-13%20)

Tove Ditlevsen
Audio-CD
Abhängigkeit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.3 (4 MP3-CDs)
Teil 3 der Kopenhagen-Trilogie. Ungekürzte Lesung mit Dagmar Manzel (4 CDs), Lesung. CD Standard Audio Format
Übersetzung: Allenstein, Ursel;Gesprochen: Manzel, Dagmar
Sofort lieferbar
Statt: 20,00 €**
**Unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers
Weitere Ausgaben:
PAYBACK Punkte
9 °P sammeln!
Wie intensiv kann ein Leben sein? Tove Ditlevsen schreibt über ein Frauenleben, ihr eigenes, so bewegend und universell wie niemand sonst. In »ABHÄNGIGKEIT« ist Tove gerade mal 20 Jahre alt und schon als Schriftstellerin berühmt, aber ahnungslos, was ihr an Höhen und Tiefen noch bevorsteht: Im Kopenhagen der 1940er Jahre erlebt sie Affären, den Rausch der Bekanntheit, die Angst, als Künstlerin zu versagen, Schwangerschaftsabbrüche, Mutterschaft, Sucht. Es wird immer deutlicher, wie sehr sie darum kämpfen muss, frei zu sein und frei zu bleiben. »Abhängigkeit« ist das eindringliche ...
Wie intensiv kann ein Leben sein? Tove Ditlevsen schreibt über ein Frauenleben, ihr eigenes, so bewegend und universell wie niemand sonst. In »ABHÄNGIGKEIT« ist Tove gerade mal 20 Jahre alt und schon als Schriftstellerin berühmt, aber ahnungslos, was ihr an Höhen und Tiefen noch bevorsteht: Im Kopenhagen der 1940er Jahre erlebt sie Affären, den Rausch der Bekanntheit, die Angst, als Künstlerin zu versagen, Schwangerschaftsabbrüche, Mutterschaft, Sucht. Es wird immer deutlicher, wie sehr sie darum kämpfen muss, frei zu sein und frei zu bleiben. »Abhängigkeit« ist das eindringliche Porträt einer Frau - verletzlich, souverän, eigenständig. Tove Ditlevsens Meisterwerk, die Kopenhagen-Trilogie, wird weltweit als große literarische Wiederentdeckung gefeiert.Ungekürzte Lesung mit Dagmar Manzel4 CDs ca. 5 h 10 min
Tove Ditlevsen (1917¿1976) stammte aus einer Arbeiterfamilie in Kopenhagen. Mit 14 Jahren verließ sie die Schule und mit 17 ihr Elternhaus; sie arbeitete als Dienstmädchen und Bürogehilfin. In dieser Zeit schrieb sie bereits Lyrik. Ihr erster Gedichtband machte sie mit 20 Jahren berühmt. Sie gilt inzwischen als eine der bedeutendsten Stimmen Dänemarks.
Produktdetails
- Verlag: Der Audio Verlag, Dav
- Anzahl: 4 Audio CDs
- Gesamtlaufzeit: 310 Min.
- Erscheinungstermin: 19. Februar 2021
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783742419996
- Artikelnr.: 60470934
Herstellerkennzeichnung
Audio Verlag Der GmbH
Hardenbergstraße 9A
10623 Berlin
info@der-audio-verlag.de
Vielleicht bist du selbst so kompliziert
Die Erinnerungen der dänischen Dichterin Tove Ditlevsen aus den zwanziger bis vierziger Jahren
Ein jegliches hat seine Zeit, steht bei Salomo, das gilt auch für die Literatur. Auch ein Text - hier sind Übersetzungen gemeint - muss offenbar auf seine Zeit warten, in der seine Stärken oder seine Brisanz erkannt werden können (wenn es nicht nur eine Frage des Zeitgeistes ist). Als 1986 Annie Ernaux' "Das bessere Leben" erschien, war es ein Buch unter vielen; beachtet und geachtet wurde erst die Neuübersetzung von 2019 unter dem (passenderen) Titel "Der Platz". Bei der Dänin Tove Ditlevsen (1917 bis 1976), jetzt als Vorläuferin von Ernaux gehandelt, erleben wir Ähnliches. Der
Die Erinnerungen der dänischen Dichterin Tove Ditlevsen aus den zwanziger bis vierziger Jahren
