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anushka

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Insgesamt 144 Bewertungen
Bewertung vom 09.10.2022
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Bervoets, Hanna

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weniger gut

So viel verschenktes Potential

Kayleigh ist pleite und auf der Suche nach gut bezahlter Arbeit. Der Job bei HEXA kommt ihr daher gelegen. Hier muss sie den Content der Plattform prüfen, der alle Ausprägungen von Hassrede bis schlimmste Gewalt abdeckt. Die Arbeitsbedingungen sind hart, die Richtlinien so grenzwertig, dass noch genügend verstörendes Material online geht, doch Kayleigh kann sich gut davon abgrenzen. Mit ihrer Beziehung zu Sigrid wäre das Leben perfekt. Doch der Job zeigt Erosionserscheinungen bei den Kolleg:innen, zu längst zu Kayleighs Clique geworden sind, und schließlich auch bei Sigrid ... Kann Kayleigh ihr Privatleben noch ausreichend vom Job abschirmen oder hat er auch sie längst korrumpiert?

Zugegeben, der Titel hat mich jedes Mal irrtiert. Ob er nun auf englischen Seiten stand ("We had to remove this post") oder auf deutschen ("Dieser Beitrag wurde entfernt"), jedes Mal dachte ich zunächst reflexhaft, dass da an der Stelle wirklich etwas gelöscht wurde und aus welchem Grund das denn getan worden sein könnte. Also Gratulation an die Verlage, der Titel ist wirklich sehr gut gewählt.

Über den Inhalt kann ich leider aber nicht so viel Schmeichelhaftes sagen. Das Buch ist sehr kurz, eigentlich eher eine Novelle. Dementsprechend hat man es auch schnell durchgelesen und ist weniger versucht, es abzubrechen. Außerdem hatte ich bis zum Schluss immer noch die Hoffnung, dass da doch noch etwas mehr kommt. Mehr Substanz, mehr Gefühl, mehr Mensch hinter der Content Moderation. Ich beschäftige mich viel mit dem Thema und ich habe auch die zitierten Presseberichte alle gelesen, sodass ich sagen kann, dass dieses Buch aus kaum mehr besteht. Sogar die Beispiele kamen mir mitunter bekannt vor. Lediglich die handelnden Personen und ihre Liebesbeziehungen waren ein Produkt der Autorin. Wenn es jedoch zu den Inhalten kam, mit denen die Content Moderators konfrontiert waren und was dies bei ihnen auslöste, ging dieser Roman leider nicht über die Presseberichte hinaus. Und gerade hierin lag so viel Potential. Endlich hätte man die menschliche Seite dieser Arbeit beleuchten können, der moralische Konflikt und die Abstumpfung und es wäre keine rein sachliche, journalistische Darstellung geblieben. Aber genau hierhin wagte sich das Buch leider nicht. Zurückgelassen hat mich das Buch daher mit dem Gefühl, nichts neues gelesen zu haben, sondern fast alles davon schon aus Presseartikeln und Reportagen zu kennen. Das fand ich sehr schade, da ich mir deutlich mehr von dem Buch versprochen hatte.

Bewertung vom 08.10.2022
GraviTrax. Das Pro-Buch für Fans und Profis
Gregor, Rina;BlueBlizzard;Jordan, Luke

GraviTrax. Das Pro-Buch für Fans und Profis


ausgezeichnet

Eine sehr gute Hilfe zum Streckenbau mit der Pro Bahn

Wir sind große Gravitrax Fans, aber den Kindern fällt es nicht immer leicht, eine Strecke zu bauen, die auch funktioniert. Schon das erste Buch mit Streckenbauplänen war also sehr hilfreich. Mit dem Pro System wurde der ganze Bauspaß um eine Dimension erweitert, was es nicht gerade einfacher für die Kinder macht (obwohl sie ja auch experimentieren sollen). Der Frust ist mitunter groß, wenn die Strecken nicht so richtig funktionieren. Daher war die Freude groß, dass es nun endlich ein weiteres Anleitungsbuch mit neuen Ideen gibt, die das neue System einbeziehen und den Kindern somit zeigen, was damit alles möglich ist und hoffentlich so auch ihre eigene Sicherheit und Kreativität beim Bauen fördert.

