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Bengt Claasen sitzt im Auto, sein ganzes Hab und Gut im Kofferraum. Vor sich, auf dem Armaturenbrett, liegt das Halsband seiner verstorbenen Hündin. Dort, wo es herunterfällt, will er anhalten und ein neues Leben beginnen. Er fährt so langsam und vorsichtig, wie es nur geht, und landet schließlich in Zandschow - einem Nest im äußersten Norden mit einem Feuerlöschteich im Zentrum. Schnell stellt er fest: Die Bewohner des Orts rund um »Getränke-Wolf« folgen einem strengen Wochenplan, donnerstags werden zum Beispiel zwanzig Plastikschwäne auf dem Teich ausgesetzt, und sie feiern an ihr...
Bengt Claasen sitzt im Auto, sein ganzes Hab und Gut im Kofferraum. Vor sich, auf dem Armaturenbrett, liegt das Halsband seiner verstorbenen Hündin. Dort, wo es herunterfällt, will er anhalten und ein neues Leben beginnen. Er fährt so langsam und vorsichtig, wie es nur geht, und landet schließlich in Zandschow - einem Nest im äußersten Norden mit einem Feuerlöschteich im Zentrum. Schnell stellt er fest: Die Bewohner des Orts rund um »Getränke-Wolf« folgen einem strengen Wochenplan, donnerstags werden zum Beispiel zwanzig Plastikschwäne auf dem Teich ausgesetzt, und sie feiern an ihrer »Lagune« Festspiele unter künstlichen Palmen. Überhaupt: Mit den prekären Verhältnissen mitten in der Pampa finden sich die Menschen hier nicht mehr ab. Ihr Zandschow ist Sansibar, hier kann man arm sein, aber trotzdem paradiesisch leben, in viel Verrücktheit.
Mit unbändiger Fantasie und viel Witz erzählt Thomas Kunst in Zandschower Klinken von einer solidarischen Gemeinschaft, die sich am eigenen Schopf aus der Misere zieht - trotzig und stur, frei und eigensinnig. Er entwirft eine Utopie in unserer globalisierten Gegenwart und findet für sie eine Sprache von bezwingender Musikalität.
Mit unbändiger Fantasie und viel Witz erzählt Thomas Kunst in Zandschower Klinken von einer solidarischen Gemeinschaft, die sich am eigenen Schopf aus der Misere zieht - trotzig und stur, frei und eigensinnig. Er entwirft eine Utopie in unserer globalisierten Gegenwart und findet für sie eine Sprache von bezwingender Musikalität.
Thomas Kunst, geboren 1965 in Stralsund, lebt und arbeitet in Leipzig. Er veröffentlicht Gedichte und Romane sowie Hörbücher, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem Lyrikpreis Meran 2014. Für einen Auszug aus Zandschower Klinken erhielt er den Niederösterreich Literaturpreis 2018.