Ein jegliches hat seine Zeit, steht bei Salomo, das gilt auch für die Literatur. Auch ein Text - hier sind Übersetzungen gemeint - muss offenbar auf seine Zeit warten, in der seine Stärken oder seine Brisanz erkannt werden können (wenn es nicht nur eine Frage des Zeitgeistes ist). Als 1986 Annie Ernaux' "Das bessere Leben" erschien, war es ein Buch unter vielen; beachtet und geachtet wurde erst die Neuübersetzung von 2019 unter dem (passenderen) Titel "Der Platz". Bei der Dänin Tove Ditlevsen (1917 bis 1976), jetzt als Vorläuferin von Ernaux gehandelt, erleben wir Ähnliches. Der
Mehr anzeigen
dritte Band ihrer Erinnerungen erschien unter dem Titel "Sucht" schon vor vierzig Jahren auf Deutsch; er wurde kaum bemerkt. Das ist jetzt anders, er ist als "Abhängigkeit" neu übersetzt erschienen, und mit ihm liegen nun auch die beiden anderen autobiographischen Bände vor (der Verlag erklärt die Bücher werbewirksam kurzerhand zu einer "Kopenhagen-Trilogie"). Auf Englisch haben Ditlevsens Erinnerungen in den vergangenen Jahren bereits Furore gemacht. Nun sind auch die deutschen Rezensionen emphatisch. Die Zeit war offenbar reif.
"Am Morgen war die Hoffnung da. Sie saß als flüchtiger Schimmer im glatten, schwarzen Haar meiner Mutter ... und lag mir auf der Zunge wie der Zucker im lauwarmen Haferbrei ... während ich ihre schmalen, gefalteten Hände betrachtete ..." Ausgerechnet der Anfang hat so gar nicht die Schlankheit und Natürlichkeit, für die Tove Ditlevsens Schreibweise sonst gelobt wird. Der drohende Kitsch setzt sich gottlob nicht fort. Ihr Stil ist überwiegend einfach, persönlich und unaffektiert. Die einleitenden Sätze zeigen den Willen der Autorin (die "Kindheit" und "Jugend" im Alter von etwa fünfzig geschrieben hat, "Abhängigkeit" knapp fünf Jahre später), ihr Leben, wie sie es in dieser "Trilogie" beschreibt und wie man es aus anderen Büchern wie "Wilhelms Zimmer" (deutsch 1981) kennt, mit Hilfe teils "zuckriger", teils religiöser Bilder in ein Kunstwerk zu verwandeln und dadurch auf Distanz zu halten.
"Kindheit" handelt von Toves geistigen Überlebensstrategien im engen Milieu des Kopenhagener Arbeiterbezirks Vesterbro der zwanziger Jahre und ihrem ambivalenten Verhältnis zu den grundverschiedenen Eltern. Der Vater ist überzeugter Sozialdemokrat und fleißiger Leser, aber er und seine Tochter finden keinen Zugang zueinander. Die Beziehung zur Mutter ist verbohrt. Das Mädchen will geliebt werden. Aber die Mutter hasst das Lesen: "Was in Büchern steht, ist gelogen." Wenn die erwachsene Autorin an sie zurückdenkt, dann mit "Zorn, Trauer, Mitleid".
Mit zielstrebiger Energie geht die junge Tove ihren Weg als Autorin. Schon als Mädchen will sie nur eins, nämlich schreiben. Aber auch veröffentlichen. Mit vierzehn wagt sie sich mit ihrem Poesiealbum voller Gedichte zu einer Zeitung. Als der Redakteur sie abweist, ist sie am Boden zerstört. Irgendwann lernt sie den Antiquar Krogh kennen, von dem sie sich verstanden fühlt. Ausgerechnet bei ihm, der von lauter Büchern, also Fiktionen, umgeben ist, kommt ihr das Leben "wirklich" vor. Zur Wirklichkeit gehört aber auch noch etwas anderes, was sie von Krogh lernt: dass Menschen einander nützlich sein können. Die Lehre nimmt sie gerne an: "Mir wird immer stärker bewusst, dass ich zu nichts anderem tauge ..., als Worte aneinanderzureihen ... Um das zu können, muss ich die Menschen ... beobachten, in etwa so, als würde ich sie für den späteren Gebrauch in einem Archiv ablegen."
