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Tove Ditlevsen
Audio-CD
Jugend / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.2 (4 MP3-CDs)
Teil 2 der Kopenhagen-Trilogie. Ungekürzte Lesung mit Dagmar Manzel (4 CDs), Lesung. CD Standard Audio Format
Übersetzung: Allenstein, Ursel;Gesprochen: Manzel, Dagmar
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Wie intensiv kann ein Leben sein? Tove Ditlevsen schreibt über ein Frauenleben, ihr eigenes, so bewegend und universell wie niemand sonst. »JUGEND« erzählt von der Zeit, in der Tove sich voller Energie ins Leben stürzt. Mit 14 Jahren verlässt sie die Schule, beginnt, in Kopenhagen eine Reihe von kleinen Jobs anzunehmen, arbeitet als Dienstmädchen und Bürogehilfin, sie schlägt sich durch. Mit 17 zieht sie bei den Eltern aus, geht tanzen, lernt Männer kennen, und die Möglichkeit, ein eigenes Buch zu veröffentlichen, rückt in greifbare Nähe. Das Porträt einer jungen Frau, die entsc...
Wie intensiv kann ein Leben sein? Tove Ditlevsen schreibt über ein Frauenleben, ihr eigenes, so bewegend und universell wie niemand sonst. »JUGEND« erzählt von der Zeit, in der Tove sich voller Energie ins Leben stürzt. Mit 14 Jahren verlässt sie die Schule, beginnt, in Kopenhagen eine Reihe von kleinen Jobs anzunehmen, arbeitet als Dienstmädchen und Bürogehilfin, sie schlägt sich durch. Mit 17 zieht sie bei den Eltern aus, geht tanzen, lernt Männer kennen, und die Möglichkeit, ein eigenes Buch zu veröffentlichen, rückt in greifbare Nähe. Das Porträt einer jungen Frau, die entschieden ins Leben zieht. Tove Ditlevsens Meisterwerk, die Kopenhagen-Trilogie, wird weltweit als große literarische Wiederentdeckung gefeiert.Ungekürzte Lesung mit Dagmar Manzel4 CDs ca. 4 h 32 min
Tove Ditlevsen (1917¿1976) stammte aus einer Arbeiterfamilie in Kopenhagen. Mit 14 Jahren verließ sie die Schule und mit 17 ihr Elternhaus; sie arbeitete als Dienstmädchen und Bürogehilfin. In dieser Zeit schrieb sie bereits Lyrik. Ihr erster Gedichtband machte sie mit 20 Jahren berühmt. Sie gilt inzwischen als eine der bedeutendsten Stimmen Dänemarks.
Produktdetails
- Verlag: Der Audio Verlag, Dav
- Anzahl: 4 Audio CDs
- Gesamtlaufzeit: 272 Min.
- Erscheinungstermin: 19. Februar 2021
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783742419972
- Artikelnr.: 60471238
Herstellerkennzeichnung
Audio Verlag Der GmbH
Hardenbergstraße 9A
10623 Berlin
info@der-audio-verlag.de
Vielleicht bist du selbst so kompliziert
Die Erinnerungen der dänischen Dichterin Tove Ditlevsen aus den zwanziger bis vierziger Jahren
Ein jegliches hat seine Zeit, steht bei Salomo, das gilt auch für die Literatur. Auch ein Text - hier sind Übersetzungen gemeint - muss offenbar auf seine Zeit warten, in der seine Stärken oder seine Brisanz erkannt werden können (wenn es nicht nur eine Frage des Zeitgeistes ist). Als 1986 Annie Ernaux' "Das bessere Leben" erschien, war es ein Buch unter vielen; beachtet und geachtet wurde erst die Neuübersetzung von 2019 unter dem (passenderen) Titel "Der Platz". Bei der Dänin Tove Ditlevsen (1917 bis 1976), jetzt als Vorläuferin von Ernaux gehandelt, erleben wir Ähnliches. Der
Die Erinnerungen der dänischen Dichterin Tove Ditlevsen aus den zwanziger bis vierziger Jahren
Ein jegliches hat seine Zeit, steht bei Salomo, das gilt auch für die Literatur. Auch ein Text - hier sind Übersetzungen gemeint - muss offenbar auf seine Zeit warten, in der seine Stärken oder seine Brisanz erkannt werden können (wenn es nicht nur eine Frage des Zeitgeistes ist). Als 1986 Annie Ernaux' "Das bessere Leben" erschien, war es ein Buch unter vielen; beachtet und geachtet wurde erst die Neuübersetzung von 2019 unter dem (passenderen) Titel "Der Platz". Bei der Dänin Tove Ditlevsen (1917 bis 1976), jetzt als Vorläuferin von Ernaux gehandelt, erleben wir Ähnliches. Der
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dritte Band ihrer Erinnerungen erschien unter dem Titel "Sucht" schon vor vierzig Jahren auf Deutsch; er wurde kaum bemerkt. Das ist jetzt anders, er ist als "Abhängigkeit" neu übersetzt erschienen, und mit ihm liegen nun auch die beiden anderen autobiographischen Bände vor (der Verlag erklärt die Bücher werbewirksam kurzerhand zu einer "Kopenhagen-Trilogie"). Auf Englisch haben Ditlevsens Erinnerungen in den vergangenen Jahren bereits Furore gemacht. Nun sind auch die deutschen Rezensionen emphatisch. Die Zeit war offenbar reif.
