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»Kindsein in Zeiten des Krieges« Krieg und NS-Zeit aus der Sicht eines Kindes. Ein Roman über die Südtiroler Auswanderung und die NS-Verbrechen an Menschen mit Behinderung Eine Familie aus Südtirol entscheidet sich 1942 im Zuge der »Option» für die Auswanderung ins Deutsche Reich. Der 11-jährige Ludi erzählt von den letzten Tagen im Dorf und der ersten Station im Deutschen Reich: Innsbruck. Auf Anweisung der Ärzte muss sein behinderter Bruder Hanno in eine Anstalt bei Hall gebracht werden. Die restliche Familie zieht weiter nach Oberösterreich. Der Vater wird in die Wehrmacht einge...
»Kindsein in Zeiten des Krieges« Krieg und NS-Zeit aus der Sicht eines Kindes. Ein Roman über die Südtiroler Auswanderung und die NS-Verbrechen an Menschen mit Behinderung Eine Familie aus Südtirol entscheidet sich 1942 im Zuge der »Option» für die Auswanderung ins Deutsche Reich. Der 11-jährige Ludi erzählt von den letzten Tagen im Dorf und der ersten Station im Deutschen Reich: Innsbruck. Auf Anweisung der Ärzte muss sein behinderter Bruder Hanno in eine Anstalt bei Hall gebracht werden. Die restliche Familie zieht weiter nach Oberösterreich. Der Vater wird in die Wehrmacht eingezogen und auch Hanno kehrt nicht mehr zurück. Ein Brief aus einer »Heil- und Pflegeanstalt« des Reiches ist alles, was der Familie von ihm bleibt. Sepp Mall gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller Südtirols, der sich in seinem Werk mit komplexen Themen der jüngsten Zeitgeschichte auseinandersetzt. Wie lässt sich das Unbegreifliche verstehen und wie überlebt man ein kollektives Trauma? Ein bewegender Roman, der in bilddichter Sprache der Trauer eines Kindes um seinen Bruder nachgeht.
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Sepp Mall, 1955 in Graun (Südtirol) geboren, Studium in Innsbruck, lebt als Schriftsteller in Meran. Diverse Preise und Stipendien, u. a. Meraner Lyrikpreis, Staatsstipendium des österreichischen Bundesministeriums und Großes Literaturstipendium des Landes Tirol. Sein Roman »Wundränder« wurde 2005 zum »Innsbruck-liest«-Buch gewählt und ist heute Schullektüre. Zuletzt erschienen sein Roman »Hoch über allem« (Haymon 2017) und der Gedichtband »Holz und Haut« (Haymon 2020).
Produktdetails
- Verlag: Leykam Buchverlag
- Seitenzahl: 192
- Erscheinungstermin: 14. August 2023
- Deutsch
- ISBN-13: 9783701183081
- Artikelnr.: 68595727
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Tief bewegt liest Rezensent Hannes Hintermeier diesen Roman des in Meran lebenden Schriftstellers Sepp Mall, der vom Schicksal der Südtiroler erzählt, die sich Ende der Dreißigerjahre zwischen der Übersiedlung ins "Deutsche Reich" oder der Zwangsumsiedlung nach Süditalien entscheiden mussten. Der Kritiker folgt einem zunächst elfjährigen Ich-Erzähler, dessen Familie sich für die Übersiedlung entscheidet. Schon bald wird der jüngere Bruder Hanno, der sprachlich und körperlich behindert ist, von der Familie getrennt und in ein Heim zu "Untersuchungen" geschickt. Später bekommen die Eltern per Brief den Tod des Sohnes mitgeteilt. Mall muss nicht mal das Wort "Euthanasie" aussprechen, so schlank und genau vermag er zu erzählen, staunt der Rezensent, der in jeder Zeile das Elend jener Jahre spürt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Es gibt nur eine Heimat
Auf der Suche nach den verlorenen Wörtern: Sepp Mall folgt mit "Ein Hund kam in die Küche" einer Südtiroler Familie ins Verderben
Gehen oder bleiben, das war die "Option" für die Südtiroler, die in den Dreißigerjahren in das Räderwerk von italienischem Faschismus und Nationalsozialismus gerieten. Der "Reichsführer SS", Heinrich Himmler, wurde 1939 zum "Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums" ernannt. Um die Südtirolfrage endzulösen, ließ er eine Propagandawelle über das Land rollen. Er versprach einerseits, die Südtiroler geschlossen in einem Gebiet anzusiedeln, andererseits drohte Dableibern die Zwangsumsiedlung nach Süditalien.