Die soziale und politische Wirklichkeit - Dänemark unter der Regierung des Sozialdemokraten Stauning, die deutsche Besetzung 1940, das Kriegsende - kommt nur am Rande vor. Wenn die Historie eine Rolle spielt, dann in Verbindung mit persönlicher Betroffenheit wie nach dem tragischen Unfalltod des jungen Lyrikers Morten Nielsen. Tove Ditlevsen ist unpolitisch: "Die Wirklichkeit hat mich noch nie interessiert", sagt sie in ihrer "Trilogie", die doch nichts anderes als die Wirklichkeit schildern soll. Aber sie unterscheidet zwischen "Wahrheiten des Herzens" und "grauen Tatsachen". Ihre Wirklichkeit ist seelisch. Sie sucht auch nicht das politische Engagement, sondern geht eher freudianisch vor - obwohl sie "nicht einmal weiß, wer dieser Freud ist". Ängste und Angewohnheiten haben ihren Ursprung in der Kindheit. Diese kann man nicht abschütteln, "sie hängt an einem wie ein Geruch".
An den Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsensein kommt sie ihrem Inneren am nächsten. An diesen Übergängen sind auch Angst und Einsamkeit am größten, zwei Gefühle, die sie zeitlebens begleiten. Das unterscheidet ihre Erinnerungen von herkömmlichen Autobiographien, die verfasst werden, weil man von der eigenen Wichtigkeit überzeugt ist. Tove Ditlevsen aber schreibt, weil sie wissen will, wer sie ist - ähnlich wie heute der Norweger Knausgård. Aber im Gegensatz zu diesem, der sich in reflexiven Passagen immer wieder vom Ich löst, bleibt das Ich bei Ditlevsen stets Bezugs- und Ausgangspunkt.
1939, am Ende von "Jugend", debütiert sie mit dem Gedichtband "Mädchenseele". Dessen Bilder sind konventionell, Reime und Rhythmus traditionell, die Empfindungen aber echt und ehrlich. Die Gedichte sind auch sentimental, aber nicht kitschig, weil sie nicht falsch sind, sie sind ergreifend, nicht rührselig. Der Kritiker Poul Borum schrieb später: "Sie bringt einen dazu, Sentimentalität als natürliches menschliches Gefühl zu akzeptieren."
Ihr Leben ist voller Widersprüche. Sie hasst Veränderungen, sehnt sich "wie alle jungen Mädchen nach einem Zuhause und einem Mann und Kindern" und will einfach "normal" sein. Gleichzeitig weiß sie natürlich, dass sie eben nicht normal ist und es eigentlich auch nicht sein will. Welche Erleichterung, als sie mit achtzehn Jahren Viggo F. Møller kennenlernt, den Herausgeber der führenden Literaturzeitschrift "Wilder Weizen"! Sie heiratet den rundlichen, alleinstehenden, mehr als dreißig Jahre älteren Herrn. Sie mag ihn, aber sie liebt ihn nicht. Er ist ihr nützlich. Bei ihm kann sie ihre Gedichte publizieren. Und durch ihn und seinen Klub junger Künstler lernt sie Talente kennen, die später berühmt werden sollten: Sonja Hauberg, Halfdan Rasmussen, Ester Nagel, Erik Knudsen, Piet Hein.
Mit Letzterem hat sie eine Affäre, sie trennt sich von Viggo F. und heiratet den Studenten Ebbe, mit dem sie eine Tochter hat. Ein zweites Kind will sie nicht, sie lässt es abtreiben, sie ist erleichtert und schuldbeladen. Ein junger Arzt injiziert ihr das Schmerzmittel Pethidin, von dem sie jahrelang abhängig wird. Er heißt Carl Ryberg, er wird ihr dritter Ehemann. Sie braucht ihn, er verschafft ihr die Seligkeit, den nötigen Abstand zum Alltag. Erst der Journalist Victor Andreasen kann sie zumindest zeitweise retten. Er wird ihr vierter Ehemann.