Produktdetails
- Verlag: Suhrkamp / Suhrkamp Verlag
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 253
- Erscheinungstermin: 15. Februar 2021
- Deutsch
- Abmessung: 215mm x 135mm x 35mm
- Gewicht: 416g
- ISBN-13: 9783518429921
- ISBN-10: 3518429922
- Artikelnr.: 60360031
Herstellerkennzeichnung
Suhrkamp Verlag
Torstraße 44
10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jörg Magenau wird schnell langweilig mit Thomas Kunsts kunstvollem Roman über eine Provinzutopie am nördlichen Ende der A7. Was erst reinzieht - die Rhythmik der Redundanz, das Gefangensein der Figuren in Wiederholung und Variation und die Umkehr der Logik, ermüdet den Rezensenten schließlich, weil es bald ausgestellt wirkt, wie Magenau schreibt, Fantasie, Witz, Dada und cuts 'n' scratches hin oder her. Auch die "Wiederkehr des nie ganz Gleichen" macht mürbe, findet Magenau.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die Wolfsträume der Rehe
Utopia zum Aufblasen: Thomas Kunst inszeniert in seinem Roman "Zandschower Klinken" die Heimkehr eines Verlorenen als Triumph
Zandschow, wie das schon klingt. Wie das Gegenteil von Poesie. Wie ein gezackter Blitz, der vielleicht bloß ein gemalter ist. Wie Sancho in Sancho Panza. Und tatsächlich sind es Gestalten wie der im windschiefen Schatten des in der Tradition erstarrten Aristokraten Don Quijote reitende Gehilfe mit seinem nur scheinbar naiven, der Realität frech ins Auge blickenden Schalk-Mut, die dieses Dorf im Hinterstmecklenburgischen, das sich selbst zum Paradies zu erheben wagt, bevölkern. Teschi, Dettel, Digger, Mimi, zwei Graboschs (einer schleppt einen ererbten Kronleuchter
Utopia zum Aufblasen: Thomas Kunst inszeniert in seinem Roman "Zandschower Klinken" die Heimkehr eines Verlorenen als Triumph
Zandschow, wie das schon klingt. Wie das Gegenteil von Poesie. Wie ein gezackter Blitz, der vielleicht bloß ein gemalter ist. Wie Sancho in Sancho Panza. Und tatsächlich sind es Gestalten wie der im windschiefen Schatten des in der Tradition erstarrten Aristokraten Don Quijote reitende Gehilfe mit seinem nur scheinbar naiven, der Realität frech ins Auge blickenden Schalk-Mut, die dieses Dorf im Hinterstmecklenburgischen, das sich selbst zum Paradies zu erheben wagt, bevölkern. Teschi, Dettel, Digger, Mimi, zwei Graboschs (einer schleppt einen ererbten Kronleuchter
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mit sich herum), Pampel, Körperchen, der Erzähler Bengt Claasen: Über sich selbst hinausträumende Zandschow Panzas sind es allesamt, die sich mit Plastikpalmen, Badeschwänen und Ritualen wie dem Übersetzen zur Insel im Feuerlöschteich so etwas wie eine vielleicht bloß gemalte Aussteiger-Utopie geschaffen haben, ein eigenes Sansibar: "Wir haben uns angewöhnt, sowohl die Frauen als auch die Männer, an den Tagen, an denen wir dazu neigen, den Indischen Ozean mit unseren Füßen zu betreten, den Indischen Ozean in Zandschow mit unseren Füßen zu betreten." In diesem trotzigen Angewöhnen steckt schon einiges von der Tragik und dem Übermut einer DDR-Gegenkultur, die gegen das graustumpfkalte Reale im Sozialismus anfieberfantasierte, bis sie nach der Wende zu Tode kuriert wurde.
Den Nukleus dieses Paradieses, das sich leicht mit allen anderen (Schein-)Paradiesen in Afrika, Asien oder Südamerika kurzschließen lässt, aber eben auch eine bierselige, dadaistische Laune darstellt, bildet ganz richtig und ziemlich lustig ein Getränkeladen, geführt von einem ominösen Herrn Wolf. Ob es sich um einen in den merkantilen Schafspelz gewickelten Nachfahren des bösen Wolfs handelt, Markus mit Namen, der hier in einem der vielen Zeitsprünge seinen Auftritt hat, als er 1964 dem sozialistisch gewordenen Sansibar seine Stasi andienerte, bleibt unklar. Zumindest verfügt der "Getränke-Wolf" über zwei Sklaven. Und er hatte eine große Idee, die nämlich, neue Etiketten für billiges Supermarktpils zu drucken, um exotische, in die Ferne verliebte Biere wie Mongozo Palmnut anbieten zu können. Treffend absurd umkreist der Roman in köstlichen Beschreibungen diesen Dreh- und Angelpunkt des Dorfes, der so auch für die Leser allmählich zum Mittelpunkt der Welt wird.
