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Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Im Spätsommer bricht sie mit ihrem Mann Wilhelm und der jungen Britin Jill auf zu einer mehrwöchigen Reise durch die neue Heimat Sowjetunion. Alle drei sind Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Komintern, wo Kommunisten aller Länder beschäftigt sind. Umso schwerer wiegt, dass unter den »Volksfeinden«, denen gerade in Moskau der Prozess gemacht wird, einer ist, den Lotte besser kennt, als ihr lieb sein kann.Acht Jahre nach dem internationalen Erfolg von In Zeiten des...
Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Im Spätsommer bricht sie mit ihrem Mann Wilhelm und der jungen Britin Jill auf zu einer mehrwöchigen Reise durch die neue Heimat Sowjetunion. Alle drei sind Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Komintern, wo Kommunisten aller Länder beschäftigt sind. Umso schwerer wiegt, dass unter den »Volksfeinden«, denen gerade in Moskau der Prozess gemacht wird, einer ist, den Lotte besser kennt, als ihr lieb sein kann.
Acht Jahre nach dem internationalen Erfolg von In Zeiten des abnehmenden Lichts kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie. Metropol folgt drei Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Überzeugung und Wissen, Loyalität und Gehorsam, Verdächtigung und Verrat.
Acht Jahre nach dem internationalen Erfolg von In Zeiten des abnehmenden Lichts kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie. Metropol folgt drei Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Überzeugung und Wissen, Loyalität und Gehorsam, Verdächtigung und Verrat.
Eugen Ruge, 1954 in Sosswa am Ural geboren, studierte Mathematik in Ostberlin und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Physik der Erde. Seit 1989 wirkt er als Autor für Theater, Funk und Film und machte sich mit seinen Tschechow-Übersetzungen einen Namen. Sein Familienroman In Zeiten des abnehmenden Lichts erhielt den Deutschen Buchpreis 2011. Ulrich Noethen gehört zu den vielseitigsten und beliebtesten Schauspielern Deutschlands. Sein warmes, dunkles Timbre lässt eine intime und eindrückliche Stimmung entstehen. Für seine Lesung von Friedrich Anis Roman Nackter Mann, der brennt erhielt er den Deutschen Hörbuchpreis 2017.

© Frank Zauritz
Produktdetails
- Verlag: Argon Verlag
- Anzahl: 3 MP3-CDs
- Gesamtlaufzeit: 749 Min.
- Erscheinungstermin: 23. Oktober 2019
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783839817414
- Artikelnr.: 56523243
Herstellerkennzeichnung
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Die Farbe des Lippenstifts
Eugen Ruge dramatisiert die Lücken in seiner Familiengeschichte
Ein „Doppelzüngler“ zu sein, der Verdacht wiegt schwer im Moskau des Jahres 1937, und eigentlich genügt auch schon der Verdacht des Verdachts. Hat der oder die Angeklagte sich abfällig über den Genossen Stalin geäußert, hat sie oder er „feindliche Gedanken gehabt, die Sie nicht geäußert haben“? Im Hotel Metropol, dem Belle Époque-Gebäude gegenüber dem Bolschoi-Theater, hat sich die Paranoia eingenistet. Hierher hat man vor Kurzem die deutschen Kommunisten Charlotte und Wilhelm verbracht, zusammen mit anderen Genossen vom jetzt aufgelösten „Punkt Zwei“ der OMS, dem Nachrichtendienst der Komintern. Die Säuberungen haben nun auch die
Eugen Ruge dramatisiert die Lücken in seiner Familiengeschichte
Ein „Doppelzüngler“ zu sein, der Verdacht wiegt schwer im Moskau des Jahres 1937, und eigentlich genügt auch schon der Verdacht des Verdachts. Hat der oder die Angeklagte sich abfällig über den Genossen Stalin geäußert, hat sie oder er „feindliche Gedanken gehabt, die Sie nicht geäußert haben“? Im Hotel Metropol, dem Belle Époque-Gebäude gegenüber dem Bolschoi-Theater, hat sich die Paranoia eingenistet. Hierher hat man vor Kurzem die deutschen Kommunisten Charlotte und Wilhelm verbracht, zusammen mit anderen Genossen vom jetzt aufgelösten „Punkt Zwei“ der OMS, dem Nachrichtendienst der Komintern. Die Säuberungen haben nun auch die
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Treuesten der Treuen erreicht, im Frühstückssaal wird es immer leerer, und Charlotte hat allen Grund zu glauben, dass sie als nächste abgeholt wird. Die deutsche Genossin Hilde Tal hat sie denunziert: Charlotte habe, so die schriftliche Mitteilung, mit ihrem Mann „bei dem trotzkistischen Banditen EMEL“ verkehrt.
