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"Mir stand beim Lesen oft der Mund offen, und jetzt, wo ich fertig bin, steht er mir immer noch offen. Das ist wie ein Mythos der Alten Griechen, in die Moderne gebeamt (und nach Niendorf)." Ulrich Matthes Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck. Ein bürgerlicher Held, ein Jurist und Schriftsteller namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort...
"Mir stand beim Lesen oft der Mund offen, und jetzt, wo ich fertig bin, steht er mir immer noch offen. Das ist wie ein Mythos der Alten Griechen, in die Moderne gebeamt (und nach Niendorf)." Ulrich Matthes Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck. Ein bürgerlicher Held, ein Jurist und Schriftsteller namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort - im kleinbürgerlichen Ostseebad wird er seinesgleichen nicht so leicht über den Weg laufen - gerät er aber bald in die Fänge eines trotz seiner penetranten Banalität dämonischen Geists: ein Strandkorbverleiher, der Mann ist außerdem Besitzer des örtlichen Spirituosengeschäfts. Aus Befremden und Belästigtsein wird nach und nach Zufallsgemeinschaft und irgendwann Notwendigkeit. Als Dritte stößt die Freundin des Schnapshändlers hinzu, in jeder Hinsicht eine Nicht-Traumfrau - eigentlich. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer ... Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.
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Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. Der goldene Handschuh stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane Es ist immer so schön mit dir und Ein Sommer in Niendorf waren für den Deutschen Buchpreis nominiert. Zuletzt erschien Kein Geld Kein Glück Kein Sprit.

© Philipp Rathmer
Produktdetails
- Verlag: Rowohlt Verlag GmbH
- Seitenzahl: 240
- Erscheinungstermin: 14. Juni 2022
- Deutsch
- ISBN-13: 9783644013056
- Artikelnr.: 62928934
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Stefan Michalzik kann sich beim Lesen von Heinz Strunks "Sommer in Niendorf" durchaus amüsieren. Strunk erzählt darin von dem Sommerurlaub des geschiedenen Wirtschaftsanwalts Roth in Niendorf an der Ostsee, wo er einen dokumentarischen Thriller über seine Familiengeschichte schreiben möchte, der bereits aufgrund der lokalen literaturhistorischen Konkurrenz zum Scheitern verurteilt ist, erklärt Michalzik. Das alles erzählt Strunk mit wenigen, klaren Worten, die das von ihm gut beobachtete Umfeld für den Rezensenten sehr plastisch werden lassen. Dieses Buch hat es wirklich verdient, auf der Longlist des Deutschen Buchpreises platziert zu werden, auch wegen der stets überraschenden "literarischen Obsession" Strunks, schließt Michalzik.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Spaßbremse im noblen Zwirn
Dieser Zauberberg liegt am flachen Strand der Ostsee: Heinz Strunks Roman "Ein Sommer in Niendorf" wagt sich ans Vorbild Thomas Mann - und gewinnt.
Ein nicht einfacher, nicht junger Mensch reist im Sommer nach Niendorf im Schleswig-Holsteinischen. Er fährt für drei Monate. Aber er bleibt (wohl) für den Rest seines Lebens dort. So könnte eine auf das Nötigste beschränkte Zusammenfassung eines zeitgenössischen "Zauberbergs" lauten. Damals, vor nun bald hundert Jahren, las es sich so: "Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen." Das Ende ist bekannt.
Jeder seriöse
Dieser Zauberberg liegt am flachen Strand der Ostsee: Heinz Strunks Roman "Ein Sommer in Niendorf" wagt sich ans Vorbild Thomas Mann - und gewinnt.
Ein nicht einfacher, nicht junger Mensch reist im Sommer nach Niendorf im Schleswig-Holsteinischen. Er fährt für drei Monate. Aber er bleibt (wohl) für den Rest seines Lebens dort. So könnte eine auf das Nötigste beschränkte Zusammenfassung eines zeitgenössischen "Zauberbergs" lauten. Damals, vor nun bald hundert Jahren, las es sich so: "Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen." Das Ende ist bekannt.
Jeder seriöse
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Romanschriftsteller wird wissen, dass man keinen zweiten "Zauberberg" schreiben kann oder, wenn doch, dann nur, indem man sich vor jeder Imitation hütet, es also ganz anders anfasst, natürlich unter Beibehaltung der Grundidee: Ein Mensch reist . . . Aber warum "kann" man so ohne Weiteres keinen zweiten "Zauberberg" schreiben? Das ist eine Instinktfrage; zu groß ist die Gefahr, prätentiös zu erscheinen, aber sich dann schon beim Handwerklichen zu blamieren. Walter Kempowski scheint das erkannt zu haben, als er sein Schriftsteller-Alter-Ego Alexander Sowtschick in "Hundstage" (1988) einen Roman schreiben lässt, der die unerreichbare Vorbildlichkeit des "Zauberbergs" respektiert: "Diesem gewaltigen Zentralmassiv durfte er nicht zu nahe kommen." Etwas näher rückte ihm dann Thorsten Becker mit seinem gleich die ganze Mann-Familie in den Blick nehmenden, hochrespektablen Roman "Der Untertan steigt auf den Zauberberg". Aber von der Konkurrenz mit einem Roman, der seinerseits schon Parodie und Endstufe des Bildungsromans ist, dazu sprachlich und in seinem Ideengehalt dermaßen hypertroph, lässt man vielleicht doch lieber die Finger.
Es sei denn, man ist Heinz Strunk. Er wagt es und gewinnt. Um nicht missverstanden zu werden: Mit der Erzählweise Thomas Manns hat er wenig am Hut. Sein Stil ist die Nutzanwendung aus der Tatsache, dass die Zeiten dafür vorbei sind. Das schließt Respekt, Bewunderung nicht aus; von Einflussangst ist er aber frei. Er kann sich seine Abneigung gegen (allzu) realistisches, detailreiches oder einfach -verliebtes Erzählen allerdings leisten, weil er sie im Bewusstsein einer bestimmten Zeitgenossenschaft oder Zeitgemäßheit pflegt und dafür etwas anderes auf Lager hat: eine so, in dieser von Buch zu Buch perfektionierten Ökonomie nur bei ihm zu habende Bestandsaufnahme einer seelischen Disposition, die ganz aufs Elend ausgerichtet ist und davon meistens aufgefressen wird.