Es ist ein rotierendes, evolvierendes, lyrisch-litaneihaftes Erzählen zwischen Groteske, Elegie und postmodern umgebogenem Abenteuer-Stil, das der Autor und Dichter Thomas Kunst hier auf die Spitze treibt, sprachlich eine lockere Zwangsehe von Sarah Kirsch und Stephan Remmler, poetologisch bei der Hand genommen von den Paten Bernard Malamud und Andreas Okopenko. Mit seinen endlos scheinenden Wiederholungen - viele Passagen liest man kaum variiert ein Dutzend Mal - schmiegt sich der Ton dieser mal zärtlichen, mal aufstampfend politischen Selbstermächtigungsposse (die angestrebte "Dynastie der Fehlbarkeit" ist durchaus eine Abrechnung mit dem sozialistischen Imperativ: "Die Idee von der Auslöschung des Einzelnen ist mehr wert als die Bewunderung der ganzen Welt") dem von der Hypernervosität innovationsversessener Zentren verschonten Rhythmus einer provinziellen Not-, Brot- und Bettgemeinschaft an. Es findet auf allen Dörfern eben jedes Jahr ein Schützenfest statt, auf dem feste Rituale gepflegt und exakt dieselben Anekdoten erzählt werden. Hier ist es, frech ins Kosmopolitische verschoben, das Darajani-Fest. Just darin eine bewohnbare Utopie zu erblicken, die Rettung für einen an der Seele Versehrten, hat enormen Reiz.
Angeknackst ist der Held in mehrfacher Hinsicht. Soeben ging eine Beziehung in die Brüche, da blieb nur die Flucht nach vorn. Wo ihm das Hundehalsband vom Armaturenbrett rutsche, da werde er ein neues Leben beginnen, erklärt Bengt zu Beginn feierlich, aber auch das ist nur scheinbare Naivität, denn sogleich hilft er nach. Angekommen unter den Nichtangekommenen, singt er das Lied von der stolzen Verweigerung: "Die meisten beziehen Stütze. Wir kriegen die Zeit trotzdem rum." So wächst ihnen ein Zuhause zu: Was wir vor uns haben, ist im Kern verwilderte Heimatliteratur, die Fantasie einer Rückkehr. Der heilige Flecken muss schließlich durch Bürgerwehren verteidigt werden gegen Städter, die in hippen Zeitschriften von der abgelegenen Hängematten-Idylle gelesen haben.
Da ist aber auch noch eine tiefere Verletzung Bengts, ein kopfzersprengendes Kreisen um das Verstoßenwerden durch den Vater, der eben dieser Vater wohl nicht war (die Mutter hatte eine sehr lange Taxifahrt unternommen), und die wie zum Ausgleich "ungezügelte Liebe" der Mutter. Der Vater liebte nur die jüngere (Halb-)Schwester. Die Ausweglosigkeit dieses Gedankenstrudels ist in der gewählten Form perfekt abgebildet. Erdolcht wird dabei jede einengende Märchenmoral, wenn etwa eine Variation von "Brüderchen und Schwesterchen", die wie ein glitzernder Faden in die Erzählung eingewebt ist, sich zu einer bitteren Klage des zum Reh verwandelten Brüderchens ausweitet. Es verflucht, nicht von den ersten beiden Quellen gekostet zu haben, Tiger oder Wolf geworden zu sein, denn ein schwesterlich am Halsband geführtes Leben, bei den Grimms ein Hoffnungsschimmer, ist eben ein erniedrigtes. Das Reh aber, in dem man wohl Bengt erkennen darf (ganz deutlich wird das nicht), macht hier seinen Weg, geht nach Kolumbien (oder Zandschow), erobert sich seine Herkunft zurück, indem es selbst zum Taxifahrer wird: "Man muss ja sehen, wo man bleibt."
