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Fee04
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Bayern

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Insgesamt 138 Bewertungen
Bewertung vom 10.09.2024
Brown Girls
Palasi Andreades, Daphne

Brown Girls


ausgezeichnet

„Brown Girls“ von Daphne Palasi Andreades
Verlag: Luchterhand

Brown Girls in Queens, die versuchen alles zu sein: brave Mädchen, anständige und fleißige Mädchen, intelligente und hübsche Mädchen, begehrte und wilde Mädchen.

Sie wollen in die amerikanische Kultur eintauchen, integriert sein, mit weißen Boys Beziehungen eingehen und von brown Boys gehalten werden. Sie sehen sich nach mehr und verfolgen ihre Träume.

Manche von ihnen lernen, um aus dem Viertel in Queens auszubrechen; mit einem Stipendium für Universitäten steht den Brown Girls der Weg offen. Weiße Eltern von Freunden geben bissige Bemerkungen von sich, wenn ihre Kids nicht an der begehrten Universität angenommen wurden.
Verwirrung, Wut und Scham bricht über die fleißigen Girls herein.

„….ich vermute mal, dass die Schulen, die sie abgelehnt haben, dieses Jahr ihre Quote für bestimmte Schüler erfüllen mussten…“

Brown Girls verstecken ihre Intelligenz vor weißen und brown People. Die weißen erkennen ihre Intelligenz oftmals nicht an und die Eltern, Familie, Freunde keifen die Mädchen an. „Was-hältst du dich für was besseres?“
Sie wollen eine bessere Welt für ihre Girls und doch möchten sie diese nicht loslassen.

Brown Girls passen sich an, verstecken ihre Gedanken und Träume, zucken mit den Schultern bei Beleidigungen und verleugnen fast ihre Herkunft. Brown Girls verstehen endlich, dass sie aus verschiedene Geschichten bestehen. Ihre Identität setzt sich aus vielen zusammen und immer wieder sind brown Girls zwischen der amerikanischen und ihrer eigenen Kultur hin-/hergerissen.

Es gibt viel sichtbares und unsichtbares, was die brown Girls aus Queens mit sich tragen:
Stolz, Angst und Verletzlichkeit.

Freundschaften verändern sich und aus vertrauten, fröhlichen Mädchen sind oftmals fragile Frauen geworden, die einander fremd sind.
Musik, lachen und Träume in der Vergangenheit geben den Ton an für das Erwachsenwerden in Amerika.

Und doch sagt eine innere Stimme, wenn sie sich zu weit von ihrem selbst entfernen:

„Wach jetzt endlich auf!“

Heimat ist nicht nur ein einziger Ort!
Brown Girls - stark für diese Welt.

Die Autorin beschreibt unglaublich einfühlsam und ausdrucksstark das Leben der jungen Menschen mit Migrationshintergrund in der amerikanischen Kultur.

Ein grandioser Roman, erzählt über brown Girls aller Zeiten; eine Vielzahl an Emotionen werden aufgezeigt. Die Mädchen gehen verschiedene Wege, mit oder ohne Partner, Kindern, Karriere, Geld oder Haus und kommen immer wieder, egal wie nah oder fern sie ihrer Heimat sind, dorthin zurück.

Bewertung vom 08.09.2024
Die Nacht der Bärin
Mohn, Kira

Die Nacht der Bärin


ausgezeichnet

„Die Nacht der Bärin“ von Kira Mohn
Verlag : HarperCollins
Ebook : Triggerwarnung fehlt / bitte beachten, es geht um häusliche Gewalt

Die Autorin schreibt einen atmosphärischen und kraftvollen Roman, der sich intensiv mit dem Thema körperliche und seelische Gewalt in der Beziehung und Familie auseinandersetzt.
Zitate vor den Kapiteln vermitteln die Grausamkeit und lassen den Schmerz greifbar werden.

In zwei Zeitebenen schreibt Kira Mohn eine Familiengeschichte, deren zerstörerischen Ereignisse bis in die Gegenwart andauern.

Maja und ihre Schwester Anna wachsen in einem Haushalt mit einem gewalttätigen Vater und einer verängstigten Mutter auf. Die Kinder flüchten oft in den nahegelegenen Wald und verbringen dort Zeit mit phantasievollen Geschichten. Vor allem Maja ist angetan von einer Bärin und ihren Jungen; sie sieht diese Bärenmutter als Beschützerin.
Zu Hause herrscht Angst und selbst die Mutter begehrt selten auf. Die Konsequenzen sind zu schlimm. Nur Anna bietet ihrem Vater jeden Sonntag die Stirn und kann aufgrund seiner Gewalttaten oftmals am nächsten Tag nicht die Schule besuchen.
Bis das unvorstellbare passiert und ab diesem Tag ist alles anders.

