Gregor Gysi
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Ein Leben ist zu wenig (MP3-Download)
Die Autobiographie Gekürzte Lesung. 421 Min.
Sprecher: Gysi, Gregor
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So offen und persönlich wie noch nie: die Autobiographie Gregor Gysi hat linkes Denken geprägt und wurde zu einem seiner wichtigsten Protagonisten. Hier erzählt er von seinen zahlreichen Leben: als Anwalt, Politiker, Autor, Moderator und Familienvater. Seine Autobiographie ist ein Geschichts-Buch, das die Erschütterungen und Extreme, die Entwürfe und Enttäuschungen des 20. Jahrhunderts auf sehr persönliche Weise erlebbar macht. Kaum ein deutscher Politiker wurde so geschmäht, kaum einer schlug sich so erfolgreich durchs Gestrüpp der Anfeindungen - hin zu einer anerkannten Prominenz: I...
So offen und persönlich wie noch nie: die Autobiographie Gregor Gysi hat linkes Denken geprägt und wurde zu einem seiner wichtigsten Protagonisten. Hier erzählt er von seinen zahlreichen Leben: als Anwalt, Politiker, Autor, Moderator und Familienvater. Seine Autobiographie ist ein Geschichts-Buch, das die Erschütterungen und Extreme, die Entwürfe und Enttäuschungen des 20. Jahrhunderts auf sehr persönliche Weise erlebbar macht. Kaum ein deutscher Politiker wurde so geschmäht, kaum einer schlug sich so erfolgreich durchs Gestrüpp der Anfeindungen - hin zu einer anerkannten Prominenz: In seiner Autobiographie erzählt Gregor Gysi von seiner Kindheit und Jugend, schildert seinen Weg zum Rechtsanwalt, gibt Einblicke in sein Verhältnis zu Dissidenten ("Bahro war mein spannendster Fall.") und in die Spannungsfelder an der Spitze von Partei und Bundestagsfraktion. Vor allem aber berichtet er von der erstaunlichen Wendung, die sein Leben mit dem Herbst 1989 nahm: Der Jurist wird Politiker. "Einfach wegrennen, das wollte ich nie", sagt Gysi und trifft damit einen Kern seines Wesens: Widersprüche aushalten. Ein Leben und eine Familiengeschichte, die von Russland bis Rhodesien führt, in einen Gerichtsalltag mit Mördern und Dieben, und zu der ein Lob Lenins und die Nobelpreisträgerin Doris Lessing gehören. "Mit Namen will ich nicht langweilen, und merken kann man sich das eh alles nicht. Erstaunlich, was sich im Laufe so vieler Jahre alles ereignet, wer auf wen treffen und welche Zufälle einander kreuzen müssen, damit irgendwann das eigene Leben entstehen und hervortreten kann." aus: Ein Leben ist zu wenig
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Gregor Gysi, geboren 1948 in Berlin, war jüngster Rechtsanwalt der DDR, vertrat Bürgerrechtler wie Rudolf Bahro. 1990-2002 und 2005-2015 war er Fraktionsvorsitzender der PDS bzw. der Linkspartei im Bundestag. Bei Aufbau erschienen von ihm die Autobiographie 'Ein Leben ist zu wenig', 'Was bleiben wird' (mit Friedrich Schorlemmer), 'Marx & wir', 'Mein Vater' (mit Gabriele Gysi), 'Gysi vs. Sonneborn - Kanzlerduell der Herzen', 'Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi' und zusammen mit Peter-Michael Diestel 'Zwei Unbelehrbare reden über Deutschland und ein bisschen über sich selbst'.
Produktbeschreibung
- Verlag: Aufbau Audio
- Gesamtlaufzeit: 421 Min.