"Am Morgen war die Hoffnung da. Sie saß als flüchtiger Schimmer im glatten, schwarzen Haar meiner Mutter ... und lag mir auf der Zunge wie der Zucker im lauwarmen Haferbrei ... während ich ihre schmalen, gefalteten Hände betrachtete ..." Ausgerechnet der Anfang hat so gar nicht die Schlankheit und Natürlichkeit, für die Tove Ditlevsens Schreibweise sonst gelobt wird. Der drohende Kitsch setzt sich gottlob nicht fort. Ihr Stil ist überwiegend einfach, persönlich und unaffektiert. Die einleitenden Sätze zeigen den Willen der Autorin (die "Kindheit" und "Jugend" im Alter von etwa fünfzig geschrieben hat, "Abhängigkeit" knapp fünf Jahre später), ihr Leben, wie sie es in dieser "Trilogie" beschreibt und wie man es aus anderen Büchern wie "Wilhelms Zimmer" (deutsch 1981) kennt, mit Hilfe teils "zuckriger", teils religiöser Bilder in ein Kunstwerk zu verwandeln und dadurch auf Distanz zu halten.
"Kindheit" handelt von Toves geistigen Überlebensstrategien im engen Milieu des Kopenhagener Arbeiterbezirks Vesterbro der zwanziger Jahre und ihrem ambivalenten Verhältnis zu den grundverschiedenen Eltern. Der Vater ist überzeugter Sozialdemokrat und fleißiger Leser, aber er und seine Tochter finden keinen Zugang zueinander. Die Beziehung zur Mutter ist verbohrt. Das Mädchen will geliebt werden. Aber die Mutter hasst das Lesen: "Was in Büchern steht, ist gelogen." Wenn die erwachsene Autorin an sie zurückdenkt, dann mit "Zorn, Trauer, Mitleid".
Mit zielstrebiger Energie geht die junge Tove ihren Weg als Autorin. Schon als Mädchen will sie nur eins, nämlich schreiben. Aber auch veröffentlichen. Mit vierzehn wagt sie sich mit ihrem Poesiealbum voller Gedichte zu einer Zeitung. Als der Redakteur sie abweist, ist sie am Boden zerstört. Irgendwann lernt sie den Antiquar Krogh kennen, von dem sie sich verstanden fühlt. Ausgerechnet bei ihm, der von lauter Büchern, also Fiktionen, umgeben ist, kommt ihr das Leben "wirklich" vor. Zur Wirklichkeit gehört aber auch noch etwas anderes, was sie von Krogh lernt: dass Menschen einander nützlich sein können. Die Lehre nimmt sie gerne an: "Mir wird immer stärker bewusst, dass ich zu nichts anderem tauge ..., als Worte aneinanderzureihen ... Um das zu können, muss ich die Menschen ... beobachten, in etwa so, als würde ich sie für den späteren Gebrauch in einem Archiv ablegen."
Die soziale und politische Wirklichkeit - Dänemark unter der Regierung des Sozialdemokraten Stauning, die deutsche Besetzung 1940, das Kriegsende - kommt nur am Rande vor. Wenn die Historie eine Rolle spielt, dann in Verbindung mit persönlicher Betroffenheit wie nach dem tragischen Unfalltod des jungen Lyrikers Morten Nielsen. Tove Ditlevsen ist unpolitisch: "Die Wirklichkeit hat mich noch nie interessiert", sagt sie in ihrer "Trilogie", die doch nichts anderes als die Wirklichkeit schildern soll. Aber sie unterscheidet zwischen "Wahrheiten des Herzens" und "grauen Tatsachen". Ihre Wirklichkeit ist seelisch. Sie sucht auch nicht das politische Engagement, sondern geht eher freudianisch vor - obwohl sie "nicht einmal weiß, wer dieser Freud ist". Ängste und Angewohnheiten haben ihren Ursprung in der Kindheit. Diese kann man nicht abschütteln, "sie hängt an einem wie ein Geruch".