Erzählt wird aus der Sichtweise der kleinen Maja; die Mädchen werden intensiv beschrieben und auch deren Emotionen kann man spüren. Die gewalttätigen Ereignisse zu Hause werden bildlich und sehr emotional beschrieben. Die Angst vor dem Ehemann und Vater ist für mich als Leserin spürbar. Niemand in der Familie wollte die Aufmerksamkeit des Vaters auf sich ziehen.

Der Wald hingegen verströmt ein Gefühl der Ruhe und Idylle, ein perfekter Zufluchtsort für die Kinder. Obwohl es sich manchmal so anfühlt, als wäre ein Ungeheuer im Dickicht.

Jule ist auf dem Weg zu ihren Eltern. Ihr Lebensgefährte Jasper ist handgreiflich geworden und die junge Frau muss weg aus ihrem Zuhause. Zuhause erfährt ihre Mutter Anna, dass ihre Mutter, Jules Großmutter, gestorben ist. Jule hat die Frau nie kennengelernt und möchte mehr über die Familiengeschichte wissen. Im Nachlass finden die beiden Frauen einiges über die Vergangenheit und Jule merkt, dass diese von ihrer Mutter totgeschwiegen wurde.

Die Autorin beschreibt die Wichtigkeit, die Vergangenheit aufzuarbeiten, damit die Gegenwart leuchten kann. Die Erzählstränge gehen ineinander über und als Leser:in verschlingt man das Buch.

Was passiert in der Gegenwart mit Jule und Jasper? War es nur ein einmaliger Vorfall oder muss sich Jule mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Reichen seine Entschuldigungen aus oder muss sie vor dem nächsten Streit Angst haben?

„Sie hatte die Wahl, hat meine Mutter hinzugefügt. Und du hast diese Wahl auch.“

Und wäre es wirklich besser, man lässt die Vergangenheit ruhen?

Ein gewaltiges Buch, welches stark berührt und nachhallt.
Absolute Leseempfehlung für dieses aufwühlende Buch.

„Du verdienst es, geliebt zu werden.“

Bewertung vom 05.09.2024
Die Glückslieferanten
Hiiragi, Sanaka

Die Glückslieferanten


sehr gut

„Die Glückslieferanten“ von Sanaka Hiiragi wurde übersetzt von Yukiko Luginbühl und Sabine Mangold 

Verlag: Hoffmann und Campe

In ihrem wundervollen Schreibstil erzählt die Autorin poetisch, nüchtern und warmherzig über die Endlichkeit und die Wichtigkeit der unausgesprochenen Worte.
In verschiedenen Geschichten nimmt uns Sanaka Hiiragi auf berührende Weise mit, wie die junge Nanahoshi als Lieferantin für den „Himmelsboten“ unterschiedliche Pakete ausliefert.

„Der Tod ist jenseits des Flusses, fern und unbekannt für uns Lebende. Am anderen Ufer angelangt, kann man nichts und niemanden mehr etwas mitteilen. Von dort gibt es kein Zurück.“ (Pos.2622)

Deshalb nutzen einige Menschen den Kurierdienst für ihre Dienste. 
Sie wissen, dass sie zum Zeitpunkt der Lieferung wahrscheinlich verstorben sein werden, jedoch noch wichtige Botschaften für ihre Lieben übermitteln wollen.
Oft ist es aus verschieden Gründen nicht möglich, diese wichtigen Botschaften zu Lebzeiten den Herzensmenschen mitzuteilen. Die „Himmelsboten“ führen den Auftrag gewissenhaft und konsequent aus.

Warmherzig und berührend erzählt uns die Autorin drei Geschichten mit zugehörigen Unterstorys. Es geht um den Verlust geliebter Menschen, falsche Annahmen, fehlende Kommunikation oder auch einfach nur um den Stolz oder das Festhalten an Traditionen, welche die Menschen bewegen die Himmelsboten hinzuzuziehen.

Es gibt die unterschiedlichsten Hinterlassenschaften an die verschiedensten Menschen, Tiere, Pflanzen oder Dinge.
Jeder Kunde hat seine individuelle Geschichte und nicht immer waren diese harmonisch und friedlich.
Als Leser:in spürt man förmlich die Wichtigkeit, Dinge und Angelegenheiten zu regeln. Auch wenn diese oftmals schmerzhaft sind, ist es befreien, seine Gedanken und Gefühle zu Lebzeiten in Worte zu fassen. Man sollte ohne Wertung, was richtig oder falsch ist, in das Gespräch gehen.
Wer japanische Geschichten und deren besondere Schreibweise liebt, kann von diesem Buch nur profitieren. Die Autorin versteht es, die Protagonisten authentisch zu beschreiben und bringt uns die japanische Denk-/Lebensweise nahe.