Sein neuer Roman "Ein Sommer in Niendorf" wurde von Richard Kämmerlings in der "Welt am Sonntag" mit dem "Tod in Venedig" kurzgeschlossen. Das hat viel für sich, erst recht, wenn man bedenkt, dass der "Zauberberg" als "humoristisches Gegenstück" zum "Tod in Venedig" gedacht und als Novelle konzipiert war - wie die Niendorf-Geschichte, die auch erst eine Erzählung war, bis Strunk im vergangenen Sommer, als sein Roman "Es ist immer so schön mit dir" herauskam, gespürt haben muss, dass da mehr drinsteckt - nämlich eine Verfalls- oder Untergangsgeschichte, wie Thomas Mann sie zeit seines Lebens erzählt hat.
Hatte Hans Castorp in der Schweizer Höhenluft eine spektakuläre Steigerung seines von Haus aus eher schlichten Wesens erfahren, so lässt Strunk seinen aktuellen Protagonisten das Gegenteil davon erleiden: einen Abstieg, wie er trostloser kaum vorstellbar scheint. Es ist, in diesem hoffentlich wohlverstandenen Sinne, sein schlimmstes Buch, niederziehend bis dorthinaus. Nun war schon der "Goldene Handschuh" kein Spaß. Doch dieser Roman, für den Strunk den Wilhelm-Raabe-Preis bekam, handelte, auf historisch verbürgter Grundlage, von jemandem, der schon heruntergekommen war, als die Handlung einsetzte, und so gut wie keine Handhabe zur Identifikation bot. Das ist jetzt anders: Roth, ein promovierter Jurist, der sich vor der Übernahme einer neuen Arbeit für drei Monate nach Niendorf, Timmendorfer Strand, in ein Ferienapartment zurückzieht, um dort sowohl auszuspannen als auch die Tonbandaufzeichnungen seines verstorbenen Vaters für eine Familienchronik belletristisch auszuwerten, versackt dort trotz oder wegen bester Vorsätze, ein normales, halbwegs diszipliniertes und produktives Leben zu führen. Er sieht sich schon als den neuen Thomas Mann, aber da ist Breda vor, Apartmentverwalter und Spirituosenladenbetreiber in unheilvoller Personalunion.
Eigentlich braucht man jetzt gar nicht mehr weiterzuerzählen; Strunk ist als Fachmann für Säuferabstürze einschlägig bekannt. Aber diese hier gehen wirklich ins Bodenlose. Natürlich ist die in vertrauten Strunk-Bahnen (Peinlichkeiten und Demütigungen en gros, dazu rasiermesserscharfe Analysen deformierten, buchstäblich aus dem Leim gegangenen Lebens) abgespulte Handlung für sich genommen schon ihr Geld wert. Aber die Konsequenz, mit der sie auf ihr von Beginn an absehbares, in dieser Sang- und Klanglosigkeit jedoch schockierendes Ende zusteuert, ist bemerkenswert - ökonomischer verfuhr Strunk selbst in "Fleisch ist mein Gemüse" nicht.
Doch wie kann diese kondensierte, geschickt raffende Erzählweise eine "Zauberberg"-Geschichte sein? Strunk wird sich nicht bewusst daran ausgerichtet haben. Man darf hier von ganz grundsätzlicher Verwandtschaft im Geistig-Mentalen ausgehen, die aufgrund des zeitlichen Abstands etwas unkenntlich geworden ist. Strunk ist kein Thomas Mann, aber, wie Stifter über Goethe sagte, "von seiner Familie". Das zeigt sich schon in der meisterlichen Figurenzeichnung: "Die Bedienung ist jung, drall, dümmlich, irgendwie unverschämt und lädt zum Träumen ein." Vergleiche: "Fiken Dahlbeck war an die 40, korpulent und frech" ("Buddenbrooks"). Womit wir es zu tun haben, das ist die Konfrontation des Geistes(menschen) mit dem Leben, mit der zur Reflexion nicht aufgelegten Vitalität, die sich bei Strunk indes in einem völlig anderen Milieu zuträgt. Weithin sichtbar wird Thomas Mann in Niendorf als Referenzgröße platziert. Diese Leistungsethiker - es ist Strunks neunter Roman in achtzehn Jahren, alles andere gar nicht mitgerechnet - kennen die Faszination und die Gefahr, die vom Loslassen ausgehen, sonst wären sie keine.
Wollust des Untergangs: Es frappiert, wie sehr sich die seelischen Triebkräfte des "Halb zog es ihn, halb sank er hin" doch gleichen. Beide Helden betreten den Ferienort mit Skepsis; aber die innere Abwehr gegen Land und Leute erweist sich gerade in ihrer vermeintlichen Entschiedenheit als unwirksam. Dabei spart Strunk sich den Aufwand, den Thomas Mann treibt, um Hans Castorps Anfälligkeit für alles geistig Höhere inklusive Krankheit und Tod auch dem Bildungsbürger begreiflich zu machen; sein Held kann schon beim Eintauchen in die ganz und gar ungeistige Sphäre seines Domizils alle Hoffnung fahren lassen.
Die leitmotivisch eingeflochtenen Reminiszenzen an das Niendorfer Treffen der Gruppe 47 vom Mai 1952 dienen mit dem höhnischen, sich lustig machenden Unterton eher dazu, die Distanz nicht zum Geistigen an sich, aber zur vereinsmeierisch organisierten, spätestens aus heutiger Sicht verknöcherten Literatur zu markieren, und das in einem Roman, der an Feinnervigkeit selbst kaum zu überbieten ist. Auch hierin, nicht nur in dem bei diesem Autor notorischen Interesse fürs Schäbig-Heruntergekommene, ja Verkommene, liegt etwas Kühnes. Hier gibt es, wie immer bei Strunk, kein vornehmes Getue; und doch - das muss man erst einmal hinbekommen - scheint durch die bisweilen äußerst drastischen Leidensschilderungen eine eigentümliche Humanität: "Warum nur muss ein Mensch, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, so elend und erschöpft sein?" Nun wäre dies kein Heinz-Strunk-Roman ohne die überragende Komik: "Den Weg über das Brodtener Ufer muss er sich mit Myriaden von Greisenradfahrern teilen. Schrecklich, diese Rentner. Er stellt sich vor, sein Rachen wäre, wie der eines Komodowarans, mit tödlichen Bazillen verseucht. Wenn er einen Rentner bisse, würde er ihm einen kleinen Vorsprung gewähren, die Witterung aufnehmen, ihn verfolgen und schließlich zur Strecke bringen. The Pensioner Biter."