"Heim ins Reich", zurück in den
Auf der Suche nach den verlorenen Wörtern: Sepp Mall folgt mit "Ein Hund kam in die Küche" einer Südtiroler Familie ins Verderben
Gehen oder bleiben, das war die "Option" für die Südtiroler, die in den Dreißigerjahren in das Räderwerk von italienischem Faschismus und Nationalsozialismus gerieten. Der "Reichsführer SS", Heinrich Himmler, wurde 1939 zum "Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums" ernannt. Um die Südtirolfrage endzulösen, ließ er eine Propagandawelle über das Land rollen. Er versprach einerseits, die Südtiroler geschlossen in einem Gebiet anzusiedeln, andererseits drohte Dableibern die Zwangsumsiedlung nach Süditalien.
"Heim ins Reich", zurück in den
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"Volkskörper" oder Italiener ohne Sonderrechte werden - "deutsch oder walsch": Bei dieser Wahl zwischen Pest und Cholera votierten rund 75.000 Südtiroler für die Übersiedlung ins Deutsche Reich - eine Entscheidung, deren Folgen bis heute in Familien und Dorfgemeinschaften fortwirken. Und damit Gegenstand von Literatur werden. So auch im Fall des in Meran lebenden Schriftstellers Sepp Mall, Jahrgang 1955. Auch jüngere Autoren haben sich zuletzt des Themas angenommen, etwa Marco Balzano, Jahrgang 1978, mit "Ich bleibe hier" (F.A.Z. vom 13. August 2020) und Maddalena Fingerle, Jahrgang 1993, mit "Muttersprache" (F.A.Z. vom 21. Februar 2022). "Ein Hund kam in die Küche" steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.
Es ist der Vater, der die Option Übersiedlung wählt. Seine Frau ist nicht überzeugt, fügt sich eher. Der bei Beginn des Romans elfjährige Icherzähler beobachtet vieles, so wie Kinder immer mehr wahrnehmen, als Erwachsene es registrieren. Er spürt, dass Wörter abhandenkommen, nicht nur solche, die mit Abschied zu tun haben. Dann gibt es da noch den fünfjährigen Bruder, der eigentlich Anton heißt, der nicht richtig sprechen kann und körperlich stark eingeschränkt ist. Seinen älteren Bruder nennt er "Ludi", und weil er von sich immer als "Ao" redet, hat man ihn Hanno genannt. Ludi liebt ihn zärtlich und selbstverständlich, kümmert sich um den sabbernden und spastisch zuckenden Hanno. Nebenbei ist er ein bisschen verliebt in Kathrina, die ebenfalls bald auswandern wird und mit der er auf Abschiedstouren durchs Dorf streift. Man sitzt auf gepackten Habseligkeiten.
Die erste Station im "Draußen" ist Nordtirol. In Innsbruck wird Hanno von der Familie getrennt, er muss in ein Heim zu Untersuchungen. "Er wackelte an der Hand der Schwester über den glänzend gewienerten Boden, sein linkes Bein war nach außen gedreht, und bereits an der ersten Treppenstufe blieb er mit dem Absatz hängen. Die Schwester fasste ihn am Oberarm und unter der Schulter und so schaukelten sie weiter, Schritt für Schritt den Gang entlang. Hanno wand sich wie eine Katze, einmal nach links, einmal nach rechts, dann begriff ich, dass er sich nach uns umdrehen wollte, nach Mutter und mir."