Bewertung vom 18.08.2024
Stalker - Er will dein Leben.
Strobel, Arno

Stalker - Er will dein Leben.


ausgezeichnet

„Stalker: Er will dein Leben“ von Arno Strobel
Verlag: Fischer

Ein großartiger Psychothriller der mich als Leser:in auf eine Reise ins Ungewisse mitnimmt.
Das Cover hat die Aufmerksamkeit sofort auf sich gezogen und der Klappentext hält was er verspricht. Für Strobel-Fans ein absolutes „Must have“ und für alle anderen Thriller-Fans eine klare Buchempfehlung.

Der freundliche Schauspieler Eric Sanders steht kurz vor seinem
Durchbruch. Er ist festes Ensemblemitglied des Münchner Residenztheaters, aber allein seine Darstellung eines depressiven Familienvaters in dem neuen Tatort bringt ihm viele neue
Follower und seiner Karriere neuen Aufschwung.

Nicht alle gönnen Eric den Erfolg, es gibt auch Neider und dies bekommt er auf Facebook zu spüren. Jemand gibt sich als Eric Sanders aus, erstellt eine Kopie seine Accounts und schreibt unmögliche Posts.
Das Schlimmste ist jedoch, dass der Unbekannte im Real Life auftaucht und Eric kryptische Nachrichten hinterlässt.

Die Polizei kümmert sich nicht darum, dies sind wohl die Folgen seines plötzlichen Ruhms. Eric bekommt eine Mail von P.K. mit einer Prophezeiung und der Information, dass Eric eine erfundene Person ist. Es soll ihn gar nicht geben.
Eric versteht diesen Blödsinn nicht und ärgert sich über die anmaßenden Posts und auch darüber, dass man leider nichts dagegen unternehmen kann.
Bis etwas tragisches passiert und er aufgefordert wird, einen Mord zu gestehen.

Leider hat Eric nur bis zu dem verheerenden Hausbrand bei dem er seine Eltern verlor, eine Erinnerung. Alles andere liegt im Dunkeln. Seine Jugend verbrachte er bei seinen Großeltern und außer den schlimmen Albträumen führt er ein geordnetes, anständiges und relativ harmonisches Leben.

Arno Strobel zieht uns in die Tiefen der menschlichen Psyche, setzt Wahrheit und Lüge ein um das Ungewisse herauszufordern. Als Leser:In versucht man von Außen die Fäden zu verknüpfen und kaum hat man ein vermeintliches Rätsel gelöst, verirrt sich der Faden wieder in dem großen Wollknäuel.

Eric wirkt etwas gefühlskalt und sehr strukturiert, seine Gedanken sind mehr bei sich und seiner beruflichen Karriere als bei der Tragödie. Er macht alles was zur Lösung beiträgt und unterstützt die Polizei durch seine Aufarbeitung der Vergangenheit bei einem renommierten Psychologen. Und doch fehlt ihm das Emphatische oder ist er ein so guter Schauspieler?

Fesselnd und mit einem sehr gut ausgearbeiteten Spannungsbogen werde ich als Leser:in von dem Autor unterhalten. Man kann den Psychothriller nicht aus der Hand legen, möchte wissen, was in den Tiefen der Vergangenheit begraben liegt und die extremen Auswirkungen auf das jetzige Leben erfahren.

Eine Ende mit einem Wow-Effekt, welches ich nicht im Fokus hatte.

Bewertung vom 07.03.2024
Yellowface (MP3-Download)
Kuang, Rebecca F.

Yellowface (MP3-Download)