Man könnte versucht sein, das Ende als Idyll zu lesen. Tatsächlich aber kann man nicht tiefer sinken als dieser Roth, der sich schließlich mit Bredas Freundin Simone in einem beschaulichen Leben einrichtet und damit vollends einem Milieu verhaftet bleibt, für das er nur Verachtung übrighat. Sie sind, auf einer Stufe vollendeter Geistlosigkeit und damit spiegelverkehrt, sein Naphta und sein Settembrini, verführerische Einflüsterer, die ihm das nehmen, was Hans Castorp mitbekam: Bildung, Zivilität. So wird aus der "Spaßbremse im noblen Zwirn", die erst noch denkt: "Erfrischend, mit jemandem auf niedrigem Niveau zu verkehren", ein haltloser Trinker, der einen Kater für die Melancholie eines Geistesmenschen hält und bei der schriftstellerischen Arbeit bald gar nicht mehr vorankommt.
Dass wir Roths Vornamen (Georg) an auffällig unauffälliger Stelle erfahren, lädt, wie die sparsamen biographischen Auskünfte, dazu ein, ihn als jedermann, als Verkörperung einer Anfälligkeit für alles Niedere zu begreifen. Hans Castorp erwies sich als ungemein "aufnahmefähig" für den besonderen Genius Loci: "Aber zuletzt war es deine Geschichte; da sie dir zustieß, mußtest du's irgend wohl hinter den Ohren haben." Dass nicht jedem jede Geschichte passiert, erfährt auch Roth. Beide kommen uns schließlich aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. EDO REENTS
Heinz Strunk: "Ein Sommer in Niendorf". Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 240 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es sei denn, man ist Heinz Strunk. Er wagt es und gewinnt. Um nicht missverstanden zu werden: Mit der Erzählweise Thomas Manns hat er wenig am Hut. Sein Stil ist die Nutzanwendung aus der Tatsache, dass die Zeiten dafür vorbei sind. Das schließt Respekt, Bewunderung nicht aus; von Einflussangst ist er aber frei. Er kann sich seine Abneigung gegen (allzu) realistisches, detailreiches oder einfach -verliebtes Erzählen allerdings leisten, weil er sie im Bewusstsein einer bestimmten Zeitgenossenschaft oder Zeitgemäßheit pflegt und dafür etwas anderes auf Lager hat: eine so, in dieser von Buch zu Buch perfektionierten Ökonomie nur bei ihm zu habende Bestandsaufnahme einer seelischen Disposition, die ganz aufs Elend ausgerichtet ist und davon meistens aufgefressen wird.
Sein neuer Roman "Ein Sommer in Niendorf" wurde von Richard Kämmerlings in der "Welt am Sonntag" mit dem "Tod in Venedig" kurzgeschlossen. Das hat viel für sich, erst recht, wenn man bedenkt, dass der "Zauberberg" als "humoristisches Gegenstück" zum "Tod in Venedig" gedacht und als Novelle konzipiert war - wie die Niendorf-Geschichte, die auch erst eine Erzählung war, bis Strunk im vergangenen Sommer, als sein Roman "Es ist immer so schön mit dir" herauskam, gespürt haben muss, dass da mehr drinsteckt - nämlich eine Verfalls- oder Untergangsgeschichte, wie Thomas Mann sie zeit seines Lebens erzählt hat.
Hatte Hans Castorp in der Schweizer Höhenluft eine spektakuläre Steigerung seines von Haus aus eher schlichten Wesens erfahren, so lässt Strunk seinen aktuellen Protagonisten das Gegenteil davon erleiden: einen Abstieg, wie er trostloser kaum vorstellbar scheint. Es ist, in diesem hoffentlich wohlverstandenen Sinne, sein schlimmstes Buch, niederziehend bis dorthinaus. Nun war schon der "Goldene Handschuh" kein Spaß. Doch dieser Roman, für den Strunk den Wilhelm-Raabe-Preis bekam, handelte, auf historisch verbürgter Grundlage, von jemandem, der schon heruntergekommen war, als die Handlung einsetzte, und so gut wie keine Handhabe zur Identifikation bot. Das ist jetzt anders: Roth, ein promovierter Jurist, der sich vor der Übernahme einer neuen Arbeit für drei Monate nach Niendorf, Timmendorfer Strand, in ein Ferienapartment zurückzieht, um dort sowohl auszuspannen als auch die Tonbandaufzeichnungen seines verstorbenen Vaters für eine Familienchronik belletristisch auszuwerten, versackt dort trotz oder wegen bester Vorsätze, ein normales, halbwegs diszipliniertes und produktives Leben zu führen. Er sieht sich schon als den neuen Thomas Mann, aber da ist Breda vor, Apartmentverwalter und Spirituosenladenbetreiber in unheilvoller Personalunion.
Eigentlich braucht man jetzt gar nicht mehr weiterzuerzählen; Strunk ist als Fachmann für Säuferabstürze einschlägig bekannt. Aber diese hier gehen wirklich ins Bodenlose. Natürlich ist die in vertrauten Strunk-Bahnen (Peinlichkeiten und Demütigungen en gros, dazu rasiermesserscharfe Analysen deformierten, buchstäblich aus dem Leim gegangenen Lebens) abgespulte Handlung für sich genommen schon ihr Geld wert. Aber die Konsequenz, mit der sie auf ihr von Beginn an absehbares, in dieser Sang- und Klanglosigkeit jedoch schockierendes Ende zusteuert, ist bemerkenswert - ökonomischer verfuhr Strunk selbst in "Fleisch ist mein Gemüse" nicht.