Eugen Ruges „Hotel Metropol“ trägt nach, was sein berühmt gewordener Mehrgenerationenroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von 2011 aussparte oder aussparen musste: Charlotte, seine Großmutter, und Wilhelm, ihr zweiter Mann, haben nach ihrer Rückkehr aus dem mexikanischen Exil in die DDR über die Moskauer Erfahrungen nie gesprochen. Man weiß, dass diese Erfahrungen die Betroffenen entweder zu „Renegaten“ haben werden lassen oder dass sie „Loyalisten“ geblieben sind. Charlotte und Wilhelm haben, wie viele Gläubige der Weltrevolution, Stalin lebenslang die Treue bewahrt. Auch Charlottes Sohn, Wolfgang Ruge, der Jahre im Gulag verbrachte und dann einer der führenden Historiker der DDR wurde, blieb dem Kommunismus treu, schrieb dann aber kurz vor seinem Tod, unterstützt von seinem Sohn, erstmals offen über seine Zeit in Stalins „Gelobten Land“. Wird man das Geheimnis dieser Treue womöglich aus Charlottes Moskauer Akten erfahren?
Im „Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte“ konnte Eugen Ruge vor einigen Jahren die beklemmende Kaderakte von „Charlotte Germaine“, wie seine Großmutter bei der OMS hieß, einsehen. Die 246 Seiten mit Briefen und Mitteilungen, in denen es vornehmlich um Charlottes und Wilhelms Rechtfertigung geht, bilden das Gerüst von Ruges Tatsachenroman, der sich, um Roman sein zu können, einige Freiheiten herausnehmen muss.
Real ist das Hotel Metropol, mit seiner unwahrscheinlichen Mischung von Gästen, mit den in einem gespenstischen Wartestand verharrenden OMS-Kadern, mit internationalen Stars wie dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der auf sanften Druck über Stalins Schauprozesse Freundliches schreiben wird, und mit Stützen des Systems wie Wassili Wassiljewitsch Ulrich, dem obersten Militärrichter der UdSSR, einem mitleidlosen Zyniker, der Todesurteile wie am Fließband verfasst.
Dieser Ulrich leidet, jedenfalls bei Ruge, an Verdauungsbeschwerden, die ihm jeden Gerichtstag zur Qual werden lassen. Das Mittel, mit dem Ruge seine Leser aus der Kaderaktenwelt in die Fülle der Wirklichkeit hinausführt, ist meist die erlebte Rede. Auf diese Weise ist er an seinen Figuren so nahe dran, wie es die bloße Auswertung seiner Recherchen niemals ermöglicht hätte.
Man versteht gut, dass Ruge erfinden muss, dass er die äußeren Fakten mit einem selbst nicht dokumentierten inneren Erleben anreichern möchte. So lässt er etwa die Genossin Hilde Tal über ihre Ehe wie folgt ins Grübeln geraten: „Keine Eifersucht, nein, es ist etwas anderes. Es ist diese, wie soll man es nennen, Verbundenheit. Sie hat tatsächlich geglaubt, dass es Dinge gäbe, die für immer verbinden. Was wäre das? Die Erfahrung, dass man zu sterben bereit ist.“ Ruge beherrscht diese Technik der Einfühlung in die Herzen und Hirne seiner Figuren gut, und wahrscheinlich ist es auch diese Kunstfertigkeit, die den Roman so lesbar und packend macht. Natürlich ist das, was der Roman sich an literarischer Gestaltung erlaubt, durch keine Aktenlage abgesichert.