Es ist das letzte Mal, dass Ludi und die Mutter Hanno sehen. Die Familie landet im Reichsgau Oberdonau, im heutigen Oberösterreich, in einem fiktiven Ort namens Sonnau. Flaches Land am Strom, das Gegenteil zum Südtiroler Bergdorf. Ludi gewinnt einen neuen Freund, Siegfried, der erst einmal fragt: "Kane Italiener?" Worauf Ludi wahrheitsgetreu sagen kann: "Total deitsch." Die beiden durchleben die Jahre mit einigen Abenteuern, verzehren sich wie alle anderen Jungmänner im Dorf auch nach der schönen Postbotin Erna. Ludis Vater ist eingerückt. Von der Westfront bringt er sich der Familie als Verfasser von Feldpostbriefen in Erinnerung. Der Krieg ist so lange fern, bis die überfliegenden Bomber zur Luftflotte der Alliierten gehören.
Der weltpolitischen Katastrophe geht eine private Katastrophe voraus. Ein Brief aus der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee meldet Hannos Tod - Lungenentzündung. Dass dort Behinderte in Euthanasieprogrammen ermordet wurden, dass man Kinder zu medizinischen Versuchen missbrauchte, wird vom Autor nicht einmal angedeutet. Das muss er auch nicht, denn das "ohrenbetäubende Rauschen", das beim Eintreffen der Nachricht alles Leben der Mutter verschlingt, spricht Bände. Ludi sieht seinen kleinen Bruder fortan als Geist neben sich, lebt mit ihm so wie früher - als sei er noch am Leben.
Mall arbeitet mit leitmotivischen Gegenständen wie den Sandalen Hannos, die Ludi ebenso bewahrt wie die Schneekugel, die der Vater Hanno aus Frankreich mitbrachte. Immer dabei ist auch das Taschenmesser, das Ludi mit Siegfried tauschte, und in der Erinnerung ein Hirschgeweih, das er mit Kathrina entdeckte. Dinge, die eine Kontinuität suggerieren, die es in der Wirklichkeit nicht mehr gibt.
In der Diktion erinnert das an Robert Seethaler, auch weil Sepp Mall nah an der gesprochenen (Kinder-)Sprache bleibt, einfache Register wählt, diese aber dank Politur und Straffung zu einem stimmigen Aroma ausbaut und so das Elend greifbar macht. Immer wieder tauchen verlorene Wörter auf wie "Heimaterde" - als Synonym für Südtirol. Die Heimkehr im Chaos des Kriegsendes wird zur Odyssee, alle Opfer für den "Volkskörper" waren vergebens: Volksdeutsche, Reichsdeutsche, Sudetendeutsche, Pommern beharken sich nun; und mittendrin die Katzelmacher, wie die Italiener in Österreich genannt werden, die nach Südtirol zurückdrängen.
Am Ende sehen wir die Mutter und ihren Erstgeborenen im Heimatdorf, in ihrer ehemaligen Wohnung leben mittlerweile andere. Den Rückkehrern schlägt Misstrauen entgegen, das Leichengift der "Option" wirkt schon. Dass der Vater als seelischer Krüppel aus der Gefangenschaft wiederkehrt, macht die Lage nicht einfacher. Immerhin findet Hannos Name einen Platz auf dem Grabkreuz.
Man hätte gewarnt sein können: Das dem Roman den Titel gebende Kinderlied ist ein eindringlicher Warnschuss. "Ein Hund kam in die Küche / und stahl dem Koch ein Ei / da nahm der Koch den Löffel / und schlug den Hund zu Brei". Zerschlagen ist in diesem todtraurigen Roman am Ende die heile Welt von einst, die neue Welt von gestern und jede Aussicht auf eine gedeihliche Zukunft. HANNES HINTERMEIER
Sepp Mall: "Ein Hund kam in die Küche". Roman.