Doch wie kann diese kondensierte, geschickt raffende Erzählweise eine "Zauberberg"-Geschichte sein? Strunk wird sich nicht bewusst daran ausgerichtet haben. Man darf hier von ganz grundsätzlicher Verwandtschaft im Geistig-Mentalen ausgehen, die aufgrund des zeitlichen Abstands etwas unkenntlich geworden ist. Strunk ist kein Thomas Mann, aber, wie Stifter über Goethe sagte, "von seiner Familie". Das zeigt sich schon in der meisterlichen Figurenzeichnung: "Die Bedienung ist jung, drall, dümmlich, irgendwie unverschämt und lädt zum Träumen ein." Vergleiche: "Fiken Dahlbeck war an die 40, korpulent und frech" ("Buddenbrooks"). Womit wir es zu tun haben, das ist die Konfrontation des Geistes(menschen) mit dem Leben, mit der zur Reflexion nicht aufgelegten Vitalität, die sich bei Strunk indes in einem völlig anderen Milieu zuträgt. Weithin sichtbar wird Thomas Mann in Niendorf als Referenzgröße platziert. Diese Leistungsethiker - es ist Strunks neunter Roman in achtzehn Jahren, alles andere gar nicht mitgerechnet - kennen die Faszination und die Gefahr, die vom Loslassen ausgehen, sonst wären sie keine.
Wollust des Untergangs: Es frappiert, wie sehr sich die seelischen Triebkräfte des "Halb zog es ihn, halb sank er hin" doch gleichen. Beide Helden betreten den Ferienort mit Skepsis; aber die innere Abwehr gegen Land und Leute erweist sich gerade in ihrer vermeintlichen Entschiedenheit als unwirksam. Dabei spart Strunk sich den Aufwand, den Thomas Mann treibt, um Hans Castorps Anfälligkeit für alles geistig Höhere inklusive Krankheit und Tod auch dem Bildungsbürger begreiflich zu machen; sein Held kann schon beim Eintauchen in die ganz und gar ungeistige Sphäre seines Domizils alle Hoffnung fahren lassen.
Die leitmotivisch eingeflochtenen Reminiszenzen an das Niendorfer Treffen der Gruppe 47 vom Mai 1952 dienen mit dem höhnischen, sich lustig machenden Unterton eher dazu, die Distanz nicht zum Geistigen an sich, aber zur vereinsmeierisch organisierten, spätestens aus heutiger Sicht verknöcherten Literatur zu markieren, und das in einem Roman, der an Feinnervigkeit selbst kaum zu überbieten ist. Auch hierin, nicht nur in dem bei diesem Autor notorischen Interesse fürs Schäbig-Heruntergekommene, ja Verkommene, liegt etwas Kühnes. Hier gibt es, wie immer bei Strunk, kein vornehmes Getue; und doch - das muss man erst einmal hinbekommen - scheint durch die bisweilen äußerst drastischen Leidensschilderungen eine eigentümliche Humanität: "Warum nur muss ein Mensch, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, so elend und erschöpft sein?" Nun wäre dies kein Heinz-Strunk-Roman ohne die überragende Komik: "Den Weg über das Brodtener Ufer muss er sich mit Myriaden von Greisenradfahrern teilen. Schrecklich, diese Rentner. Er stellt sich vor, sein Rachen wäre, wie der eines Komodowarans, mit tödlichen Bazillen verseucht. Wenn er einen Rentner bisse, würde er ihm einen kleinen Vorsprung gewähren, die Witterung aufnehmen, ihn verfolgen und schließlich zur Strecke bringen. The Pensioner Biter."
Man könnte versucht sein, das Ende als Idyll zu lesen. Tatsächlich aber kann man nicht tiefer sinken als dieser Roth, der sich schließlich mit Bredas Freundin Simone in einem beschaulichen Leben einrichtet und damit vollends einem Milieu verhaftet bleibt, für das er nur Verachtung übrighat. Sie sind, auf einer Stufe vollendeter Geistlosigkeit und damit spiegelverkehrt, sein Naphta und sein Settembrini, verführerische Einflüsterer, die ihm das nehmen, was Hans Castorp mitbekam: Bildung, Zivilität. So wird aus der "Spaßbremse im noblen Zwirn", die erst noch denkt: "Erfrischend, mit jemandem auf niedrigem Niveau zu verkehren", ein haltloser Trinker, der einen Kater für die Melancholie eines Geistesmenschen hält und bei der schriftstellerischen Arbeit bald gar nicht mehr vorankommt.
Dass wir Roths Vornamen (Georg) an auffällig unauffälliger Stelle erfahren, lädt, wie die sparsamen biographischen Auskünfte, dazu ein, ihn als jedermann, als Verkörperung einer Anfälligkeit für alles Niedere zu begreifen. Hans Castorp erwies sich als ungemein "aufnahmefähig" für den besonderen Genius Loci: "Aber zuletzt war es deine Geschichte; da sie dir zustieß, mußtest du's irgend wohl hinter den Ohren haben." Dass nicht jedem jede Geschichte passiert, erfährt auch Roth. Beide kommen uns schließlich aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. EDO REENTS
Heinz Strunk: "Ein Sommer in Niendorf". Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 240 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Aber dann gibt es noch die Bücher von Heinz Strunk, die ich allesamt großartig finde, die mich aber immer wieder kalt erwischen, vollkommen überraschen und etwas wecken, was ich selten in anderen Werken finde. Nicola Bräunling Süddeutsche Zeitung 20221105
Ganz unten
in Niendorf
Heinz Strunks sommerliche Horrorversion
eines großen literarischen Vorbildes
VON ERIKA THOMALLA
Die Erwartungen könnten kaum höher sein. Als eine „Art norddeutsches ,Tod in Venedig’“ kündigte der Rowohlt-Verlag Heinz Strunks Roman „Ein Sommer in Niendorf“ an. Die Verbindung mit Thomas Manns berühmter Novelle, in der ein erfolgreicher, asketisch lebender Schriftsteller nach Venedig reist, dort der Schönheit des jungen Tadzio verfällt und schließlich an der Cholera stirbt, kann allerdings nur ironisch verstanden werden. Denn Strunks Roman ist in mehr als einer Hinsicht das exakte Gegenteil eines Thomas-Mann-Stoffs.
Roth, der Protagonist von „Ein Sommer in
in Niendorf
Heinz Strunks sommerliche Horrorversion
eines großen literarischen Vorbildes
VON ERIKA THOMALLA
Die Erwartungen könnten kaum höher sein. Als eine „Art norddeutsches ,Tod in Venedig’“ kündigte der Rowohlt-Verlag Heinz Strunks Roman „Ein Sommer in Niendorf“ an. Die Verbindung mit Thomas Manns berühmter Novelle, in der ein erfolgreicher, asketisch lebender Schriftsteller nach Venedig reist, dort der Schönheit des jungen Tadzio verfällt und schließlich an der Cholera stirbt, kann allerdings nur ironisch verstanden werden. Denn Strunks Roman ist in mehr als einer Hinsicht das exakte Gegenteil eines Thomas-Mann-Stoffs.