Die Anleitungen in diesem Buch sind klar verständlich nach Bauebene aufgegliedert, sehr systematisch und die Hinweise extrem hilfreich (z.B. welche Teile und Actionsteine benötigt werden). Für meine Kinder (7 und 11 Jahre alt) waren die Anleitungen leicht nachzubauen. Die Challenges sind anregend, wenn nach weiteren Lösungen für bestimmte Strecken gefragt wird.

Die Kinder sind sehr begeistert von diesem neuen Buch. Sie heben auch die zusätzlichen Informationen hervor, die das Buch liefert, also beispielsweise wie die einzelnen Erweiterungselemente funktionieren sowie Hinweise, worauf man beim Streckenbau achten sollte. Auch die Tatsache, dass einige der Anleitungen von einem YouTuber stammen, holt die Kinder voll ab. Ihr einziger Kritikpunkt ist, dass eine der 15 Strecken schon im ersten Buch enthalten war.

Ansonsten ist das Buch wirklich sehr gelungen und bietet eine tolle Bandbreite. Acht der 15 Strecken sind ohne Erweiterung baubar, sechs sogar nur mit dem Pro Basisset. Für die restlichen sieben braucht man ein bis zwei Erweiterung, hier wird die Bandbreite der kleinen Erweiterungen (also Spirale, Hammer, Splitter, etc.) abgedeckt.

Die Kinder vergeben für diese sehr gute Bauhilfe 4,5 Sterne. Das Buch wird garantiert weiter regelmäßig zum Einsatz kommen und eigene Bauideen anregen.

Bewertung vom 09.05.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


gut

Brandaktuelles Thema - Etwas zu kühl-analytisch

Mélanie Claux ist Reality-TV Fan der ersten Stunde. Schon als Jugendliche ist sie fasziniert von Formaten wie Big Brother. Ein erster Versuch im Reality-TV scheitert, doch Jahre später hat sie einen Familien-YouTube-Kanal aufgebaut und ist zu einer sogenannten Influencer-Mom aufgestiegen mit einem der größten Kanäle in Frankreich. Meistens zu sehen sind jedoch ihre Kinder, die 6-jährige Kimmy Diore und der 8-jährige Sammy Diore. Kimmy war noch keine drei Jahre alt, als sie das erste Mal in einem YouTube Video erschien. Doch nun ist Kimmy verschwunden und bei einer Reichweite von Hunderttausenden oder mehr könnte es jeder gewesen sein ...
Clara Roussel ist procédurière bei der Polizei. Sie trägt die gesammelten Beweise zusammen, analysiert sie und schreibt Berichte darüber. Das klingt nicht besonders spannend und dennoch liebt Clara diesen Job. Denn sie ist es auch, die die Videos von Mélanie anschaut und analysiert, eine Systematik findet, nach Auffälligkeiten sucht. Als Kind fernsehkritischer Eltern hat sie mit den sozialen Medien und dem Phänomen der Influencer wenig am Hut, doch sie muss Hinweise finden, wo Kimmy sein könnte.