An den Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsensein kommt sie ihrem Inneren am nächsten. An diesen Übergängen sind auch Angst und Einsamkeit am größten, zwei Gefühle, die sie zeitlebens begleiten. Das unterscheidet ihre Erinnerungen von herkömmlichen Autobiographien, die verfasst werden, weil man von der eigenen Wichtigkeit überzeugt ist. Tove Ditlevsen aber schreibt, weil sie wissen will, wer sie ist - ähnlich wie heute der Norweger Knausgård. Aber im Gegensatz zu diesem, der sich in reflexiven Passagen immer wieder vom Ich löst, bleibt das Ich bei Ditlevsen stets Bezugs- und Ausgangspunkt.
1939, am Ende von "Jugend", debütiert sie mit dem Gedichtband "Mädchenseele". Dessen Bilder sind konventionell, Reime und Rhythmus traditionell, die Empfindungen aber echt und ehrlich. Die Gedichte sind auch sentimental, aber nicht kitschig, weil sie nicht falsch sind, sie sind ergreifend, nicht rührselig. Der Kritiker Poul Borum schrieb später: "Sie bringt einen dazu, Sentimentalität als natürliches menschliches Gefühl zu akzeptieren."
Ihr Leben ist voller Widersprüche. Sie hasst Veränderungen, sehnt sich "wie alle jungen Mädchen nach einem Zuhause und einem Mann und Kindern" und will einfach "normal" sein. Gleichzeitig weiß sie natürlich, dass sie eben nicht normal ist und es eigentlich auch nicht sein will. Welche Erleichterung, als sie mit achtzehn Jahren Viggo F. Møller kennenlernt, den Herausgeber der führenden Literaturzeitschrift "Wilder Weizen"! Sie heiratet den rundlichen, alleinstehenden, mehr als dreißig Jahre älteren Herrn. Sie mag ihn, aber sie liebt ihn nicht. Er ist ihr nützlich. Bei ihm kann sie ihre Gedichte publizieren. Und durch ihn und seinen Klub junger Künstler lernt sie Talente kennen, die später berühmt werden sollten: Sonja Hauberg, Halfdan Rasmussen, Ester Nagel, Erik Knudsen, Piet Hein.
Mit Letzterem hat sie eine Affäre, sie trennt sich von Viggo F. und heiratet den Studenten Ebbe, mit dem sie eine Tochter hat. Ein zweites Kind will sie nicht, sie lässt es abtreiben, sie ist erleichtert und schuldbeladen. Ein junger Arzt injiziert ihr das Schmerzmittel Pethidin, von dem sie jahrelang abhängig wird. Er heißt Carl Ryberg, er wird ihr dritter Ehemann. Sie braucht ihn, er verschafft ihr die Seligkeit, den nötigen Abstand zum Alltag. Erst der Journalist Victor Andreasen kann sie zumindest zeitweise retten. Er wird ihr vierter Ehemann.
Irgendwo heißt es einmal sehr richtig: "Vielleicht bist du selbst kompliziert, und deshalb ist es dein Leben auch." Je nach Lage und Laune ist sie zielbewusst und von Selbstzweifeln geplagt, naiv und stolz. Manchmal ist sie von ungewöhnlicher Passivität, sie lässt die Dinge geschehen. Und kann sie eigentlich wirklich lieben - außer in ihren Gedichten? Gleichzeitig hat sie eine starke Menschenkenntnis und kühle Beobachtungsgabe, und konventionellen Tabuvorstellungen gegenüber ist sie furchtlos. Die innere Angst ist trotzdem immer da. Ditlevsen ist so erstaunlich, weil ihre Texte eine künstlerische Festigkeit haben, obwohl ihre Gefühlswelt so unstet und schwankend ist. Aber ist es nicht das, was uns fasziniert? Diese Mischung aus Tristesse, entwaffnender Naivität, Stolz und Zielstrebigkeit? Die "sonderbaren Spiele ihres Herzens", wie es in ihrem berühmten Gedicht "Warnung" heißt, haben sie ihr Leben lang begleitet. 1967 in "Kindheit", neun Jahre vor ihrem Selbstmord, schreibt sie: "Nur der Tod kann einen davon erlösen."
