Autor: Vera
Datum: 06.08.2021
Tags: Empfehlung, Unser Buchtipp

Hin und wieder stellen wir Ihnen Bücher vor, die (noch) nicht auf den Bestsellerlisten zu finden sind – und die wir Ihnen unbedingt ans Herz legen wollen. So ein Buch ist Christina Walkers „Auto“, das diese Woche Premiere feiert. Wir freuen uns sehr, dass wir der Autorin anlässlich der Buchpremiere ein paar Fragen stellen durften. Ihre Antworten und worum es in „Auto“ geht, lesen Sie hier!

„Auto“ von Christina Walker

Als Vertreter war Busch ständig unterwegs. Doch das gehetzte Herumreisen ist Vergangenheit. Busch hat sich selbst einen Stillstand verordnet, hat sich räumlich von Frau und Sohn getrennt und ist in sein Auto gezogen: einen fahruntüchtigen alten Mercedes, der im Hof seines Wohnhauses steht. Hier beginnt Busch, zu beobachten – sich selbst und das Treiben, das um ihn herum unbeirrt weiter stattfindet. Sein Verhalten ist ungewöhnlich und sonderbar. Trotzdem dauert es nicht lange, bis man sich beim Lesen fragt, wer sich seltsamer verhält: Busch oder der Rest der Welt?

Mit „Auto“ gibt Christina Walker viele kleine Denkanstöße, die perfekt in unsere Gegenwart passen. Was ist absurder? Ist es Buschs bewusste Unbeweglichkeit und seine Entschlossenheit, den Stillstand nur zugunsten der Notwendigkeit zu unterbrechen? Oder das planlose Wuseln der anderen, die jeden Tag die gleichen Bewegungsabläufe abspulen, in denen jedoch kein größerer Sinn zu stecken scheint? Finden Sie es für sich heraus!


Interview mit Christina Walker

Christina Walker
bücher.de: Für den Beginn von „Auto“ haben Sie 2018 den Vorarlberger Literaturpreis erhalten. Danach wurde aus der Geschichte ein Roman. War „Auto“ von Anfang an als Roman geplant oder hat sich der größere Umfang erst mit dem Schreiben ergeben?

Christina Walker:
 „Auto“ war von vornherein als Roman geplant. Ich hatte 2018 die ersten drei Kapitel für den Preis eingereicht. Das Preisgeld hat es mir anschließend ermöglicht, die Geschichte ohne längere Unterbrechungen durch Arbeitsaufträge fertigzuschreiben.


bücher.de: „Auto“ ist ein Buch über Entschleunigung und Stillstand. Den minimalen Bewegungsradius hat der ehemalige Vertreter Busch sich selbst verordnet. Mit der Pandemie sind diese Themen plötzlich für jede und jeden von uns relevant geworden – ob wir wollten oder nicht. Wie haben die letzten eineinhalb Jahre Ihre Sicht auf Ihr eigenes Buch verändert?

Christina Walker: Der Protagonist in „Auto“ beschränkt seine Bewegungen tatsächlich auf das Nötigste. Er braucht ein Gegenmittel zum jahrelangen Unterwegs-Sein. Das Auto, in das er sich zurückzieht, ist jedoch nicht mehr fahrtüchtig. Dieses Setting des Vertreters in einem stehenden Automobil – an und für sich ist das Auto ja das Sinnbild moderner Beweglichkeit, von Fortschritt und Flexibilität schlechthin – hat etwas Paradoxes. Die Ironie daran hat mich gereizt, und die Provokation. Und genauso wird Buschs Stillstand im Auto von einigen Figuren im Roman auch aufgefasst: als Provokation. 

