech-Podcasts und verschiedenen Chatgruppen. Was mich jedoch von Anfang an störte, war das völlig altbackene Cover. Zu einem gewissen Maß ist dieser Roman ein hochmoderner Tech-Roman und sollte unbedingt moderner gestaltet und vermarktet werden (wie beispielsweise seinerseits "Der Circle"). Enttäuscht war ich auch in dem Moment, als mir klar wurde, dass der Roman nicht über die Planungsphase der neuen Gesellschaft hinaus gehen wird. Eventuell könnte hier ein zweiter Teil folgen, aber ich hätte mir hier mehr "Mut" gewünscht, das Gedankenexperiment weiterzuführen und das neue Weimar weiterzuspinnen.

Insgesamt hat mir der Roman aber gut gefallen und ich finde ihn hochaktuell und sehr wichtig. Für mich spielt er in einer Liga mit "Das große Spiel" von Richard Powers, auch wenn nicht alle meine Erwartungen erfüllt wurden. Dieser Roman stößt wichtige Fragen an und liefert teilweise auch eigene Antworten. Wirklich lesenswert.

Bewertung vom 10.07.2025
Mommsen, Janne

Das Licht in den Wellen


sehr gut

Mit Anfang 20 wandert Inge kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1947, von Föhr, einer friesischen Insel, in die amerikanische Millionenmetropole New York aus. Jetzt, im Alter von 100 Jahren, reist Inge mit ihrer Enkelin Swantje noch einmal von Föhr nach New York und erzählt auf ihrer Reise ihre ereignisreiche Lebensgeschichte.

Dieses Buch ist ein schönes Lesevergnügen für unbeschwerte Lesestunden. Man verfolgt Inge als junge Frau, wie sie die ersten Schritte in New York macht, sich ganz dem amerikanischen Traum entsprechend hocharbeitet und irgendwann ein erfolgreiches Restaurant für die High Society leitet. Natürlich gibt es auch Höhen und Tiefen, aber im Großen und Ganzen ist Inge das Glück zumeist gewogen. Beim Lesen überwiegen die positiven Gefühle: Inge ist eine sympathische Figur, der man den Erfolg gönnt, und die Geschichte ist so geschrieben, dass man immer dranbleibt und wissen möchte, wie es mit Inge weitergeht. Auch auf ein Geheimnis wird hingearbeitet, aufgrund dessen Inge überhaupt erst Föhr verlassen hat - und das am Ende noch aufgelöst wird. Insgesamt handelt es sich bei "Das Licht in den Wellen" um ein gelungenes, abwechslungsreiches Wohlfühlbuch, das in einer Zeit spielt, in der Menschen sich mit Leistung (und dem entsprechenden Glück) Erfolg erarbeiten konnten. Und hier liegt auch einer meiner Kritikpunkte. Inge profitiert schon zu Beginn von Netzwerken, die andere Auswanderer so nicht hatten oder haben: in New York gibt es eine eingeschworene Gemeinde aus Menschen, die bereits früher aus Friesland ausgewandert sind und sich gegenseitig unterstützen. Zufällige Begegnungen erweisen sich als hilfreich auf dem Weg nach oben und bis auf wenige Schicksalsschläge hat Inge eigentlich immer recht viel Glück. Der Schreibstil war weitestgehend flüssig und angenehm, einige Dialoge wirken allerdings dann doch etwas hölzern oder klischeehaft.
Alles in allem war dieses Buch aber ein Lesevergnügen und Wohlfühlbuch, das ich gern gelesen habe mit einer Figur, der ich gern gefolgt bin und mit der ich gut mitfühlen und mitfiebern konnte. Und manchmal tut es einfach gut, an Geschichte zu lesen, in denen die Figuren Erfolg im Leben haben.

Bewertung vom 10.07.2025
Reid, Taylor Jenkins

Atmosphere


sehr gut

Joan Goodwin hat sich schon als Kind für den Himmel interessiert. Als Professorin für Astrophysik kommt sie den Sternen am nächsten. Doch dann öffnet die NASA ihr Bewerbungsverfahren auch für Frauen und Joan wird 1980 eine der ersten Frauen im Space-Shuttle-Programm. Doch es ist immer noch 1980 und vielen bei der NASA fällt es noch schwer, sich an Veränderungen zu gewöhnen. So muss Joan sich nicht nur als Astronautin besonders beweisen, sondern auch ihre frisch gefundene Liebe verheimlichen.