Recht häufig geht es in „Metropol“ um Sex, ehelichen und außerehelichen, was nicht verwundert, wenn man sich Sex als eine Ressource vorstellt, die auch in Zeiten der sonstigen Mangelwirtschaft einigermaßen ausreichend zur Verfügung steht. So gesehen, hat Sex in „Metropol“ den Realismus an seiner Seite. Für die psychologischen und politischen Facetten des sozialistischen Sexuallebens hat Ruge ein offenes Ohr. Der oberste Richter Ulrich etwa, den seine Ehefrau nur noch gelegentlich „ranlässt“ (ein Wort wie aus frühen Arno-Schmidt-Romanen), sucht und findet Abwechslung bei verzweifelten Ehefrauen seiner Angeklagten. Charlotte, die zeitweilig Anstellung in der „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter“ gefunden hat, lässt sich auf eine wilde Büro-Affäre mit ihrem Chef ein, während sie Wilhelm, dem erotisch erloschenen Ehemann, nur noch sporadisch und auf dessen sanfte Bitte „Gutes tut“. Dies und vieles andere Private wird von Ruge fein beschrieben, hat einige Wahrscheinlichkeit für sich und liest sich oft geradezu süffig. In der Kaderakte steht so etwas natürlich nicht. Was wüsste man aus ihr über Charlottes Lippenstift, über ihre heimlichen Besuche an der Kuchentheke, und vor allem, über ihre alltägliche und -nächtliche Angst, als nächste abgeholt und exekutiert zu werden? Dass Ruge diese extremen Stimmungslagen zwischen Lebenslust und Todesangst greifbar, nachvollziehbar macht, ist seine literarische Leistung. Dass er, indem er aus Charlotte Literatur macht, in gewisser Weise dem Schweigen seiner Großmutter untreu wird, ist der Preis, der bei dem gewählten literarischen Verfahren zu entrichten war.
Viel ist zuletzt geschrieben worden über Moskau 1937 und den großen Terror. Sein Buch habe „der Stalinismus-Forschung nichts hinzuzufügen“, bemerkt Ruge im „Epilog“ seines Romans, dem vielleicht interessantesten Teil seines Buches. Man kann ihm zustimmen: „Metropol“ fügt weniger der Stalinismus-Forschung etwas hinzu als der Familiengeschichte der Ruges. Weder darf man von „Metropol“ erwarten, dass in ihm die unbeirrte Gefolgschaft seiner Figuren zum Stalinismus aufgeklärt würde, noch findet hier eine first hand-Abrechnung mit Stalins Terror statt, wie sie literarische Zeitzeugen von Koestler bis Jiri Weil aufs Eindrucksvollste geliefert haben.
Charlotte und Wilhelm, waren, anders als etwa der „trotzkistische Bandit EMEL“ keine Intellektuellen, keine Ideologen, sondern eher nur die Sachbearbeiter und Mitläufer der Weltrevolution. An Abenteuern hat es in ihren Leben weiß Gott nicht gefehlt, aber man würde gerne noch besser verstehen, wie es eine ganze Generation von Kommunisten geschafft hat, sich das eigene Denken von einer Partei verbieten zu lassen, die immer Recht hatte. Tiefer als Charlotte und Wilhelm im Hotel Metropol 1937 kann man nicht in den Malstrom des Stalinismus geschaut haben. Der Schrecken muss so groß gewesen sein, dass sie ihn fortan aus ihren Leben verbannten. Statt für „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“, um Freuds Begriffe zu verwenden, haben sich die Beiden verständlicherweise für die Verdrängung entschieden. Aber von diesem Nichterzählenwollen kann auch der beste Erzähler schwer erzählen.
CHRISTOPH BARTMANN
Die Figuren sind keine
Intellektuellen, eher Mitläufer
der Weltrevolution
Eugen Ruge: Metropol. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019.