Ich habe bisher mehrere Bücher der Autorin gelesen und sie immer gemocht. Aber mit diesem Buch habe ich mich ab einem gewissen Punkt schwer getan und ziemlich mit meiner Enttäuschung gekämpft. Die ersten 40 bis 50 Seiten hatten mich ganz gut gepackt und das Thema fand ich extrem spannend, denn es ist wirklich am Puls der Zeit, thematisiert etwas, über das seit wenigen Jahren kontrovers diskutiert wird. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass digitale Themen aus dem Alltag, also jenseits von SciFi, jetzt endlich auch in der Belletristik angekommen sind und in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen betrachtet werden. Doch de Vigans sehr kühler analytischer Stil hat mir hier nicht gefallen. Man kam den Figuren emotional nicht wirklich nah. Mélanie wurde durchweg als unsympathisch dargestellt ohne sich wirklich intensiv mit ihrem Bedürfnis nach Anerkennung und auch ihrer Naivität bezüglich sozialer Medien zu beschäftigen. Mit den schon älteren Polizeibeamten hatte die Autorin eine gute Projektionsfläche, um die Funktionsmechanismen des Influencertums detailliert zu erläutern. In einigen Jahren wäre das wahrscheinlich unglaubwürdig gewesen. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass die Autorin nicht sehr internet- oder Social Media affin ist, denn das Buch war sehr moralisierend ohne auf mögliche verschiedene Perspektiven oder Motive einzugehen. Vielleicht hätte jemand dieses Buch schreiben sollen, der oder die selbst mehr mit diesen Medien zu tun hat und den Konflikt besser nachvollziehen kann.
Den Handlungsstrang um Clara Roussel kennt man insgesamt aus vielen Kriminalromanen: hier taucht man in das Privatleben und die Gedankenwelt einer Ermittlerin ein. Hier fand ich gut gelungen, dass man durch Claras Analysen und Dokumentation die Absurdität vieler dieser Videos vor Augen geführt bekam und merkte, dass sie mit dem Wohlbefinden oder der Gesundheit der Kinder nicht immer vereinbar waren. Gleichzeitig zeigt es den Druck, immer wieder neue Inhalte zu präsentieren. Gut fand ich auch, dass die Autorin die Wirkung auf die Kinder, auch langfristig, aufgezeigt hat, wenn auch eher deutlich moralisierend.

Die Auflösung hingegen fand ich lieblos und etwas unglaubwürdig, also wäre die Geschichte festgefahren und als hätte der Autorin der Mut gefehlt. Dann wechselt plötzlich der Zeitstrang, die Geschichte schaut in die Zukunft und es wirkte als hätte sich die Autorin auch noch schnell Gedanken über mögliche (technische) Entwicklungen der Zukunft machen müssen.

Ich habe mir sehr gewünscht, dieses Buch zu lieben. Das Thema Influencer-Eltern fand ich innovativ und das Buch ging sich zunächst spannend an. Zunehmend wirkte es jedoch etwas unausgereift, den Figuren gegenüber distanziert und zu kühl-analytisch. Ich hatte mir mehr versprochen und wurde deswegen leider etw

Bewertung vom 10.03.2022
Zusammenkunft
Brown, Natasha

Zusammenkunft


gut

Ungewöhnlicher Stil geht zu Lasten der Geschichte

Als literarische Sensation aus England wird dieses Buch gehandelt. Und auch in deutschen Buchhandlungen scheint das Buch viel gekauft zu werden; zumindest in meiner Stammbuchhandlung war der Stapel schon recht klein, es scheint also insgesamt sehr gut aufgenommen zu werden.

Dieses an sich kleine - weil dünne - Buch greift sehr große Themen auf. Die Protagonistin ist eine farbige Frau in der Finanzbranche. Sie arbeitet sich nach oben und ist dennoch immer wieder in einer Position, sich dafür entschuldigen zu müssen. Nicht selten ist die Diskriminierung intersektional, also eine Kombination von Geschlecht und Hautfarbe. Vor allem den Vergangenheitstraumata afrikanisch-stämmiger Menschen widmet sich die Autorin. Eher in Einzelepisoden werden diskriminierende Erlebnisse geschildert, die das Leben der Protagonistin prägen, sodass sie schließlich nur noch einen einzigen Lebensbereich zu sehen scheint, der ihrer Selbstbestimmung unterliegt.

Etliche der geschilderten Episoden sind sehr eingängig. Andere zeigen, wie alltäglich und auch im Kleinen der Rassismus verankert ist. Das Buch lässt einigen Raum für Diskussion und Interpretation. Ein perfektes Buch für einen Lesekreis auf jeden Fall. Für meinen Geschmack lag aber zu viel Fokus auf der Form im Vergleich zum Inhalt. Die Geschichte war mir zu episodenhaft, zu zerstückelt und letztlich auch zu kurz, um mich wirklich emotional zu erreichen. Es blieb immer eine Distanz zur Protagonistin, weil ich keine wirkliche Bindung zu ihr aufbauen konnte. Und einige Erlebnisse, Kontexte und Verbindungen blieben mir zu oberflächlich. Unbestritten ist dies sicherlich ein wichtiges Buch und hat wahrscheinlich vor allem durch seinen Stil die Aufmerksamkeit gewonnen, die der Inhalt verdient, für mich war es aber leider nicht die große Sensation. Als Leserin habe ich das Bedürfnis, mehr in eine Geschichte hineingezogen und mitgenommen zu werden.

