Leif Randt
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Allegro Pastell (Restauflage)
Roman. 397 Min.. Lesung. Ungekürzte Ausgabe
Gesprochen: Randt, Leif
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Tanja Arnheim, deren Debütroman PanoptikumNeu Kultstatus genießt, wird in wenigen Wochen dreißig. Ihr fünf Jahre älterer Freund, der gefragte Webdesigner Jerome Daimler, bewohnt in Maintal den Bungalow seiner Eltern und versucht sein Leben zunehmend als spirituelle Einkehr zu begreifen. Die Fernbeziehung der beiden wirkt makellos. Sie bleiben über Text und Bild eng miteinander verbunden und besuchen sich für lange Wochenenden in ihren jeweiligen Realitäten. Doch der Wunsch, ihre Zuneigung zu konservieren, ohne dass diese bieder oder schmerzhaft existenziell wird, stellt das Paar vor ei...
Tanja Arnheim, deren Debütroman PanoptikumNeu Kultstatus genießt, wird in wenigen Wochen dreißig. Ihr fünf Jahre älterer Freund, der gefragte Webdesigner Jerome Daimler, bewohnt in Maintal den Bungalow seiner Eltern und versucht sein Leben zunehmend als spirituelle Einkehr zu begreifen. Die Fernbeziehung der beiden wirkt makellos. Sie bleiben über Text und Bild eng miteinander verbunden und besuchen sich für lange Wochenenden in ihren jeweiligen Realitäten. Doch der Wunsch, ihre Zuneigung zu konservieren, ohne dass diese bieder oder schmerzhaft existenziell wird, stellt das Paar vor eine große Herausforderung.
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Leif Randt, geboren 1983 in Frankfurt a. M., arbeitet als freischaffender Schriftsteller in Maintal und Berlin. Ebenfalls von ihm erschienen sind die Romane Leuchtspielhaus (2009) und Planet Magnon (2015). Sein neuestes Buch Allegro Pastell (2020) wurde zum Bestseller und war u.a. für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit zuletzt mit dem Mörike-Preis der Stadt Fellbach (2021) sowie mit Aufenthaltsstipendien in Japan (2016) und Irland (2019). Seit 2017 co-kuratiert er das Programm auf tegelmedia.net. Leif Randt, geboren 1983 in Frankfurt a. M., arbeitet als freischaffender Schriftsteller in Maintal und Berlin. Ebenfalls von ihm erschienen sind die Romane Leuchtspielhaus (2009) und Planet Magnon (2015). Sein neuestes Buch Allegro Pastell (2020) wurde zum Bestseller und war u.a. für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit zuletzt mit dem Mörike-Preis der Stadt Fellbach (2021) sowie mit Aufenthaltsstipendien in Japan (2016) und Irland (2019). Seit 2017 co-kuratiert er das Programm auf tegelmedia.net.
Produktdetails
- Verlag: Roof Music; Tacheles!
- Gesamtlaufzeit: 397 Min.
- Erscheinungstermin: 25. August 2021
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783864847073
- Artikelnr.: 66391811
Herstellerkennzeichnung
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Wir wollten nie wie unsere Eltern werden
Der Erzähler steht außerhalb und innerhalb der Figurenwelt: "Allegro Pastell" von Leif Randt erneuert den bürgerlichen Roman.
Bürgerlichkeit scheint gegenwärtig eine zweifelhafte Währung zu sein. Politische Parteien streiten um die bürgerliche Mitte, bezeichnen sich selbst als bürgerlich oder sprechen anderen die Bürgerlichkeit ab. Im jüngeren akademischen Milieu sorgt dagegen schon der Begriff "bürgerlich" für Stirnrunzeln. "Was zur Hölle soll 'bürgerlich' eigentlich heißen?", twitterte unlängst der Bonner Germanist Johannes Franzen. Seine Follower konnten hier nur spekulieren. Das müsse irgendetwas mit "Immobilienbesitz" zu tun haben. Oder sei einfach "Neusprech für
Der Erzähler steht außerhalb und innerhalb der Figurenwelt: "Allegro Pastell" von Leif Randt erneuert den bürgerlichen Roman.
Bürgerlichkeit scheint gegenwärtig eine zweifelhafte Währung zu sein. Politische Parteien streiten um die bürgerliche Mitte, bezeichnen sich selbst als bürgerlich oder sprechen anderen die Bürgerlichkeit ab. Im jüngeren akademischen Milieu sorgt dagegen schon der Begriff "bürgerlich" für Stirnrunzeln. "Was zur Hölle soll 'bürgerlich' eigentlich heißen?", twitterte unlängst der Bonner Germanist Johannes Franzen. Seine Follower konnten hier nur spekulieren. Das müsse irgendetwas mit "Immobilienbesitz" zu tun haben. Oder sei einfach "Neusprech für
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AfD-kompatibel".
Gibt es die politisch beschworene Bürgerlichkeit also überhaupt? Historikerinnen und Soziologen sind sich darin einig, dass Bürgerlichkeit schon seit dem achtzehnten Jahrhundert kein fester sozialer und juristischer Status mehr ist. Bürger sind schlicht Menschen, die sich, ohne dass sie eine rechtliche Garantie dafür hätten, als ökonomische und kulturelle Mitte empfinden. Das Bürgerliche ist das Normale. Oder all jene Ideen, Stile und Lebensformen, die sich als gesellschaftlicher Standard etablieren. Doch was ist heutzutage Standard? Und kann man frei darüber bestimmen, ob man diesen Standard erfüllen will?