Doch im Frühjahr 2020 – ich schickte den Roman schon an Verlage – wurde weiten Teilen der Gesellschaft eine Art Stillstand verordnet. Mit massiven Einschränkungen der Bewegung und der Kontakte. Die Wirklichkeit hatte die Fiktion eingeholt! Ich war sehr verunsichert, ob die Geschichte nun noch wirken würde. Dann haben gleich mehrere Verlage Interesse gezeigt und damit bestätigt, dass der Roman keineswegs überholt ist, sondern sehr aktuell. Ja, es ist erstaunlich, die Pandemie hat den Blick auf die Themen von „Auto“ nochmals geschärft. Denn es geht in „Auto“ nicht bloß um eine Entschleunigung, sondern zudem um Fremd- und Selbstbestimmung. Ein Thema, das zuletzt wieder sehr virulent wurde.

bücher.de: „Regel 1: Jede Fremdbewegung (per Auto, Bus, Bahn etc.) vorerst vollständig vermeiden.“ – Ihr Protagonist orientiert sich an einem Satz selbst formulierter Regeln, die nach und nach an Strenge und Härte verlieren. Gibt es eine davon, die Sie gern für uns alle aufstellen würden?

Christina Walker: Busch stellt im Laufe des Romans mehrere Regeln auf, nach denen er sein Handeln ausrichtet und seine zunehmende soziale Isolation kompensiert. Diese Leitsätze sind aus der persönlichen Situation des Protagonisten erwachsen. Aber es könnte schon sein, dass sich manche Lesende von der ein oder anderen Regel angesprochen fühlen. Ich mag zum Beispiel Regel 5. „Die Löcher schätzen lernen.“ Das heißt angewandt: einen Mangel oder ein Misslingen erst einmal zu akzeptieren und darüber hinaus vielleicht sogar positiv zu deuten. 

Das ist schwierig bzw. unüblich in einer Gesellschaft, die stets nach Erfolg, Fülle und Perfektion strebt. „Löcher“ sind da keine vorgesehen. Schon gar nicht im Lebenslauf. Erst jetzt, als der Roman schon lange fertig ist, habe ich begriffen, dass Busch wohl zu den Stoikern gezählt werden kann. Er will seinen Platz finden, und zwar mit Gelassenheit und großer Selbstbeherrschung. Aber wir sind alle Teil eines Gemeinwesens, da kommt es zwangsläufig zu Reibungen, wenn einer, wie Busch es tut, ausschert.

bücher.de: Sie arbeiten als Texterin für den Kulturbereich und die Tourismusbranche und Sie schreiben literarisch – was fällt Ihnen leichter? 

Christina Walker: Das ist eine gute Frage, die sich gar nicht so leicht beantworten lässt. Im Werbetexte-Schreiben bin ich nach so vielen Jahren natürlich geübt. Man lernt dabei, die Dinge auf den Punkt zu bringen, oder wenn Sie so mögen: das Wesentliche und Verlockende einer Botschaft herauszustellen. Man lernt zugleich, präzise mit der Sprache und mit jedem Wort umzugehen. Das ist ein gutes Training für die Literatur. 

Ich habe die Auftraggeber in den letzten Jahren trotzdem reduziert, um überhaupt literarisch schreiben zu können. Das geht nicht zwischendurch, kein Roman schreibt sich schnell zwischen zwei, drei Arbeitsaufträgen. Ich zumindest kann das nicht. Geschichten müssen reifen können, das Schreiben braucht ebenso seine Zeit. Die Textarten zu wechseln, ist dann immer wieder eine Herausforderung und Gratwanderung: auf der einen Seite die plakative, überzeugende Aussage in der Werbung, auf der anderen Seite die weitaus subtilere Literatur, die mit Anspielungen, Verzweigungen, Geheimnissen spielen darf. Das ist vielleicht ein wesentlicher Unterschied: Die Literatur überrascht, und das ist schon beim Schreiben so.

bücher.de: „Auto“ ist Ihr erster Roman. Dürfen wir uns auf weitere Bücher von Ihnen freuen?

Christina Walker: Das hoffe ich. Die Idee für den nächsten Roman habe ich bereits im Kopf. Zurzeit schreibe ich noch an einer langen Novelle. Ich hatte wieder einmal Glück mit den ersten drei Kapiteln: Für den Beginn der Novelle habe ich Ende 2020 den Schwäbischen Literaturpreis erhalten.

bücher.de: Wir bedanken uns herzlich fürs Interview und gratulieren zur Buchpremiere!




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