Leykam Verlag, Graz 2023. 192 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist der Vater, der die Option Übersiedlung wählt. Seine Frau ist nicht überzeugt, fügt sich eher. Der bei Beginn des Romans elfjährige Icherzähler beobachtet vieles, so wie Kinder immer mehr wahrnehmen, als Erwachsene es registrieren. Er spürt, dass Wörter abhandenkommen, nicht nur solche, die mit Abschied zu tun haben. Dann gibt es da noch den fünfjährigen Bruder, der eigentlich Anton heißt, der nicht richtig sprechen kann und körperlich stark eingeschränkt ist. Seinen älteren Bruder nennt er "Ludi", und weil er von sich immer als "Ao" redet, hat man ihn Hanno genannt. Ludi liebt ihn zärtlich und selbstverständlich, kümmert sich um den sabbernden und spastisch zuckenden Hanno. Nebenbei ist er ein bisschen verliebt in Kathrina, die ebenfalls bald auswandern wird und mit der er auf Abschiedstouren durchs Dorf streift. Man sitzt auf gepackten Habseligkeiten.
Die erste Station im "Draußen" ist Nordtirol. In Innsbruck wird Hanno von der Familie getrennt, er muss in ein Heim zu Untersuchungen. "Er wackelte an der Hand der Schwester über den glänzend gewienerten Boden, sein linkes Bein war nach außen gedreht, und bereits an der ersten Treppenstufe blieb er mit dem Absatz hängen. Die Schwester fasste ihn am Oberarm und unter der Schulter und so schaukelten sie weiter, Schritt für Schritt den Gang entlang. Hanno wand sich wie eine Katze, einmal nach links, einmal nach rechts, dann begriff ich, dass er sich nach uns umdrehen wollte, nach Mutter und mir."
Es ist das letzte Mal, dass Ludi und die Mutter Hanno sehen. Die Familie landet im Reichsgau Oberdonau, im heutigen Oberösterreich, in einem fiktiven Ort namens Sonnau. Flaches Land am Strom, das Gegenteil zum Südtiroler Bergdorf. Ludi gewinnt einen neuen Freund, Siegfried, der erst einmal fragt: "Kane Italiener?" Worauf Ludi wahrheitsgetreu sagen kann: "Total deitsch." Die beiden durchleben die Jahre mit einigen Abenteuern, verzehren sich wie alle anderen Jungmänner im Dorf auch nach der schönen Postbotin Erna. Ludis Vater ist eingerückt. Von der Westfront bringt er sich der Familie als Verfasser von Feldpostbriefen in Erinnerung. Der Krieg ist so lange fern, bis die überfliegenden Bomber zur Luftflotte der Alliierten gehören.
Der weltpolitischen Katastrophe geht eine private Katastrophe voraus. Ein Brief aus der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee meldet Hannos Tod - Lungenentzündung. Dass dort Behinderte in Euthanasieprogrammen ermordet wurden, dass man Kinder zu medizinischen Versuchen missbrauchte, wird vom Autor nicht einmal angedeutet. Das muss er auch nicht, denn das "ohrenbetäubende Rauschen", das beim Eintreffen der Nachricht alles Leben der Mutter verschlingt, spricht Bände. Ludi sieht seinen kleinen Bruder fortan als Geist neben sich, lebt mit ihm so wie früher - als sei er noch am Leben.
Mall arbeitet mit leitmotivischen Gegenständen wie den Sandalen Hannos, die Ludi ebenso bewahrt wie die Schneekugel, die der Vater Hanno aus Frankreich mitbrachte. Immer dabei ist auch das Taschenmesser, das Ludi mit Siegfried tauschte, und in der Erinnerung ein Hirschgeweih, das er mit Kathrina entdeckte. Dinge, die eine Kontinuität suggerieren, die es in der Wirklichkeit nicht mehr gibt.