Irgendwo heißt es einmal sehr richtig: "Vielleicht bist du selbst kompliziert, und deshalb ist es dein Leben auch." Je nach Lage und Laune ist sie zielbewusst und von Selbstzweifeln geplagt, naiv und stolz. Manchmal ist sie von ungewöhnlicher Passivität, sie lässt die Dinge geschehen. Und kann sie eigentlich wirklich lieben - außer in ihren Gedichten? Gleichzeitig hat sie eine starke Menschenkenntnis und kühle Beobachtungsgabe, und konventionellen Tabuvorstellungen gegenüber ist sie furchtlos. Die innere Angst ist trotzdem immer da. Ditlevsen ist so erstaunlich, weil ihre Texte eine künstlerische Festigkeit haben, obwohl ihre Gefühlswelt so unstet und schwankend ist. Aber ist es nicht das, was uns fasziniert? Diese Mischung aus Tristesse, entwaffnender Naivität, Stolz und Zielstrebigkeit? Die "sonderbaren Spiele ihres Herzens", wie es in ihrem berühmten Gedicht "Warnung" heißt, haben sie ihr Leben lang begleitet. 1967 in "Kindheit", neun Jahre vor ihrem Selbstmord, schreibt sie: "Nur der Tod kann einen davon erlösen."
Auf dem den drei Büchern beigelegten Lesezeichen steht ein Spruch, der so selbstverständlich ist, dass er nichtssagend wird: "Frauen erzählen Geschichten anders." Man kann von jedem Menschen exakt dasselbe sagen. Was ist gemeint? Natürlich, wir können Tove Ditlevsen lesen, weil sie eine Frau ist. Wir können auch Knausgård lesen, weil er ein Mann ist. Männer erzählen Geschichten anders. Wir sehen schon, man verrennt sich hier. Nennen wir lieber einen echten Grund, warum wir Tove Ditlevsen lesen können. Es ist die unergründliche Ambivalenz ihrer Persönlichkeit, die ihre Erinnerungen so spannend macht.
PETER URBAN-HALLE
Tove Ditlevsen: "Kindheit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 120 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Jugend".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 154 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Abhängigkeit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 176 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Am Morgen war die Hoffnung da. Sie saß als flüchtiger Schimmer im glatten, schwarzen Haar meiner Mutter ... und lag mir auf der Zunge wie der Zucker im lauwarmen Haferbrei ... während ich ihre schmalen, gefalteten Hände betrachtete ..." Ausgerechnet der Anfang hat so gar nicht die Schlankheit und Natürlichkeit, für die Tove Ditlevsens Schreibweise sonst gelobt wird. Der drohende Kitsch setzt sich gottlob nicht fort. Ihr Stil ist überwiegend einfach, persönlich und unaffektiert. Die einleitenden Sätze zeigen den Willen der Autorin (die "Kindheit" und "Jugend" im Alter von etwa fünfzig geschrieben hat, "Abhängigkeit" knapp fünf Jahre später), ihr Leben, wie sie es in dieser "Trilogie" beschreibt und wie man es aus anderen Büchern wie "Wilhelms Zimmer" (deutsch 1981) kennt, mit Hilfe teils "zuckriger", teils religiöser Bilder in ein Kunstwerk zu verwandeln und dadurch auf Distanz zu halten.
"Kindheit" handelt von Toves geistigen Überlebensstrategien im engen Milieu des Kopenhagener Arbeiterbezirks Vesterbro der zwanziger Jahre und ihrem ambivalenten Verhältnis zu den grundverschiedenen Eltern. Der Vater ist überzeugter Sozialdemokrat und fleißiger Leser, aber er und seine Tochter finden keinen Zugang zueinander. Die Beziehung zur Mutter ist verbohrt. Das Mädchen will geliebt werden. Aber die Mutter hasst das Lesen: "Was in Büchern steht, ist gelogen." Wenn die erwachsene Autorin an sie zurückdenkt, dann mit "Zorn, Trauer, Mitleid".
Mit zielstrebiger Energie geht die junge Tove ihren Weg als Autorin. Schon als Mädchen will sie nur eins, nämlich schreiben. Aber auch veröffentlichen. Mit vierzehn wagt sie sich mit ihrem Poesiealbum voller Gedichte zu einer Zeitung. Als der Redakteur sie abweist, ist sie am Boden zerstört. Irgendwann lernt sie den Antiquar Krogh kennen, von dem sie sich verstanden fühlt. Ausgerechnet bei ihm, der von lauter Büchern, also Fiktionen, umgeben ist, kommt ihr das Leben "wirklich" vor. Zur Wirklichkeit gehört aber auch noch etwas anderes, was sie von Krogh lernt: dass Menschen einander nützlich sein können. Die Lehre nimmt sie gerne an: "Mir wird immer stärker bewusst, dass ich zu nichts anderem tauge ..., als Worte aneinanderzureihen ... Um das zu können, muss ich die Menschen ... beobachten, in etwa so, als würde ich sie für den späteren Gebrauch in einem Archiv ablegen."
