Berlin: Eine junge Frau erzählt von ihrem neuen Job bei einem großen Fernsehsender, von ihrem neuen Chef, ihrem neuen Leben. Sie wirkt glücklich, beseelt, hoffnungsfroh, es klingt gut. Zu gut?
In Los Angeles geht derweil eine Welt unter. Ein Mann, der damit prahlt, als Berühmtheit könne man sich gegenüber Frauen alles herausnehmen, wird Präsident der Vereinigten Staaten. Im Garten des legendären „Chateau Marmont“, diesem Nachtspielplatz verwöhnter Hollywood Kids jeden Alters, vertreibt sich eine illustre Bande auf der Flucht vor der Realität die Zeit. Auch der Erzähler ist hier – und Rose McGowan, die Schauspielerin, der man nachsagt, neuerdings irgendwie anstrengend geworden zu sein.
Kurz darauf erschüttert der Weinstein-Skandal Hollywood, und Rose McGowan ist eine der ersten Frauen, die sexuelle Belästigung durch den bis dahin von ganz Hollywood hofierten Filmproduzenten öffentlich gemacht hat. Rose verschwindet, aber sie hinterlässt dem Erzähler eine kryptische Nachricht – oder ist es vielmehr ein Auftrag? Wieso wendet sie sich ausgerechnet an ihn?
Von Hollywood aus verbreitet sich die #MeToo-Bewegung um die ganze Welt. Doch die alten Machtstrukturen sind widerständiger, als man in der ersten Euphorie vielleicht denken mochte.
Zurück in Berlin findet sich der Erzähler nicht mehr nur als Liegestuhlbeobachter, sondern nun als Akteur mitten in einem unübersichtlichen Geschehen wieder, das ihn in einen tiefen persönlichen Konflikt stürzt.
In Los Angeles geht derweil eine Welt unter. Ein Mann, der damit prahlt, als Berühmtheit könne man sich gegenüber Frauen alles herausnehmen, wird Präsident der Vereinigten Staaten. Im Garten des legendären „Chateau Marmont“, diesem Nachtspielplatz verwöhnter Hollywood Kids jeden Alters, vertreibt sich eine illustre Bande auf der Flucht vor der Realität die Zeit. Auch der Erzähler ist hier – und Rose McGowan, die Schauspielerin, der man nachsagt, neuerdings irgendwie anstrengend geworden zu sein.
Kurz darauf erschüttert der Weinstein-Skandal Hollywood, und Rose McGowan ist eine der ersten Frauen, die sexuelle Belästigung durch den bis dahin von ganz Hollywood hofierten Filmproduzenten öffentlich gemacht hat. Rose verschwindet, aber sie hinterlässt dem Erzähler eine kryptische Nachricht – oder ist es vielmehr ein Auftrag? Wieso wendet sie sich ausgerechnet an ihn?
Von Hollywood aus verbreitet sich die #MeToo-Bewegung um die ganze Welt. Doch die alten Machtstrukturen sind widerständiger, als man in der ersten Euphorie vielleicht denken mochte.
Zurück in Berlin findet sich der Erzähler nicht mehr nur als Liegestuhlbeobachter, sondern nun als Akteur mitten in einem unübersichtlichen Geschehen wieder, das ihn in einen tiefen persönlichen Konflikt stürzt.
Machtmissbrauch in der Medienbranche: "Noch wach" ist Benjamin von Stuckrad-Barres mit Spannung erwarteter Roman, über #MeToo und menschliche Abgründe.
Noch wach?, Benjamin von Stuckrad-Barre
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
In einer ausführlichen Rezension widmet sich Kritikerin Mara Delius dem als Schlüsselroman über den MeToo-Skandal beim Axel-Springer-Verlag gehandelten Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Freundschaft zwischen dem Ich-Erzähler und seinem Chef, dem Vorsitzenden eines großen Medienunternehmens. Hier macht die Kritikerin einen ersten problematischen Punkt aus: Wo es eigentlich um Frauen gehen soll, bleiben literarisch Männer die "treibenden Kräfte". Während der Ich-Erzähler im Laufe der Geschichte eine Läuterung durchläuft und die Frauen in ihren Anschuldigungen gegen den Chefredakteur der Firma unterstützt, tut sein Freund das Gegenteil, die "Bromance" zerbricht. Steckten hinter all dem nicht die wahren Ereignisse in der Redaktion der Bild-Zeitung, wäre Stuckrad-Barres Roman literarisch nicht relevant, meint die Kritikerin. Brillanz beweist er dennoch auf der literarischen Oberfläche, durch die authentische Nachahmung der skandalheischenden "Bild"-Sprache, durch seine "groteske Komik" und auch durch die zumindest angedeutete Selbstkritik des Autors. In die Tiefe geht das leider nicht, seufzt die Kritikerin, Stuckrad-Barre ist eben doch kein Böll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Das Buch "Noch wach?" von Benjamin von Stuckrad-Barre wurde als Schlüsselroman erwartet. Es hält, was es verspricht.