Orte verschwimmen bei Thomas Kunst ebenso wie Zeitstufen und Figurenperspektiven: ein faszinierender Tanz auf der Grenze des Lesbaren. Die nicht zu bestreitende Verwirrung, ja, Wirrnis wirkt wie ein Schutzzauber vor falscher Geradlinigkeit und erinnert an die den Zugriff unterlaufende, subversive Fabulierlust in der jüngsten totalitären Epoche, für die etwa der sprachmächtige Ulrich Zieger steht. Der satirische Witz ist bei Kunst allerdings noch wuchtiger, reicht ins Parodistische, wenn etwa ein Schwanenrennen auf dem Feuerlöschteich die doppelte Unzulänglichkeit des Sozialismus vor Augen führt: Zunächst gibt es Aufregung, weil die Teilnehmer nicht glauben wollen, dass die angeschafften Plastikschwäne wirklich gleich sind, also dieselben Chancen haben. Und als eben das gesichert ist, geht alles im Chaos unter, weil vom Ufer aus niemand die identischen Schwäne auseinanderhalten kann. Alle beanspruchen nun die führenden Exemplare für sich.
In einer von Klartext, Emphase und Appellen dominierten Gegenwartsliteratur ist ein derart verrätselter, verspielter, atmosphärischer Roman, der gerade in seiner narrativen Rücksichtslosigkeit dem Schwanengesang einer gesellschaftlich heimatlosen Schicht der Abgehängten so viele historisch unterfütterte, nachdenkliche Assoziationen über das Gelingen des Lebens - das Glück liegt selten in der Ferne, dort fließt vor allem Blut - abgewinnt, eine willkommene Anomalie. Das trunkene Schwelgen in Bildern und eine eher an Musikvideos erinnernde Schnitttechnik mag manche Leser verschrecken. Es könnte aber gut sein, dass man unserer in gruselige Kollektive zerfallenden Welt (sagen wir: zwischen Donald Trump und den Taliban) mit einer sich lustvoll zum Absurden hin öffnenden Literatur besser beikommt als mit jeder realistischen Sozialprosa. "Zandschower Klinken" ist denn auch sehr zu Recht in die engere Auswahl um den Deutschen Buchpreis gekommen. Darauf ein DjuDju Banane, auch wenn es verdächtig nach einem ultrabilligen Maternus Gold schmecken sollte. OLIVER JUNGEN
Thomas Kunst: "Zandschower Klinken". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 256 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Den Nukleus dieses Paradieses, das sich leicht mit allen anderen (Schein-)Paradiesen in Afrika, Asien oder Südamerika kurzschließen lässt, aber eben auch eine bierselige, dadaistische Laune darstellt, bildet ganz richtig und ziemlich lustig ein Getränkeladen, geführt von einem ominösen Herrn Wolf. Ob es sich um einen in den merkantilen Schafspelz gewickelten Nachfahren des bösen Wolfs handelt, Markus mit Namen, der hier in einem der vielen Zeitsprünge seinen Auftritt hat, als er 1964 dem sozialistisch gewordenen Sansibar seine Stasi andienerte, bleibt unklar. Zumindest verfügt der "Getränke-Wolf" über zwei Sklaven. Und er hatte eine große Idee, die nämlich, neue Etiketten für billiges Supermarktpils zu drucken, um exotische, in die Ferne verliebte Biere wie Mongozo Palmnut anbieten zu können. Treffend absurd umkreist der Roman in köstlichen Beschreibungen diesen Dreh- und Angelpunkt des Dorfes, der so auch für die Leser allmählich zum Mittelpunkt der Welt wird.