In der Diktion erinnert das an Robert Seethaler, auch weil Sepp Mall nah an der gesprochenen (Kinder-)Sprache bleibt, einfache Register wählt, diese aber dank Politur und Straffung zu einem stimmigen Aroma ausbaut und so das Elend greifbar macht. Immer wieder tauchen verlorene Wörter auf wie "Heimaterde" - als Synonym für Südtirol. Die Heimkehr im Chaos des Kriegsendes wird zur Odyssee, alle Opfer für den "Volkskörper" waren vergebens: Volksdeutsche, Reichsdeutsche, Sudetendeutsche, Pommern beharken sich nun; und mittendrin die Katzelmacher, wie die Italiener in Österreich genannt werden, die nach Südtirol zurückdrängen.
Am Ende sehen wir die Mutter und ihren Erstgeborenen im Heimatdorf, in ihrer ehemaligen Wohnung leben mittlerweile andere. Den Rückkehrern schlägt Misstrauen entgegen, das Leichengift der "Option" wirkt schon. Dass der Vater als seelischer Krüppel aus der Gefangenschaft wiederkehrt, macht die Lage nicht einfacher. Immerhin findet Hannos Name einen Platz auf dem Grabkreuz.
Man hätte gewarnt sein können: Das dem Roman den Titel gebende Kinderlied ist ein eindringlicher Warnschuss. "Ein Hund kam in die Küche / und stahl dem Koch ein Ei / da nahm der Koch den Löffel / und schlug den Hund zu Brei". Zerschlagen ist in diesem todtraurigen Roman am Ende die heile Welt von einst, die neue Welt von gestern und jede Aussicht auf eine gedeihliche Zukunft. HANNES HINTERMEIER
Sepp Mall: "Ein Hund kam in die Küche". Roman.
Leykam Verlag, Graz 2023. 192 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Der Ich-Erzähler Ludi schreibt über das Leben der Familie in Südtirol. Die Worte „Lebewohl“ oder „Wiedersehen“ gab es bei ihnen nicht. Alle wussten, dass sie bald ins „Reich“ wandern werden. Nur der Zeitpunkt stand nicht fest. Die Familie der …
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Der Ich-Erzähler Ludi schreibt über das Leben der Familie in Südtirol. Die Worte „Lebewohl“ oder „Wiedersehen“ gab es bei ihnen nicht. Alle wussten, dass sie bald ins „Reich“ wandern werden. Nur der Zeitpunkt stand nicht fest. Die Familie der Freundin Ludis ist schon lange fort. An einem sonnigen Tag begann die „Wanderung“ der Familie in eine vermeintlich gute Zukunft.
„Ein Hund kam in die Küche“ stand auf der Longlist des „dbp23“. Das Schicksal der Familie berührte mich sehr. Weil es hier um den Umgang der Nationalsozialisten mit Behinderten geht. Was geschah in den sogenannten „Heil- und Pflegeanstalten“? Warum durften die Eltern des kleinen Hanno ihn nicht besuchen? Hanno war der kleine Bruder von Ludi. Der meinte, dass alle sagten, Hanno sei „zurückgeblieben“. Das konnte Ludi gar nicht verstehen. Er hing sehr an dem Kleinen und spielte gerne mit ihm.
Dass der Autor aus der Sicht des Kindes schrieb, hat seinen Grund. Wie sonst könnten Leser nachempfinden, was diese junge Seele durchlebte? Ein gelungenes Werk, das nicht nur den Kampf ums Überleben beschreibt. Von mir gibt es eine Leseempfehlung.