Taylor Jenkins Reid zeigt ein weiteres Mal, dass sie emotionale und interessante Geschichten schreiben kann. "Atmosphere" beginnt wortwörtlich mit einem Knall. Fünf Crewmitglieder befinden sich mit dem Space Shuttle im All, als es eine Explosion gibt. Joan arbeitet in der Missionskontrolle, spricht direkt mit der Crew und muss mithelfen, sie sicher zur Erde zurückzubringen. Da die Außenhülle des Shuttles beschädigt ist, ist nicht garantiert, dass das gelingt. Das sorgt für sehr viel Spannung und Emotionen. In langen Rückblenden erfährt man dann, wie Joan in diese Lebenssituation geraten ist und welche Beziehung sie zu den einzelnen Crewmitgliedern hat. Auch der steinige Weg innerhalb des Space-Shuttle-Programms wird intensiv erzählt.
"Atmosphere" wird mit "Eine Liebesgeschichte" untertitelt und zunächst war ich sehr froh, dass dem lange Zeit nicht so war. Die Liebesgeschichte entwickelt sich dann langsam und eher zart zu Beginn. Zunehmend rückt sie in den Fokus und überlagert phasenweise die NASA-Handlung. Mitunter wird es dann doch das ein oder andere Mal etwas schwülstig und ein wenig zu viel. Trotzdem kann das Ende emotional mitreißen. Neben der Liebesgeschichte streut die Autorin wohldosiert auch noch etwas Gesellschaftskritik ein und schärft das Bewusstsein dafür, dass viele der Freiheiten, die wir heute genießen, noch gar nicht so lange bestehen (bzw. in manchen Ländern auch noch gar nicht existieren). "Atmosphere" ist also wieder ein gelungenes Buch der Autorin, in einem interessanten Setting mit spannenden Hintergrundinformationen, das sich mal wieder sehr flüssig und fesselnd liest.

Bewertung vom 26.06.2025
Frank, Rebekka

Stromlinien


gut

Die 17-jährigen Zwillingsschwestern Enna und Jale zählen die Wochen, Tage und dann die Stunden, bis ihre Mutter Alea aus dem Gefängnis entlassen wird. Doch in der ersehnten Stunde fehlt sowohl von Jale als auch von Alea jede Spur. Stattdessen taucht die Polizei vor der Tür von Oma Emi auf und sucht nach Alea, denn in der Elbe ist ein Mann ertrunken. Auch die Suche nach Jale wird aufgenommen. Aber weil die Familie der Polizei zutiefst misstraut, macht sich Enna allein auf die Suche und deckt dabei nach und nach die lange gehüteten Geheimnisse der Familie auf.

Ich finde dieses Buch von der Gestaltung und der Idee her sehr ansprechend, zumal mir das vorherige Buch der Autorin gut gefallen hat. Auch hier wirken wieder Handlungen und Geheimnisse über unterschiedliche Zeiten und Generationen hinweg. Die Orte in der Elbmarsch sind allerdings scheinbar sehr klein, denn die Familien sind hier schon mindestens seit hundert Jahren alle irgendwie miteinander verwoben. Nicht zuletzt dieses begrenzte Repertoire an Figuren lässt die Geschichte recht konstruiert wirken. Erschien die Geschichte anfangs noch vielschichtig, konzentriert sie sich bald vor allem auf den Handlungsstrang um Enna. Die anderen Handlungsstränge dienen eigentlich nur der Erläuterung der Vorgeschichte. Die Auflösung verschiedener Hintergründe gelingt erst noch nebenbei oder über die zusätzlichen Handlungsstränge, zum Ende des Buches hin wird es jedoch simpler, und die Hintergründe werden den Lesenden fast schon vorgekaut, wann immer die Geschichte an eine Stelle kommt, an der wieder ein Familiengeheimnis gelüftet wird. Das hätte meiner Meinung nach subtiler gelöst werden können.
Insgesamt ist "Stromlinien" eine nette Familiengeschichte, die auf weite Strecken zu unterhalten weiß und von schönen Landschaftsbeschreibungen begleitet wird. Mir fehlt in diesem Buch allerdings etwas der tiefere Sinn, der im vorherigen Buch der Autorin zu finden war. Für Fans von Familiengeschichten über mehrere Generationen ist dieses Buch jedoch eine gute Ergänzung.