Roth, der Protagonist von „Ein Sommer in
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Niendorf“, ist kein Schriftsteller, möchte aber einer werden. Er hat sich eine dreimonatige Auszeit von seinem Beruf als Anwalt genommen, um in jenem Ostseebad, in dem zu Beginn der 1950er-Jahre die Gruppe 47 tagte, aus seiner Familiengeschichte einen Bestseller zu machen: „Buch, Hörbuch, E-Book, Podcast, vielleicht findet sich sogar jemand, der den Stoff verfilmt. Netflix oder Amazon Prime oder RTL+ oder Disney+.“ Er imaginiert sich bereits als „Starautor auf ausverkaufter Lesereise, an dessen Lippen allabendlich Hunderte (Tausende) von Menschen hängen“.
Doch mit dem Schreiben will es in Niendorf nicht richtig klappen. Das liegt nicht nur daran, dass sich die Tonbänder, die Roth täglich abhört, als ungeeignetes Material erweisen, sondern hängt vor allem mit den Begegnungen zusammen, die er dort macht. Anstelle des Geists der Gruppe 47 findet Roth in Niendorf bloß Hässlichkeit und soziales Elend. Er geht eine eher unfreiwillige Freundschaft mit seinem Vermieter Breda und dessen Freundin Simone ein. Breda, der sich gleichzeitig als Strandkorbvermieter und Spirituosenhändler verdingt, ist das komplette Gegenteil eines schönen, verführerischen jungen Manns – ein Säufer, vulgär, aufdringlich und unansehnlich: „Breda sieht aus wie eine Schnecke, die jemand gegen die Wand geworfen hat (…). Zwischen seinen auf- und zuklappenden Lippen hängt ein Dutzend zitternder Speichelfäden, am Rand seines Weinglases kleben Speichelreste.“ Und auch Simone, deren „Dicksein“ alles andere überschattet, findet Roth durch und durch abstoßend. „Tod in Venedig“ also allenfalls unter verkehrten Vorzeichen und in einer typischen Strunk-Welt: ohne Schönheit, Askese oder Prominenz.
Wie alle Strunk-Romane zeichnet sich „Ein Sommer in Niendorf“ durch einen Sound aus, der klingt, wie unmittelbar aus Reality-TV-Sendungen, in Absturzkneipen oder an Autobahnraststätten mitgeschnitten. Einige Szenen haben eher den Charakter von Nebengeräuschen, die zufällig im Roman gelandet zu sein scheinen. Doch gerade wenn die Geschichte durch solche dialogischen Episoden unterbrochen wird, erkennt man die Qualität von Strunks Schreiben: sein protokollarisches Verhältnis zur Alltagswirklichkeit. Seine Kunst besteht darin, die verkommensten und trostlosesten Milieus realistisch nachzuzeichnen, ohne sich über sie zu erheben oder sie zu parodieren. Im Gegenteil erweisen sich oft gerade Figuren, die sich für moralisch und intellektuell überlegen halten, als die eigentlich verkorksten.
So verhält es sich bei Roth, der im Maßanzug nach Niendorf reist, stolz darauf ist, noch nie in seinem Leben einen Döner gegessen zu haben und für seinen Vermieter anfangs nichts als Herablassung übrig hat: Breda ist für ihn ein „abgerissenes Viech“, ein „Freak“, „eine dumme Sau, lallend, spuckend, sich in die Hose pissend, ein Penner“. Doch je länger sein Aufenthalt an der Ostsee dauert, desto mehr zeigt sich, dass Roth in der Welt des sozialen Elends, das er verachtet, alles andere als ein Außenseiter ist: Er trinkt so viel, dass er das Bewusstsein verliert, fällt in Hundekot, reißt sich die Hose auf, spannt einer jungen Kellnerin hinterher, begeht Fahrerflucht, belügt seine bankrotte Tochter, der er kein Geld leihen möchte, und schlägt seiner Ex-Frau im Streit ins Gesicht. Alle seine Beziehungen erweisen sich als dysfunktional. Nach und nach reift die Überzeugung in ihm, dass der „treue“ Breda und die „liebe“ Simone die einzigen Personen auf der Welt sind, die an ihn denken und sich um ihn kümmern.
Als sich der Aufenthalt dem Ende zuneigt, hat sich etwas verändert. Roth ist seiner ursprünglichen Welt entfremdet und weiß „nicht mehr, wer er ist. Er ist irgendetwas anderes geworden“. Die Rückkehr in seinen Arbeitsalltag erscheint ihm unmöglich. Nachdem er seinen Aufenthalt zunächst um eine Woche verlängert hat, deutet sich an, dass er den Badeort möglicherweise nie wieder verlassen wird.
Mit dieser Wendung ist die Reminiszenz an eine weitere Thomas-Mann-Erzählung verbunden: den Roman „Der Zauberberg“, aus dem Roths verstorbener Vater, wie man beiläufig erfährt, „wörtlich zu zitieren vermochte“. Auch in diesem Fall handelt es sich allerdings eher um ein Zerrbild als um eine Nachahmung. Während Hans Castorp, der Protagonist des „Zauberbergs“, seinen ursprünglich für drei Wochen geplanten Aufenthalt in einem Davoser Luxus-Sanatorium auf sieben Jahre ausdehnt, bleibt Roth einem „Zementhaufen“ mit „Siebzigerjahre-Schrottarchitektur“ verhaftet.
Statt wie Castorp durch die Faszination für einen weltgewandten, gebildeten Mentor und die Liebe zu einer zarten, faszinierenden Frau an den Ort gebunden zu werden, verfällt Roth dem „übergriffigen“ Alkoholiker Breda und der gefühligen, adipösen Simone. Mehr noch: Als Breda krank wird und schließlich stirbt, übernimmt Roth dessen Jobs und dessen Freundin. Die Pointe liegt darin, dass das, was äußerlich den Eindruck einer sozialen Abstiegsgeschichte macht, nicht zur Katastrophe, sondern zur Befreiung führt. In der kaputten Welt von Niendorf findet Roth sein Glück. Der „Tod in Niendorf“ ist, weil hier im Gegensatz zu Manns „Tod in Venedig“ der Andere stirbt, die Geschichte einer geglückten Substitution: Roth ist Breda geworden.