432 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eugen Ruges „Hotel Metropol“ trägt nach, was sein berühmt gewordener Mehrgenerationenroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von 2011 aussparte oder aussparen musste: Charlotte, seine Großmutter, und Wilhelm, ihr zweiter Mann, haben nach ihrer Rückkehr aus dem mexikanischen Exil in die DDR über die Moskauer Erfahrungen nie gesprochen. Man weiß, dass diese Erfahrungen die Betroffenen entweder zu „Renegaten“ haben werden lassen oder dass sie „Loyalisten“ geblieben sind. Charlotte und Wilhelm haben, wie viele Gläubige der Weltrevolution, Stalin lebenslang die Treue bewahrt. Auch Charlottes Sohn, Wolfgang Ruge, der Jahre im Gulag verbrachte und dann einer der führenden Historiker der DDR wurde, blieb dem Kommunismus treu, schrieb dann aber kurz vor seinem Tod, unterstützt von seinem Sohn, erstmals offen über seine Zeit in Stalins „Gelobten Land“. Wird man das Geheimnis dieser Treue womöglich aus Charlottes Moskauer Akten erfahren?
Im „Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte“ konnte Eugen Ruge vor einigen Jahren die beklemmende Kaderakte von „Charlotte Germaine“, wie seine Großmutter bei der OMS hieß, einsehen. Die 246 Seiten mit Briefen und Mitteilungen, in denen es vornehmlich um Charlottes und Wilhelms Rechtfertigung geht, bilden das Gerüst von Ruges Tatsachenroman, der sich, um Roman sein zu können, einige Freiheiten herausnehmen muss.
Real ist das Hotel Metropol, mit seiner unwahrscheinlichen Mischung von Gästen, mit den in einem gespenstischen Wartestand verharrenden OMS-Kadern, mit internationalen Stars wie dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der auf sanften Druck über Stalins Schauprozesse Freundliches schreiben wird, und mit Stützen des Systems wie Wassili Wassiljewitsch Ulrich, dem obersten Militärrichter der UdSSR, einem mitleidlosen Zyniker, der Todesurteile wie am Fließband verfasst.
Dieser Ulrich leidet, jedenfalls bei Ruge, an Verdauungsbeschwerden, die ihm jeden Gerichtstag zur Qual werden lassen. Das Mittel, mit dem Ruge seine Leser aus der Kaderaktenwelt in die Fülle der Wirklichkeit hinausführt, ist meist die erlebte Rede. Auf diese Weise ist er an seinen Figuren so nahe dran, wie es die bloße Auswertung seiner Recherchen niemals ermöglicht hätte.
Man versteht gut, dass Ruge erfinden muss, dass er die äußeren Fakten mit einem selbst nicht dokumentierten inneren Erleben anreichern möchte. So lässt er etwa die Genossin Hilde Tal über ihre Ehe wie folgt ins Grübeln geraten: „Keine Eifersucht, nein, es ist etwas anderes. Es ist diese, wie soll man es nennen, Verbundenheit. Sie hat tatsächlich geglaubt, dass es Dinge gäbe, die für immer verbinden. Was wäre das? Die Erfahrung, dass man zu sterben bereit ist.“ Ruge beherrscht diese Technik der Einfühlung in die Herzen und Hirne seiner Figuren gut, und wahrscheinlich ist es auch diese Kunstfertigkeit, die den Roman so lesbar und packend macht. Natürlich ist das, was der Roman sich an literarischer Gestaltung erlaubt, durch keine Aktenlage abgesichert.