Es ist ein rotierendes, evolvierendes, lyrisch-litaneihaftes Erzählen zwischen Groteske, Elegie und postmodern umgebogenem Abenteuer-Stil, das der Autor und Dichter Thomas Kunst hier auf die Spitze treibt, sprachlich eine lockere Zwangsehe von Sarah Kirsch und Stephan Remmler, poetologisch bei der Hand genommen von den Paten Bernard Malamud und Andreas Okopenko. Mit seinen endlos scheinenden Wiederholungen - viele Passagen liest man kaum variiert ein Dutzend Mal - schmiegt sich der Ton dieser mal zärtlichen, mal aufstampfend politischen Selbstermächtigungsposse (die angestrebte "Dynastie der Fehlbarkeit" ist durchaus eine Abrechnung mit dem sozialistischen Imperativ: "Die Idee von der Auslöschung des Einzelnen ist mehr wert als die Bewunderung der ganzen Welt") dem von der Hypernervosität innovationsversessener Zentren verschonten Rhythmus einer provinziellen Not-, Brot- und Bettgemeinschaft an. Es findet auf allen Dörfern eben jedes Jahr ein Schützenfest statt, auf dem feste Rituale gepflegt und exakt dieselben Anekdoten erzählt werden. Hier ist es, frech ins Kosmopolitische verschoben, das Darajani-Fest. Just darin eine bewohnbare Utopie zu erblicken, die Rettung für einen an der Seele Versehrten, hat enormen Reiz.
Angeknackst ist der Held in mehrfacher Hinsicht. Soeben ging eine Beziehung in die Brüche, da blieb nur die Flucht nach vorn. Wo ihm das Hundehalsband vom Armaturenbrett rutsche, da werde er ein neues Leben beginnen, erklärt Bengt zu Beginn feierlich, aber auch das ist nur scheinbare Naivität, denn sogleich hilft er nach. Angekommen unter den Nichtangekommenen, singt er das Lied von der stolzen Verweigerung: "Die meisten beziehen Stütze. Wir kriegen die Zeit trotzdem rum." So wächst ihnen ein Zuhause zu: Was wir vor uns haben, ist im Kern verwilderte Heimatliteratur, die Fantasie einer Rückkehr. Der heilige Flecken muss schließlich durch Bürgerwehren verteidigt werden gegen Städter, die in hippen Zeitschriften von der abgelegenen Hängematten-Idylle gelesen haben.
Da ist aber auch noch eine tiefere Verletzung Bengts, ein kopfzersprengendes Kreisen um das Verstoßenwerden durch den Vater, der eben dieser Vater wohl nicht war (die Mutter hatte eine sehr lange Taxifahrt unternommen), und die wie zum Ausgleich "ungezügelte Liebe" der Mutter. Der Vater liebte nur die jüngere (Halb-)Schwester. Die Ausweglosigkeit dieses Gedankenstrudels ist in der gewählten Form perfekt abgebildet. Erdolcht wird dabei jede einengende Märchenmoral, wenn etwa eine Variation von "Brüderchen und Schwesterchen", die wie ein glitzernder Faden in die Erzählung eingewebt ist, sich zu einer bitteren Klage des zum Reh verwandelten Brüderchens ausweitet. Es verflucht, nicht von den ersten beiden Quellen gekostet zu haben, Tiger oder Wolf geworden zu sein, denn ein schwesterlich am Halsband geführtes Leben, bei den Grimms ein Hoffnungsschimmer, ist eben ein erniedrigtes. Das Reh aber, in dem man wohl Bengt erkennen darf (ganz deutlich wird das nicht), macht hier seinen Weg, geht nach Kolumbien (oder Zandschow), erobert sich seine Herkunft zurück, indem es selbst zum Taxifahrer wird: "Man muss ja sehen, wo man bleibt."
Orte verschwimmen bei Thomas Kunst ebenso wie Zeitstufen und Figurenperspektiven: ein faszinierender Tanz auf der Grenze des Lesbaren. Die nicht zu bestreitende Verwirrung, ja, Wirrnis wirkt wie ein Schutzzauber vor falscher Geradlinigkeit und erinnert an die den Zugriff unterlaufende, subversive Fabulierlust in der jüngsten totalitären Epoche, für die etwa der sprachmächtige Ulrich Zieger steht. Der satirische Witz ist bei Kunst allerdings noch wuchtiger, reicht ins Parodistische, wenn etwa ein Schwanenrennen auf dem Feuerlöschteich die doppelte Unzulänglichkeit des Sozialismus vor Augen führt: Zunächst gibt es Aufregung, weil die Teilnehmer nicht glauben wollen, dass die angeschafften Plastikschwäne wirklich gleich sind, also dieselben Chancen haben. Und als eben das gesichert ist, geht alles im Chaos unter, weil vom Ufer aus niemand die identischen Schwäne auseinanderhalten kann. Alle beanspruchen nun die führenden Exemplare für sich.