Bewertung vom 23.03.2020
Das Haus der Frauen
Colombani, Laëtitia

Das Haus der Frauen


sehr gut

Aufrüttelnd, aber nicht so anspruchsvoll wie gedacht

Paris heute: Durch ein tragisches Ereignis wird die Anwältin Soléne aus der Bahn geworfen. Um wieder einen Sinn im Leben zu finden, erklärt sie sich widerwillig bereit, Schreiberin in einem Frauenhaus zu werden. Zwischen zahlreichen Selbstzweifeln lernt Soléne die dort lebenden Frauen und ihre teilweise schrecklichen Geschichten immer besser kennen und merkt, dass ihre Tätigkeit viel mehr ist, als Briefe schreiben für Frauen, die das selbst nicht können.

Paris, 1925: Ebenfalls nach einem Sinn für ihr Leben sucht die junge Blanche Peyron. Sie schließt sich der Heilsarmee an und setzt sich für die Obdachlosen und Armen ein, die gerade durch den ersten Weltkrieg und Wirtschaftsprobleme entstanden sind. Nicht wenige davon sind Frauen. Nach vielen und kraftraubenden Anstrengungen gelingt es ihr, einen Zufluchtsort für Frauen zu gründen,der auch fast 100 Jahre später noch bestehen soll.

"Das Haus der Frauen" ist nach "Der Zopf" das zweite Buch der Französin Laetitia Colombani und wurde in Frankreich groß gefeiert. Auch in Deutschland kletterte es schnell die Bestsellerliste hoch. Ich habe das erste Buch noch nicht gelesen, aber sehr viele positive Stimmen dazu wahrgenommen. Mit diesen Vorschusslorbeeren bin ich mit großen Erwartungen an das Buch herangegangen. Auch, weil mir die optische Gestaltung außerordentlich gut gefällt und das Thema so ein relevantes ist. Ich war dann doch ein wenig enttäuscht, weil ich ein tiefgründigeres, und vielleicht auch anspruchsvolleres, Buch erwartet hatte. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass das Buch auf diese Art mehr Leute erreicht. Gerade die verschiedenen Geschichten der Frauen sind berührend und aufrüttelnd. Sie machen deutlich, aus was für verschiedenen Gründen Frauen letztlich so einen Zufluchtsort aufsuchen, was sie hinter sich gelassen haben und wie weit außen am Rand der Gesellschaft die Frauen stehen, die es besonders schlimm erwischt hat. Tatsächlich habe ich mich nach dem Lesen dabei ertappt, mich zu fragen, was die eine oder andere Bettlerin in der U-Bahn oder vor dem Kaufhaus schon erlebt und durchgemacht hat. Dennoch habe ich auch hieran Kritik, denn viele der Schicksale stehen beispielhaft und dadurch mitunter etwas schablonen- und klischeehaft für verschiedene Arten von Schicksalen. Hier wurde meiner Meinung nach Potential verschenkt. Soléne wirkte hier eher wie das verbindende Element, konnte mich aber nicht für sich gewinnen. Auch die eigentliche Geschichte des Frauenhauses stand eher im Hintergrund und Blanche wirkte in diesem Buch eher wie schmückendes Beiwerk. Auch über sie hätte ich gern noch mehr erfahren.
Insgesamt hätte man aus dem Stoff mehr herausholen können. Der Stil war für mich nicht so poetisch, wie ich es gern gehabt hätte, las sich aber flüssig und die Handlung konnte mich für viele Figuren und vor allem ihre Schicksale einnehmen. Es ist also durchaus eine lohnende Lektüre, wenn auch mit Abstrichen.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.10.2019
Drei
Mishani, Dror

Drei


ausgezeichnet

Ein wirklich besonderes Buch

Orna verkraftet die Trennung von ihrem Mann nur schlecht. Nun ist sie mit ihrem Sohn allein. Doch dann lernt sie Gil kennen ...
Emilia ist in einem fremden Land und pflegt alte Menschen. Doch ihre aktuelle Stelle macht sie unglücklich. Dann begegnet sie Gil ...
Ella ist desillusioniert von ihrer Aufgabe als dreifache Mutter. Auf ihrer kleinen täglichen Flucht in einem Café wird sie von Gil angesprochen ...