- Erscheinungstermin: 17. November 2017
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 4251513958852
- Artikelnr.: 52241560
Mit sich und seinem Leben im Reinen
Vom Parteifunktionär zum Talkshowstar - die Autobiographie Gregor Gysis
"Wir haben gefeiert, gelacht, Konflikte ausgetragen. Eine Existenz der drückenden Enge war es trotz der Mauer nicht. Das Leben ist eben stets reicher, als es später in einer bestimmten Art der Geschichtsschreibung gewesen sein soll. Dann nämlich, wenn im Nachhinein die Vielfalt unzähliger lebendiger Biographien nur noch politischen Tendenzen zugerechnet werden soll. Was unser Leben prägte, ihm Kraft und Substanz gab, es bleibt Besitz, im Positiven wie im Negativen." Diese Sicht auf die DDR-Wirklichkeit und das Plädoyer für die Akzeptanz spezifisch ostdeutscher Lebenswege im wiedervereinigten Deutschland ist
Vom Parteifunktionär zum Talkshowstar - die Autobiographie Gregor Gysis
"Wir haben gefeiert, gelacht, Konflikte ausgetragen. Eine Existenz der drückenden Enge war es trotz der Mauer nicht. Das Leben ist eben stets reicher, als es später in einer bestimmten Art der Geschichtsschreibung gewesen sein soll. Dann nämlich, wenn im Nachhinein die Vielfalt unzähliger lebendiger Biographien nur noch politischen Tendenzen zugerechnet werden soll. Was unser Leben prägte, ihm Kraft und Substanz gab, es bleibt Besitz, im Positiven wie im Negativen." Diese Sicht auf die DDR-Wirklichkeit und das Plädoyer für die Akzeptanz spezifisch ostdeutscher Lebenswege im wiedervereinigten Deutschland ist
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ein zentrales Thema der unlängst erschienenen Autobiographie von Gregor Gysi, der am 16. Januar seinen 70. Geburtstag feiert. Die Frage nach dem Wert der eigenen Biographie und die pauschale Geringschätzung ostdeutscher Lebenswege im wiedervereinigten Deutschland beschäftigt viele ehemalige DDR-Bürger. Dies ist bis zu einem gewissen Grad unabhängig davon, ob einer nun prominent ist oder nicht, ob er oppositionell, angepasst oder gar Systemträger war oder ob sich seine Einstellung zum SED-Staat im Laufe der Zeit gewandelt hat. So spricht sich beispielsweise auch der ehemalige Oppositionelle und heutige Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Roland Jahn, für eine "differenzierte Bewertung von Biographien" aus. In seiner Autobiographie "Wir Angepassten" schreibt auch er vom "normalen Leben" in der DDR, indem man "zur Schule gegangen ist," "Berufe erlernt, Familien gegründet" und "Weihnachten gefeiert" hat. "Wir haben gelebt. Auch in der Diktatur schien die Sonne." Im Gegensatz zu Gysi betont Jahn jedoch die Brüche in seiner und vielen anderen Biographien, die Zerrissenheit zwischen Anpassung und Widerstand. Diese Brüche kannte Gysi nicht, er war konstant ein Vertreter der Nomenklatura, wenn auch ein sehr origineller und scharfsinniger.
Gysis Leben in der DDR war von Geburt an ein privilegiertes - seine Eltern, beide eher großbürgerlicher Herkunft, gehörten zur "kommunistischen Aristokratie" des SED-Staates: Der Vater, Klaus Gysi, seit 1931 KPD-Mitglied, war unter anderem Kultusminister, Botschafter in Italien und Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR; die Mutter, Irene Gysi geb. Lessing, war mit ihrem Mann im kommunistischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv und nach 1949 unter anderem Abteilungsleiterin im Ministerium für Kultur der DDR.
Gysi beschreibt seinen Lebens- und Karriereweg im Spannungsfeld von Staatsloyalität und systemimmanenten Handlungsspielräumen, die er mal für sich und mal für andere, auch seine Mandanten, zu nutzen vermochte. Er nimmt nicht zu Unrecht für sich in Anspruch, mit Cleverness manchem Apparatschik ein Schnippchen geschlagen zu haben, was er noch heute zu genießen scheint. Als Bespiel führt er der Leserschaft vor Augen, wie er die wiederholten Versuche, ihn zum Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) einzuziehen, letztlich erfolgreich konterkarierte.