Auf dem den drei Büchern beigelegten Lesezeichen steht ein Spruch, der so selbstverständlich ist, dass er nichtssagend wird: "Frauen erzählen Geschichten anders." Man kann von jedem Menschen exakt dasselbe sagen. Was ist gemeint? Natürlich, wir können Tove Ditlevsen lesen, weil sie eine Frau ist. Wir können auch Knausgård lesen, weil er ein Mann ist. Männer erzählen Geschichten anders. Wir sehen schon, man verrennt sich hier. Nennen wir lieber einen echten Grund, warum wir Tove Ditlevsen lesen können. Es ist die unergründliche Ambivalenz ihrer Persönlichkeit, die ihre Erinnerungen so spannend macht.
PETER URBAN-HALLE
Tove Ditlevsen: "Kindheit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 120 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Jugend".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 154 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Abhängigkeit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 176 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Am Morgen war die Hoffnung da. Sie saß als flüchtiger Schimmer im glatten, schwarzen Haar meiner Mutter ... und lag mir auf der Zunge wie der Zucker im lauwarmen Haferbrei ... während ich ihre schmalen, gefalteten Hände betrachtete ..." Ausgerechnet der Anfang hat so gar nicht die Schlankheit und Natürlichkeit, für die Tove Ditlevsens Schreibweise sonst gelobt wird. Der drohende Kitsch setzt sich gottlob nicht fort. Ihr Stil ist überwiegend einfach, persönlich und unaffektiert. Die einleitenden Sätze zeigen den Willen der Autorin (die "Kindheit" und "Jugend" im Alter von etwa fünfzig geschrieben hat, "Abhängigkeit" knapp fünf Jahre später), ihr Leben, wie sie es in dieser "Trilogie" beschreibt und wie man es aus anderen Büchern wie "Wilhelms Zimmer" (deutsch 1981) kennt, mit Hilfe teils "zuckriger", teils religiöser Bilder in ein Kunstwerk zu verwandeln und dadurch auf Distanz zu halten.
"Kindheit" handelt von Toves geistigen Überlebensstrategien im engen Milieu des Kopenhagener Arbeiterbezirks Vesterbro der zwanziger Jahre und ihrem ambivalenten Verhältnis zu den grundverschiedenen Eltern. Der Vater ist überzeugter Sozialdemokrat und fleißiger Leser, aber er und seine Tochter finden keinen Zugang zueinander. Die Beziehung zur Mutter ist verbohrt. Das Mädchen will geliebt werden. Aber die Mutter hasst das Lesen: "Was in Büchern steht, ist gelogen." Wenn die erwachsene Autorin an sie zurückdenkt, dann mit "Zorn, Trauer, Mitleid".
Mit zielstrebiger Energie geht die junge Tove ihren Weg als Autorin. Schon als Mädchen will sie nur eins, nämlich schreiben. Aber auch veröffentlichen. Mit vierzehn wagt sie sich mit ihrem Poesiealbum voller Gedichte zu einer Zeitung. Als der Redakteur sie abweist, ist sie am Boden zerstört. Irgendwann lernt sie den Antiquar Krogh kennen, von dem sie sich verstanden fühlt. Ausgerechnet bei ihm, der von lauter Büchern, also Fiktionen, umgeben ist, kommt ihr das Leben "wirklich" vor. Zur Wirklichkeit gehört aber auch noch etwas anderes, was sie von Krogh lernt: dass Menschen einander nützlich sein können. Die Lehre nimmt sie gerne an: "Mir wird immer stärker bewusst, dass ich zu nichts anderem tauge ..., als Worte aneinanderzureihen ... Um das zu können, muss ich die Menschen ... beobachten, in etwa so, als würde ich sie für den späteren Gebrauch in einem Archiv ablegen."
Die soziale und politische Wirklichkeit - Dänemark unter der Regierung des Sozialdemokraten Stauning, die deutsche Besetzung 1940, das Kriegsende - kommt nur am Rande vor. Wenn die Historie eine Rolle spielt, dann in Verbindung mit persönlicher Betroffenheit wie nach dem tragischen Unfalltod des jungen Lyrikers Morten Nielsen. Tove Ditlevsen ist unpolitisch: "Die Wirklichkeit hat mich noch nie interessiert", sagt sie in ihrer "Trilogie", die doch nichts anderes als die Wirklichkeit schildern soll. Aber sie unterscheidet zwischen "Wahrheiten des Herzens" und "grauen Tatsachen". Ihre Wirklichkeit ist seelisch. Sie sucht auch nicht das politische Engagement, sondern geht eher freudianisch vor - obwohl sie "nicht einmal weiß, wer dieser Freud ist". Ängste und Angewohnheiten haben ihren Ursprung in der Kindheit. Diese kann man nicht abschütteln, "sie hängt an einem wie ein Geruch".