Die soziale und politische Wirklichkeit - Dänemark unter der Regierung des Sozialdemokraten Stauning, die deutsche Besetzung 1940, das Kriegsende - kommt nur am Rande vor. Wenn die Historie eine Rolle spielt, dann in Verbindung mit persönlicher Betroffenheit wie nach dem tragischen Unfalltod des jungen Lyrikers Morten Nielsen. Tove Ditlevsen ist unpolitisch: "Die Wirklichkeit hat mich noch nie interessiert", sagt sie in ihrer "Trilogie", die doch nichts anderes als die Wirklichkeit schildern soll. Aber sie unterscheidet zwischen "Wahrheiten des Herzens" und "grauen Tatsachen". Ihre Wirklichkeit ist seelisch. Sie sucht auch nicht das politische Engagement, sondern geht eher freudianisch vor - obwohl sie "nicht einmal weiß, wer dieser Freud ist". Ängste und Angewohnheiten haben ihren Ursprung in der Kindheit. Diese kann man nicht abschütteln, "sie hängt an einem wie ein Geruch".
An den Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsensein kommt sie ihrem Inneren am nächsten. An diesen Übergängen sind auch Angst und Einsamkeit am größten, zwei Gefühle, die sie zeitlebens begleiten. Das unterscheidet ihre Erinnerungen von herkömmlichen Autobiographien, die verfasst werden, weil man von der eigenen Wichtigkeit überzeugt ist. Tove Ditlevsen aber schreibt, weil sie wissen will, wer sie ist - ähnlich wie heute der Norweger Knausgård. Aber im Gegensatz zu diesem, der sich in reflexiven Passagen immer wieder vom Ich löst, bleibt das Ich bei Ditlevsen stets Bezugs- und Ausgangspunkt.
1939, am Ende von "Jugend", debütiert sie mit dem Gedichtband "Mädchenseele". Dessen Bilder sind konventionell, Reime und Rhythmus traditionell, die Empfindungen aber echt und ehrlich. Die Gedichte sind auch sentimental, aber nicht kitschig, weil sie nicht falsch sind, sie sind ergreifend, nicht rührselig. Der Kritiker Poul Borum schrieb später: "Sie bringt einen dazu, Sentimentalität als natürliches menschliches Gefühl zu akzeptieren."
Ihr Leben ist voller Widersprüche. Sie hasst Veränderungen, sehnt sich "wie alle jungen Mädchen nach einem Zuhause und einem Mann und Kindern" und will einfach "normal" sein. Gleichzeitig weiß sie natürlich, dass sie eben nicht normal ist und es eigentlich auch nicht sein will. Welche Erleichterung, als sie mit achtzehn Jahren Viggo F. Møller kennenlernt, den Herausgeber der führenden Literaturzeitschrift "Wilder Weizen"! Sie heiratet den rundlichen, alleinstehenden, mehr als dreißig Jahre älteren Herrn. Sie mag ihn, aber sie liebt ihn nicht. Er ist ihr nützlich. Bei ihm kann sie ihre Gedichte publizieren. Und durch ihn und seinen Klub junger Künstler lernt sie Talente kennen, die später berühmt werden sollten: Sonja Hauberg, Halfdan Rasmussen, Ester Nagel, Erik Knudsen, Piet Hein.
Mit Letzterem hat sie eine Affäre, sie trennt sich von Viggo F. und heiratet den Studenten Ebbe, mit dem sie eine Tochter hat. Ein zweites Kind will sie nicht, sie lässt es abtreiben, sie ist erleichtert und schuldbeladen. Ein junger Arzt injiziert ihr das Schmerzmittel Pethidin, von dem sie jahrelang abhängig wird. Er heißt Carl Ryberg, er wird ihr dritter Ehemann. Sie braucht ihn, er verschafft ihr die Seligkeit, den nötigen Abstand zum Alltag. Erst der Journalist Victor Andreasen kann sie zumindest zeitweise retten. Er wird ihr vierter Ehemann.