Was vielleicht aussehen mag wie
eine Katastrophe, führt
schlussendlich zur Befreiung
Heinz Strunk:
Ein Sommer in Niendorf. Roman. Rowohlt,
Hamburg 2022.
240 Seiten, 20 Euro.
Hochsaison in Niendorf, wo Heinz Strunks Held der Welt abhanden kommt.
Foto: Chris Emil Janssen/imago images
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Doch mit dem Schreiben will es in Niendorf nicht richtig klappen. Das liegt nicht nur daran, dass sich die Tonbänder, die Roth täglich abhört, als ungeeignetes Material erweisen, sondern hängt vor allem mit den Begegnungen zusammen, die er dort macht. Anstelle des Geists der Gruppe 47 findet Roth in Niendorf bloß Hässlichkeit und soziales Elend. Er geht eine eher unfreiwillige Freundschaft mit seinem Vermieter Breda und dessen Freundin Simone ein. Breda, der sich gleichzeitig als Strandkorbvermieter und Spirituosenhändler verdingt, ist das komplette Gegenteil eines schönen, verführerischen jungen Manns – ein Säufer, vulgär, aufdringlich und unansehnlich: „Breda sieht aus wie eine Schnecke, die jemand gegen die Wand geworfen hat (…). Zwischen seinen auf- und zuklappenden Lippen hängt ein Dutzend zitternder Speichelfäden, am Rand seines Weinglases kleben Speichelreste.“ Und auch Simone, deren „Dicksein“ alles andere überschattet, findet Roth durch und durch abstoßend. „Tod in Venedig“ also allenfalls unter verkehrten Vorzeichen und in einer typischen Strunk-Welt: ohne Schönheit, Askese oder Prominenz.
Wie alle Strunk-Romane zeichnet sich „Ein Sommer in Niendorf“ durch einen Sound aus, der klingt, wie unmittelbar aus Reality-TV-Sendungen, in Absturzkneipen oder an Autobahnraststätten mitgeschnitten. Einige Szenen haben eher den Charakter von Nebengeräuschen, die zufällig im Roman gelandet zu sein scheinen. Doch gerade wenn die Geschichte durch solche dialogischen Episoden unterbrochen wird, erkennt man die Qualität von Strunks Schreiben: sein protokollarisches Verhältnis zur Alltagswirklichkeit. Seine Kunst besteht darin, die verkommensten und trostlosesten Milieus realistisch nachzuzeichnen, ohne sich über sie zu erheben oder sie zu parodieren. Im Gegenteil erweisen sich oft gerade Figuren, die sich für moralisch und intellektuell überlegen halten, als die eigentlich verkorksten.
So verhält es sich bei Roth, der im Maßanzug nach Niendorf reist, stolz darauf ist, noch nie in seinem Leben einen Döner gegessen zu haben und für seinen Vermieter anfangs nichts als Herablassung übrig hat: Breda ist für ihn ein „abgerissenes Viech“, ein „Freak“, „eine dumme Sau, lallend, spuckend, sich in die Hose pissend, ein Penner“. Doch je länger sein Aufenthalt an der Ostsee dauert, desto mehr zeigt sich, dass Roth in der Welt des sozialen Elends, das er verachtet, alles andere als ein Außenseiter ist: Er trinkt so viel, dass er das Bewusstsein verliert, fällt in Hundekot, reißt sich die Hose auf, spannt einer jungen Kellnerin hinterher, begeht Fahrerflucht, belügt seine bankrotte Tochter, der er kein Geld leihen möchte, und schlägt seiner Ex-Frau im Streit ins Gesicht. Alle seine Beziehungen erweisen sich als dysfunktional. Nach und nach reift die Überzeugung in ihm, dass der „treue“ Breda und die „liebe“ Simone die einzigen Personen auf der Welt sind, die an ihn denken und sich um ihn kümmern.
Als sich der Aufenthalt dem Ende zuneigt, hat sich etwas verändert. Roth ist seiner ursprünglichen Welt entfremdet und weiß „nicht mehr, wer er ist. Er ist irgendetwas anderes geworden“. Die Rückkehr in seinen Arbeitsalltag erscheint ihm unmöglich. Nachdem er seinen Aufenthalt zunächst um eine Woche verlängert hat, deutet sich an, dass er den Badeort möglicherweise nie wieder verlassen wird.
Mit dieser Wendung ist die Reminiszenz an eine weitere Thomas-Mann-Erzählung verbunden: den Roman „Der Zauberberg“, aus dem Roths verstorbener Vater, wie man beiläufig erfährt, „wörtlich zu zitieren vermochte“. Auch in diesem Fall handelt es sich allerdings eher um ein Zerrbild als um eine Nachahmung. Während Hans Castorp, der Protagonist des „Zauberbergs“, seinen ursprünglich für drei Wochen geplanten Aufenthalt in einem Davoser Luxus-Sanatorium auf sieben Jahre ausdehnt, bleibt Roth einem „Zementhaufen“ mit „Siebzigerjahre-Schrottarchitektur“ verhaftet.
Statt wie Castorp durch die Faszination für einen weltgewandten, gebildeten Mentor und die Liebe zu einer zarten, faszinierenden Frau an den Ort gebunden zu werden, verfällt Roth dem „übergriffigen“ Alkoholiker Breda und der gefühligen, adipösen Simone. Mehr noch: Als Breda krank wird und schließlich stirbt, übernimmt Roth dessen Jobs und dessen Freundin. Die Pointe liegt darin, dass das, was äußerlich den Eindruck einer sozialen Abstiegsgeschichte macht, nicht zur Katastrophe, sondern zur Befreiung führt. In der kaputten Welt von Niendorf findet Roth sein Glück. Der „Tod in Niendorf“ ist, weil hier im Gegensatz zu Manns „Tod in Venedig“ der Andere stirbt, die Geschichte einer geglückten Substitution: Roth ist Breda geworden.
Was vielleicht aussehen mag wie
eine Katastrophe, führt
schlussendlich zur Befreiung
Heinz Strunk:
Ein Sommer in Niendorf. Roman. Rowohlt,
Hamburg 2022.
240 Seiten, 20 Euro.
Hochsaison in Niendorf, wo Heinz Strunks Held der Welt abhanden kommt.