Aber dies war nur eine Seite des Lebens des Gregor Gysi in der DDR, wenn auch die sympathischere. Entscheidender für die Beurteilung seiner Rolle ist jedoch seine politische Loyalität zum SED-Regime, seine konsequent verfolgte Karriere und nicht zuletzt das dafür notwendige Durchsetzungsvermögen mit komplementärer Anpassungsbereitschaft: Er war jüngstes Mitglied des "Berliner Rechtsanwaltskollegiums", avancierte 1988 zu dessen Vorsitzendem und Mitte 1989 zum Vorsitzenden des "Rates der Vorsitzenden der Rechtsanwälte" in der gesamten DDR. Bereits Ende der siebziger Jahre war er einer der bekanntesten Rechtsanwälte der DDR. Eine solche, weitgehend reibungslos verlaufende Karriere wäre ohne seinen familiären Hintergrund, bei dem der Eintritt in die "Sozialistische Einheitspartei" (SED) unmittelbar nach dem Erreichen der Volljährigkeit gleichsam eine Selbstverständlichkeit war, kaum denkbar gewesen: "Es war meine feste Überzeugung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen", so Gysi. Das allein hätte aber nicht gereicht. Aktives Engagement für die Sache des Staatssozialismus war gefordert: So war er während des Studiums an der Humboldt-Universität FDJ-Sekretär und Mitglied der Sektionsparteileitung. Während seiner Anwaltstätigkeit wurde er Parteisekretär der Grundorganisation des "Berliner Rechtsanwaltskollegiums" - eine politische Schlüsselfunktion, die ihn in den Kreis der Nomenklaturkader, also der zukünftigen Partei- und Staatselite der DDR aufsteigen ließ.
Dass es gerade Gregor Gysi war, der in der Phase des Zusammenbruchs der DDR im Herbst/Winter 1989 das Überleben der SED durch Transformation und Erneuerung organisieren und sichern würde, war nicht vorhersehbar. Dennoch entbehrte es nicht einer gewissen Logik: Gysi war prominent und vor allem eloquent, kein engstirniger Parteikader, sondern wie geschaffen, um im Wendeherbst von der SED zu retten, was noch zu retten war. Erst in dieser Umbruchsphase kamen seine Talente richtig zur Geltung: Intellektuelle Beweglichkeit, rhetorisches Talent und taktisches Geschick waren jetzt gefragte Eigenschaften - und die brachte Gysi zweifellos mit. Sie bestimmten auch sein zweites Leben als Berufspolitiker und machten ihn zum Talkshowstar.
Ein Zuckerschlecken war sein öffentliches Leben im vereinigten Deutschland aber trotzdem nicht. Ausgiebig schildert Gysi Schmähungen und Arroganz, die ihm als Parteivorsitzenden der SED-Nachfolgepartei PDS im Deutschen Bundestag, aber auch sonst in der Öffentlichkeit entgegenschlugen. Diese Reaktionen vor allem von Abgeordneten der etablierten Parteien wirken im Rückblick ziemlich überzogen, sie unterstreichen eindrücklich, wie lang der Weg zur gesamtdeutschen politischen Normalität war. Gysi spricht vom Bundestag der neunziger Jahre als einer "Kampfarena", in der die Abgeordneten seiner Partei "wo es nur ging, geringschätzig behandelt und ausgrenzt" wurden - ein teilweise wenig rühmliches Stück gesamtdeutscher Parlamentsgeschichte. Schwarz-Weiß-Malerei entwertete auch das "gelebte Leben" einfacher, ehemals mehr oder weniger angepasster DDR-Bürger. Gysi betont nicht ganz zu Unrecht: "So wuchs auch das Gefühl der Demütigung, weil DDR-Geschichte regelmäßig reduziert wurde auf Helden- und Stasigeschichten, Widerstand und Mitläuferschaft. Dazwischen nichts?"
Wer allerdings von Gysis Autobiographie eine eigene kritische Auseinandersetzung mit der DDR und eine wirklich selbstkritische Reflexion seiner eigenen Rolle erwartet hat, wird weitgehend enttäuscht. Der Rechtsanwalt und Kollegiumsfunktionär Gysi erscheint als zäher und pfiffiger Streiter für Rechtsstaatlichkeit im SED-Staat. Das ist nicht völlig falsch, aber nur die halbe Wahrheit, wie eine kürzlich erschienene Monographie über die Rechtsanwaltschaft der DDR zeigt, in der auch seine regimekonformen Schattenseiten deutlich werden. Vor diesem Hintergrund erzählt uns Gysi sein Leben mit einer geradezu irritierenden Leichtigkeit. Im Hinblick auf die Frage der Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit serviert er dem Leser erwartbar die altbekannte Version. Gleiches gilt für den Verbleib von Resten des SED-Vermögens.