Irgendwo heißt es einmal sehr richtig: "Vielleicht bist du selbst kompliziert, und deshalb ist es dein Leben auch." Je nach Lage und Laune ist sie zielbewusst und von Selbstzweifeln geplagt, naiv und stolz. Manchmal ist sie von ungewöhnlicher Passivität, sie lässt die Dinge geschehen. Und kann sie eigentlich wirklich lieben - außer in ihren Gedichten? Gleichzeitig hat sie eine starke Menschenkenntnis und kühle Beobachtungsgabe, und konventionellen Tabuvorstellungen gegenüber ist sie furchtlos. Die innere Angst ist trotzdem immer da. Ditlevsen ist so erstaunlich, weil ihre Texte eine künstlerische Festigkeit haben, obwohl ihre Gefühlswelt so unstet und schwankend ist. Aber ist es nicht das, was uns fasziniert? Diese Mischung aus Tristesse, entwaffnender Naivität, Stolz und Zielstrebigkeit? Die "sonderbaren Spiele ihres Herzens", wie es in ihrem berühmten Gedicht "Warnung" heißt, haben sie ihr Leben lang begleitet. 1967 in "Kindheit", neun Jahre vor ihrem Selbstmord, schreibt sie: "Nur der Tod kann einen davon erlösen."
Auf dem den drei Büchern beigelegten Lesezeichen steht ein Spruch, der so selbstverständlich ist, dass er nichtssagend wird: "Frauen erzählen Geschichten anders." Man kann von jedem Menschen exakt dasselbe sagen. Was ist gemeint? Natürlich, wir können Tove Ditlevsen lesen, weil sie eine Frau ist. Wir können auch Knausgård lesen, weil er ein Mann ist. Männer erzählen Geschichten anders. Wir sehen schon, man verrennt sich hier. Nennen wir lieber einen echten Grund, warum wir Tove Ditlevsen lesen können. Es ist die unergründliche Ambivalenz ihrer Persönlichkeit, die ihre Erinnerungen so spannend macht.
PETER URBAN-HALLE
Tove Ditlevsen: "Kindheit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 120 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Jugend".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 154 S., geb., 18,- [Euro].
Tove Ditlevsen: "Abhängigkeit".
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Aufbau Verlag, Berlin 2021. 176 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
»Eine monumentale Autorin!« Patti Smith
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr zitatreich resümiert Rezensent Peter Urban-Halle die drei Bände von Tove Ditlevsens Kopenhagen-Trilogie, um sich dann den dringenden Leseempfehlungen seiner KritikerkollegInnen anzuschließen. Zumindest der dritte Band lag vor 40 Jahren bereits unter dem Titel "Sucht" auf Deutsch vor, aber offenbar war die Zeit noch nicht reif für die Erinnerungen der Dänin, glaubt der Kritiker. Wie Karl Ove Knausgard und Annie Ernaux, als deren Vorläuferin Ditlevsen gilt, seziert sie das eigene Ich, löst sich allerdings nie davon, fährt der Rezensent fort: Ganz gleich, ob die Autorin die Gefühle von Angst und Einsamkeit in Kindheit und Jugend schildert, oder von Affären, Sucht und Abtreibung in den späteren Lebensjahren erzählt, die soziale und politische Realität ist nur als Hintergrundrauschen vernehmbar, erkennt Urban-Halle. Mit der "kühlen Beobachtungsgabe" und "künstlerischen Festigkeit", mit der Ditlevsen ihre widersprüchlichen Gefühle in eine Form bringt, begründet der Kritiker seine Lektüreempfehlung.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Gebundenes Buch
Melancholie
Der dritte Teil der Kopenhagen-Trilogie setzt an Jugend an und ist deutlich düsterer gefärbt. Tove ist zu Anfang mit Viggo, einem deutlich älteren Mann verheiratet, doch bald verlässt sie ihn und heiratet unmittelbar wieder. Doch auch da läuft es nicht ohne …
Mehr
Melancholie
Der dritte Teil der Kopenhagen-Trilogie setzt an Jugend an und ist deutlich düsterer gefärbt. Tove ist zu Anfang mit Viggo, einem deutlich älteren Mann verheiratet, doch bald verlässt sie ihn und heiratet unmittelbar wieder. Doch auch da läuft es nicht ohne Probleme. Ein Großteil der zweiten Romanhälfte behandelt Tove Tablettenabhängigkeit und sie kann schlecht mit ihrer Sucht umgehen.