Leif Randts Roman "Allegro Pastell", der im vergangenen Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschien (F.A.Z. vom 12. März 2020), wirft diese Fragen auf. Das Buch erzählt von der Beziehung zwischen Jerome und Tanja, einem Grafikdesigner aus dem hessischen Maintal und einer Berliner Autorin. Die Denk- und Redeweise dieser beiden Kreativarbeiter verläuft entlang einer Weltdeutung, für die sich das Attribut "woke" eingebürgert hat. Tanja sagt in einem Interview, dass sie sich "zunehmend vor heterosexuellen Paaren ekele", Jerome verlässt genervt ein Café, weil ihm dort zu viele weiße Menschen sitzen, und in der binären Hochzeit eines Freundes kann er nichts anderes sehen als ein ultraspießiges "Shit-Event". Auch die ökonomischen Ansprüche der Mittelschicht torpedieren Jerome und Tanja, wenn sie das Geldverdienen als "Denkfehler" bezeichnen. Vieles, was man mit bürgerlich assoziiert, scheint hier durchkreuzt zu sein.
Sind Jerome und Tanja aber wirklich Antibürger? Die Kommunikation mit den mittelständischen Eltern verläuft "erstaunlich harmonisch". Konflikte gibt es nicht. Warum auch? Jeromes Vater, ein Ingenieur in Rente, findet es "löblich", dass sich der Sohn "kein eigenes Auto" kauft. Schließlich mache er "den Planeten damit nicht schlechter". Auch Tanja erlebt mit ihren Eltern alles andere als einen Generationenkonflikt. Immerhin ist es die Mutter (eine Psychologin), die "im Schneidersitz auf dem Teppich sitzend" dazu rät, dass Tanja ihre monogame Beziehung zu Jerome auflockern und mal einen Seitensprung wagen solle.
Selbst die Kritik am Geldverdienen wird von den Eltern unterstützt, wenn es für Tanja zu Weihnachten ein Buch über das bedingungslose Grundeinkommen gibt. Die Figuren wollen nicht bürgerlich sein. Aber das soziale und familiäre Umfeld hat ihr Werteschema längst als mittelschichtstauglichen Standard akzeptiert. So werden sie bürgerlich wider Willen.
Solche Verbürgerlichungsdynamiken lassen sich unterschiedlich darstellen. Triumphal im Ton ist Sahra Wagenknechts Sachbuch "Die Selbstgerechten" (F.A.Z. vom 21. April), das dem linksakademischen Milieu höhnisch seine Lifestyle-Bürgerlichkeit um die Ohren haut. In ihrer Beschreibung der Woke-Kultur greift Wagenknecht zu den Mitteln satirischer Überzeichnung. Satirische Techniken wurden schon immer dazu eingesetzt, dem Bürgertum seine Lebenslügen vorzuführen. Die Satire hat aber einen blinden Fleck: Denn woher bezieht die Sprecherin ihren moralischen Standpunkt? Kann es nicht sein, dass sie selbst Teil dessen ist, was sie beschreibt? Ist Wagenknecht vielleicht auch eine Selbstgerechte, eine Bürgerliche, die ihren Wohlstand mit ein bisschen Salonmarxismus drapiert?
Die satirische Falle umgeht Randt durch die ästhetische Form. In "Allegro Pastell" spricht kein außenstehender Satiriker, der die Figuren vorführt und von oben herab behandelt. Gleichzeitig wird bei ihm aber auch jene moralische Identifikation mit den Hauptfiguren vermieden, die der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler aus Münster soeben als typisch für den neuen "Midcult" der Gegenwartsliteratur beschrieben hat (F.A.Z. vom 9. Juli). Randts "feine und elegante Ironie" (Katrin Hillgruber) entsteht durch einen neutralen Erzähler, der seine normative Haltung zu den Figuren gerade in solchen Momenten in der Schwebe hält, in denen sie auf moralische Rückendeckung angewiesen sind. Man schmunzelt verwundert, wenn die Figuren eine Power-Point-Präsentation erstellen, um das ethische Für und Wider ihres Kinderwunsches zu diskutieren. Und die Komik solch forcierter Achtsamkeit wirkt umso stärker, als hier jeder solidarische Erzählerkommentar ausbleibt. Trotz solcher Distanzsignale verwendet der Erzähler die gleiche Gendersprache und ähnliche Lifestylevokabeln wie seine Protagonisten. Randts Erzähler steht gleichzeitig außerhalb und innerhalb der Figurenwelt. Er ist wie der Gast auf einem Popkonzert, der bei keinem der Songs applaudiert, während der After-Show-Party aber plaudernd zwischen den Musikern steht.
Randts ironisch schillernde Ästhetik entspricht einer Gesellschaft, in der es schwieriger geworden ist, sich dem Sog der Bürgerlichkeit zu entziehen und einen autonomen Standpunkt einzunehmen. Zwar bilden sich in regelmäßigen Abständen neue Gegenkulturen heraus, die Lebensformen jenseits der Bürgerlichkeit postulieren. Doch in der von dem Soziologen Andreas Reckwitz auf den viel zitierten Begriff gebrachten "Gesellschaft der Singularitäten" ist das Alternative zum Common Sense geworden. Die Standardisierung des Außergewöhnlichen macht es für die Individuen schwer, die eigene Position gegenüber der Bürgerlichkeit zu bestimmen.
Die Ironie ist eine Form, die eigene Verstrickung in die Mittelschicht einzugestehen. Und gleichzeitig einen leichten Vorbehalt gegenüber den moralischen Routinen dieser Mittelschicht auszudrücken. In diesem Sinne beschrieb Hans Magnus Enzensberger seine Poetik einmal als "Verteidigung der Normalität" unter gleichzeitigem Verzicht auf ihre "Anbetung". Bei Randt klingt das in einem Interview mit der Internetzeitschrift Republik.ch ähnlich. In "Allegro Pastell" sei es ihm um die "Behauptung einer Normalität" gegangen, mit der er beim Schreiben aber nie ganz verschmolzen sei. Sein poetischer "Weltzugriff" bleibe die "Unentschiedenheit": eine dezente, doch unauflösliche "Halbdistanz". JENS OLE SCHNEIDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gibt es die politisch beschworene Bürgerlichkeit also überhaupt? Historikerinnen und Soziologen sind sich darin einig, dass Bürgerlichkeit schon seit dem achtzehnten Jahrhundert kein fester sozialer und juristischer Status mehr ist. Bürger sind schlicht Menschen, die sich, ohne dass sie eine rechtliche Garantie dafür hätten, als ökonomische und kulturelle Mitte empfinden. Das Bürgerliche ist das Normale. Oder all jene Ideen, Stile und Lebensformen, die sich als gesellschaftlicher Standard etablieren. Doch was ist heutzutage Standard? Und kann man frei darüber bestimmen, ob man diesen Standard erfüllen will?