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Die Option
Ein Hund kam in die Küche ist ein starkes Buch und zu Recht für den deutschen Buchpreis nominiert. Es wirft einen intensiven Blick auf eine schlimme Zeit in Südtirol. Erzählt wird aus der Perspektive eines Kindes, doch die hat nicht viel kindliches mehr, denn seine …
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Die Option
Ein Hund kam in die Küche ist ein starkes Buch und zu Recht für den deutschen Buchpreis nominiert. Es wirft einen intensiven Blick auf eine schlimme Zeit in Südtirol. Erzählt wird aus der Perspektive eines Kindes, doch die hat nicht viel kindliches mehr, denn seine Familie muss viel durchmachen. Da ist z.B. Ludis kleiner Bruder Hanno, der körperlich und geistig behindert ist. Er soll in eine Heil- und Pflegeanstalt.
Als Leser ahnt man schnell, dass es für Hanno nicht gut ausgehen wird.
Das belastet auch Ludi und Hannos Geist begleitet ihn zukünftig oft im Traum.
Die Familie ist beispielhaft für das südtirloische Schicksal vieler, die zwischen Italien und Deutschland zerrissen waren.
Der in Südtirol gebornen Schriftsteller Sepp Mall nutzt eine dichte Sprache. Er setzt sie mit Zurückhaltung ein und berührt doch eine emotionale Seite beim Leser.
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Broschiertes Buch
Eine fatale Fehlentscheidung
Das Kinderlied «Ein Hund kam in die Küche» hat dem Schriftsteller Sepp Mall als Titel für seinen historischen Roman gedient, in dem der Südtiroler von einer tragischen Periode in der Geschichte seiner Heimat erzählt. Durch das …
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Eine fatale Fehlentscheidung
Das Kinderlied «Ein Hund kam in die Küche» hat dem Schriftsteller Sepp Mall als Titel für seinen historischen Roman gedient, in dem der Südtiroler von einer tragischen Periode in der Geschichte seiner Heimat erzählt. Durch das «Hitler-Mussolini-Abkommen» war die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols damals vor die Wahl gestellt, sich nach dem Motto «Heim ins Reich» nach Deutschland oder aber nach Süditalien umsiedeln zu lassen. Etwa 75000 Menschen wählten das Deutsche Reich als neue Heimat. So entschied sich 1942 auch die Familie von Ludi, dem anfangs 11jährigen Ich-Erzähler des Romans. Dessen Vater ist ein fanatischer Nazi. der es kaum erwarten kann, sich als Soldat für die deutsche Wehrmacht zu melden.
Ludis Mutter ist eher skeptisch, fügt sich aber der folgenschweren Entscheidung des Vaters. Erste Station der Umsiedlung ist Innsbruck, wo die Familie für die Einbürgerung einige Formalitäten erledigen muss, zu denen auch eine ärztliche Untersuchung gehört. Ludis innig geliebter, fünfjähriger Bruder Hanno ist geistig und körperlich behindert, die Ärzte ordnen deshalb seine Einweisung in eine Spezialklinik an. Ohne ihn zieht die Familie weiter in den Reichsgau Oberdonau im heutigen Oberösterreich, wo ihnen in einem kleinen Ort eine Wohnung zugewiesen wurde. Zwei Wochen später werden dort auch ihre Unzugsmöbel angeliefert, kurz darauf muss der Vater seinen Dienst in der Wehrmacht antreten. Ludi, der alle seine Freunde und Schulkameraden aus dem Bergdorf in Südtirol verloren hat, findet sich nun in einer fremden Umgebung wieder, wo er niemanden kennt. Statt in den Bergen wohnt er nun im Flachland an der Donau, aber er findet dort bald schon einen Freund, mit dem er durch die Gegend streunt. Irgendwann kommt dann ein Brief aus der Heil- und Pflegeanstalt, in dem der Tod von Hanno angezeigt wird, er sei an einer Lungenentzündung gestorben.