Trotzdem liest man das Buch gerne, es ist gut geschrieben und bietet anschauliche Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt eines Protagonisten, der in zwei politischen Systemen an vorderster Front mitspielte. Dass Talent, Persönlichkeit und individuelle Leistung hierbei eine wesentliche Rolle spielten, wird überdeutlich. Man tut dem Autor sicherlich nicht unrecht, wenn man ihm ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein unterstellt. Eitelkeit dürfte er nicht zu den Todsünden rechnen. Gregor Gysi ist offensichtlich mit sich und seinem Leben im Reinen.
DANIELA MÜNKEL
Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 583 S., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gysis Leben in der DDR war von Geburt an ein privilegiertes - seine Eltern, beide eher großbürgerlicher Herkunft, gehörten zur "kommunistischen Aristokratie" des SED-Staates: Der Vater, Klaus Gysi, seit 1931 KPD-Mitglied, war unter anderem Kultusminister, Botschafter in Italien und Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR; die Mutter, Irene Gysi geb. Lessing, war mit ihrem Mann im kommunistischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv und nach 1949 unter anderem Abteilungsleiterin im Ministerium für Kultur der DDR.
Gysi beschreibt seinen Lebens- und Karriereweg im Spannungsfeld von Staatsloyalität und systemimmanenten Handlungsspielräumen, die er mal für sich und mal für andere, auch seine Mandanten, zu nutzen vermochte. Er nimmt nicht zu Unrecht für sich in Anspruch, mit Cleverness manchem Apparatschik ein Schnippchen geschlagen zu haben, was er noch heute zu genießen scheint. Als Bespiel führt er der Leserschaft vor Augen, wie er die wiederholten Versuche, ihn zum Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) einzuziehen, letztlich erfolgreich konterkarierte.
Aber dies war nur eine Seite des Lebens des Gregor Gysi in der DDR, wenn auch die sympathischere. Entscheidender für die Beurteilung seiner Rolle ist jedoch seine politische Loyalität zum SED-Regime, seine konsequent verfolgte Karriere und nicht zuletzt das dafür notwendige Durchsetzungsvermögen mit komplementärer Anpassungsbereitschaft: Er war jüngstes Mitglied des "Berliner Rechtsanwaltskollegiums", avancierte 1988 zu dessen Vorsitzendem und Mitte 1989 zum Vorsitzenden des "Rates der Vorsitzenden der Rechtsanwälte" in der gesamten DDR. Bereits Ende der siebziger Jahre war er einer der bekanntesten Rechtsanwälte der DDR. Eine solche, weitgehend reibungslos verlaufende Karriere wäre ohne seinen familiären Hintergrund, bei dem der Eintritt in die "Sozialistische Einheitspartei" (SED) unmittelbar nach dem Erreichen der Volljährigkeit gleichsam eine Selbstverständlichkeit war, kaum denkbar gewesen: "Es war meine feste Überzeugung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen", so Gysi. Das allein hätte aber nicht gereicht. Aktives Engagement für die Sache des Staatssozialismus war gefordert: So war er während des Studiums an der Humboldt-Universität FDJ-Sekretär und Mitglied der Sektionsparteileitung. Während seiner Anwaltstätigkeit wurde er Parteisekretär der Grundorganisation des "Berliner Rechtsanwaltskollegiums" - eine politische Schlüsselfunktion, die ihn in den Kreis der Nomenklaturkader, also der zukünftigen Partei- und Staatselite der DDR aufsteigen ließ.
Dass es gerade Gregor Gysi war, der in der Phase des Zusammenbruchs der DDR im Herbst/Winter 1989 das Überleben der SED durch Transformation und Erneuerung organisieren und sichern würde, war nicht vorhersehbar. Dennoch entbehrte es nicht einer gewissen Logik: Gysi war prominent und vor allem eloquent, kein engstirniger Parteikader, sondern wie geschaffen, um im Wendeherbst von der SED zu retten, was noch zu retten war. Erst in dieser Umbruchsphase kamen seine Talente richtig zur Geltung: Intellektuelle Beweglichkeit, rhetorisches Talent und taktisches Geschick waren jetzt gefragte Eigenschaften - und die brachte Gysi zweifellos mit. Sie bestimmten auch sein zweites Leben als Berufspolitiker und machten ihn zum Talkshowstar.