Foto: Chris Emil Janssen/imago images
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Eines der schlechtesten Bücher,…. nein, vermutlich das schlechteste Buch, dass ich in letzter Zeit gelesen habe. Von dem, was in den hochgelobten Gazetten zum Buch und Autor geschrieben steht, ist wenig bis nichts zu finden. Deshalb leider keine Kaufempfehlung von mir. Aber doch! …
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Eines der schlechtesten Bücher,…. nein, vermutlich das schlechteste Buch, dass ich in letzter Zeit gelesen habe. Von dem, was in den hochgelobten Gazetten zum Buch und Autor geschrieben steht, ist wenig bis nichts zu finden. Deshalb leider keine Kaufempfehlung von mir. Aber doch! Wohlmöglich eine gute Lektüre für jemand, der gerne nachmittags RTL2 schaut und sich voyeuristisch am miesen Leben anderer Leute erfreut. Schade!
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Humorvoll und tragisch
Der Jurist Roth tritt demnächst einen neuen Posten an. Den Sommerurlaub davor möchte er richtig genießen. Er mietet ein Apartment an der Ostsee, in Niendorf am Timmendorfer Strand. Er freut sich auf die Freizeit an einem Ort, wo ihn keiner kennt. Das …
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Humorvoll und tragisch
Der Jurist Roth tritt demnächst einen neuen Posten an. Den Sommerurlaub davor möchte er richtig genießen. Er mietet ein Apartment an der Ostsee, in Niendorf am Timmendorfer Strand. Er freut sich auf die Freizeit an einem Ort, wo ihn keiner kennt. Das schöne Apartment mit einer einmaligen Aussicht auf die Ostsee, die einladende Fußgängerpromenade mit vielen lokalen Ladengeschäften und die noch leerstehende Strandkörbe versprechen eine schöne erholsame Sommerzeit.
Er plant an dem Ort drei Monate zu verbringen. Die Zeit will er aber auch für das Schreiben der brisanten Geschichte seiner Familie nutzen. Als Rohmaterial dienen ihm die Tonbandaufzeichnungen von den Gesprächen, die er mit seinem bereits schwerkranken Vater geführt hat. Er selbst bezeichnet diese Gespräche als eine Generalbeichte. Roth sieht sich bereits als Autor eines Bestsellers, der sogar verfilmt werden könnte.
Doch der idyllische Ort, den er für sein Vorhaben gewählt hat und die Menschen, denen er dort begegnet, machen seine Pläne zunichte. Der Anwalt Roth, der am Anfang dieser Geschichte noch einen edlen Maßanzug trägt, passt sich schnell seiner neuen, für ihn bisher absolut abstoßenden Umgebung an. Er findet Gefallen an den Kontakten mit den Menschen, die er bis dahin verabscheut und grundsätzlich gemieden hat, und wurde zum Schluss einer von ihnen.
Der Roman von Heinz Strunk ist eine ungewöhnliche Geschichte mit einem unsympathischen Helden. Ich habe dieses Buch mit gemischten Gefühlen gelesen. Denn das Verhalten des überheblichen und doch so lächerlichen Juristen und Möchtegern-Schriftstellers konnte ich nicht nachvollziehen. Zu undurchsichtig sind seine Motive, zu unklar seine Vergangenheit und sehr merkwürdig sein jetziges Verhalten. Obwohl Roths Pläne zum Schluss scheitern, scheint er nicht unbedingt deswegen unglücklich zu sein.
Der Schreibstil des Autors – ich habe bisher kein Buch von Heinz Strunk gelesen - hat mich überrascht. Seine Sprachgewandtheit, die ausdrucksstarken Äußerungen: mal fast poetisch, dann wiederum grob und ordinär, dazu bildhaft dargestellte Szenen und Handlungen, in denen Humor mit Tragik gekonnt miteinander verwoben worden sind, haben mich an diese Geschichte gefesselt. Ich fand sie interessant und skurril zugleich. Diese sonderbare Sommergeschichte entwickelt einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.
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Gebundenes Buch
Happy-End bei Strunk
Dieses Buch kann auf zwei Arten gelesen werden: Für Thomas Mann Kenner mit dem Vergleich zum Zauberberg und für mich als Nichtzauberbergkenner ohne den Vergleich.
So sind wir wieder in der typisch strunkschen Abstiegsgesellschaft, die auch vor dem Ostseebad …
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Happy-End bei Strunk
Dieses Buch kann auf zwei Arten gelesen werden: Für Thomas Mann Kenner mit dem Vergleich zum Zauberberg und für mich als Nichtzauberbergkenner ohne den Vergleich.
So sind wir wieder in der typisch strunkschen Abstiegsgesellschaft, die auch vor dem Ostseebad Niendorf keinen Halt macht. Bemerkenswert wie Roth die Beziehung zu einer Matjesfrau schildert, die mit unserm Erzähler schlafen will, der aber keine Lust hat, weil er vor allem vom Matjesgeruch abgeturnt wird.
Typisch Strunk ist auch die Erzählung des Besoffenen, der einen Fremden mit seinem Auto mitschleift, weil dieser seinen Arm im Beifahrerfenster eingeklemmt hat.
Da Lob ich mir die Handarbeit von Simone, die sonst so gar nicht zu den Themen des Autors passt.
Ich will mal eine Lanze für dieses Buch brechen und verteile 4 Sterne, auch wenn ich sehe, dass es neben den geschilderten Höhepunkten viele Längen hat. Allerdings befürchte ich auch, dass die Welt untergeht, wenn Strunk für seine pessimistische Weltanschauung den Buchpreis erhält.
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Zu Beginn lustig, später nur noch grässlich!
Roth über seine Tochter:
„Fiona ist, man muss es leider so sagen, missraten, verkorkst und zwar grundlegend verkorkst. Irgend'was ist schiefgelaufen. Beim Gen-Roulette die Null erwischt. Unbekannter Defekt. Seltene Störung, …
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Zu Beginn lustig, später nur noch grässlich!
Roth über seine Tochter:
„Fiona ist, man muss es leider so sagen, missraten, verkorkst und zwar grundlegend verkorkst. Irgend'was ist schiefgelaufen. Beim Gen-Roulette die Null erwischt. Unbekannter Defekt. Seltene Störung, verwobener Webfehler.