Man weiß als Leser von Anfang an, dass Hanno der Euthanasie zum Opfer fallen wird, es war einfach heuchlerisch von den Ärzten, von Heilung in einer Spezialklinik zu sprechen. Sepp Mall versteht es, durch die kindliche Perspektive des Ich-Erzählers selbst dieses Grauen ganz naiv zu schildern, die Wahrheit wird hier nicht mal angedeutet. Und auch der Mutter bleibt nichts anderes übrig, als zu glauben, was ihr amtlich mitgeteilt wird, Zweifel kommen ihr nicht. Nach dem Krieg kehren Ludi und seine Mutter illegal über die grüne Grenze in ihr Heimatdorf nach Südtirol zurück. Sie haben sich an der Donau nie wohlgefühlt und sind dort immer nur Fremde geblieben. So geschieht es ihnen nun auch in Südtirol, man betrachtet sie misstrauisch, sie sind ja Deutsche geworden. Die ehemaligen Freunde aber sind durch die Umsiedlungen in alle Winde zerstreut, daran können sie nicht wieder anknüpfen, sie sind nun auch hier in ihrer alten Heimat Fremde geworden. Das ändert sich auch nicht, als der Vater als seelischer Krüppel aus Kriegs-Gefangenschaft zur Familie heimkehrt. Er kann die Schrecken des Krieges und der Lagerhaft nicht verarbeiten und ertränkt sie im Alkohol. Die Folgen all dieser unheilvollen Veränderungen wirken bis heute nach in nicht wenigen Südtiroler Familien.
Neben der äußerst behutsamen Schilderung dieser familiären Katastrophe gibt es auch rohe Szenen, beim Metzger nebenan beispielweise werden immer wieder Tiere geschlachtet, es fließt ständig Blut im Hof. In einer Szene findet Ludi mit seiner Freundin einen toten Hirsch im Wald. Das Tier ist schon eine Weile in Verwesung, sein Anblick aber wird hier in allen ekligen Details geradezu masochistisch beschrieben. Man ist schockiert, aber auch das ist der kindlichen Erzähl-Perspektive geschuldet, deren Empfindungen noch weitgehend unbelastet sind. Im Gegensatz dazu steht die berührende Schilderung der innigen Bruderliebe von Ludi, der noch jahrelang nicht nur im Traum mit Hanno spricht. Der Bruder ist als Geist geradezu körperlich präsent, er kann dann richtig sprechen und sich auch normal bewegen. Betroffen stellt man als Leser fest, dass hier nicht der Hund aus dem titelgebenden Kinderlied erschlagen wird, sondern auch das ganze Lebensglück dieser unschuldigen Familie.
Fazit: lesenswert
Meine Websit: https://ortaia-forum.de
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Gebundenes Buch
Der mehrfach preisgekrönte Südtiroler Sepp Mall mach in diesem klugen Roman en Stück Zeitgeschichte seiner Landsleute sichtbar, das viele wohl lieber vergessen würden, nämlich dass sich im Zuge der sogenannten "Option" viele Südtiroler für die …
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Der mehrfach preisgekrönte Südtiroler Sepp Mall mach in diesem klugen Roman en Stück Zeitgeschichte seiner Landsleute sichtbar, das viele wohl lieber vergessen würden, nämlich dass sich im Zuge der sogenannten "Option" viele Südtiroler für die Auswanderung vom faschistischen Italien ins nationalsozialistische Deutschland entschieden und somit von (im Nazisprech) "Volksdeutschen" zu "Reichsdeutschen" wurden.
Dabei geht es Mall weniger um politisch-ideologische Motivationen, diese werden zwar auch behandelt, doch eher nebenbei. Vielmehr zeigt er auf, wie die Suche nach Heimat fehlschlagen kann, wie schnell sich Migrantinnen und Migranten entwurzelt fühlen können. Selbst dann, wenn sie wieder in ihre Ursprungsland zurückkehren. Zudem verdeutlicht die Geschichte einmal mehr, wie grausam, ja bestialisch die Ideologie der Nationalsozialisten in die Praxis umgesetzt wurde. Anton, der kleine Bruder des Protagonisten, ist mehrfach behindert, "zurückgeblieben", wie man im Heimatdorf sagte. Dies erfasst die gründliche reichsdeutsche Bürokratie umgehend, und den Leser*innen wird schneller klar als Antons Familie, was dies für seine Zukunft bedeutet - er hat schlichtweg keine.