Benjamin von Stuckrad-Barre hat ein Buch geschrieben. Das Sittengemälde "Noch wach?", das er vorlegt, nennt sich Roman und ist aus der Perspektive eines namenlosen Erzählers verfasst. Es geht um einen namenlosen Fernsehsender, dessen namenlosen Oberboss - den der Erzähler den "Freund" nennt -, den ebenfalls nicht beim Namen genannten sexuell übergriffigen, machtgeil-rechtsverdrehten Chefredakteur dieses Senders und um dessen Opfer. Klingt nach reiner Fiktion. Ist es aber nicht. Der wahre Handlungsort und die Originalbesetzung dieses Stücks erscheinen uns klar: Springer-Verlag, "Bild"-Zeitung, Mathias Döpfner, Julian Reichelt und Benjamin von Stuckrad-Barre himself.
Denn wer anders als er selbst könnte der Ich-Erzähler sein, der da am Pool des Hotels Chateau Marmont in Los Angeles liegt? Wo er eine von dem Chefredakteur des Trashsenders bedrängte junge Frau aus Deutschland und Rose McGowan kennenlernt? Jene Schauspielerin, die mit ihrem Mut, auszusagen, den Weinstein-Skandal losgetreten und MeToo in Gang gesetzt hat. Monica Lewinsky, sagt sie ihm, sei "patient zero" gewesen - das erste Opfer. Für sie selbst sei es ja "leichter", sagt sie zynisch, schließlich sei sie vergewaltigt worden und habe Beweise: "Bald brennt dann ganz Hollywood. Oder ich. Höchstwahrscheinlich beides."
Dem Ich-Erzähler schenkt Rose McGowan daraufhin die Biographie der vom ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton bedrängten Lewinsky und schreibt ein Schlusswort hinein: "Wenn sie sich dir anvertrauen - sei kein Arschloch. Hör ihnen zu. Such nach anderen. Hör ihnen zu. Und dann setz dich für sie ein. Die Belohnung wird groß sein: Ihr werdet keine Jobs mehr kriegen, ihr werdet mit Schmutz beworfen, man wird euch als Lügner darstellen. Wird lustig. Bist du bereit? Oder bist du ein Arschloch? Deine Entscheidung. PS: Und vielleicht solltet ihr dann noch erwähnen, dass ihr mich kennt - dann kommt ihr direkt in den Knast."
Damit beginnt die Läuterung des - gebrochenen - Helden wider Willen, als der sich der Erzähler präsentiert. Nur zu Beginn wechselt er die Perspektive und versetzt sich in die Lage der jungen Frauen, die bei dem Fernsehsender anfangen und von dem mächtigen Chefredakteur umgarnt werden, der junge Mitarbeiterinnen scheinbar fördert, vor allem aber hofiert, bis sie seinem Werben nachgeben und er sie danach wegwirft.
Beruflich ist dieser Chefredakteur ein aufgeblasener, lächerlicher Macho und Großkotz, im eigenen Haus nennen sie ihn "Tucker Carlson für geistig noch Ärmere". Die Schlagzeilen können ihm gar nicht brutal genug formuliert sein. Der Konzernchef wiederum ist eigentlich ein Frei- und Feingeist, der sich mit den medialen Abscheulichkeiten, auf denen sein Umsatz beruht, so wenig beschäftigt, wie er sich in den digitalen Dingen, in die er viel Geld stecken und mit denen er zum weltweiten Spieler werden will, auskennt. Hin- und hergerissen ist dieser Mann - der "Freund" -, zwischen dem diabolischen Chefredakteur und dem Erzähler, in einer Auseinandersetzung zwischen - diese Fallhöhe maßt "Noch wach?" sich durchaus an - Gut und Böse.
