Mit der Ambivalenz leben
Dies ist ein Buch über Armut und Überfluss, Verschwendung und Achtsamkeit und darüber, was sich ändern muss. Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel, spricht mit 17 verschiedenen Personen über seine Arbeit und die Ambivalenz, die damit einhergeht. Dabei kommen Vertreter von
Unternehmen, Kirche, Politik, der Tafel selbst oder auch bekannte Gesichter aus der Öffentlichkeit zu…mehrMit der Ambivalenz leben
Dies ist ein Buch über Armut und Überfluss, Verschwendung und Achtsamkeit und darüber, was sich ändern muss. Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel, spricht mit 17 verschiedenen Personen über seine Arbeit und die Ambivalenz, die damit einhergeht. Dabei kommen Vertreter von Unternehmen, Kirche, Politik, der Tafel selbst oder auch bekannte Gesichter aus der Öffentlichkeit zu Wort.
Besonders gefallen hat mir die Vielfältigkeit des Buches. Alle interviewten Personen haben auf die eine oder andere Weise mit dem Thema zu tun, setzen aber natürlich jeweils eigene Schwerpunkte. So spricht beispielsweise Fernsehkoch Tim Raue darüber, wie es sich anfühlt, Hunger zu haben und über die Frage, warum der Staat nicht mehr für die Schwachen tut, obwohl er es sich leisten könnte. Franz-Josef Overbeck, der Ruhrbischof, nimmt ebenfalls die Politik in die Verantwortung, aber auch die Wirtschaft, die Kirche und letztendlich jeden einzelnen. Und so geht es weiter, jede dieser Persönlichkeiten hat sich mit der ganzen Thematik beschäftigt und etwas dazu zu sagen. Keiner geht leichtfertig damit um, ebenso wie niemand die Ambivalenz leugnet, die zwangsläufig damit zusammenhängt. Auch die Art und Weise, wie die Interviews aufbereitet sind, hat mir sehr gut gefallen: Teile werden zusammengefasst, dann wieder scheint der Autor und Interviewer mit sich selbst zu reden, worauf Antworten des Gegenübers oder Zitate folgen, wieder unterbrochen von Reflexionen des Autors über das Gesagte. Die Texte haben also nicht die typische Form eines Interviews, vermitteln aber sehr gut die Ansichten der Interviewten, genauso wie die Probleme, welche diese wiederum aufwerfen.
Ich finde, dies ist ein gutes und auch wichtiges Buch, weil es Fragen stellt, denen sich jeder selbst stellen sollte. Was läuft verkehrt in unserem Land? Wie kann es sein, dass ein so reiches Land die Arbeit der Tafeln braucht? Verlässt der Staat sich gar darauf, dass es Institutionen wie die Tafel gibt und geben wird und entzieht sich so seiner Verantwortung? Dabei beschäftigt sich das Buch sehr differenziert und behutsam mit diesem schwierigen Thema, ohne allzu schnell die Schuld auf jemanden zu schieben. Einfache Antworten gibt es schließlich nicht zu diesen komplexen Fragen. Gleichzeitig werden sehr wohl Missstände beim Namen genannt, Dinge die schieflaufen, aber besser laufen könnten. Mich hat das Buch definitiv noch einmal mehr zum Nach- und Neudenken gebracht: Wo kann ich selbst als Konsument etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun?
Fazit: Ich habe das Buch gerne gelesen, fand die unterschiedlichen Ausführungen spannend, teilweise provozierend, aber nie pauschal aburteilend. Somit ergibt sich ein vielschichtiges, inspirierendes, aber auch beschämendes Bild. Es wird viel getan, aber noch lange nicht so viel, wie möglich wäre. Gleichzeitig handelt es sich um einen eindringlichen Appell, das Ehrenamt mehr wertzuschätzen. Kann ich wirklich nur weiterempfehlen!