Leif Randts Roman "Allegro Pastell", der im vergangenen Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschien (F.A.Z. vom 12. März 2020), wirft diese Fragen auf. Das Buch erzählt von der Beziehung zwischen Jerome und Tanja, einem Grafikdesigner aus dem hessischen Maintal und einer Berliner Autorin. Die Denk- und Redeweise dieser beiden Kreativarbeiter verläuft entlang einer Weltdeutung, für die sich das Attribut "woke" eingebürgert hat. Tanja sagt in einem Interview, dass sie sich "zunehmend vor heterosexuellen Paaren ekele", Jerome verlässt genervt ein Café, weil ihm dort zu viele weiße Menschen sitzen, und in der binären Hochzeit eines Freundes kann er nichts anderes sehen als ein ultraspießiges "Shit-Event". Auch die ökonomischen Ansprüche der Mittelschicht torpedieren Jerome und Tanja, wenn sie das Geldverdienen als "Denkfehler" bezeichnen. Vieles, was man mit bürgerlich assoziiert, scheint hier durchkreuzt zu sein.
Sind Jerome und Tanja aber wirklich Antibürger? Die Kommunikation mit den mittelständischen Eltern verläuft "erstaunlich harmonisch". Konflikte gibt es nicht. Warum auch? Jeromes Vater, ein Ingenieur in Rente, findet es "löblich", dass sich der Sohn "kein eigenes Auto" kauft. Schließlich mache er "den Planeten damit nicht schlechter". Auch Tanja erlebt mit ihren Eltern alles andere als einen Generationenkonflikt. Immerhin ist es die Mutter (eine Psychologin), die "im Schneidersitz auf dem Teppich sitzend" dazu rät, dass Tanja ihre monogame Beziehung zu Jerome auflockern und mal einen Seitensprung wagen solle.
Selbst die Kritik am Geldverdienen wird von den Eltern unterstützt, wenn es für Tanja zu Weihnachten ein Buch über das bedingungslose Grundeinkommen gibt. Die Figuren wollen nicht bürgerlich sein. Aber das soziale und familiäre Umfeld hat ihr Werteschema längst als mittelschichtstauglichen Standard akzeptiert. So werden sie bürgerlich wider Willen.
Solche Verbürgerlichungsdynamiken lassen sich unterschiedlich darstellen. Triumphal im Ton ist Sahra Wagenknechts Sachbuch "Die Selbstgerechten" (F.A.Z. vom 21. April), das dem linksakademischen Milieu höhnisch seine Lifestyle-Bürgerlichkeit um die Ohren haut. In ihrer Beschreibung der Woke-Kultur greift Wagenknecht zu den Mitteln satirischer Überzeichnung. Satirische Techniken wurden schon immer dazu eingesetzt, dem Bürgertum seine Lebenslügen vorzuführen. Die Satire hat aber einen blinden Fleck: Denn woher bezieht die Sprecherin ihren moralischen Standpunkt? Kann es nicht sein, dass sie selbst Teil dessen ist, was sie beschreibt? Ist Wagenknecht vielleicht auch eine Selbstgerechte, eine Bürgerliche, die ihren Wohlstand mit ein bisschen Salonmarxismus drapiert?
Die satirische Falle umgeht Randt durch die ästhetische Form. In "Allegro Pastell" spricht kein außenstehender Satiriker, der die Figuren vorführt und von oben herab behandelt. Gleichzeitig wird bei ihm aber auch jene moralische Identifikation mit den Hauptfiguren vermieden, die der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler aus Münster soeben als typisch für den neuen "Midcult" der Gegenwartsliteratur beschrieben hat (F.A.Z. vom 9. Juli). Randts "feine und elegante Ironie" (Katrin Hillgruber) entsteht durch einen neutralen Erzähler, der seine normative Haltung zu den Figuren gerade in solchen Momenten in der Schwebe hält, in denen sie auf moralische Rückendeckung angewiesen sind. Man schmunzelt verwundert, wenn die Figuren eine Power-Point-Präsentation erstellen, um das ethische Für und Wider ihres Kinderwunsches zu diskutieren. Und die Komik solch forcierter Achtsamkeit wirkt umso stärker, als hier jeder solidarische Erzählerkommentar ausbleibt. Trotz solcher Distanzsignale verwendet der Erzähler die gleiche Gendersprache und ähnliche Lifestylevokabeln wie seine Protagonisten. Randts Erzähler steht gleichzeitig außerhalb und innerhalb der Figurenwelt. Er ist wie der Gast auf einem Popkonzert, der bei keinem der Songs applaudiert, während der After-Show-Party aber plaudernd zwischen den Musikern steht.
Randts ironisch schillernde Ästhetik entspricht einer Gesellschaft, in der es schwieriger geworden ist, sich dem Sog der Bürgerlichkeit zu entziehen und einen autonomen Standpunkt einzunehmen. Zwar bilden sich in regelmäßigen Abständen neue Gegenkulturen heraus, die Lebensformen jenseits der Bürgerlichkeit postulieren. Doch in der von dem Soziologen Andreas Reckwitz auf den viel zitierten Begriff gebrachten "Gesellschaft der Singularitäten" ist das Alternative zum Common Sense geworden. Die Standardisierung des Außergewöhnlichen macht es für die Individuen schwer, die eigene Position gegenüber der Bürgerlichkeit zu bestimmen.