Bewertung vom 23.06.2025
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


ausgezeichnet

Beeindruckender Einblick in die Lebensbedingungen der Samí

Als die 13-jährige Ingá im Jahr 1941 mit ihrer Mutter Rávdná und Tante Ánne in das Sommerland an einem See in Nordschweden zurückkehrt, steht ihr samisches Dorf unter Wasser. Für die Energiegewinnung wurde der Stausee geflutet, jedoch ohne die Ankunft des Nomadenvolk abzuwarten. Die Mutter kann noch durch das steigende Wasser in ihre Torfkote waten, um die wichtigsten Dinge zu retten. Ansonsten verlieren sie alles von dem wenigen, das sie besitzen. Da der schwedische Staat die Samí als nicht sesshaft betrachtet, dürfen sie kein Land besitzen, bekommen weder Kredite noch Genehmigung für einen Hausbau und müssen gezwungenermaßen ihre althergebrachte Lebensweise beibehalten, selbst wenn sie sich gern an die Moderne anpassen würden.
Über die Jahre hinweg begleitet man die drei Frauen und ihre Gemeinschaft in ihrem beschwerlichen Leben, wie sie es schon seit Jahrhunderten tun. Dabei ist die Geschichte oft schwermütig, aber gleichzeitig sehr atmosphärisch. Es gibt keinen wirklichen Spannungsbogen, außer die wiederholten Erhöhungen des Staudamms, die ein ums andere Mal den Verlust des Sommerweidelands und der Lebensgrundlage bedeuten. Man bekommt einen sehr tiefen Einblick in die Lebensweise der Samí, ihrer Gesellschaftsstruktur und ihren andauernden Kampf gegen die Diskriminierung durch die Regierung. Die Autorin zeigt deutlich auf, welche Ungerechtigkeit gegenüber ethnischen Minderheiten und indigenen Völkern in Europa auch im 20. Jahrhundert stattfand und wahrscheinlich immer noch stattfindet. Es ist interessant, aber gleichzeitig auch bedrückend zu lesen, an welchem Existenzminimum und mit wie wenig Mitteln die drei Frauen leben. Jede Flutung des Sees vertreibt zunächst die Fische und bedroht somit die Existenzgrundlage. Und auch wenn die Dorfgemeinschaft schon immer an diesem See lebte, so stellt er doch immer eine dunkle Bedrohung war und wird als mystisch und gefährlich wahrgenommen.
Ohne große Gesten, aber dennoch entschlossen, stellt sich Rávdná zunehmend gegen die Regeln der Regierung. Dabei war für mich frustrierend, wie sehr sich hingegen Ingá in die ausweglose Situation ergibt und die Unterdrückung hinnimmt, so wie eigentlich das gesamte restliche Dorf. Insgesamt sind die Figuren nicht sehr nahbar, da der Ausdruck tiefer Emotionen scheinbar zumindest in diesem Dorf wenig üblich ist.

Insgesamt war ich überrascht, wie sehr mich das Buch am Ende gefesselt hat, obwohl es keinen nennenswerten Spannungsbogen gibt. Die Naturbeschreibungen machen den Roman sehr atmosphärisch, wenn auch nicht immer im positiven Sinne. Hier wird die Natur nicht romantisiert, aber dennoch ein naturnahes Leben intensiv beschrieben. Die Autorin kümmert sich dabei wenig darum, ihre Geschichte leicht verdaulich zu präsentieren, so enthält das Buch viel direkte Rede in der samischen Sprache und auch viele Begriffe (beispielsweise für Kleidungsstücke), die nicht ohne Weiteres bekannt sind und erst nachgeschaut werden müssen. Das Buch liefert dafür allerdings keinen Glossar mit. Das macht das Buch für mich jedoch noch lebensnäher. Es wird auch dadurch lebensnah, dass es reale historische Ereignisse aufgreift, die zwar fiktional, aber deswegen nicht weniger ergreifend erzählt werden. Die Geschichte hat mich tief beeindruckt und sehr mitleiden lassen.

