Schon immer war Mutterschaft in unserer Gesellschaft mit hohen Erwartungen verknüpft. Von Müttern wird nicht nur erwartet, dass sie es als Erfüllung empfinden, ein Kind zu bekommen, es wird im Grunde vorausgesetzt, dass Frauen ohne jedes Zögern bereit sind, dafür für eine Zeit ihr eigenes Leben in
den Hintergrund zu stellen. Beruf, Hobbies, Zeit für Freunde. Und nicht nur das, sondern auch…mehrSchon immer war Mutterschaft in unserer Gesellschaft mit hohen Erwartungen verknüpft. Von Müttern wird nicht nur erwartet, dass sie es als Erfüllung empfinden, ein Kind zu bekommen, es wird im Grunde vorausgesetzt, dass Frauen ohne jedes Zögern bereit sind, dafür für eine Zeit ihr eigenes Leben in den Hintergrund zu stellen. Beruf, Hobbies, Zeit für Freunde. Und nicht nur das, sondern auch Befriedigung von Grundbedürfnissen, wie Schlaf, Ruhe, Intimität, Sex. All das bitte vor Glück strahlend, denn man hat ja ein Kind. Oft geht diese Rechnung sogar auf, aber eben nicht immer. Mütter, die Schwierigkeiten haben, diese Erwartungen zu erfüllen, fühlen sich ins Abseits gedrängt, sprechen nicht über ihre Schwierigkeiten und Befürchtungen, aus Angst man könne glauben sie seien einfach egoistisch, als Mütter eher ungeeignet.
Ich habe selbst vier Kinder und kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich das Gefühl hatte, zu versagen und im Grunde alles falsch zu machen. Viele Bereiche von Mutterschaft sind ein Tabuthema und darum bin ich dankbar für Bücher wie "Mama", in denen auch das abgründige und beängstigende dieser Veränderung im Leben behandelt werden.
Amira wünscht sich ein Kind, ist sich sicher, dass sie es anders machen wird als andere Eltern. Doch dann beginnen schon vor der Schwangerschaft seltsame Bilder sie zu verfolgen. In der Waldhütte, in der ihr Mann aufgewachsen ist, und in der sie Urlaub machen, wird sie von einem Wanderer beobachtet. Eine Hündin taucht immer wieder auf und ängstigt Amira. Und dann ist da auf einmal ihr Kind, Luise, drei Jahre alt. Als habe Amira einen Zeitverlust erlitten. Sie kämpft um Luise, droht immer wieder sie zu verlieren, wenn Luise im Wald verstecken spielt, giftige Blätter isst, der Hündin begegnet.
Und Amira scheint den Wald mit Luise nicht mehr verlassen zu können. Realität und Wahnvorstellungen vermischen sich, Zeit und Raum verlieren an Bedeutung.
Josef, der Vater, der erst seine Zweifel hatte, sich dann aber sehr auf das Kind gefreut hat, wird ihr fast fremd, erscheint sogar als Feind. Von Anfang an ist der Wald gleichzeitig Bedrohung und Schutz.
Zwar bleibt "Mama" auf einer metaphorischen Ebene, die Gefühle von Verzweiflung, Einsamkeit und Bedrohung, die Mutterschaft mit sich bringen kann, wenn auch nicht muss, werden deutlich. Ein Kapitel trägt den Titel " Du bist Schuld, wenn ihr etwas passiert". Ein Satz, der mich bei meinem ersten Kind verfolgt hat und starke Ängste ausgelöst hat. Für mich hat sich alles zum Guten gewandt, aber ich wünschte über diese Themen: Ängste, Überforderung, postnatale Depression, würde offener gesprochen und es gäbe mehr Hilfsangebote. Rosarote Schwangerschaftsratgeber, die Hyperemesis, und den "Baby Blues" belächeln, helfen jedenfalls ebensowenig weiter, wie die zahlreichen vermeintlichen Hochglanzfamilien, die man auf Social Media verfolgen kann.
Darum finde ich es äußerst gelungen, wie sich dieser Roman dem Thema nähert. Sprachlich und inhaltlich packend, zieht er Lesende in einen bedrückenden Alptraum von Mutterschaft. Hat mich bisher eine schlaflose Nacht gekostet. Große Empfehlung.
Ein wenig hat er mich an Charlotte Perkins Gilmans "The Yellow Wallpaper" und Ian Reids " The Ending" erinnert, die mich auf ähnliche Art verstört haben.