Die Ironie ist eine Form, die eigene Verstrickung in die Mittelschicht einzugestehen. Und gleichzeitig einen leichten Vorbehalt gegenüber den moralischen Routinen dieser Mittelschicht auszudrücken. In diesem Sinne beschrieb Hans Magnus Enzensberger seine Poetik einmal als "Verteidigung der Normalität" unter gleichzeitigem Verzicht auf ihre "Anbetung". Bei Randt klingt das in einem Interview mit der Internetzeitschrift Republik.ch ähnlich. In "Allegro Pastell" sei es ihm um die "Behauptung einer Normalität" gegangen, mit der er beim Schreiben aber nie ganz verschmolzen sei. Sein poetischer "Weltzugriff" bleibe die "Unentschiedenheit": eine dezente, doch unauflösliche "Halbdistanz". JENS OLE SCHNEIDER
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Ijoma Mangold macht ein Fass auf. Aus Leif Randts neuem Roman könnte sogar eine Jugendbewegung entstehen, glaubt er. Geht's auch kleiner? Nein, meint Mangold im eineinhalbseitigen Aufmacher des Zeit-Feuilletons, denn das Buch hat einen Wirklichkeitseffekt, der sogar Rainald Goetz alt aussehen lässt und sich daraus speist, dass bei Randt "Zeitgeistdiagnose Form wird". Die Liebesgeschichte zweier nahezu perfekter Zeitgenossen, die Drogen, Liebe und Tee gleich achtsam und nachhaltig zu zelebrieren scheinen, erzählt der Autor laut Mangold als Pointenfeuerwerk, schimmernd und wohl konstruiert und stößt dabei in die Tiefenstrukturen unserer Kultur und Kommunikation vor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Wir wollten nie wie unsere Eltern werden
Der Erzähler steht außerhalb und innerhalb der Figurenwelt: "Allegro Pastell" von Leif Randt erneuert den bürgerlichen Roman.
Bürgerlichkeit scheint gegenwärtig eine zweifelhafte Währung zu sein. Politische Parteien streiten um die bürgerliche Mitte, bezeichnen sich selbst als bürgerlich oder sprechen anderen die Bürgerlichkeit ab. Im jüngeren akademischen Milieu sorgt dagegen schon der Begriff "bürgerlich" für Stirnrunzeln. "Was zur Hölle soll 'bürgerlich' eigentlich heißen?", twitterte unlängst der Bonner Germanist Johannes Franzen. Seine Follower konnten hier nur spekulieren. Das müsse irgendetwas mit "Immobilienbesitz" zu tun haben. Oder sei einfach "Neusprech für
Der Erzähler steht außerhalb und innerhalb der Figurenwelt: "Allegro Pastell" von Leif Randt erneuert den bürgerlichen Roman.
Bürgerlichkeit scheint gegenwärtig eine zweifelhafte Währung zu sein. Politische Parteien streiten um die bürgerliche Mitte, bezeichnen sich selbst als bürgerlich oder sprechen anderen die Bürgerlichkeit ab. Im jüngeren akademischen Milieu sorgt dagegen schon der Begriff "bürgerlich" für Stirnrunzeln. "Was zur Hölle soll 'bürgerlich' eigentlich heißen?", twitterte unlängst der Bonner Germanist Johannes Franzen. Seine Follower konnten hier nur spekulieren. Das müsse irgendetwas mit "Immobilienbesitz" zu tun haben. Oder sei einfach "Neusprech für
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AfD-kompatibel".
Gibt es die politisch beschworene Bürgerlichkeit also überhaupt? Historikerinnen und Soziologen sind sich darin einig, dass Bürgerlichkeit schon seit dem achtzehnten Jahrhundert kein fester sozialer und juristischer Status mehr ist. Bürger sind schlicht Menschen, die sich, ohne dass sie eine rechtliche Garantie dafür hätten, als ökonomische und kulturelle Mitte empfinden. Das Bürgerliche ist das Normale. Oder all jene Ideen, Stile und Lebensformen, die sich als gesellschaftlicher Standard etablieren. Doch was ist heutzutage Standard? Und kann man frei darüber bestimmen, ob man diesen Standard erfüllen will?
Leif Randts Roman "Allegro Pastell", der im vergangenen Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschien (F.A.Z. vom 12. März 2020), wirft diese Fragen auf. Das Buch erzählt von der Beziehung zwischen Jerome und Tanja, einem Grafikdesigner aus dem hessischen Maintal und einer Berliner Autorin. Die Denk- und Redeweise dieser beiden Kreativarbeiter verläuft entlang einer Weltdeutung, für die sich das Attribut "woke" eingebürgert hat. Tanja sagt in einem Interview, dass sie sich "zunehmend vor heterosexuellen Paaren ekele", Jerome verlässt genervt ein Café, weil ihm dort zu viele weiße Menschen sitzen, und in der binären Hochzeit eines Freundes kann er nichts anderes sehen als ein ultraspießiges "Shit-Event". Auch die ökonomischen Ansprüche der Mittelschicht torpedieren Jerome und Tanja, wenn sie das Geldverdienen als "Denkfehler" bezeichnen. Vieles, was man mit bürgerlich assoziiert, scheint hier durchkreuzt zu sein.
Sind Jerome und Tanja aber wirklich Antibürger? Die Kommunikation mit den mittelständischen Eltern verläuft "erstaunlich harmonisch". Konflikte gibt es nicht. Warum auch? Jeromes Vater, ein Ingenieur in Rente, findet es "löblich", dass sich der Sohn "kein eigenes Auto" kauft. Schließlich mache er "den Planeten damit nicht schlechter". Auch Tanja erlebt mit ihren Eltern alles andere als einen Generationenkonflikt. Immerhin ist es die Mutter (eine Psychologin), die "im Schneidersitz auf dem Teppich sitzend" dazu rät, dass Tanja ihre monogame Beziehung zu Jerome auflockern und mal einen Seitensprung wagen solle.