Bewertung vom 18.05.2025
Jarawan, Pierre

Frau im Mond


sehr gut

Schwieriger Einstieg, dann aber eigentlich eine sehr lesenswerte Geschichte über den Libanon

Lilit el-Shami, Nachkommin libanesischer Einwanderer in dritter Generation in Kanada, ist Dokumentarfilmerin. Nachdem ihr Großvater Maroun jahrelang sie und ihre Zwillingsschwester großgezogen hat, kümmern sich nun die Schwestern um den 100Jährigen. Jetzt baut Maroun deutlich ab, sodass Lilit nur wenig Zeit bleibt, die Familiengeschichte zu ergründen und herauszufinden, warum Maroun am Tag ihrer Geburt in seiner Seniorenresidenz eine Rakete gezündet hat und was die Lebanese Rocket Society damit zu tun hat. Aber insbesondere die Großmutter Anoush, die die Schwestern nie kennengelernt haben, hat mit ihrer armenischen Herkunft und ihrer Zeit in einem Waisenheim die Familie geprägt. Nachdem Lilit einen Hinweis einer Vereinigung Überlebender des Waisenhauses erhält, reist sie kurz entschlossen in den Libanon.

Allein die Zusammenfassung der zentralen Handlung des Buches fällt nicht leicht, denn die Geschichte ist ziemlich komplex und ausschweifend. Gleichzeitig gelingt dem Autor dadurch ein sehr eindrucksvolles Bild eines Landes, das eins im Wettlauf um die Mondlandung mitspielte und durch die Seidenproduktion eine blühende Wirtschaft hatte, doch heute nur noch durch Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen in den Medien ist. Am Ende war es eine fesselnde Geschichte, doch der Weg dahin beim Lesen war steinig. Die Geschichte beginnt sehr zerfranst. Ich tat mich schwer, in die Geschichte hineinzukommen und eine Bezugsfigur zu finden. Die Erzählung schweift immer wieder ab, die Protagonistin selbst trägt einen durch Nebenbemerkungen und einen analytischen Außenblick mit Bezug zu filmischen Stilmitteln immer wieder aus der Geschichte. Auch eignet sich das Buch nicht dazu, in kurzen Lesemomenten mal nur ein paar Seiten zu lesen, man muss immer erst wieder hineinfinden und das brauchte Zeit. Ab der Hälfte, so ziemlich ab dem Moment, in dem Lilit im Libanon ankommt, wird die Geschichte packend, nicht zuletzt durch Bezüge zum Völkermord. Ab diesem Punkt wirkt die Geschichte stringenter, weniger willkürlich und weniger unstrukturiert. Ganz im Stile der arabischen Erzähltradition bekommen wir weiterhin Geschichten in Geschichten, aber die Verbindungen miteinander werden deutlicher und bedeutender. Hinzu kommen viele Bildnisse und Symboliken: die Unterteilung des Buches in die drei Startstufen einer Rakete, die Rückwärtszählung der Kapitel als Countdown, viele Bezüge zum Stummfilm "Frau im Mond". An sich ist das Buch ein Meisterwerk, das sorgfältig und kunstvoll durchdacht und komplex ist und auch das Cover passt perfekt zur Geschichte. Neben einer interessanten Familiengeschichte lernt man viel über viele verschiedene Themen, aber vielleicht war es dadurch auch etwas überladen. Letztlich lohnt es sich, durchzuhalten und über den schwierigen Einstieg hinweg weiterzulesen, dann wird man mit einer reichhaltigen, interessanten und auch fesselnden Familiengeschichte, aber auch der Geschichte eines wenig bekannten Landes belohnt.