Ein Zuckerschlecken war sein öffentliches Leben im vereinigten Deutschland aber trotzdem nicht. Ausgiebig schildert Gysi Schmähungen und Arroganz, die ihm als Parteivorsitzenden der SED-Nachfolgepartei PDS im Deutschen Bundestag, aber auch sonst in der Öffentlichkeit entgegenschlugen. Diese Reaktionen vor allem von Abgeordneten der etablierten Parteien wirken im Rückblick ziemlich überzogen, sie unterstreichen eindrücklich, wie lang der Weg zur gesamtdeutschen politischen Normalität war. Gysi spricht vom Bundestag der neunziger Jahre als einer "Kampfarena", in der die Abgeordneten seiner Partei "wo es nur ging, geringschätzig behandelt und ausgrenzt" wurden - ein teilweise wenig rühmliches Stück gesamtdeutscher Parlamentsgeschichte. Schwarz-Weiß-Malerei entwertete auch das "gelebte Leben" einfacher, ehemals mehr oder weniger angepasster DDR-Bürger. Gysi betont nicht ganz zu Unrecht: "So wuchs auch das Gefühl der Demütigung, weil DDR-Geschichte regelmäßig reduziert wurde auf Helden- und Stasigeschichten, Widerstand und Mitläuferschaft. Dazwischen nichts?"
Wer allerdings von Gysis Autobiographie eine eigene kritische Auseinandersetzung mit der DDR und eine wirklich selbstkritische Reflexion seiner eigenen Rolle erwartet hat, wird weitgehend enttäuscht. Der Rechtsanwalt und Kollegiumsfunktionär Gysi erscheint als zäher und pfiffiger Streiter für Rechtsstaatlichkeit im SED-Staat. Das ist nicht völlig falsch, aber nur die halbe Wahrheit, wie eine kürzlich erschienene Monographie über die Rechtsanwaltschaft der DDR zeigt, in der auch seine regimekonformen Schattenseiten deutlich werden. Vor diesem Hintergrund erzählt uns Gysi sein Leben mit einer geradezu irritierenden Leichtigkeit. Im Hinblick auf die Frage der Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit serviert er dem Leser erwartbar die altbekannte Version. Gleiches gilt für den Verbleib von Resten des SED-Vermögens.
Trotzdem liest man das Buch gerne, es ist gut geschrieben und bietet anschauliche Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt eines Protagonisten, der in zwei politischen Systemen an vorderster Front mitspielte. Dass Talent, Persönlichkeit und individuelle Leistung hierbei eine wesentliche Rolle spielten, wird überdeutlich. Man tut dem Autor sicherlich nicht unrecht, wenn man ihm ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein unterstellt. Eitelkeit dürfte er nicht zu den Todsünden rechnen. Gregor Gysi ist offensichtlich mit sich und seinem Leben im Reinen.
DANIELA MÜNKEL
Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 583 S., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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» Man liest das Buch gerne, es ist gut geschrieben und bietet anschauliche Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt eines Protagonisten, der in zwei politischen Systemen an vorderster Front mitspielte. « DANIELA MÜNKEL Frankfurter Allgemeine Zeitung 20180116
» Gysi ist eine spektakuläre Figur. Gesegnet mit Freund und Feind, mit großer Klappe und einer Rhetorik, die nicht so schnell ihresgleichen findet. « Wolfgang Hübner Neues Deutschland 20180116
Gebundenes Buch
Die Autobiographie von Gregor Gysi (GG) habe ich sehr gern gelesen. Sie hat mir seltene wie bereichernde Sichtweisen geöffnet, die man woanders kaum finden kann.
Ich habe mich auf gutem Niveau und in vielerlei Hinsicht prima unterhalten gefühlt. GG erwies sich als ein vorzüglicher …
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Die Autobiographie von Gregor Gysi (GG) habe ich sehr gern gelesen. Sie hat mir seltene wie bereichernde Sichtweisen geöffnet, die man woanders kaum finden kann.
Ich habe mich auf gutem Niveau und in vielerlei Hinsicht prima unterhalten gefühlt. GG erwies sich als ein vorzüglicher Erzähler, ein starker wie wohl geübter Entertainer.