Das vollzieht sich in Episoden, die Beobachtern des Springer-Konzerns allzu bekannt vorkommen. Es ist gewissermaßen die Quersumme der Presseartikel, die über Springer in den vergangenen beiden Jahren erschienen sind. Da hat jemand all die Zeit ganz genau Buch geführt, sich Notizen gemacht, und jetzt packt er aus. Ross und Reiter nennt er nicht, doch ist die Camouflage so gewollt dünn, dass die Zusicherung, die zu Beginn des Buches steht, als miserable Pointe erscheint und bei jemandem wie Stuckrad-Barre, der auf Pointen so versessen ist, besonders auffällt. "Dieser Roman", heißt es da, "ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte. Daher erhebt der Roman keinen Anspruch, Geschehnisse und Personen und ihre beruflichen und privaten Handlungen authentisch wiederzugeben. Vielmehr hat der Autor ein völlig eigenständiges neues Werk geschaffen."
In Teilen inspiriert? Eigenständiges neues Werk? Das wollen wir dem Autor nur in der Hinsicht durchgehen lassen, als er und sein Verlag sich so rechtlich absichern. Könnten Mathias Döpfner oder Julian Reichelt gegen ein Buch vorgehen, in dem sie namentlich nicht genannt werden, von dem man aber weiß, dass jede Seite von ihnen handelt? Jede geschilderte Szene, jede Unterhaltung, jeder Chat? Die Unterstellung dieser 379 Seiten ist: So und nicht anders ist es gewesen. So wird es nicht gesagt, ist aber so gemeint und wird auch so verstanden werden.
Springer kommt in Stuckrad-Barres Buch an einigen Stellen sogar vor. Allerdings nur in Spiegelungen. Etwa im Gespräch, das der Erzähler und sein "Freund" bei einer Autofahrt von Los Angeles nach San Francisco führen. Da berichtet der Erzähler dem Konzernchef, dessen Jugend- und Hippnesswahn ihn amüsiert, die Geschichte eines früheren "Bild"-Chefredakteurs. Der habe beim Nacktbaden am See eine Mitarbeiterin sexuell bedrängt. Bei der Vertuschung der Angelegenheit habe ihm sein Nachfolger geholfen und sich dadurch im Konzern offenbar endgültig für höhere Aufgaben empfohlen. Ob er davon gehört habe? Schlimme Geschichte, meint der "Freund", so richtig sei das wohl nie geklärt worden. Als Leser indes erinnert man sich an dieser Stelle nicht von ungefähr an eine Anzeige gegen den damaligen "Bild"-Chef Kai Diekmann, deren Eingang die Staatsanwaltschaft Potsdam im Januar 2017 bestätigte. Der Vorwurf sexueller Belästigung wurde im Verlag und von der Justiz geprüft und für nicht bestätigt befunden. Wenig später zog sich Diekmann als "Bild"-Chef zurück. Im August 2017 hieß es von der Staatsanwaltschaft dann endgültig: kein hinreichender Tatverdacht.
Kaum ist die Episode mit scheinbarer Distanzierung geschildert, hält der Erzähler seinem "Freund" die Chats des Chefredakteurs in seinem eigenen Konzern vor: "Ich meine, um 04:31 Uhr wird zurückgeschossen in Form von Informationen darüber, dass man nicht schon, sondern noch wach ist? Gefolgt natürlich von diesen drei elenden Doppeldeutigkeitspunkten, 'Noch - PunktPunktPunkt', diesem satzzeichengewordenen schwülen Augenzwinkernebel. Das ist doch unangenehm."
So eng an der vermeintlichen Realität ist alles, wovon Stuckrad-Barre schreibt. Es kommt einem bekannt vor, nichts ist überraschend. Nicht das Gehabe des Konzernchefs, nicht das Gebaren des Chefredakteurs, nicht die Vorwürfe, die zahlreiche Frauen gegen diesen erheben, nicht die Compliance-Untersuchung, die damit endet, dass dem Beschuldigten nichts Strafwürdiges und nichts nachgewiesen werden kann, was seine Entlassung rechtfertigte.