In einer von Klartext, Emphase und Appellen dominierten Gegenwartsliteratur ist ein derart verrätselter, verspielter, atmosphärischer Roman, der gerade in seiner narrativen Rücksichtslosigkeit dem Schwanengesang einer gesellschaftlich heimatlosen Schicht der Abgehängten so viele historisch unterfütterte, nachdenkliche Assoziationen über das Gelingen des Lebens - das Glück liegt selten in der Ferne, dort fließt vor allem Blut - abgewinnt, eine willkommene Anomalie. Das trunkene Schwelgen in Bildern und eine eher an Musikvideos erinnernde Schnitttechnik mag manche Leser verschrecken. Es könnte aber gut sein, dass man unserer in gruselige Kollektive zerfallenden Welt (sagen wir: zwischen Donald Trump und den Taliban) mit einer sich lustvoll zum Absurden hin öffnenden Literatur besser beikommt als mit jeder realistischen Sozialprosa. "Zandschower Klinken" ist denn auch sehr zu Recht in die engere Auswahl um den Deutschen Buchpreis gekommen. Darauf ein DjuDju Banane, auch wenn es verdächtig nach einem ultrabilligen Maternus Gold schmecken sollte. OLIVER JUNGEN
Thomas Kunst: "Zandschower Klinken". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 256 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»In einer von Klartext, Emphase und Appellen dominierten Gegenwartsliteratur ist ein derart verrätselter, verspielter, atmosphärischer Roman ... eine willkommene Anomalie.« Oliver Jungen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210913
der Zonk!
In meiner Jugend gab es die Sendung „Geh auf Ganze“ mit Jörg Draeger – was ist eigentlich aus ihm geworden? In dieser Sendung konnten die Kandidaten aus drei Toren ihren Preis auswählen, der „Hauptgewinn“ war der Zonk, ein rotes Stofftier.
Der …
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der Zonk!
In meiner Jugend gab es die Sendung „Geh auf Ganze“ mit Jörg Draeger – was ist eigentlich aus ihm geworden? In dieser Sendung konnten die Kandidaten aus drei Toren ihren Preis auswählen, der „Hauptgewinn“ war der Zonk, ein rotes Stofftier.
Der Deutsche Buchpreis hat es sich wohl zum Spaß gemacht, immer auch einen Zonk auf die Shortlist zu setzten. Letztes Jahr kam er „aus der Zuckerfabrik“. Dieses Jahr habe ich offenbar bei der Shortlist mit dem Zonk begonnen. Nach 80 Seiten habe ich das Buch weggeworfen und gelesen. Aber in umgekehrter Reihenfolge. Sein Taxi war weiß, die Berge sind hier wilder und unkontrollierter als in den Alpen. Und nicht nur die Helligkeit der ADAC-Karte nervt.
Dies waren beliebte Wiederholungen des Buches, etwa in gleichem Stil zusammengefügt. Der Autor sagte in einem Interview auf Arte, er liebe es den Leser zu nerven. Dafür muss er aber besser werden, denn so legt der Leser das Buch aus der Hand.
Schade für die vielen Neulinge, deren gute Manuskripte nicht verlegt werden, weil lieber abgefahrene Kunst präsentiert wird. 1 Sternchen
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Mir ist ein Fehler unterlaufen. Ich wollte nur einen Stern vergeben.