An den Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsensein kommt sie ihrem Inneren am nächsten. An diesen Übergängen sind auch Angst und Einsamkeit am größten, zwei Gefühle, die sie zeitlebens begleiten. Das unterscheidet ihre Erinnerungen von herkömmlichen Autobiographien, die verfasst werden, weil man von der eigenen Wichtigkeit überzeugt ist. Tove Ditlevsen aber schreibt, weil sie wissen will, wer sie ist - ähnlich wie heute der Norweger Knausgård. Aber im Gegensatz zu diesem, der sich in reflexiven Passagen immer wieder vom Ich löst, bleibt das Ich bei Ditlevsen stets Bezugs- und Ausgangspunkt.
1939, am Ende von "Jugend", debütiert sie mit dem Gedichtband "Mädchenseele". Dessen Bilder sind konventionell, Reime und Rhythmus traditionell, die Empfindungen aber echt und ehrlich. Die Gedichte sind auch sentimental, aber nicht kitschig, weil sie nicht falsch sind, sie sind ergreifend, nicht rührselig. Der Kritiker Poul Borum schrieb später: "Sie bringt einen dazu, Sentimentalität als natürliches menschliches Gefühl zu akzeptieren."
Ihr Leben ist voller Widersprüche. Sie hasst Veränderungen, sehnt sich "wie alle jungen Mädchen nach einem Zuhause und einem Mann und Kindern" und will einfach "normal" sein. Gleichzeitig weiß sie natürlich, dass sie eben nicht normal ist und es eigentlich auch nicht sein will. Welche Erleichterung, als sie mit achtzehn Jahren Viggo F. Møller kennenlernt, den Herausgeber der führenden Literaturzeitschrift "Wilder Weizen"! Sie heiratet den rundlichen, alleinstehenden, mehr als dreißig Jahre älteren Herrn. Sie mag ihn, aber sie liebt ihn nicht. Er ist ihr nützlich. Bei ihm kann sie ihre Gedichte publizieren. Und durch ihn und seinen Klub junger Künstler lernt sie Talente kennen, die später berühmt werden sollten: Sonja Hauberg, Halfdan Rasmussen, Ester Nagel, Erik Knudsen, Piet Hein.
Mit Letzterem hat sie eine Affäre, sie trennt sich von Viggo F. und heiratet den Studenten Ebbe, mit dem sie eine Tochter hat. Ein zweites Kind will sie nicht, sie lässt es abtreiben, sie ist erleichtert und schuldbeladen. Ein junger Arzt injiziert ihr das Schmerzmittel Pethidin, von dem sie jahrelang abhängig wird. Er heißt Carl Ryberg, er wird ihr dritter Ehemann. Sie braucht ihn, er verschafft ihr die Seligkeit, den nötigen Abstand zum Alltag. Erst der Journalist Victor Andreasen kann sie zumindest zeitweise retten. Er wird ihr vierter Ehemann.
Irgendwo heißt es einmal sehr richtig: "Vielleicht bist du selbst kompliziert, und deshalb ist es dein Leben auch." Je nach Lage und Laune ist sie zielbewusst und von Selbstzweifeln geplagt, naiv und stolz. Manchmal ist sie von ungewöhnlicher Passivität, sie lässt die Dinge geschehen. Und kann sie eigentlich wirklich lieben - außer in ihren Gedichten? Gleichzeitig hat sie eine starke Menschenkenntnis und kühle Beobachtungsgabe, und konventionellen Tabuvorstellungen gegenüber ist sie furchtlos. Die innere Angst ist trotzdem immer da. Ditlevsen ist so erstaunlich, weil ihre Texte eine künstlerische Festigkeit haben, obwohl ihre Gefühlswelt so unstet und schwankend ist. Aber ist es nicht das, was uns fasziniert? Diese Mischung aus Tristesse, entwaffnender Naivität, Stolz und Zielstrebigkeit? Die "sonderbaren Spiele ihres Herzens", wie es in ihrem berühmten Gedicht "Warnung" heißt, haben sie ihr Leben lang begleitet. 1967 in "Kindheit", neun Jahre vor ihrem Selbstmord, schreibt sie: "Nur der Tod kann einen davon erlösen."