sehr gut

“Yellowface” von Rebecca F.Kuang, das Hörbuch veröffentlicht von Lübbe Audio wurde gesprochen von Milena Karas.
Zwei junge, unterschiedliche Frauen lernten sich während dem Studium in Yale kennen. Die Liebe zur Literatur verbindet die beiden Frauen. Während jedoch June Hayward mit ihrem ersten Roman scheitert, schreibt Athena Liu einen Bestseller. Ihr Erfolg wird gefeiert und June ist neidisch auf ihre “Freundin”. Die beiden Frauen verbringen einen Abend in Athenas schicker Wohnung. Athena arbeitet gerade an einem neuen Buch; sie schreibt ihre Entwürfe auf einer alten Schreibmaschine und hält diese bis zur Vollendung geheim.
In der Wohnung ereignet sich ein schreckliches Unglück und Athena stirbt vor Junes Augen. Im Affekt oder doch vorsätzlich nimmt June das Manuskript mit und redet sich ein, Athena hätte gewollt, dass sie das Manuskript veröffentlicht. June überarbeitet den Roman sehr stark und veröffentlicht damit einen Bestseller. Ein Shitstorm erfolgt durch die Neider:innen und Skeptiker:innen; June bekommt es mit der Angst als eine Welle des Hasses in den sozialen Medien über sie hereinbricht. Morddrohungen werden geschrieben und der Geist von Athena tritt im real life sowie im Netz auf. June hat Angst verrückt zu werden.
Und doch verkündet sie immer und immer wieder, dass es sich um ihr Werk handelt. Manipulativ und unglaublich narzisstisch wird ihr Auftreten beschrieben. June macht sich ihre ganz eigene Wahrheit zu einem sehr hohen Preis.
Die Autorin schreibt über die harte Welt im Autor:innen- und Verlagsgeschäft, die Missgunst, den Neid über Erfolg und vor allem über die Gunst der Medien und Leser:innen in der Branche.
Hervorgehoben werden auch die Meinungen und Hasskampagnen in den sozialen Medien und der Unterschied zwischen der Nationalität von Autor:innen und deren ausgewählten, passenden Schreibthemen.
Die Protagonistin June, ihr Charakter und ihre Verhaltensweise wurde sehr intensiv ausgearbeitet. Als Leser:in hat man ein klares Bild vor Augen.
Die Sprecherin hat den Roman fesselnd und sehr ansprechend gelesen. Für mich als Hörer:in war jedoch das gelesene Gendern im Hörbuch sehr unangenehm.
Insgesamt ist das Hörbuch und die Story empfehlenswert.

Bewertung vom 24.02.2024
Die Stadt und ihre ungewisse Mauer
Murakami, Haruki

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer


ausgezeichnet

“Die Stadt und ihre ungewisse Mauer” von Haruki Murakami zieht den Leser in eine surreale Welt.

Der Sprecher David Nathan hat in 17 Stunden und 12 Minuten mit seiner angenehmen, ruhigen Stimme unglaublich intensiv dieses Meisterwerk gesprochen. Die Stimm-/Tonlage war perfekt für diese Geschichte geeignet.

Ein 17 jähriger Junge verliebt sich in ein 16jähriges Mädchen.
Die beiden Jugendlichen leben in Japan und die zarte Beziehung besteht überwiegend aus Briefen. Das Mädchen erzählt oft über eine ummauerte Stadt, in der ihr wahres ICH lebt und in einer Bibliothek arbeitet. Nur wer seinen Schatten zurücklässt, darf die Stadt betreten.

Das Mädchen sagt ihm, dass es ganz und gar ihm gehören möchte und doch gab es keine Intimität zwischen den Verliebten.

Plötzlich ist das Mädchen verschwunden, niemand weiß, wo sie ist und
der namenlose Erzähler sucht überall. Er versteht nicht, was geschehen ist und begibt sich in die ummauerte Stadt. Das Mädchen kann sich nicht an ihn erinnern, alles ist seltsam dort, die Uhren stehen still und sein Schatten, der außerhalb der Mauern bleiben musste, beginnt zu sterben.

Der ICH-Erzähler wird gegen seinen Willen zurück in die Welt außerhalb der Mauern gebracht. Er kann das Mädchen nicht vergessen und sich deshalb auf keine andere Frau einlassen. Sein Leben im Buchhandel füllt ihn nicht aus und er bewirbt sich auf eine Stelle als Bibliothekar in einem kleinen Ort.

Hier fühlt er sich wohl und ist erstaunt, als er bemerkt, dass seine Anstellung von dem toten Bibliothekar vorgenommen wurde und dieser immer wieder in sein Leben tritt. Seine Gedanken und Träume driften
an diesem Ort nun wieder vermehrt zur ummauerten Stadt.

Der Autor zeichnet die Charaktere zart, ruhig und einfühlsam. Authentisch werden die verschiedenen Orte beschrieben, die Stadt mit ihrem unbestimmten Grundriss, der Stille und Kälte. Sanft führt uns Haruki Murakami zwischen den Zeilen zu unserem Selbst, zu unserer Selbstliebe und zurück zur Liebe.

Ein großartiges, berührendes und sanftes Werk, welches unglaublichen Tiefgang verspricht. Mystisch, geheimnisvoll und leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings nimmt uns der Autor mit auf eine Reise der Sehnsucht.