Recht häufig geht es in „Metropol“ um Sex, ehelichen und außerehelichen, was nicht verwundert, wenn man sich Sex als eine Ressource vorstellt, die auch in Zeiten der sonstigen Mangelwirtschaft einigermaßen ausreichend zur Verfügung steht. So gesehen, hat Sex in „Metropol“ den Realismus an seiner Seite. Für die psychologischen und politischen Facetten des sozialistischen Sexuallebens hat Ruge ein offenes Ohr. Der oberste Richter Ulrich etwa, den seine Ehefrau nur noch gelegentlich „ranlässt“ (ein Wort wie aus frühen Arno-Schmidt-Romanen), sucht und findet Abwechslung bei verzweifelten Ehefrauen seiner Angeklagten. Charlotte, die zeitweilig Anstellung in der „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter“ gefunden hat, lässt sich auf eine wilde Büro-Affäre mit ihrem Chef ein, während sie Wilhelm, dem erotisch erloschenen Ehemann, nur noch sporadisch und auf dessen sanfte Bitte „Gutes tut“. Dies und vieles andere Private wird von Ruge fein beschrieben, hat einige Wahrscheinlichkeit für sich und liest sich oft geradezu süffig. In der Kaderakte steht so etwas natürlich nicht. Was wüsste man aus ihr über Charlottes Lippenstift, über ihre heimlichen Besuche an der Kuchentheke, und vor allem, über ihre alltägliche und -nächtliche Angst, als nächste abgeholt und exekutiert zu werden? Dass Ruge diese extremen Stimmungslagen zwischen Lebenslust und Todesangst greifbar, nachvollziehbar macht, ist seine literarische Leistung. Dass er, indem er aus Charlotte Literatur macht, in gewisser Weise dem Schweigen seiner Großmutter untreu wird, ist der Preis, der bei dem gewählten literarischen Verfahren zu entrichten war.
Viel ist zuletzt geschrieben worden über Moskau 1937 und den großen Terror. Sein Buch habe „der Stalinismus-Forschung nichts hinzuzufügen“, bemerkt Ruge im „Epilog“ seines Romans, dem vielleicht interessantesten Teil seines Buches. Man kann ihm zustimmen: „Metropol“ fügt weniger der Stalinismus-Forschung etwas hinzu als der Familiengeschichte der Ruges. Weder darf man von „Metropol“ erwarten, dass in ihm die unbeirrte Gefolgschaft seiner Figuren zum Stalinismus aufgeklärt würde, noch findet hier eine first hand-Abrechnung mit Stalins Terror statt, wie sie literarische Zeitzeugen von Koestler bis Jiri Weil aufs Eindrucksvollste geliefert haben.
Charlotte und Wilhelm, waren, anders als etwa der „trotzkistische Bandit EMEL“ keine Intellektuellen, keine Ideologen, sondern eher nur die Sachbearbeiter und Mitläufer der Weltrevolution. An Abenteuern hat es in ihren Leben weiß Gott nicht gefehlt, aber man würde gerne noch besser verstehen, wie es eine ganze Generation von Kommunisten geschafft hat, sich das eigene Denken von einer Partei verbieten zu lassen, die immer Recht hatte. Tiefer als Charlotte und Wilhelm im Hotel Metropol 1937 kann man nicht in den Malstrom des Stalinismus geschaut haben. Der Schrecken muss so groß gewesen sein, dass sie ihn fortan aus ihren Leben verbannten. Statt für „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“, um Freuds Begriffe zu verwenden, haben sich die Beiden verständlicherweise für die Verdrängung entschieden. Aber von diesem Nichterzählenwollen kann auch der beste Erzähler schwer erzählen.
CHRISTOPH BARTMANN
Die Figuren sind keine
Intellektuellen, eher Mitläufer
der Weltrevolution
Eugen Ruge: Metropol. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019.
432 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Nicht zuletzt geht es in diesem großen Roman um die blutig enttäuschten Träume und Irrtümer, die Charlotte und Wilhelm nur zufällig überlebten - und deren Drama jetzt hoffentlich viele berühren wird. Alexander Cammann Die Zeit 20191030
+++Ein herausragender zeitgeschichtlicher Roman+++
Nach dem internationalen Erfolg von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie - in einem herausragenden zeitgeschichtlichen Roman.
Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist …
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+++Ein herausragender zeitgeschichtlicher Roman+++
Nach dem internationalen Erfolg von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie - in einem herausragenden zeitgeschichtlichen Roman.
Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Im Spätsommer bricht sie mit ihrem Mann und der jungen Britin Jill auf zu einer mehrwöchigen Reise durch die neue Heimat Sowjetunion. Die Hitze ist überwältigend, Stalins Strände sind schmal und steinig und die Reisenden bald beherrscht von einer Spannung, die beinahe körperlich greifbar wird. Es verbindet sie mehr, als sich auf den ersten Blick erschließt: Sie sind Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Komintern, wo Kommunisten aller Länder beschäftigt sind. Umso schwerer wiegt, dass unter den "Volksfeinden", denen gerade in Moskau der Prozess gemacht wird, einer ist, den Lotte besser kennt, als ihr lieb sein kann.
"Metropol" folgt drei Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Überzeugung und Wissen, Loyalität und Gehorsam, Verdächtigung und Verrat. Ungeheuerlich ist der politische Terror der 1930er Jahre, aber mehr noch: was Menschen zu glauben imstande sind. "Die wahrscheinlichen Details sind erfunden", schreibt Eugen Ruge, "die unwahrscheinlichsten aber sind wahr." Und die Frau mit dem Decknamen Lotte Germaine, die am Ende jenes Sommers im berühmten Hotel Metropol einem ungewissen Schicksal entgegensieht, war seine Großmutter.
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Geistige Wegbereiter der DDR
Acht Jahre nach seinem erfolgreichen Debütroman ist nun von Eugen Ruge mit «Metropol» ein Prequel erschienen, der nach dem berühmten Moskauer Hotel benannte Roman geht seiner DDR-Saga zeitlich voraus und behandelt die stalinistischen …
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Geistige Wegbereiter der DDR
Acht Jahre nach seinem erfolgreichen Debütroman ist nun von Eugen Ruge mit «Metropol» ein Prequel erschienen, der nach dem berühmten Moskauer Hotel benannte Roman geht seiner DDR-Saga zeitlich voraus und behandelt die stalinistischen Säuberungen von 1936/37. Die Erzählung wird durch einen Prolog eingeleitet, in dem der in Russland geborene Autor berichtet, auf welch unglaublich kompliziertem Weg er zu den Kopien der Kaderakte seiner Großmutter Charlotte gekommen ist, 246 Blatt handschriftlich durchnummeriert, als ‹Streng geheim› klassifiziert und mit ‹Aufgehoben› übergestempelt. Diese Unterlagen sind Grundlage seiner Geschichte, über deren auf Fakten beruhenden und fiktional kräftig angereicherten Erzählstoff er im Klappentext erklärt: «Die wahrscheinlichen Details sind erfunden, die unwahrscheinlichsten aber sind wahr». Und das trifft auch gleich auf den Prolog zu, in dem man auf knapp vier Seiten beispielhaft ablesen kann, woran der Kommunismus letztendlich gescheitert ist, - an seiner grotesken Bürokratie nämlich, der Charlotte ihr eher unwahrscheinliches Überleben verdankt.
Auf der Flucht vor den Nazis ist die überzeugte, linientreue Kommunistin mit ihrem Lebensgefährten Wilhelm nach Moskau emigriert, sie ist dort unter dem Decknamen Lotte Germaine für den Nachrichtendienst der Komintern tätig, der Weltorganisation der kommunistischen Parteien, und Wilhelm arbeitet als Agent für deren Geheimdienst. Als während der stalinistischen Säuberungen einem ihrer Bekannten als Volksfeind der Prozess gemacht wird, geraten auch sie ins Visier des NKWD, der allmächtigen, an kein Gesetz gebundenen politischen Polizei. Sie werden vom Dienst suspendiert, müssen ihre Wohnung verlassen und werden ins Hotel Metropol eingewiesen. Dort verbringen sie wartend 477 Tage, ohne Verhör, ohne Anklage, ehe dann völlig überraschend ihre Ausreise nach Frankreich verfügt wird. Neben Charlotte gibt es mit Hilde, der ersten Frau von Wilhelm, die als Sekretärin arbeitet für einen hohen Funktionär mit direktem Draht zu Stalin, einen abwechselnd erzählten zweiten Handlungsstrang. Hilde hat Charlotte denunziert, hat jedoch weniger Glück als sie. In größeren Abständen wird in einem dritten Strang schließlich von Wassili Wassiljewitsch Ulrich erzählt, dem mächtigen Vorsitzenden der Moskauer Schauprozesse, der während dieser Terrorzeit mehr als 30.000 Todesurteile unterzeichnet hat.