Der Verlag hat um dieses Buch schon vorab einen ziemlichen Wind gemacht. Vor allem darum, dass das Buch nicht wirklich beschreibbar sei ohne dabei zu spoilern. In der Tat sollte man nicht zu viel von der Handlung verraten, denn das Buch lebt von den Überraschungen. Was man jedoch sagen kann ist, dass es dem Autor unglaublich gut gelungen ist, seine Figuren zu entwickeln und Emotionen zu vermitteln. Alle Figuren sind sehr lebensnah und man entwickelt eine emotionale Bindung zu ihnen. Auch wenn die ersten rund 80 Seiten sich zunächst langsam angehen und man vielleicht ein wenig ermüdet von Ornas Innenschau, kann der Autor jedoch zunächst eine subtile und später immer deutlichere Spannung aufbauen, die die anfängliche Irritation, ob man nun wirklich ein solch besonderes Buch lese wie angekündigt, verfliegen lässt. Ich konnte das Buch irgendwann kaum noch aus der Hand legen und war schließlich bis zur letzten Seite gefesselt. Mich hat dabei überrascht, wie sprachlich elegant und ruhig der Autor seine Figuren zum Leben erweckt und sich die Zeit nimmt, ihre Lebenssituationen vor dem Leser auszubreiten und dabei nach einem sehr ruhigen Einstieg dann durchweg die Spannung hält. Es geht hier nicht um plumpe Action oder pure Spannung, bei der die Logik auf der Strecke bleibt. Stattdessen findet man verständnisvolle psychologische Porträts dreier Frauen in Tel Aviv, die so unterschiedlich voneinander sind und dennoch alle von einem zentralen Motiv, nämlich der Sehnsucht, getrieben werden. Hin zu einem Punkt, an dem die Schicksale zusammenlaufen.

Meine anfängliche Skepsis, ob das Buch dem Hype (des Verlags) standhalten kann, verwandelte sich zunehmend in Begeisterung. Und ich bin nach dem Lesen tatsächlich der Meinung, dass dieses Buch eine großartige Entdeckung ist, die mir so viel mehr als nur kurzweilige und spannende Lesestunden gegeben hat, denn sie lässt uns auch über Menschen und ihre Schicksale nachdenken. Für mich eines der Highlights des Jahres 2019.

Bewertung vom 09.09.2019
Wolgakinder
Jachina, Gusel

Wolgakinder


gut

Zu wenig vom eigentlichen Thema

Gnadental, 1916: Jakob Iwanowitsch Bach ist der einzige Lehrer an der Dorfschule eines deutschen Dorfes an der Wolga. Er ist ein Sonderling, aber die Dorfbewohner respektieren ihn. Als er Klara, die Tochter eines reichen Bauern auf der anderen Seite des Flusses, unterrichten soll, ändert sich für ihn alles. Er wird von den Dorfbewohnern verstoßen und lebt fortan mit Klara allein auf dem Gehöft. Als Klara bei der Geburt ihres Kindes, Ergebnis einer Vergewaltigung, stirbt, verstummt Bach und zieht Annchen, die Tochter, allein groß. Während die beiden ihr Leben als Einsiedler bestreiten und die Ereignisse in Gnadental nur aus der Ferne über den Fluss hinweg betrachten, finden große politische Umwälzungen statt, die auch vor Gnadental und vor allem den Russlanddeutschen nicht halt machen. Doch von der weiten Welt jenseits des Wolgaufers kann er sie nicht fernhalten, so sehr er sich auch bemüht.