Tove Ditlevsen hat jetzt ihr Leben nahezu vollständig literarisch verarbeitet und es ist schade, dass es nicht glücklicher verlaufen ist.
Insgesamt halte ich die Trilogie für sehr lesenswert, daher bin ich froh über den ambitionierten Verlag, der sie komplett herausgegeben hat.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
„Abhängigkeit” ist der deutsche Titel des dritten und letzten Teils von Tove Ditlevsens autobiografischer „Kopenhagen-Trilogie“. Im Original hieß das Buch „Gift“, also „verheiratet“ – beide Titel passen exakt zum Inhalt des Buchs. Denn …
Mehr
„Abhängigkeit” ist der deutsche Titel des dritten und letzten Teils von Tove Ditlevsens autobiografischer „Kopenhagen-Trilogie“. Im Original hieß das Buch „Gift“, also „verheiratet“ – beide Titel passen exakt zum Inhalt des Buchs. Denn es dreht sich um Toves Ehen und ihre Abhängigkeit, sowohl die Abhängigkeit von Männern, als auch von Drogen. Insgesamt war sie viermal verheiratet. Dieses Buch ist in zwei Teile gegliedert, der erste umfasst ihre ersten beiden Ehen, der zweite ihre Sucht und ihr Verhältnis mit und zu ihrem dritten Mann.
Tove wähnte sich am Ziel ihrer Träume, als der 30 Jahre ältere Verleger Viggo F. Møller sie heiratet. Aber die Ehe ist für sie mehr ein Gefängnis, denn ihr Mann ist geizig und ihr gegenüber eher gleichgültig. Sie ist oft froh, wenn er die gemeinsame Wohnung verlässt und sie flüchtet sich schnell in die Arme von Piet, einem Mitglied ihres Schreibzirkels „Klub der jungen Künstler“, dem sie vorsteht. („Dann ist »Der Club der jungen Künstler« Realität geworden, und das Leben hat wieder an Farbe und Fülle gewonnen.“). Piet hilft ihr, sich aus der unglücklichen Ehe zu befreien und nach zwei Jahren lässt Tove sich scheiden.
Ihre Tochter Helle bekommt Tove dann aber nicht mit Piet, sondern mit dem gleichaltrigen Studenten Ebbe Munk, doch auch die beiden lassen sich nach kurzer Zeit wieder scheiden. Und auch ihre dritte Ehe, mit dem Arzt Carl T. Ryberg, ist nicht glücklich und kostet sie beinahe das Leben, denn durch ihn kommt sie erstmals an Drogen. Den Grundstein für ihre Drogensucht legte Ryberg schon kurz nach ihrem Kennenlernen, als er beginnt, ihr nach ihrem zweiten Schwangerschaftsabbruch regelmäßig Pethidin zu spritzen. (»Wenn ich wiederkomme«, sage ich langsam, »bekomme ich dann noch so eine Spritze?« Er lacht laut und reibt sich das vorstehende Kinn. »Tja«, sagt er, »wenn es dir so gut gefallen hat? Du hast ja nun wirklich nicht das Zeug zur Drogensüchtigen.«) Tove heiratet ihn und bekommt ein Kind von ihm, um ihn an sich zu binden. So hat sie jederzeit Zugang zu den Drogen, nach denen sie inzwischen süchtig ist (»Jederzeit«, sagte ich, weil ich dachte, wenn ich erst mit ihm verheiratet wäre, würde ich ihn viel leichter dazu bringen, mir meine Spritzen zu geben. »Könntest du dir vorstellen, noch ein Kind zu bekommen?«, fragte er, als er mich die Treppe hinunterbegleitete. »Ja«, antwortete ich umgehend, denn durch ein Kind würde ich mich enger an ihn binden…“) Ihre Gedanken kreisen nur noch um Pethidin und Methadon (für das sie Rezepte fälscht), Schreiben ist ihr zum ersten Mal im Leben völlig gleichgültig („Ich hatte gerade meinen Erzählband abgegeben und überhaupt keine Lust zum Schreiben. Ständig dachte ich nur daran, wie ich Carl dazu bewegen könnte, mir wieder Pethidin zu geben.“) und auch ihre Kinder interessieren sie zeitweise überhaupt nicht mehr („Als ich wieder allein in meinem Bett lag, fiel mir auf, wie lange ich meine Kinder schon nicht mehr gesehen hatte.“)