Auf dem den drei Büchern beigelegten Lesezeichen steht ein Spruch, der so selbstverständlich ist, dass er nichtssagend wird: "Frauen erzählen Geschichten anders." Man kann von jedem Menschen exakt dasselbe sagen. Was ist gemeint? Natürlich, wir können Tove Ditlevsen lesen, weil sie eine Frau ist. Wir können auch Knausgård lesen, weil er ein Mann ist. Männer erzählen Geschichten anders. Wir sehen schon, man verrennt sich hier. Nennen wir lieber einen echten Grund, warum wir Tove Ditlevsen lesen können. Es ist die unergründliche Ambivalenz ihrer Persönlichkeit, die ihre Erinnerungen so spannend macht.
PETER URBAN-HALLE
Tove Ditlevsen: "Kindheit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 120 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Jugend".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 154 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Abhängigkeit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 176 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Eine monumentale Autorin!« Patti Smith
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr zitatreich resümiert Rezensent Peter Urban-Halle die drei Bände von Tove Ditlevsens Kopenhagen-Trilogie, um sich dann den dringenden Leseempfehlungen seiner KritikerkollegInnen anzuschließen. Zumindest der dritte Band lag vor 40 Jahren bereits unter dem Titel "Sucht" auf Deutsch vor, aber offenbar war die Zeit noch nicht reif für die Erinnerungen der Dänin, glaubt der Kritiker. Wie Karl Ove Knausgard und Annie Ernaux, als deren Vorläuferin Ditlevsen gilt, seziert sie das eigene Ich, löst sich allerdings nie davon, fährt der Rezensent fort: Ganz gleich, ob die Autorin die Gefühle von Angst und Einsamkeit in Kindheit und Jugend schildert, oder von Affären, Sucht und Abtreibung in den späteren Lebensjahren erzählt, die soziale und politische Realität ist nur als Hintergrundrauschen vernehmbar, erkennt Urban-Halle. Mit der "kühlen Beobachtungsgabe" und "künstlerischen Festigkeit", mit der Ditlevsen ihre widersprüchlichen Gefühle in eine Form bringt, begründet der Kritiker seine Lektüreempfehlung.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Beiläufigkeit, mit der sie sich beschreibt, selbst ihre Abstürze und Psychosen, ihre feinziselierten, wie hingetupften Beobachtungen - alles von einer unwiderstehlichen, soghaften Intensität.« WDR 3 20210412
Gebundenes Buch
„Jugend” ist der zweite Teil der „Kopenhagen Trilogie“ von Tove Ditlevsen. Ursprünglich waren die ersten beiden Teile „Kindheit“ und „Jugend“ 1969 in dem Band „Den tidlig forår“ veröffentlich worden, auf Deutsch erscheint …
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„Jugend” ist der zweite Teil der „Kopenhagen Trilogie“ von Tove Ditlevsen. Ursprünglich waren die ersten beiden Teile „Kindheit“ und „Jugend“ 1969 in dem Band „Den tidlig forår“ veröffentlich worden, auf Deutsch erscheint die Trilogie über 40 Jahre nach Tove Ditlevsens Tod zum ersten Mal. Das Buch schließt nahtlos an den ersten Band an, die Autorin beschreibt die Zeit nach ihrer Konfirmation, also ab dem Alter von etwa 14 Jahren.
Tove versucht, sich mehr und mehr von der Familie zu emanzipieren, die sie zwar nicht unterstützt, gerne aber ihr Kostgeld zum Lebensunterhalt annimmt. („Wir sind nur deinetwegen umgezogen“, klagt meine Mutter verbittert, „damit du dein eigenes Zimmer zum Dichten bekommst. Aber das kümmert dich nicht. Und jetzt ist dein Vater wieder arbeitslos. Wir können nicht auf deinen Beitrag zur Miete verzichten.“) Ihr Bruder Edvin hat die elterliche Wohnung bereits verlassen, später heiratet er sogar heimlich. Und auch Tove träumt von einem eigenständigen Leben und von einem Leben als Schriftstellerin.