Selbst die Kritik am Geldverdienen wird von den Eltern unterstützt, wenn es für Tanja zu Weihnachten ein Buch über das bedingungslose Grundeinkommen gibt. Die Figuren wollen nicht bürgerlich sein. Aber das soziale und familiäre Umfeld hat ihr Werteschema längst als mittelschichtstauglichen Standard akzeptiert. So werden sie bürgerlich wider Willen.
Solche Verbürgerlichungsdynamiken lassen sich unterschiedlich darstellen. Triumphal im Ton ist Sahra Wagenknechts Sachbuch "Die Selbstgerechten" (F.A.Z. vom 21. April), das dem linksakademischen Milieu höhnisch seine Lifestyle-Bürgerlichkeit um die Ohren haut. In ihrer Beschreibung der Woke-Kultur greift Wagenknecht zu den Mitteln satirischer Überzeichnung. Satirische Techniken wurden schon immer dazu eingesetzt, dem Bürgertum seine Lebenslügen vorzuführen. Die Satire hat aber einen blinden Fleck: Denn woher bezieht die Sprecherin ihren moralischen Standpunkt? Kann es nicht sein, dass sie selbst Teil dessen ist, was sie beschreibt? Ist Wagenknecht vielleicht auch eine Selbstgerechte, eine Bürgerliche, die ihren Wohlstand mit ein bisschen Salonmarxismus drapiert?
Die satirische Falle umgeht Randt durch die ästhetische Form. In "Allegro Pastell" spricht kein außenstehender Satiriker, der die Figuren vorführt und von oben herab behandelt. Gleichzeitig wird bei ihm aber auch jene moralische Identifikation mit den Hauptfiguren vermieden, die der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler aus Münster soeben als typisch für den neuen "Midcult" der Gegenwartsliteratur beschrieben hat (F.A.Z. vom 9. Juli). Randts "feine und elegante Ironie" (Katrin Hillgruber) entsteht durch einen neutralen Erzähler, der seine normative Haltung zu den Figuren gerade in solchen Momenten in der Schwebe hält, in denen sie auf moralische Rückendeckung angewiesen sind. Man schmunzelt verwundert, wenn die Figuren eine Power-Point-Präsentation erstellen, um das ethische Für und Wider ihres Kinderwunsches zu diskutieren. Und die Komik solch forcierter Achtsamkeit wirkt umso stärker, als hier jeder solidarische Erzählerkommentar ausbleibt. Trotz solcher Distanzsignale verwendet der Erzähler die gleiche Gendersprache und ähnliche Lifestylevokabeln wie seine Protagonisten. Randts Erzähler steht gleichzeitig außerhalb und innerhalb der Figurenwelt. Er ist wie der Gast auf einem Popkonzert, der bei keinem der Songs applaudiert, während der After-Show-Party aber plaudernd zwischen den Musikern steht.
Randts ironisch schillernde Ästhetik entspricht einer Gesellschaft, in der es schwieriger geworden ist, sich dem Sog der Bürgerlichkeit zu entziehen und einen autonomen Standpunkt einzunehmen. Zwar bilden sich in regelmäßigen Abständen neue Gegenkulturen heraus, die Lebensformen jenseits der Bürgerlichkeit postulieren. Doch in der von dem Soziologen Andreas Reckwitz auf den viel zitierten Begriff gebrachten "Gesellschaft der Singularitäten" ist das Alternative zum Common Sense geworden. Die Standardisierung des Außergewöhnlichen macht es für die Individuen schwer, die eigene Position gegenüber der Bürgerlichkeit zu bestimmen.
Die Ironie ist eine Form, die eigene Verstrickung in die Mittelschicht einzugestehen. Und gleichzeitig einen leichten Vorbehalt gegenüber den moralischen Routinen dieser Mittelschicht auszudrücken. In diesem Sinne beschrieb Hans Magnus Enzensberger seine Poetik einmal als "Verteidigung der Normalität" unter gleichzeitigem Verzicht auf ihre "Anbetung". Bei Randt klingt das in einem Interview mit der Internetzeitschrift Republik.ch ähnlich. In "Allegro Pastell" sei es ihm um die "Behauptung einer Normalität" gegangen, mit der er beim Schreiben aber nie ganz verschmolzen sei. Sein poetischer "Weltzugriff" bleibe die "Unentschiedenheit": eine dezente, doch unauflösliche "Halbdistanz". JENS OLE SCHNEIDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gibt es die politisch beschworene Bürgerlichkeit also überhaupt? Historikerinnen und Soziologen sind sich darin einig, dass Bürgerlichkeit schon seit dem achtzehnten Jahrhundert kein fester sozialer und juristischer Status mehr ist. Bürger sind schlicht Menschen, die sich, ohne dass sie eine rechtliche Garantie dafür hätten, als ökonomische und kulturelle Mitte empfinden. Das Bürgerliche ist das Normale. Oder all jene Ideen, Stile und Lebensformen, die sich als gesellschaftlicher Standard etablieren. Doch was ist heutzutage Standard? Und kann man frei darüber bestimmen, ob man diesen Standard erfüllen will?
Leif Randts Roman "Allegro Pastell", der im vergangenen Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschien (F.A.Z. vom 12. März 2020), wirft diese Fragen auf. Das Buch erzählt von der Beziehung zwischen Jerome und Tanja, einem Grafikdesigner aus dem hessischen Maintal und einer Berliner Autorin. Die Denk- und Redeweise dieser beiden Kreativarbeiter verläuft entlang einer Weltdeutung, für die sich das Attribut "woke" eingebürgert hat. Tanja sagt in einem Interview, dass sie sich "zunehmend vor heterosexuellen Paaren ekele", Jerome verlässt genervt ein Café, weil ihm dort zu viele weiße Menschen sitzen, und in der binären Hochzeit eines Freundes kann er nichts anderes sehen als ein ultraspießiges "Shit-Event". Auch die ökonomischen Ansprüche der Mittelschicht torpedieren Jerome und Tanja, wenn sie das Geldverdienen als "Denkfehler" bezeichnen. Vieles, was man mit bürgerlich assoziiert, scheint hier durchkreuzt zu sein.