Es hat ja gute Tradition, dass unter den Büchern, die es auf die Shortlist diverser Literaturpreise schaffen auch welche sind, die sich dem Leser nicht unmittelbar erschließen. Die herausfordern. Die experimentell sind. Als Literaturwissenschaftlerin lasse ich mich durchaus auf solch …
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Es hat ja gute Tradition, dass unter den Büchern, die es auf die Shortlist diverser Literaturpreise schaffen auch welche sind, die sich dem Leser nicht unmittelbar erschließen. Die herausfordern. Die experimentell sind. Als Literaturwissenschaftlerin lasse ich mich durchaus auf solch sprachlich oder formal neue Wege gehende Werke ein, mal sprechen sie mich an, mal bleibe ich ratlos zurück. Thomas Kunsts Roman „Zandschower Kliniken“, der aktuell auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht, was meine Neugier weckte, gehört für mich zur letzteren Gruppe. Interessanterweise deutet der Klappentext in keiner Weise auf das hin, was einem erwartet. Vorweg: ich habe nicht bis zum Ende durchgehalten, dabei gehöre ich zu den notorischen Buchbeendern, egal wie schlimm es ist. Hier habe ich jedoch nach knapp 2/3 die Segel gestreckt.
Es fällt mir schon schwer, den Inhalt irgendwie zu fassen. Es gibt Sätze, die ich verstehe, die nur mit den Sätzen um sie herum dann wieder wenig Sinn ergeben. Manche machen auch von sich aus schon ratlos:
„Ein letztes Mal wurde die Flasche nachts in Bogotá auf einem unbelebten Marktplatz abgesetzt, damit die Menschen durch die Glasöffnung wieder zu ihren Familien zurückkehren konnten“.
Ich mutmaße, dass dies auf ein Märchen von Hans Christian Andersen anspielt. In meiner Verzweiflung habe ich alles durchforstet, was neben dem eigentlichen Text noch in dem Buch zu finden war und in den Anmerkungen findet sich ein entsprechender Verweis. Das hilft mir jedoch auch nicht weiter.
Ein Mann flieht aus seinem Leben, ein Hundehaltband auf dem Armaturenbrett entscheidet über den Halt. Zandschow. Indischer Ozean. Bogotá. Cartagena. Getränke-Wolf. DDR. Briefe. Ja, das kommt irgendwie alles vor, findet nur nicht zueinander. Ebenfalls in den Anmerkungen bin ich auf eine Danksagung gestoßen, die als Metapher eigentlich ganz gut mein Leseerlebnis beschreibt: Der Autor nennt die Platten, die ihn beim Schreiben inspiriert haben. Beim Lesen kam es mir so vor als wenn diese Platten hängen, denselben Satz immer und immer wieder abspielen, um dann in ein völlig neues Lied zu springen, mit harten Übergang, ohne Erklärung. Das alles in Dauerschleife.
Der Name des Autors ist Programm. Kunst. Sehr abstrakt, oder in einer psychedelischen Phase verfasst. Vielleicht auch einfach: dadaistisch. Das würde zumindest von der Idee lösen, einen Sinn suchen zu wollen.
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Ist das Kunst oder kann das weg
Unter den Finalisten für den Deutschen Buchpreis befindet sich auch der Roman «Zandschower Klinken» von Thomas Kunst. Nomen est omen, denn was der Autor mit seinem Buch geschaffen hat, das ist zweifellos surreale Kunst. Alle Finalisten …
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Ist das Kunst oder kann das weg
Unter den Finalisten für den Deutschen Buchpreis befindet sich auch der Roman «Zandschower Klinken» von Thomas Kunst. Nomen est omen, denn was der Autor mit seinem Buch geschaffen hat, das ist zweifellos surreale Kunst. Alle Finalisten «zeigen den stilistischen, formalen und thematischen Reichtum der deutschsprachigen Gegenwarts-Literatur und zeugen von der immensen Lust und hohen Könnerschaft, Geschichten zu erzählen», hat die diesjährige Jury selbstbewusst erklärt. Ihren Mut muss man anerkennen, denn diese schräge, versponnene Aussteiger-Geschichte ist überaus verstörend, wie die verblüfften Kommentare in Feuilleton und Leserschaft beweisen.