Aber erst einmal muss sie eine Arbeit finden, die ihr ein Auskommen ermöglicht, denn dass sie Dichterin werden könnte, ist vor allem für den Vater undenkbar. Und so landet sie erst als Haushälterin in einer Familie, dort hält sie es genau einen Tag aus. Nach einer Episode als Hilfskraft in einem Hotel bekommt sie verschiedene Anstellungen als Schreib- und Bürokraft, nebenher dichtet sie ab und zu für Kollegen Lieder. Und sie zieht aus der elterlichen Wohnung aus und bezieht ein möbliertes Zimmer in Østerbro, aus dem unangepassten Mädchen aus „Kindheit“ wird eine ebenso unangepasste junge Frau. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Arbeit, wenig Freizeitvergnügen (viel ist nicht möglich, da sie kaum Geld hat, aber auch weil der 2. Weltkrieg vor der Tür steht) und dem Schreiben.
Sie trifft den 30 Jahre älteren Verleger Viggo Fr. Møller, der in seiner Zeitschrift „Wilder Weizen“ (Vild Hvede) ihr erstes Gedicht veröffentlicht und sie 1939 bei der Veröffentlichung ihrer ersten Gedichtsammlung „Mädchenseele“ (Pigesind) unterstützt. („Könnten Sie sich vorstellen“, fragt Viggo F. Møller, „einen Gedichtband zu veröffentlichen?“ Er sagt das, als wäre es nichts Außergewöhnliches. Er sagt es, als wäre es etwas ganz Alltägliches für mich, Gedichtbände zu veröffentlichen; als wäre es nicht, solange ich denken kann, mein heißester Wunsch. Und ich antworte mit einer dünnen, alltäglichen Stimme, das könne ich mir durchaus vorstellen, ich hätte nur noch nie darüber nachgedacht.)
Wer Tove Ditlevsens Biografie kennt, weiß, dass sie ihn heiraten wird (über ihre Ehen schreibt sie in „Abhängigkeit“, dem dritten Teil der Trilogie). Tove Ditlevsen schreibt, wie man es von ihr gewohnt ist: schonungslos deskriptiv und dennoch bildhaft und poetisch. Ihr Hunger ist spürbar: aufs Schreiben, Liebe und vor allem aufs Leben. Es ist ein Coming-of Age Roman, der Bericht über eine, die es geschafft hat: raus aus der armen Arbeiterfamilie, rein in die „feinere Gesellschaft“ („Ich habe viele Berühmtheiten getroffen. Ich habe sie gesehen, mit ihnen gesprochen, neben ihnen gesessen, mit ihnen getanzt. Sowie ich den Saal betreten hatte, bewegte ich mich in einer ganz anderen Sphäre als gewöhnlich.“) Dazu zeichnet sie ein kritisches Bild der dänischen Gesellschaft vor dem 2. Weltkrieg, denn auch in Dänemark gab es überzeugte Nazis. Das Buch thematisiert darüber hinaus Emanzipation und den Wunsch nach einem anderen Leben. Toves Wunsch geht scheinbar in Erfüllung (wer ihre Biografie kennt, der weiß, dass es nicht wirklich so ist).
Ein trotz der in der Hauptsache düsteren Grundstimmung eher positiver und schonungslos realistischer Roman – von mir eine klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.
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Gebundenes Buch
Ich habe zuerst das Buch "Gesichter" von Tove Ditlevsen gelesen und war so halb überzeugt. Allerdings hat mich das Buch doch dazu animiert, die Kopenhagen-Triologie zu lesen und plötzlich machte alles Sinn. Ich habe alle drei Bücher in kürzester Zeit durchgesuchtet. Als …
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Ich habe zuerst das Buch "Gesichter" von Tove Ditlevsen gelesen und war so halb überzeugt. Allerdings hat mich das Buch doch dazu animiert, die Kopenhagen-Triologie zu lesen und plötzlich machte alles Sinn. Ich habe alle drei Bücher in kürzester Zeit durchgesuchtet. Als Pendlerin konnte ich es kaum erwarten in den Zug zu steigen und weiterzulesen, was ohne gutes Buch eher eine Anstrengung ist. Ich kann Sie nur empfehlen. Sie haben eine Sichtweise in mir geöffnet, die mir so manche Erklärung bezüglich des Lebens gegeben hat, was ich vorher nicht verstanden habe. Schade, dass es aktuell nur 4 deutschsprachige Bücher von ihr gibt. in jedem Falle lesenswert!
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Gebundenes Buch
Mit dem Schulabschluss und der Konfirmation endete der erste Teil der Kopenhagen-Trilogie. In „Jugend“ beginnt für die Erzählerin der Ernst des Lebens: Ihre Eltern schicken sie trotz ihrer Begabung in die Arbeitswelt statt aufs Gymnasium.