Letzteres erfährt man aus dem Epilog, diesem zusammen mit dem Prolog außerhalb des Romans stehenden Rahmentext, wo näher erläutert wird, wie das Buch entstanden ist, welche Ergebnisse die umfangreiche Recherche von Eugen Ruge erbracht hat und welches Schicksal die einzelnen Figuren dann tatsächlich erlitten haben, soweit das bekannt geworden ist. Der Fokus jedoch liegt auf Charlotte, der dreizehn von zwanzig Kapiteln des Romans gewidmet sind. Die eineinhalb Jahre im Hotel Metropol, in dem auch der Richter Ulrich residiert, erscheinen als beklemmende Zeit voller Angst und böser Ahnungen, niemand traut mehr irgendwem, man bespitzelt sich gegenseitig und denunziert den anderen, es herrscht grenzenlose Willkür. In der kommt es dann auch zu unkalkulierbar grotesken Zufällen, wie das aus einer Laune heraus gefällte Todesurteil für Hilde exemplarisch belegt.
Der Mikrokosmos der Hotels Metropol, in dem kurzzeitig auch Lion Feuchtwanger als willfähriger Prozessbeobachter direkt neben Charlotte und Wilhelm wohnt, wird hier atmosphärisch dicht, aber leider nicht ganz klischeefrei beschrieben. Besonders aufschlussreich sind die Passagen, in denen die Psyche der diversen Akteure mit ihrer ständigen Angst, vielleicht als nächster abgeholt zu werden, durchaus stimmig geschildert wird, oft im Stil der erlebten Rede. Eugen Ruge füllt hiermit eine Lücke, die deutschen Kommunisten in Moskau als geistige Wegbereiter der DDR werden literarisch hierzulande ja eher selten thematisiert. Insoweit ist dieser Roman wichtig und als bereichernde Lektüre unbedingt zu empfeh
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Im Wartesaal des Todes
Dieses Bild von Volker Weidermann passt am Besten zu der Geschichte von Charlotte, der Großmutter des Autors, die von 1936 mehr als ein Jahr im Moskauer Luxushotel, das sie als Luxusgefängnis empfindet, miterlebt, wie nach und nach ihre Nachbarn, andere Bekannte …
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Im Wartesaal des Todes
Dieses Bild von Volker Weidermann passt am Besten zu der Geschichte von Charlotte, der Großmutter des Autors, die von 1936 mehr als ein Jahr im Moskauer Luxushotel, das sie als Luxusgefängnis empfindet, miterlebt, wie nach und nach ihre Nachbarn, andere Bekannte und Arbeitskollegen immer nachts von den Mitarbeitern des Geheimdienstes abgeholt werden. Da es im Hotel nur Mittagessen gibt, muss sie mit Schlange stehen, wenn sie einkaufen geht. Und die Geschichte wie ihre sozialistischen Schuhe mit Pappsohlen von einem bürgerlichen Handwerker korrigiert werden, ist ein weiterer Höhepunkt.
Nur kurz darf Charlotte ihr "Gefängnis" verlassen, als sie eine Arbeit findet in der Redaktion als ins Deutsche übersetzende Journalistin. Als aber ihre Bekannte Hilde Tal verhaftet wird, verliert auch sie ihre Stelle.
Wir hören vom Richter eines Militärgerichtes, der mit der Frau eines Angeklagten schlafen will, die ihre Ehre für die Freiheit ihres Mannes opfern will und der trotzdem am Todesurteil festhält. Der deutsche Schriftsteller Feuchtwanger, der zufällig einige Zeit im Zimmer neben der Hauptdarstellerin wohnt, hält diese stalinistische Schauprozesse sogar noch für gerecht.
Insa Wilke hat anscheinend bessere Bücher über den Stalinismus gelesen, Thea Dorn liest ein Recht zum Zweifel heraus. Ich ziehe erstaunt meinen Hut und vergebe als Neuling im Stalinismus mit Vergnügen 5 Sterne.
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