Es ist ein bedrückendes Buch über eine Frau, die ihrem Glück hinterherjagt, es scheinbar findet und kurz vor dem Ziel in der Drogensucht endet. Tove Ditlevsen schildert ihre Sucht und auch die illegalen und zweifelhaften Methoden, an ihre Drogen zu kommen ebenso schonungslos wie die Tatsache, dass sie ihre Kinder vernachlässigt. Man möchte sie bei der Lektüre abwechselnd schütteln und in den Arm nehmen, mit ihr schimpfen und sie trösten und fühlt sich manchmal ebenso hin- und hergerissen, wie sie selbst. Als sie zum Ende des Buchs Victor trifft, hatte ich Tränen in den Augen. Einerseits, weil ich ihr von Herzen gewünscht hätte, dass sie endlich glücklich wird und ihre Erfüllung findet – aber da ich ihre Biografie kenne, wusste ich es schon beim Lesen besser. Ein ehrliches Buch, wie auch die beiden anderen Teile ihrer Kopenhagen-Trilogie und von mir eine ganz klare Lese-Empfehlung für alle drei. 5 Sterne.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Der Abschluss
"Abhängigkeit“ ist nun also der dritte und letzte Teil der Kopenhagen-Trilogie. Nachdem wir Tove durch ihre Kindheit und Jugend begleitet haben, ist sie nun eine verheiratete Frau. Doch auch hier zeigt sich schnell, dass das was sie sich erhofft hat nicht eintreffen …
Mehr
Der Abschluss
"Abhängigkeit“ ist nun also der dritte und letzte Teil der Kopenhagen-Trilogie. Nachdem wir Tove durch ihre Kindheit und Jugend begleitet haben, ist sie nun eine verheiratete Frau. Doch auch hier zeigt sich schnell, dass das was sie sich erhofft hat nicht eintreffen wird. Denn ihr Mann geizig und ihr gegenüber eher gleichgültig. So flüchtet sie sich schnell in die Arme von Piet.
Es ist ein melancholisches Buch über eine Frau, die ihrem Glück hinterherjagt. Kurzzeitig sieht es so aus, als hätte sie es geschafft, nur um dann in der Drogensucht zu enden.
Es ist wie auch die beiden Vorgänger nicht einfach zu lesen und doch bin ich froh, diese Trilogie gefunden zu haben. Man benötigt Zeit um das gelesene zu verarbeiten.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Gebundenes Buch
Der Titel des dritten Teils der Kopenhagen-Trilogie verheißt nichts Gutes. Dabei ist Toves Wunsch, den 30 Jahre älteren Verleger Viggo Fr. Møller zu heiraten, in Erfüllung gegangen. Doch das Eheleben mit ihm wird zu einer Enttäuschung, was zu einer Reihe von neuen …
Mehr
Der Titel des dritten Teils der Kopenhagen-Trilogie verheißt nichts Gutes. Dabei ist Toves Wunsch, den 30 Jahre älteren Verleger Viggo Fr. Møller zu heiraten, in Erfüllung gegangen. Doch das Eheleben mit ihm wird zu einer Enttäuschung, was zu einer Reihe von neuen männlichen Bekanntschaften und Liebschaften führt.
In diesem Teil verlor die Erzählerin deutlich Sympathiewerte. Mit dem Studenten Ebbe und der gemeinsamen Tochter hat sie allen Grund, glücklich zu sein, doch sie begeht wissentlich eine Torheit nach der anderen, verhält sich egoistisch und selbstzerstörerisch. Am liebsten hätte ich sie kräftig geschüttelt und zur Vernunft gebracht.
Es ist schmerzhaft, wie nüchtern und fatalistisch Tove ihre Medikamentensucht und den Teufelskreis beschreibt, als wäre sie fremdgesteuert. Ihren einst starken Willen und ihre Entschlossenheit, die ich so bewundert hatte, richtet sie nicht mehr auf ihre schriftstellerische Karriere, sondern einzig und allein darauf, in den Besitz von Pillen zu kommen. Wie ehrlich und offen sie über ihre Sucht schreibt, verdient allerdings größte Anerkennung.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Andere Kunden interessierten sich für
Entdecke weitere interessante Produkte
Stöbere durch unsere vielfältigen Angebote