Mal saß ich bis ein Uhr morgens lachend, als es um die Schuljahre und Berufsausbildung ging. GG hat einen tollen Humor, kluger, elaborierter Natur, und gute Prise Selbstironie, die bis zum Schluss erhalten bleiben und einen hier und da zum Schmunzeln und Auflachen verleiten. Die spannenden Ausführungen zu seinen Ahnen ganz zu Anfang stimmten mich nachdenklich, wie die später geschilderten Geschehnisse im Bundestag der 90-ger Jahre, oder auch manche Sätze wie: „Denkpause. Ist es eine Pause zum oder vom Denken?“ Es gibt noch mehr davon, gleichmäßig im Buch verteilt, die jedes Zitatenheft zieren können.
Die Kapitelübergänge sind prima: man kann nicht anders, als doch noch nächstes Kapitel anzufangen und noch paar Seiten dranghängen usw. Selbst wenn eine Pause mal zustande kam, war ich bald wieder gedanklich beim Buch: Und wie geht es da weiter?
In dieser Autobio wurde ein Stück deutscher Geschichte erzählt: das Ende der DDR, deren Übernahme vom Westen, v.a. die Art, wie das getan wurde, GG benennt konkrete Fehlerbeispiele, die anschließenden Diskussionen um die Auflösung der Partei, das Verhalten Mitglieder anderer Parteien im Bundestag, die Arroganz des Westens, und als Kontrastprogramm, wie GG und seine Parteifreunde im Ausland, in Israel, aufgenommen wurden: „Neu und fremd war für mich, dass vor dem Hotel unseretwegen eine bundesdeutsche Flagge gehisst wurde. In Deutschland selbst wurden wie unter der Flagge, die über dem Bundestag wehte, wie Leute behandelt, die nicht dazugehörten.“ Auch weitere, krassere Beispiele, wie mit Gerhard Riege, gibt es hier. Da ist sehr klar, wie nicht einfach es für ihn war, seine polit. Arbeit fortzuführen. Ein dickes Fell und viel Durchhaltevermögen gehören dazu.
GG geht auch ausführlich auf die Unterstellungen der westlichen Medien ein, die ihm vorgeworfen haben, er hätte im Auftrag der StaSi gehandelt, und klärt alles lückenlos auf.
Seine Kommentare bestimmter politischer Ereignisse, seine Sicht, wie es das eine oder andere erlebt hat, die Schlussfolgerungen sind spannend und auf jeden Fall wert, sie kennenzulernen: Ein ganz anderer Blickwinkel, interessante Argumentation, alles wirkt sehr erfrischend im Vergleich zu dem, was man in Massenmedien tagein tagaus serviert bekommt.
Von seinen Weggefährten und Parteifreunden hört man einiges Interessantes, nur Gutes.
Auch von der privaten Seite erzählt er, gerade so viel, wie man wissen mag.
Der Schwerpunkt liegt aber deutlich auf seinem Beruf. GG ist der Mann der Politik, daher ist es logisch, dass es in seiner Bio um die polit. Ereignisse geht.
Auch über Jugoslawienkrieg findet GG klare Worte und erklärt, warum dieser Krieg direkten Einfluss auf die Ukraine-Krise von 2014 hat. Manches wirkt als düstere Prophezeiung, die heute eingetroffen ist, s. Kap. 39. Bildhaft schildert er auch, was für Sachen SPD/Grüne-Regierung beschlossen hat, uvm.
Fazit: Diese Bio ist wie ein gutes, reichhaltiges Gespräch aufgebaut und ich war sehr gern dabei. Sie ist schon deshalb lesenswert, weil sie GGs Meinung zu vielen Ereignissen darstellt, die so erfrischend und bereichernd ist, dass man definitiv vieles verpasst, wenn man sie nicht kennt.
Gleichzeitig konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier nur ein Teil der Geschichte erzählt wurde, vermutlich nur das, was dem antizipierten Leser ohne Weiteres zugemutet werden konnte. Aber auch dieser Teil ist sehr interessant: Tolle Sprüche, Gedankengänge, Schlussfolgerungen, insb. Kap. 48-50, Fragen, Interpretationen, insg. die Sicht der Dinge. Sehr lesenswert.
