"Und wär es denn ein Leben, sich nicht mehr zu bewegen."
Wow, das war mal eine Biografie nach meinem Geschmack! Allein schon der Mann Alexandre Yersin ist so ein Unikat, dass man gerne über ihn liest, doch Patrick Deville schafft es, eine ganze Epoche, einen Umschwung in der Medizin und
Forschung, zu umreißen und dabei mal poetisch, mal augenzwinkernd, mal ernst, aber immer literarisch den…mehr"Und wär es denn ein Leben, sich nicht mehr zu bewegen."
Wow, das war mal eine Biografie nach meinem Geschmack! Allein schon der Mann Alexandre Yersin ist so ein Unikat, dass man gerne über ihn liest, doch Patrick Deville schafft es, eine ganze Epoche, einen Umschwung in der Medizin und Forschung, zu umreißen und dabei mal poetisch, mal augenzwinkernd, mal ernst, aber immer literarisch den Leser in seinen Bann zu ziehen.
Das Buch ist relativ kurz, doch man lässt sich unwillkürlich Zeit beim Lesen, weil man alles verstehen und in sich aufsaugen möchte, was der Autor einem zu sagen hat. Und das ist vieles. Patrick Deville hat vorbildlich recherchiert und bringt einem näher, was er über den Mensch Yersin und die Zeit, in der er lebte, in Erfahrung gebracht hat. Yersin ist umgeben von wichtigen, bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit, von denenso mancher zur Legende wurde. So gehört er dem Kreis um Louis Pasteur - den Pasteuriens - an und mit Pasteur verbindet ihn eine interessante Beziehung. Der Mann wird fast so etwas wie eine entfernte Vaterfigur, der er neben seinem hellwachen Verstand viel zu verdanken hat.
Der Roman kommt ohne direkte Rede aus, dafür lockern Einwürfe des 'Gespenstes aus der Zukunft' den Text auf. Dieser Geist ist der Autor selbst, der sich an Yersins Fersen heftet und uns an seinen Beobachtungen teilhaben lässt.
Ganz nebenbei lernt man noch etwas ebenfalls sehr Interessantes über die Engländer und deren Akronyme (Adjektive aus Anfangsbuchstaben). So eine Kreation ist zum Beispiel das Wort POSH. Es bedeutet so viel wie 'vornehm, schick, dandyhaft' und entstand aus der Phrase 'port out, starboard home', 'backbord hin, steuerbord zurück', was heißt, dass man seine Kabine an Bord je nach Fahrtrichtung bucht und auf die Weise immer die beste Aussicht hat.
Mir wurden ab und an ein paar Vergleiche und Fädenspinnereien zwischen den großen Größen der französischen Geschichte zu viel, weil ich nicht alles verstanden habe, aber das ist ein geringes Manko, wenn man beachtet, was Deville einem hier bietet.
Die Lektüre lädt zum Recherchieren ein - man beginnt, sich für die Geschichte zu interessieren und möchte unweigerlich mehr wissen, sodass man auch schon mal eine Stunde nach dem Leseabend am Laptop sitzt und sich durch Wikipedia-Einträge wühlt. Aber man betreibt nicht nur Nachforschungen, sondern auch das Nachdenken. Über Yersins Einstellung zu den Menschen, zur Politik und zum Leben im Allgemeinen. Seine Neugier und sein Tatendrang sind fast schon ohne Vergleich, mit seiner Sehnsucht nach einem eigenen Paradies hat er mich jedoch sehr an König Ludwig II. von Bayern erinnert. Was Yersin in seinem Nha Trang und Umgebung geschaffen hat, brachte mich oft dazu, die Augen zu weiten und staunend den Kopf zu schütteln.
"Letzlich wär es doch kein Leben, sich ständig zu bewegen."
Alexandre Émile Jean Yersin - Arzt, Bakteriologe, Entdecker
Aufgewachsen am Genfer See als halbe Waise lernte er früh, dass ihm die Kuns und Kultur nicht zusagte - die Mädchen im Pensionat seiner Mutter lehrten ihn diese Dinge mit einem Augenrollenabzutun. Stattdessen entdeckte er schon mit 8 Jahren seine Leidenschaft für die Naturwissenschaft, als er auf dem Dachboden die Insektensammlung seines verstorbenen Vaters aufstöberte.Von da an betrieb er Forschungen, um seinen scheinbar unstillbaren Wissensdurst zu stillen.
Nach seinem Studium zog es in in die weite Welt hinaus und er sah sich mit dem Abenteurer in seiner Brust konfrontiert, als er in Indochina als Schiffsarzt arbeitete. Und dieser ließ Entdeckerdrang ließ ihn nicht mehr los.
Bewertung und mein Fazit
Eine höchstgradig lesenswerte Lektüre, die nicht nur für Liebhaber von Biografien interessant ist. Schlichtweg ein Buch, das man einfach gelesen haben sollte. Am liebsten würde ich jetzt nach Nha Trang ins Yersin-Museum fliegen, um der Legende näher zu kommen, doch das brauche ich eigentlich gar nicht, denn ich hatte Patrick Deville.