Sind Jerome und Tanja aber wirklich Antibürger? Die Kommunikation mit den mittelständischen Eltern verläuft "erstaunlich harmonisch". Konflikte gibt es nicht. Warum auch? Jeromes Vater, ein Ingenieur in Rente, findet es "löblich", dass sich der Sohn "kein eigenes Auto" kauft. Schließlich mache er "den Planeten damit nicht schlechter". Auch Tanja erlebt mit ihren Eltern alles andere als einen Generationenkonflikt. Immerhin ist es die Mutter (eine Psychologin), die "im Schneidersitz auf dem Teppich sitzend" dazu rät, dass Tanja ihre monogame Beziehung zu Jerome auflockern und mal einen Seitensprung wagen solle.
Selbst die Kritik am Geldverdienen wird von den Eltern unterstützt, wenn es für Tanja zu Weihnachten ein Buch über das bedingungslose Grundeinkommen gibt. Die Figuren wollen nicht bürgerlich sein. Aber das soziale und familiäre Umfeld hat ihr Werteschema längst als mittelschichtstauglichen Standard akzeptiert. So werden sie bürgerlich wider Willen.
Solche Verbürgerlichungsdynamiken lassen sich unterschiedlich darstellen. Triumphal im Ton ist Sahra Wagenknechts Sachbuch "Die Selbstgerechten" (F.A.Z. vom 21. April), das dem linksakademischen Milieu höhnisch seine Lifestyle-Bürgerlichkeit um die Ohren haut. In ihrer Beschreibung der Woke-Kultur greift Wagenknecht zu den Mitteln satirischer Überzeichnung. Satirische Techniken wurden schon immer dazu eingesetzt, dem Bürgertum seine Lebenslügen vorzuführen. Die Satire hat aber einen blinden Fleck: Denn woher bezieht die Sprecherin ihren moralischen Standpunkt? Kann es nicht sein, dass sie selbst Teil dessen ist, was sie beschreibt? Ist Wagenknecht vielleicht auch eine Selbstgerechte, eine Bürgerliche, die ihren Wohlstand mit ein bisschen Salonmarxismus drapiert?
Die satirische Falle umgeht Randt durch die ästhetische Form. In "Allegro Pastell" spricht kein außenstehender Satiriker, der die Figuren vorführt und von oben herab behandelt. Gleichzeitig wird bei ihm aber auch jene moralische Identifikation mit den Hauptfiguren vermieden, die der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler aus Münster soeben als typisch für den neuen "Midcult" der Gegenwartsliteratur beschrieben hat (F.A.Z. vom 9. Juli). Randts "feine und elegante Ironie" (Katrin Hillgruber) entsteht durch einen neutralen Erzähler, der seine normative Haltung zu den Figuren gerade in solchen Momenten in der Schwebe hält, in denen sie auf moralische Rückendeckung angewiesen sind. Man schmunzelt verwundert, wenn die Figuren eine Power-Point-Präsentation erstellen, um das ethische Für und Wider ihres Kinderwunsches zu diskutieren. Und die Komik solch forcierter Achtsamkeit wirkt umso stärker, als hier jeder solidarische Erzählerkommentar ausbleibt. Trotz solcher Distanzsignale verwendet der Erzähler die gleiche Gendersprache und ähnliche Lifestylevokabeln wie seine Protagonisten. Randts Erzähler steht gleichzeitig außerhalb und innerhalb der Figurenwelt. Er ist wie der Gast auf einem Popkonzert, der bei keinem der Songs applaudiert, während der After-Show-Party aber plaudernd zwischen den Musikern steht.
Randts ironisch schillernde Ästhetik entspricht einer Gesellschaft, in der es schwieriger geworden ist, sich dem Sog der Bürgerlichkeit zu entziehen und einen autonomen Standpunkt einzunehmen. Zwar bilden sich in regelmäßigen Abständen neue Gegenkulturen heraus, die Lebensformen jenseits der Bürgerlichkeit postulieren. Doch in der von dem Soziologen Andreas Reckwitz auf den viel zitierten Begriff gebrachten "Gesellschaft der Singularitäten" ist das Alternative zum Common Sense geworden. Die Standardisierung des Außergewöhnlichen macht es für die Individuen schwer, die eigene Position gegenüber der Bürgerlichkeit zu bestimmen.
Die Ironie ist eine Form, die eigene Verstrickung in die Mittelschicht einzugestehen. Und gleichzeitig einen leichten Vorbehalt gegenüber den moralischen Routinen dieser Mittelschicht auszudrücken. In diesem Sinne beschrieb Hans Magnus Enzensberger seine Poetik einmal als "Verteidigung der Normalität" unter gleichzeitigem Verzicht auf ihre "Anbetung". Bei Randt klingt das in einem Interview mit der Internetzeitschrift Republik.ch ähnlich. In "Allegro Pastell" sei es ihm um die "Behauptung einer Normalität" gegangen, mit der er beim Schreiben aber nie ganz verschmolzen sei. Sein poetischer "Weltzugriff" bleibe die "Unentschiedenheit": eine dezente, doch unauflösliche "Halbdistanz". JENS OLE SCHNEIDER
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»'Allegro Pastell' ist eine Liebesgeschichte für das 21. Jahrhundert, die versucht, Romantik neu zu definieren und dabei allergisch gegen Konventionen ist.« Galore 20200326
Gebundenes Buch
Tanja, erfolgreiche Jungautorin, und der Webdesigner Jerome sind das Lifestylepaar der Gegenwart. Nicht nur sind sie in ihren Jobs erfolgreich, sie sehen auch gut aus und wissen, welche die places to be und vor allem to be seen in Berlin und Frankfurt sind. Sie pendeln zwischen diesen beiden …
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Tanja, erfolgreiche Jungautorin, und der Webdesigner Jerome sind das Lifestylepaar der Gegenwart. Nicht nur sind sie in ihren Jobs erfolgreich, sie sehen auch gut aus und wissen, welche die places to be und vor allem to be seen in Berlin und Frankfurt sind. Sie pendeln zwischen diesen beiden Großstädten und ihrem virtuellen Dasein, immer auf der Suche nach der unmittelbaren Erfahrung, die jedoch auch medial vermittelt noch genau die Message vermitteln muss, wie sie sich gerne darstellen wollen. Jede Textnachricht an den anderen kann nicht spontan einfach losgeschickt werden, genau orchestrieren sie ihren Auftritt und planen ihre Erfahrungen, denn das Leben will wohlüberlegt sein.