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Gebundenes Buch
+++Ein sehr persönliches Geschichtsbuch+++
Gregor Gysi hat linkes Denken geprägt und wurde zu einem seiner wichtigsten Protagonisten. Hier erzählt er von seinen zahlreichen Leben: als Anwalt, Politiker, Autor, Moderator und Familienvater. Seine Autobiographie ist ein Geschichts-Buch, …
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+++Ein sehr persönliches Geschichtsbuch+++
Gregor Gysi hat linkes Denken geprägt und wurde zu einem seiner wichtigsten Protagonisten. Hier erzählt er von seinen zahlreichen Leben: als Anwalt, Politiker, Autor, Moderator und Familienvater. Seine Autobiographie ist ein Geschichts-Buch, das die Erschütterungen und Extreme, die Entwürfe und Enttäuschungen des 20. Jahrhunderts auf sehr persönliche Weise erlebbar macht.
Kaum ein deutscher Politiker wurde so geschmäht, kaum einer schlug sich so erfolgreich durchs Gestrüpp der Anfeindungen - hin zu einer anerkannten Prominenz: In seiner Autobiographie erzählt Gregor Gysi von seiner Kindheit und Jugend, schildert seinen Weg zum Rechtsanwalt, gibt Einblicke in sein Verhältnis zu Dissidenten (Bahro war mein spannendster Fall.) und in die Spannungsfelder an der Spitze von Partei und Bundestagsfraktion. Vor allem aber berichtet er von der erstaunlichen Wendung, die sein Leben mit dem Herbst 1989 nahm: Der Jurist wird Politiker. Einfach wegrennen, das wollte ich nie, sagt Gysi und trifft damit einen Kern seines Wesens: Widersprüche aushalten. Ein Leben und eine Familiengeschichte, die von Russland bis Rhodesien führt, in einen Gerichtsalltag mit Mördern und Dieben, und zu der ein Lob Lenins und die Nobelpreisträgerin Doris Lessing gehören.
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Gebundenes Buch
Der Linkspolitiker Gregor Gysi, Jahrgang 1948, ist ein Meister des gesprochenen Wortes, was nicht nur seine brillanten Reden, sondern auch seine 2017 erschienene Autobiographie "Ein Leben ist zu wenig" belegt. Letztere umfasst unglaubliche 583 Buchseiten. Ein Mammutwerk also, dessen …
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Der Linkspolitiker Gregor Gysi, Jahrgang 1948, ist ein Meister des gesprochenen Wortes, was nicht nur seine brillanten Reden, sondern auch seine 2017 erschienene Autobiographie "Ein Leben ist zu wenig" belegt. Letztere umfasst unglaubliche 583 Buchseiten. Ein Mammutwerk also, dessen Lektüre alles andere als langweilt, weil Gregor Gysi darin mit viel feinsinnigem Humor und detailreichen Polit- und Geschichtswissen Rückschau auf sein buntes Leben hält.
Der Vollblutpolitiker, der trotz seines fortgeschrittenen Lebensalters noch als Präsident der Europäischen Linken agiert, handelt seit seiner Kindheit nach dem ökonomischen "Minimalprinzip". Dafür führt Gysi in seiner Biographie eine Menge amüsanter Beispiele an, die mich laut auflachen ließen. Ob in der Schule, während der Ausbildung als Rinderzüchter in der DDR oder im Jurastudium, Gysi weiß durch seine Intelligenz und Gerissenheit lange Paukerei zu vermeiden und tut nur das Nötigste, das aber mit Perfektion :-)
Der Politiker Gysi ist von geradlinigem Format und versteckt sich nicht hinter Politikerfloskeln. Sein Herz schlägt links und so setzte und setzt er sich für die sozial Benachteiligten innerhalb der Gesellschaft und für mehr Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich ein. Durch seine unverstellte, wissbegierige wie sachkundige Art erwarb er sich als ostdeutscher Politiker in der bundesdeutschen und internationalen Politik Respekt; konnte sogar Mitglieder anderer Parteien mitreißen. Zudem fällt bei der Lektüre des Buchs auf, dass er ein Arbeitstier war und ist. Davon konnten ihn auch politische Anfeindungen wie gesundheitliche Rückschläge nicht abbringen. Er ackert, um seine Ziele zu erreichen und handelt lieber sofort, als lang abzuwarten. Und wenn er nicht weiterkommt, zögert er nicht sich an Experten zu wenden.