Was mich an diesem Roman sehr beeindruckt hat ist, wie er es schafft, das eigentlich Unsagbare in Worte zu kleiden. Sepp Mall gelingt dies hier, in dem er konsequent aus der Sicht von Kindern erzählt. So wird die Auswanderung, die wohl zu abstrakt für das Vorstellungsvermögen einer Grundschülerin ist, eben zu einer "Wanderung" und die unbekannten Sudetendeutschen zu "Schwedendeutschen". Starke Bilder und nur wenige, aber stets durchdacht gewählte Worte, mehr braucht Mall nicht, um gegen das Vergessen anzuschreiben.
Ein guter, wichtiger Roman, gerade in heutiger Zeit. (Anmerkung für Bibliophile: Der Leykam Verlag hat der Geschichte ein wunderbares Gewand gegeben, in Form eines hochwertig ausgestatteten Hardcovers mit bezaubernder Gestaltung!)
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Broschiertes Buch
„Ein Hund kam in die Küche“ ist kein lauter, dramatisch inszenierter Roman über die NS-Zeit – gerade deshalb trifft er so stark. Sepp Mall erzählt aus der Perspektive des elfjährigen Ludi, der 1942 mit seiner Familie Südtirol verlässt und ins Deutsche …
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„Ein Hund kam in die Küche“ ist kein lauter, dramatisch inszenierter Roman über die NS-Zeit – gerade deshalb trifft er so stark. Sepp Mall erzählt aus der Perspektive des elfjährigen Ludi, der 1942 mit seiner Familie Südtirol verlässt und ins Deutsche Reich umsiedelt. Die sogenannte „Option“ zwingt sie zu dieser Entscheidung – doch statt Sicherheit bringt sie Leid.
Schon zu Beginn wird der behinderte Bruder Hanno in einer „Nervenheilanstalt“ untergebracht. Was Ludi nicht weiß, er wird seinen Bruder nie wiedersehen. Er versteht nicht, was mit ihm passiert, doch für die Leser:innen ist klar: Euthanasie, Mord im Namen der Ideologie. Diese kindliche Unwissenheit wird zum emotionalen Kern der Geschichte. Was Ludi nicht versteht, schwebt als beklemmendes Wissen zwischen den Zeilen.
Die Verluste reißen nicht ab: Der Vater zieht in den Krieg, die Mutter zerbricht an der Situation, Ludi bleibt allein in einer fremden Umgebung. Seine Versuche, die Erwachsenenwelt zu begreifen, wirken hilflos und machen das Grauen nur noch spürbarer. Politik, Krieg, Propaganda – für das Kind bleibt alles abstrakt, doch der Schmerz ist real.
Die Stärke des Romans liegt in der schlichten, klaren Sprache. Keine großen Erklärungen, keine inszenierten Dramen – genau dadurch wirkt alles umso härter. Ludi spricht mit seinem toten Bruder, sucht Halt im Unbegreiflichen, während um ihn herum die Welt auseinanderfällt.
Der Titel verweist auf ein Kinderlied – ein bitterer Kontrast zum Grauen, das Ludi erlebt. Der Roman wird so zu einem eindringlichen Mahnmal darüber, was es bedeutet, als Kind in einer Welt aufzuwachsen, in der Ideologien wichtiger sind als Menschlichkeit. Keine große Geste, kein lautes Mahnmal – sondern ein stilles, schmerzhaft ehrliches Zeugnis.
10/10 Leseempfehlung!
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