Leif Randt war mit seinem Roman für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, so mancher Kritiker hat dem Buch das Potenzial wie einst Christian Krachts „Faserland“ zugeschrieben, da er das Lebensgefühl einer ganzen Generation überzeugend einfängt. Dieser Einschätzung würde ich mich anschließen, die beiden Protagonisten sind überzeugend in ihrer Art, was sie zwar nicht liebenswert macht, aber durchaus zu glaubwürdigen Vertretern.
Was beide gemeinsam haben ist der Hang zum Unverbindlichen und Vorläufigen. Bevor sie sich festlegen, wird genau überlegt, wie ihre Haltung wirken und wahrgenommen werden könnte. Vor lauter Selbstreflektion - allerdings nur im Sinne einer gelungenen Außendarstellung - und Bewertung jeder Aussage, fehlt ihnen die Zeit zum Sein im Hier und Jetzt. Geleitet werden sie von einer Sicht durch eine Linse, immer fokussiert auf das Image eines ICH, das nicht ist, sondern geschaffen wird. Akribisch werden die Sexualakte notiert und auch sonst alles festgehalten, was sich durch Zahlen erfassen lässt. Jede Antwort auf eine Email muss auch die Bewertung dieser beinhalten - Likes als neue Währung on- und offline.
Tanja genau wie Jerome ist anstrengend. Als Autorin sollte sie eine gute Beobachterin der Menschen sein, zieht jedoch die schnelle Wertung und den oberflächlichen Blick vor. Eine Autorin im Instagram Stil: viel Optik, bei vernachlässigbarem Content. Auch Jerome setzt voll auf Performanz und ist mit Mitte 30 noch weit davon entfernt, erwachsen zu sein.
Der Erzählton hat mir gefallen, er passt zu den Figuren und ihrem dargestellten Leben. Dass sie selbst Emotionen versuchen zu performen statt sie zu empfinden, bricht ihnen zwangsläufig das Genick, ist aber nicht weiter schlimm, das lässt sich durch den Weichzeichner auch wieder kitten und ein wenig Melancholie kann ja auch gut ankommen. Sie sind natürlich überzeichnet, aber keine Karikaturen. Nimend will so sein und darin liegt für mich auch der Reiz des Buches: das detailliert getrackte, vermessene und medial aufbereitete Leben ist wertlos, wenn es ohne Emotion bleibt. Wer nur für die anderen lebt, lebt nicht. Vielleicht einfach mal das Handy ausschalten und nur sein.
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Literatur als Symptom
Der vierte Roman von Leif Randt erzählt mit autobiografischem Setting unter dem Titel «Allegro Pastell» von der Liebe zweier Kreativer im Hier und Heute. Der Autor hat seine eigenen beruflichen Aktivitäten und doppelten Wohnorte solidarisch auf seine …
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Literatur als Symptom
Der vierte Roman von Leif Randt erzählt mit autobiografischem Setting unter dem Titel «Allegro Pastell» von der Liebe zweier Kreativer im Hier und Heute. Der Autor hat seine eigenen beruflichen Aktivitäten und doppelten Wohnorte solidarisch auf seine beiden Protagonisten aufgeteilt. Jerome ist als freiberuflicher Webdesigner auf Video Content spezialisiert und wohnt ländlich in Maintal nahe Frankfurt, Tanja ist erfolgreiche Schriftstellerin und lebt in Berlin-Kreuzberg, mit Blick auf die Hasenheide. Die trendige Beziehungskiste zwischen den Beiden ist Thema dieses Romans einer gescheiterten Liebe. Ganz knapp vor der Pandemie erschienen, hätte man dem Buch wenige Wochen später zur Betonung seines ultra-aktuellen Zeitbezugs doch glatt den Titel ‹Die Liebe in den Zeiten des Corona› geben können.
Letzter darin anstehender Termin ist nämlich der März 2020, spätestens dann wird für Jerome endgültig eine Zeitenwende beginnen, und damit auch für Tanja. Sie wird dreißig während der Erzählzeit 2018/19 und erlebt mit dem 33jährigen Jerome einige intensive Monate des Glücks. Ihre Fernbeziehung ist dank der digitalen Kommunikation nicht weniger innig, als würden sie zusammen wohnen und sich täglich sehen. Sie besuchen sich wechselseitig und fahren auch gemeinsam in Urlaub. Als Tanja nach einigen Monaten psychisch eine Auszeit braucht, fängt ihre Beziehung an zu bröckeln, beide haben kurze Affären, finden dann aber doch wieder zusammen. Als Jerome aber mit einer alten Schulfreundin anbandelt, droht der Liebesbeziehung mit Tanja das Aus, obwohl beide von den Affären des jeweils Anderen wissen und sie scheinbar ungerührt tolerieren, Eifersucht ist ihnen völlig fremd.