"Grauzone", "Er sagt / Sie sagen (besser nichts)", "Angstfreie Speak-up-Kultur" und "Verdachtsberichterstattung" sind die Kapitel im Buch überschrieben, in denen es um die Verarbeitung der MeToo- und Machtmissbrauchsvorwürfe geht. Sie passen eins zu eins zu dem, was in nicht fiktionalisierter Form über die Causa Reichelt und Springer berichtet wurde, auch in den letzten Tagen: anonyme Hinweisgeberinnen, ein Compliance-Verfahren, das nicht zum Rauswurf führte, dann doch im Herbst 2021 die Entlassung, weil Reichelt angeblich eine machtmissbräuchliche Beziehung geführt und den Vorstand belogen hatte, vergebliche Widerrede des Betroffenen, der sich bis heute unschuldig verfolgt sieht (F.A.Z. vom 18. April).
In seinem "Roman" erzählt Stuckrad-Barre mit zunehmender Wut von einem solchen Komplex, an dessen Ende eben nicht die vollständige Aufklärung und eine neue Unternehmenskultur stehen, sondern sich die Opfer in derselben Situation befinden wie zu Beginn. Womit der Autor Stuckrad-Barre in der Person des Erzählers uns auch die Begründung für dieses Buch unterjubelt: Seht her, ich konnte nicht anders, all mein Streben, meinen großen "Freund" davon zu überzeugen, ein großes Unrecht zu beenden, hat zu nichts geführt. Auf Seite 357 ist aus dem "Freund", mit dem ihn einst eine regelrechte Liebe verband, ein "Ex-Freund" geworden.
Für reine Fiktion halten wir indes, was Stuckrad-Barre inmitten des von ihm mit "Zeit", "Spiegel", ARD und sonstigen Prominenten mitbefeuerten Publikationsinfernos im "Spiegel" über sein Buch sagt. "Schlüsselroman? Auf gar keinen Fall. Was ist das auch für ein unangenehmes Wort, was soll das überhaupt bedeuten?", fragt er da. "Ich würde niemals ein Buch über diesen Mann schreiben", sagt er und meint Julian Reichelt, dessen Namen er nicht aussprechen will. "Das gesamte Personal dieses Romans" sei " anhand der Wirklichkeit frei erfunden", sagt Stuckrad-Barre. "Auch das ,Ich' des Buches, das bin ja nicht ich, auch wenn wir uns gut kennen. Und die wichtigste Figur ist ohnehin keiner dieser Typen, sondern die ebenfalls fiktive Heldin Sophia."
Diese Sophia kennen wir leider nicht. Aber die anderen Figuren in diesem "Roman", die kommen uns doch sehr bekannt vor. MICHAEL HANFELD
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»Benjamin von Stuckrad-Barres Roman 'Noch wach?' ist der erste deutschsprachige Roman, der die Widersprüche und Grauzonen verhandelt, die sich mit #MeToo verbinden. Es ist sein bestes Buch und das Beste, was man derzeit lesen kann« Julia Encke FAS 20230423
Rezensentin Iris Radisch findet an Benjamin von Stuckrad-Barres Enthüllungsroman vor allem skandalös, dass der Kampf für Frauenrechte hier vorgeschoben wird, um (wieder einmal) nur über Männer zu schreiben. Zunächst einmal ist die Kritikerin sehr skeptisch, was die Läuterung von Stuckrad-Barres Erzähler-Alter-Ego angeht: Der ehemalige "Premium-Mitarbeiter" eines "machoiden Boulevardkonzerns" verurteilt auf einmal die moralisch fragwürdigen Methoden seines Chefs und dessen schäbigen Umgang mit Frauen. Die Gründe für diesen Sinneswandel erfahren wir nicht, stellt Radisch fest, überhaupt hält sie diese Transformation des Erzählers zum "sanften Frauenversteher" für höchst unglaubwürdig. Kaum fassen kann die Kritikerin, wie das weibliche Personal hier dargestellt wird: Die Praktikantinnen, die reihenweise dem Drängen des Chefredakteurs nachgeben, erscheinen als hilflose Dummchen, so Radisch. Generell verhindert das "gnadenlos durchironisierte Figurenpersonal" eine ernsthafte Debatte über Machtmissbrauch, wie man es von dem so rezipierten "MeToo-Buch" erwartet hätte, seufzt die Kritikerin, und findet es um so schlimmer, dass die meisten Kritiker diesen "Etiketten-Schwindel" nicht durchschauen. Eine Sache muss Radisch dieser "Männer-Show" lassen: unterhaltsam ist sie allemal.
© Perlentaucher Medien GmbH
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