Sie tingelt von einem Job zum …
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Mit dem Schulabschluss und der Konfirmation endete der erste Teil der Kopenhagen-Trilogie. In „Jugend“ beginnt für die Erzählerin der Ernst des Lebens: Ihre Eltern schicken sie trotz ihrer Begabung in die Arbeitswelt statt aufs Gymnasium.
Sie tingelt von einem Job zum nächsten, mal als Haushaltshilfe, mal als Bürogehilfin bei einem Lithografen, wo sie sich zu Tode langweilt und fühlt sich wie ein herrenloser Hund. Durchhalten lautet die Devise, bis sie 18 ist und endlich ausziehen kann. Die Beschreibung ihres Arbeitsalltags, ihrer Kollegen und Vermieterin zeugen wieder von großer Beobachtungsgabe. Der einzige Lichtblick in ihrem Leben ist die Begegnung mit dem Verleger Viggo Fr. Møller, der nicht nur ihre Leidenschaft für Bücher teilt, sondern auch ihr Vorhaben, ihre Gedichte zu veröffentlichen, tatkräftig unterstützt.
Trotz ihres besonderen Talents ist Tove keinesfalls abgehoben - sie trägt gern schöne Kleider, Make-up und vergnügt sich jeden Abend mit ihrer Freundin in Tanzbars. Ihr Lebenshunger ist auf jeder Seite zu spüren. Sie ist fest entschlossen, Schriftstellerin zu werden, doch genauso stark sehnt sie sich danach, zu heiraten und ein Kind zu bekommen wie ein gewöhnliches junges Mädchen. Als Leser wünscht man sich inständig, dass ihr Traum in Erfüllung geht, was wir hoffentlich in Teil 3 erfahren werden.
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Gebundenes Buch
Erwachsenwerden
„Jugend” ist der zweite Teil der „Kopenhagen Trilogie“ von Tove Ditlevsen.
Grob zusammengefasst geht es um das Erwachsenwerden und was dieser große Schritt alles mit sich bringt.
Tove versucht, sich mehr und mehr von der Familie zu emanzipieren und …
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Erwachsenwerden
„Jugend” ist der zweite Teil der „Kopenhagen Trilogie“ von Tove Ditlevsen.
Grob zusammengefasst geht es um das Erwachsenwerden und was dieser große Schritt alles mit sich bringt.
Tove versucht, sich mehr und mehr von der Familie zu emanzipieren und ihren eigenen Weg zu gehen.
Obwohl in der in der Haupthandlung eher düsteren Grundstimmung, ist es allgemein ein doch recht positiver und schonungslos realistischer Roman. Es lässt sich zwar nicht leicht und locker weg lesen, doch steckt so viel Gefühl und ein Hauch Melancholie darin, dass es sich zu lesen lohnt.
Ich hoffe sehr, dass auch der dritte Teil dieses Level halten kann und bin schon gespannt ihn zu lesen.
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Gebundenes Buch
Zweiter Teil der Kopenhagen-Trilogie
Der erste Band Kindheit war recht beeindruckend. In Teil 2 wird zunächst relativ unspektakulär Toves Jugend in Dänemark geschildert. Sie ist ca. 15 Jahre alt, weiterhin sensibel, emotional aber auch zurückhaltend. Es drohen unruhige …
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Zweiter Teil der Kopenhagen-Trilogie
Der erste Band Kindheit war recht beeindruckend. In Teil 2 wird zunächst relativ unspektakulär Toves Jugend in Dänemark geschildert. Sie ist ca. 15 Jahre alt, weiterhin sensibel, emotional aber auch zurückhaltend. Es drohen unruhige Zeiten. Hitler ist an die Macht gekommen, Mussolini viel im Gespräch.
Tove ist nicht sehr verliebt, verlobt sich aber dennoch mit Aksel. Eine eher laue Sache.
Tove ist jung, aber nicht naiv. Mit 18 liest sie liest viel, auch über Judenverfolgung und Konzentrationslager und weiß daher, die politischen Zeiten einzuschätzen.
Schließlich nimmt ihre Arbeit als Dichterin Gestalt an.
Tove Ditlevsens Art vollkommen ehrlich über ihr Leben zu schreiben entfaltet eine eigene Wirkung. Für Tove ist die Jugend nichts als ein Mangel und ein Hindernis, das sie überwinden will.
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