Dieser banal erscheinende, in drei «Phasen» erzählte Plot bildet nur den äußerer Rahmen für eine im Kern dem Zeitgeist gewidmete Geschichte, deren dem Mittelstand entstammende, finanziell sorgenlose Figuren den Lifestyle der beginnenden Zwanzigerjahre verkörpern. Da ist Spirituelles mit den Realitäten in Einklang zu bringen, der Freigeist mit der Moral, die sexuelle Libertinage mit dem Wunsch nach Geborgenheit. Das Leben ist für sie eine einzige Dauerparty mit Sex und Drogen, in der flippiges Outfit, schräge Musik, angesagte Clubs, Sternrestaurants und Imbissbuden gleichermaßen das Ambiente bilden. Dieses trendige Milieu wird narrativ überlagert von dem pseudo-intellektuellem Dauergeschwafel der jungen, hippen Romanfiguren, die sich ständig selbst beobachten und zu analysieren versuchen. Ihnen scheint die Welt offenzustehen, sie bilden sich ein, immer cool alles unter Kontrolle zu haben bei ihrer permanenten Sucht nach Wohlfühlmomenten, Alkohol und Drogen helfen ihnen dabei. Zupackende Spontaneität wechselt in der spleenig wirkenden Lebensweise der jungen Leute mit Phasen lähmender Lethargie ab, purer Ennui wird lässig als Lifestyle zelebriert.
Als Sittengemälde der Berliner Republik scheint der Roman, wie eine kritische Milieustudie, die gegenwärtigen Lebensverhältnisse einer Generation von Wohlstandskindern abzubilden. Die artikulieren ihre Befindlichkeiten mit Anglizismen wie «cute» oder «nice» und sind emotional ihr eigener Coach. Dem Milieu geschuldet ist auch der Gebrauch von Emojis im Romantext, Tanja ist nicht geil sondern «horny», an anderer Stelle hat jemand 0% Interesse, man wünscht sich ein Wörterbuch des Neusprech als Nichtdreißigjähriger. Aber auch bei den IT-Begriffen muss man oft nachschlagen, und Gipfelpunkt der Technikversessenheit dürfte die Powerpoint-Präsentation sein, in der Jerome seiner schwangeren Freundin akribisch die Vor- und Nachteile auflistet, wenn sie ihr Kind austrägt. Negativ wäre unter anderem die CO2-Blianz durch den neuen Erdenbürger, positiv wäre beispielsweise, dass man künftig immer eine gute Ausrede hätte bei unliebsamen Einladungen. Mir kommt diese keinesfalls satirisch gemeinte Geschichte geschwätziger Selbstreflektionen wie Wirklichkeit gewordene Virtual-Reality vor, Literatur als Symptom des Heute.
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Gebundenes Buch
Phasen einer Beziehung
Allegro Pastell ist ein sehr zeitgenössischer Roman.
Die Handlung ist ab 2018 angelegt und zeigt in mehreren Phasen die Beziehung von einem Paar Anfang bis Mitte 30.
Im Mittelpunkt steht die Schriftstellerin Tanja Arnheim und ihr Freund Jerome Daimler. Sie lieben …
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Phasen einer Beziehung
Allegro Pastell ist ein sehr zeitgenössischer Roman.
Die Handlung ist ab 2018 angelegt und zeigt in mehreren Phasen die Beziehung von einem Paar Anfang bis Mitte 30.
Im Mittelpunkt steht die Schriftstellerin Tanja Arnheim und ihr Freund Jerome Daimler. Sie lieben sich und dennoch scheint nichts sicher.
Es ist ein sehr hipper Roman, der viele moderne Elemente wie z.B. Verweise auf gängige Fernsehserien einsetzt.
Ich habe das Buch ganz gerne gelesen, obwohl es unspektakulär gemacht ist. Im Vergleich zu Leif Rands früheren Roman Dunst über CobyCounty wirkt Allegro Pastell ein wenig langweilig.
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eBook, ePUB
Ein Ritual der Liebenden: „Erst Sex, dann grüner Tee mit drei Aufgüssen. In 30 Minuten aus echten japanischen Schalen trinken.“ Wow, extrem spannend. So zelebrieren die beiden Hauptpersonen in Allegro Pastell immer mal wieder ihr Wiedersehen. Tanja Arnheim und Jerome Daimler …
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Ein Ritual der Liebenden: „Erst Sex, dann grüner Tee mit drei Aufgüssen. In 30 Minuten aus echten japanischen Schalen trinken.“ Wow, extrem spannend. So zelebrieren die beiden Hauptpersonen in Allegro Pastell immer mal wieder ihr Wiedersehen. Tanja Arnheim und Jerome Daimler wohnen weit auseinander und sehen sich daher nicht sehr häufig. Umso mehr freuen sie sich jedes Mal, wenn sie Zeit miteinander verbringen können. Nein, nur Tee gibt es dann nicht. Auch Ecstasy, Gras und Hochprozentiges gefällt den beiden auch. Die Story beginnt im Jahr 2018 und die depressive Schwester, auf die im Klappentext hingewiesen wird, erscheint nur am Rande.
Tja, ich weiß nicht so recht. Das Buch schaffte es auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020. Nicht nur das gilt es zu beachten, es ist auch das Romandebüt des Autors. Seine Sprache gefiel mir meistens, allerdings frage ich mich ob es üblich ist, ständig mit englischen Vokabeln zu agieren. Der Schwerpunkt der Story richtet sich auf das Miteinander eines nicht mehr jungen Paares. Sie wird 30, er ist fünf Jahre älter. Ihr Verhalten befremdete mich oft. Beide kommen mir egoistisch und sehr auf sich selbst fixiert vor. Sex ist ein Akt für sie, der nicht immer etwas mit Liebe zu tun hat und es gibt auch Abenteuer auf fremden Terrain.
Sind die heutigen Paare tatsächlich so oberflächlich? Muss der Dialog mit Fremdwörtern gespickt sein damit das Gegenüber merkt, wie intelligent man ist? Sie merken, dass mich Allegro Pastell zwiespältig zurücklässt. Vielleicht lese ich es irgendwann noch einmal und gewinne dann grundlegende Erkenntnisse. Vier Sterne gebe ich dafür, weil es immerhin ein bemerkenswertes Debüt ist.
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