Ein Großteil seiner Erinnerungen umfasst die Wendejahre und die Herausbildung der Partei "Die LINKE". Hierbei kombiniert er persönliche Erfahrungen und historische Ereignisse vortrefflich miteinander, so dass der Leser einiges an Hintergrundwissen über diese Phase der deutschen Geschichte mitnehmen kann. Besonders für die Einblicke in die politischen Mechanismen der damaligen Zeit konnte ich mich begeistern. Die Anekdoten und kleinen Geschichten mit DDR- und BRD-Politikern sind ein wahres Kleinod.
Neben seinem Vollzeitberuf als Politiker ist Gysi aber auch ein liebender Vater und Genussmensch. Auch diese Seite seines Lebens beleuchtet er offen und ehrlich und gewinnt damit Sympathiepunkte.
Darüber hinaus beobachtet Gysi die gegenwärtige deutsche Innen- und Außenpolitik mit Interesse wie Sorge. Seine Bedenken und Einschätzungen der Parteien wie Parteiprogramme äußert er passend am Schluss des Buchs.
Lieblingszitat, das sein Leben treffend beschreibt:
"Ja, ein Leben ist zu wenig für das, was wir träumen, wünschen, wollen. Wenigstens habe ich versucht, gegen zu starke Festlegungen meine große Lust an der Vielfalt zu setzen, beweglich und neugierig zu bleiben." (S. 481)
FAZIT
Eine absolut lesenswerte Biographie eines deutsches Politikers und spitzfindigen Wortakrobaten, die mitreißt, fasziniert und bildet.
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Gebundenes Buch
Lustig ist das Rechtsanwaltleben
Wer hat schon eine Literaturnobelpreisträgerin in seiner Familie? Gregor Gysi hat die Tante Doris Lessing. Deswegen beginnt seine Autobiographie erst mit einem Kapitel über die Familie seiner Mutter, dann ein Kapitel über die Familie seines Vaters. …
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Lustig ist das Rechtsanwaltleben
Wer hat schon eine Literaturnobelpreisträgerin in seiner Familie? Gregor Gysi hat die Tante Doris Lessing. Deswegen beginnt seine Autobiographie erst mit einem Kapitel über die Familie seiner Mutter, dann ein Kapitel über die Familie seines Vaters. Ausführlich geht es auch durch seinen Kindheit, in der er z.B. mal ein halbes Jahr im Krankenhaus gelegen hat. In der Schulzeit wird es dann langsam politisch. Der Mauerbau verhinderte seine Besuche in Westberlin (diese Schreibweise hält er konsequent durch).
Witzig ist Gysi schon, scharfsinnig seine Argumentation, ob vor Gericht bei der Wahl 1990, wo es um die 5%-Hürde geht, oder in Nordkorea, wo er erklärt, dass die Volksarmee der Bundeswehr zwar überlegen gewesen wäre, aber nicht am ersten Kaufhaus vorbeigekommen wäre. Witzig ist auch, dass bei Jauch mal kurzfristig das Thema und die Gäste gewechselt wurde, nur Gysi blieb, da man mit ihm über alles reden kann.
Informativ ist das Buch auch. Wir erleben die Wende aus der Sicht der DDR-Oberschicht, Probleme beim Wandel der SED zur PDS, ihre Erfolge und auch Misserfolge, Gysis Rücktritt als Minister in Berlin. Auch die Entstehung der Linkspartei wird beschrieben. Hier kommen wohl wegen des fehlenden zeitlichen Abstands erstmals wirkliche persönliche Streitigkeiten vor, etwa mit Lafontaine.
Frühere Konflikte, sogar der Hungerstreik wegen einer notwendigen Millionenzahlung der PDS an die Treuhand, werden stets im lustigen Ton behandelt.
Beim Lesen des Buches höre ich Gysi sprechen, selbst für keine Wähler der Linken ist das Buch zu empfehlen. 5 Sterne und mein Lieblingszitat ist der Prolog: "Ich habe schon als Kind gelernt, dass man Sätze nicht mit „ich“ beginnen soll."
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