Unausstehlich mit 2, unsympathisch mit 4, unerträglich mit 8, zum Kotzen mit 16. (…) In unendlichen Weiten von Fionas Gehirn müssen jede Menge Synapsen verschmokelt sein und jetzt fahren die Transmitter Achterbahn, arrogant, selbstgerecht, humorbefreit und dauerbeleidigt, glaubt sie, das Universum existiere einzig und allein zu dem Zweck, ihre Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen. Im Laufe der Jahre wuchs ihr Missmut, wodurch er so umfassend wurde, dass kein Kraut mehr dagegen gewachsen ist. (…) Und so sass er nach einem knappen halben Jahr wieder seiner Feindin gegenüber, vielleicht die Enttäuschung seines Lebens. Als sie in der Pubertät das Mondkalbstadion erreichte, als aus ihr ein übergewichtiges, pickliges Wesen wurde, die Verhässlichung sie noch unerträglicher machte, fiel endgültig der Vorhang zwischen ihnen.“ (Section 7)
Ein Sommer in Niendorf
Heinz Strunk,
gelesen vom Autor
Der alternde Jurist und Schriftsteller Roth mietet sich in einem kleinen Zimmer in Niendorf an der Ostsee ein. Hier möchte er ein Buch bestehend aus Zeitzeugenberichten und Aufzeichnungen seiner Familie schreiben. Er hat sich extra dafür ein Vierteljahr freigenommen und freut sich darauf, einfach mal gar nichts zu tun, sich nur auf seine Familienbiografie zu konzentrieren.
Angekommen in Niendorf und gleich zu Beginn stellt Roth fest, dass der Verwalter seiner angemieteten Wohnung ein Alkoholproblem hat. Dessen Angebote am Mittag mal einen „zu zwitschern“ lehnt er zunächst ab.
Er ist ambitioniert, sein grosses Ziel ist es, mindestens fünf Stunden am Tag zu schreiben, doch schnell stellt er fest, dass seine Familiengeschichte eigentlich nicht spannend, sondern eher langweilig ist.
Immer öfter nimmt er die Trinkangebote seines Verwalters jetzt an und merkt gar nicht, wie er bereits in einem Hamsterrad sitzt, welches sich zu drehen begonnen hat.
Was vielversprechend, mit sarkastischen Humor begann, artete völlig aus.
Während ich am Anfang noch über den Humor lächeln konnte, hätte ich am liebsten 21 Seiten vor Buchende abgebrochen. Roth ist ein Narzisst. Frauen sieht er entweder als Sexobjekte oder wertet diese an ihren nicht perfekten Körpermerkmalen ab:
Roth über eine beleibte Jugendliche am Strand:
„Das Entlein hat ein gelbes dummes Gesicht, voller bläulicher Aknespuren. In ihrem schlappen Badeanzug sieht sie aus, wie eine zerquetschte Nektarine. Schlaffe Arme, schlaffer Mund, schlaffer Blick. Die käserartigen schweren Lieder hängen auf Halbmast. Weil sie aussieht wie sie aussieht, mag sie sich nicht ausziehen. Vielleicht ist sie die Schwester oder Cousine von irgendjemand. Eine, die man aus Mitleid mitnimmt und dann irgendwo vergisst.“ (Section 6)
Beleidigungen, in einer Fäkalsprache, werden hier aneinandergereiht. Weder Niendorf, noch Niendorfer Lokalitäten kommen hier gut weg.
Die Idee, dass ein Hamburger dieses Buch liest, finde ich phänomenal. Aber nicht jeder Autor ist ein guter Hörbuchsprecher.
Strunk rattert in seinem Hamburger Akzent das Buch nur so runter. Man könnte meinen, dass ihm für Schnelligkeit ein Preis in Aussicht gestellt wurde! Ich hoffe, dass es nicht der Deutsche Buchpreis 2022 ist!
Völlig zu Unrecht auf der Longlist!
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Gebundenes Buch
Heinz Strunk habe ich vor allem wegen seines Teemännchen-Kurzgeschichtenbandes in mein Leserherz geschlossen. Kein Autor versteht es auf so sarkastische und vor allem dunkle Weise die Ausgegrenzten und von der Gesellschaft Abgehängten zu porträtieren.
In seinem neuesten Werk …
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Heinz Strunk habe ich vor allem wegen seines Teemännchen-Kurzgeschichtenbandes in mein Leserherz geschlossen. Kein Autor versteht es auf so sarkastische und vor allem dunkle Weise die Ausgegrenzten und von der Gesellschaft Abgehängten zu porträtieren.
In seinem neuesten Werk "Ein Sommer in Niendorf", das für den Deutschen Buchpreis 2022 nominiert ist, geht es wieder um eine bedauernswerte Gestalt. Der Jurist Dr. Roth (51) will in Niendorf seine Familiengeschichte schriftstellerisch aufarbeiten, doch die selbst verordnete 3-monatige Auszeit an der Ostsee läuft komplett aus dem Ruder. Zwischen Alkohol, falschen Freunde und Niendorfer Sargruhe wird er sich seiner unbedeutenden Existenz gewahr.
Ich bin Strunks abgründige Schreibe gewöhnt und mag seine demaskierenden Alltagsbeschreibungen sehr, doch im vorliegenden Roman wurde es selbst mir zu viel. Hauptfigur Roth verliert sich für meinen Geschmack zu sehr im Alkohol und Spinnereien. Sein Schicksal scheint aussichtslos zu sein und zieht ihn von Buchseite zu Buchseite immer mehr nach unten. Der Plot kommt ohne Überraschungen aus und plätschert so vor sich hin, was dazu führte, dass ich mich mehrmals dazu zwingen musste, das Buch weiter zu lesen. Vor allem das Ende widerte mich beim Lesen regelrecht an.
Ich habe mir im Vorhinein mehr von diesem Buch versprochen, doch in Sachen Inhalt und Stil nur einen Abklatsch von Strunks bisherigen Werken bekommen. Dieses Buch kann nur lesen, wer stark genug ist, den menschlichen Abgründen ins Auge zu schauen. Die Nominierung für den Deutschen Buchpreis kann ich leider nicht nachvollziehen.
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Broschiertes Buch Ein klassischer Strunk. Auf den Punkt unterhaltsam, echt, gut beobachtet und wie immer köstlich amüsierend.
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Gebundenes Buch Nicht nur für Ostsee-Liebhaber finde ich die Geschichte dieser Auszeit, die zu einem kompletten Neubeginn wird, besonders in der ersten Hälfte des Romans lesens- und empfehlenswert.
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