Der Plot, soweit man hier von einem solchen reden kann, beginnt an einem Dorfteich. Bent Claasen wurde von der Freundin verlassen, sein Hund ist gestorben, er will nur noch weg. Wohin, das überlässt er dem Zufall, er wird dort bleiben, wo während der Autofahrt das Halsband des Hundes vom Armaturenbrett herunterfällt. Zandschow heißt das fiktive Kaff im Norden Deutschlands, nahe der Autobahn A7, in dem er schließlich landet. Außer dem Feuerlöschteich gibt es noch Getränke-Wolf als Treffpunkt des Ortes, wo es einen freien Internetzugang nach «Sansibar» gibt. Auf dem Teich werden jeden Donnerstag zwanzig Plastik-Schwäne ausgesetzt, unter künstlichen Palmen werden «Lagune-Festspiele» gefeiert, stündlich setzt ein Boot zu der Insel in der Mitte über. «Wir haben uns angewöhnt, sowohl Frauen als auch Männer an den Tagen, an denen wir dazu neigen, den Indischen Ozean mit unseren Füßen zu betreten, den Indischen Ozean in Zandschow mit unseren Füßen zu betreten». Was wie eine Stilblüte anmutet, ist die spezifische, eigenwillige Sprache von Thomas Kunst, in der er aus seiner fantastischen Traumwelt erzählt. In ihr fungiert das Dorf als Fluchtpunkt aus einer fremd gewordenen, globalisierten Welt, «Zandschow ist Sansibar» erfährt der Leser, «Und Sansibar ist weder ein paradiesischer militärischer Stützpunkt noch sonst wo. Die wenigsten von uns gehen einer geregelten Tätigkeit nach. Die meisten beziehen Stütze. Wir kriegen die Zeit trotzdem rum». Das Motto dieser alternativen Dorfgemeinschaft ist «Freude und Genussfähigkeit, die sich auf Armut und Fantasie gründen».
In kurzen Bildergeschichten wird hier anekdotisch in unbeirrt ritualisierter Sinnfreiheit aus einem eigenwilligen Soziotop von skurrilen Leistungs-Verweigerern berichtet. Auf die dabei zum Ausdruck kommenden Verlusterfahrungen weist schon das dem Buch vorangestellte Zitat von John Cheever hin, Derartiges sei das «brauchbare Vorgefühl auf den Tod». Stilistisch prägend sind in diesem renitent alle Konventionen des Erzählens negierenden, dadaistischen Roman die ständig wiederholten Satzkaskaden, die den Text als eine Art Prosa-Gedicht erscheinen lassen. Gefühlt mehr als hundertmal heißt es zum Beispiel wenig originell nach Aufzählungen: «Aber in umgekehrter Reihenfolge». Das ungehemmte Fabulieren und Phantasieren geschieht in wilden Sprüngen und sprachlichen Verrenkungen, die in ihrer Redundanz zuweilen an Lyrik erinnern, mit einer auf die Prosa angewandten, rhythmischen Musikalität. In diesem Verwirrspiel werden ständig neue Assoziationen erzeugt und kulturelle wie auch historische Bezüge hergestellt, die meistens jedoch schwer oder gar nicht zu entschlüsseln sind, geschweige denn zu deuten.
Mit seiner rigorosen Umkehr der Logik verlangt dieser in jeder Hinsicht radikale, geradezu widerborstige Roman seinen Lesern nicht nur sehr viel ab, er überschreitet häufig sogar recht deutlich die Grenze des Lesbaren, und literarisch damit auch des Zumutbaren. Man ist an die Anekdote um die Fettecke von Joseph Beuys erinnert, bei dem eine beherzte Putzfrau in der Düsseldorfer Kunstakademie auf die schwierige Frage «ist das Kunst oder kann das weg» eine gut nachvollziehbare Antwort gefunden hat. Mag die Buchpreis-Jury noch so jubeln, was man hier liest ist nichts anderes als eine literarische Zumutung.
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