Aufgrund der Meinungen zu ihrem ersten Buch und aufgrund des sehr interessanten und eher ungewöhnlichen Themas hatte ich hier große Erwartungen. Leider zog sich die Geschichte schon bald in die Länge. Bachs Besonderheiten wurden in epischer Länge ausgewalzt, wenn auch zugegebenermaßen in einer tollen Sprache und mit feiner Beobachtungsgabe. Dennoch wollte mir Bach nie so recht nahe kommen. Und schließlich zieht Bach ans andere Wolgaufer, sodass er von den politischen Umwälzungen eigentlich weit entfernt ist und oft nur ihre Auswirkungen beobachten kann: Revolution, Hungersnot, Enteignung, Kollektivierung, Verfolgung. Für mich waren das insgesamt einfach zu viele Themen, von denen viele nie so richtig ausgeführt wurden und von denen vor allem das eigentliche Thema, die Geschichte der Wolgadeutschen, viel zu kurz kam. Erst im Epilog konnte das Ausmaß der Vefolgung nachvollziehbar werden.
Mich irritierte zudem der zweite Handlungsstrang, in dem Stalin die zentrale Rolle spielt. So konnte man zwar einerseits seine Politik und seinen Blick auf die Wolgadeutsche Minderheit kennenlernen, andererseits gab es aber viele Szenen, die von der eigentlichen Handlung ablenkten.
Und schließlich gibt es hier und da noch wirklich surreale Szenen, in denen die Autorin zwar zeigt, dass Schreiben auch Kunst sein kann, aber die mich dann doch wiederholt vollends aus dem Konzept gebracht haben und die irgendwie unpassend wirkten.

Insgesamt machte dieses Buch auf mich einen unrunden Eindruck. Es war sehr ungewöhnlich, aber für meinen Geschmack zu "speziell". Inhaltlich erfüllte es meine Erwartungen leider ebenfalls nicht, da mir das eigentliche Thema zu kurz kam. Aber sprachlich war es ein Genuss.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2019
Die Nickel Boys
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


sehr gut

Sozialkritik ohne wirklichen Biss

Florida, Anfang der 1960er: Der 16-jährige Elwood lebt bei seiner Großmutter. Die Eltern haben ihn Jahre zuvor zurückgelassen. Bislang ist es Elwood gut gelungen, sich im Farbigen-Ghetto von Tallahassee aus Ärger herauszuhalten. Aber auch er kennt bereits Demütigungen. Und als seine Großmutter ihm eine Platte einer Rede von Martin Luther King schenkt, wird sich Elwood der Ungerechtigkeiten immer bewusster. Die Zukunft sieht vielversprechend aus als Elwood einen Platz am College bekommt. Doch dann trampt er in einem gestohlenen Auto und wird als Autodieb ohne gerechtes Verfahren in die Besserungsanstalt Nickel Academy gesperrt. Dort muss er erleben, wie Wärter und Gesellschaft ihren Rassismus ungehemmt ausleben.

Colson Whitehead hat sich auch mit diesem Buch dem Thema des Rassismus gewidmet und reale Ereignisse zugrundegelegt. Zunächst steigt das Buch ein mit einem Team von Studenten, die auf dem Gelände der ehemaligen Anstalt Ausgrabungen vornehmen und abseits des offiziellen Friedhofs menschliche Überreste finden. Dann wechselt die Geschichte zu Elwood, dessen Aufwachsen und schließlich Jugendzeit der Leser ausschnittweise begleitet. Durchsetzt ist dieser Strang immer wieder mit Ausschnitten aus Elwoods Erwachsenenleben als Überlebender der Anstalt.

Der Schreibstil ist ansprechend und poetisch, fast zu "schön" für solch eine grausame Geschichte, die jedoch selten explizit grausam ist. Im Gegensatz zum vorherigen Buch "Underground Railroad" sind die Gewaltszenen dieses Mal wesentlich weniger explizit und oft sogar nur angedeutet. Dementsprechend ist es jedoch auch weniger erschütternd. Zumal alle Jungen zu leiden haben: die Weißen genauso wie die Latinos und die Farbigen, wobei letztere noch einmal schlechter behandelt werden. Ergreifend ist eher, wie Elwoods Träume platzen und er sich wie all die anderen (farbigen) Jungs in das seit Jahrhunderten gängige Schicksal fügen soll, was ihm jedoch zunehmend schwerfällt. So richtig Biss hat die Sozialkritik jedoch nicht und es gibt wenig deutliche Positionierung. Es wird nicht ganz deutlich, was nun zentraler ist: der generelle institutionelle Missbrauch von Kindern oder die Rassendiskriminierung.

Trotz der Kritikpunkte hat mir das Buch insgesamt gut gefallen und es hätte gern länger sein dürfen, ich hätte sicherlich weitergelesen. Vielleicht wäre man dann Elwood auch noch näher gekommen. Mir haben zudem die Kapitel des Erwachsenenalters gefallen. Und schließlich gab es noch einmal eine überraschende Auflösung, die der Geschichte noch eine neue Perspektive gegeben hat.

Bewertung vom 08.08.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Die Familientyrannin: Ernste Themen hinter humoristischer Fassade

Maxim ist mit seinen Großeltern aus der ehemaligen Sowjetunion geflüchtet. Seine Eltern kennt Maxim nicht. Die Mutter ist tot, den Vater braucht er nicht zu kennen. Hat die Großmutter beschlossen. Überhaupt braucht Maxim nicht alles zu wissen. Schließlich ist er ein Trottel, wie die Großmutter nicht müde wird zu betonen. Ihr Schicksal ist doppelt und dreifach schwer, erzählt sie jedem, der es nicht hören will, denn sie muss sich um diesen "Trottel" kümmern. Der noch dazu alle möglichen Krankheiten hat und der deswegen nur pürierte Schonkost essen darf. Die Großmutter führt in dieser kleinen Familie ein strenges Regiment, inmitten des Flüchtlingsheims und einem fremden Land, in dem die Ärzte völlig inkompetent sind (genauso übrigens wie die Lehrer), weil sie Maxim für gesund erklären. So merkt sie schließlich als letzte, dass der Großvater sich verliebt hat.

Der Humor in diesem kleinen Büchlein ist schon recht bissig und vordergründig vermittelt es den Eindruck, dass es darum geht, sich über eine "wunderliche Alte" lustig zu machen. Doch so oft man auch den Kopf über diese tyrannische Frau schütteln will, deren Markenzeichen der hennagefärbte lange Zopf ist, hat das Buch auch seine nachdenklichen Töne. Die Großmutter ist gefangen in ihrer Weltsicht, die nicht selten alle anderen, deren Religionen und Lebensweisen abwertet. Doch man merkt auch immer wieder, dass sie in diesem Land, dessen Sprache sie nicht versteht, die Maxim in Eltern-Lehrer-Gesprächen großzügig frei interpretiert übersetzt, ziemlich verloren ist. Damit diese Familie nicht auseinander bricht, geht sie schließlich eine ungewöhnliche Konstellation ein. Was die Großmutter allerdings nicht weniger herrisch macht. Letztlich zeigt sich aber, dass die Großmutter die Menschen in ihrem Umfeld liebt, dies aber oft auf ihre ziemlich eigene Art zeigt.
Die Autorin hat die Figuren interessant gezeichnet, wenn auch viele davon überspitzt dargestellt sind, vor allem die Großmutter, die mir zwischenzeitlich ordentlich auf die Nerven ging. Manchmal ging es meiner Meinung nach auch zu oft darum, die Großmutter unmöglich zu machen, während mitunter eigentlich ernstere Themen wie Verlustängste oder Angst vor dem Unbekannten dahinter standen.

Stilistisch hat mir das Buch sehr gut gefallen. Die Autorin hat einen tollen Stil und arbeitet die Figuren sehr ausführlich aus. Die Geschichte wird aus Maxims Sicht erzählt, sodass man auch immer eine Gegenperspektive zur Wahrnehmung der Großmutter bekommt und daher nicht selten den Kopf über ihre Ansichten schüttelt. Inhaltlich war mir die tiefere Bedeutung oft zu versteckt und der humoristische Anteil zu vordergründig, sodass die Geschichte manchmal trivial und wenig substanziell wirkte, obwohl sie es gar nicht war. Für meinen Geschmack ist es einfach ein Augenzwinkern zu viel, aber das ist reine Geschmackssache.