Ein Meisterwerk welches mich unglaublich tief berührt hat.
Murakami spätes Werk ist mein erstes (Hör-)Buch von ihm, jedoch sicherlich nicht das letzte. Eine klare Lese-/Hörempfehlung.

Bewertung vom 21.02.2024
Mein Name ist Estela
Trabucco Zerán, Alia

Mein Name ist Estela


ausgezeichnet

“Mein Name ist Estela” von Alia Trabucco Zerán ist ein Pageturner, man ist im Bann der Erzählerin und gefesselt von der Geschichte. Die Autorin schreibt einen Roman über die Klassengesellschaft in Chile.

Estela, eingesperrt in einer chilenischen Zelle erzählt unbekannten Zuhörern, vielleicht der Polizei oder vielleicht auch niemandem, vom Tod des siebenjährigen Mädchens.

“Der Ausgang ihrer Geschichte bleibt immer gleich:
Das Mädchen stirbt.”

Ein Mädchen, das ihr im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen war. Estela kam vor sieben Jahren als Haushälterin zu der Familie. Die Señora war schwanger und Estela, das Hausmädchen, durfte sich von Geburt an um das kleine Mädchen kümmern.
Ist es ihre Schuld, dass das Kind gestorben ist?

Estela erklärt den stillen Zuhörern, dass diese besondere Geschichte viele Anfänge hat und holt weit aus. Sie erzählt von ihrer Mutter und ihrer Jugend, von ihrem Fortgang aus dem kleinen Dorf und den Beginn ihrer Zeit als Hausmädchen bei der Familie. Sie braucht den Lohn zur finanziellen Unterstützung der Mutter und einen geplanten Anbau an ihr Häuschen.

Unbeschönigt erzählt die vierzigjährige Haushälterin den Ablauf im
Haus, ihre Tätigkeiten, ihre Rolle in dem Haus und ihre Zuneigung zu der Familie.
Estela will keine Zeit mit ihren ausschweifenden Erzählungen schinden, sondern erzählt so ausufernd, damit die Zuhörer den Sinn von Ursache und Wirkung /Folgen verstehen können.

Der leere, traurige Blick des Mädchens, die hohen Anforderungen der Eltern an das Kind, die wenigen Freunde und Freuden, die Einsamkeit, alles das lässt Estela in ihre Geschichte einfließen. Ein autoritärer Vater, der nur das Beste für das Kind möchte und eine gefühlskalte, erfolgsorientierte Mutter, die das anstrengende, oft schreiende Kind nicht versteht, spitzen die Tragödie zu. Aber auch die kleinen Glücksmomente werden von der Autorin emotional beschrieben.

Die Autorin zieht den Leser in das Leben der kleinen Familie und in die Gefühlswelt der Hausangestellten. Ein Leben zu Diensten einer fremden Familie, ein Leben mit deren Intimitäten und Gepflogenheiten und doch nicht zugehörig. Niemand aus diesem Haus fragt Estela, wie es ihr geht. Niemand interessiert sich als Mensch für das Hausmädchen.

Und doch hat Estela die Familie gern, das kleine Mädchen und einen zugelaufenen Hund in ihr Herz geschlossen. Ein Weggehen / Zurückgehen ist deshalb nicht geplant und so vergehen die Jahre. Jeden Tag wird gewischt, gewaschen, gebügelt und gekocht. Macht es ihr etwas aus? Dann passiert etwas unvorhergesehenes und Estela redet nicht mehr. Es ist auch in diesem Haushalt nicht notwendig. Oder ist es schlimm für das kleine Mädchen?

Die Autorin lädt mit diesem Roman zum Nachdenken ein.
Die fiktiven Personen werden authentisch dargestellt, das Leben aus Sicht der Angestellten sehr detailliert beschrieben und die Gefühlskälte der Eltern und die große Traurigkeit des kleinen Mädchens sind spürbar. Ein ergreifendes literarisches Werk, sehr zu empfehlen.

Bewertung vom 17.02.2024
Wir werden jung sein
Leo, Maxim

Wir werden jung sein


ausgezeichnet

“Wir werden jung sein” von Maxim Leo handelt von einer Medikamentenstudie an der Berliner Charité, welche plötzlich bei den teilnehmenden Personen einen Verjüngungsprozess in Gang setzt.
Vier externe Probanden mit schlechten gesundheitlichen Prognosen erleben durch das neue Medikament einer Studie nicht nur positive, sondern auch negative Erlebnisse.
Jakob ist siebzehn, frisch verliebt und entsetzt, dass seine DNA bereits die eines Kindes aufweist. Jegliche sexuelle Handlungen mit seiner Freundin Marie scheitern und auch seine Lust hat sich verflüchtigt. Liegt es an dem neuen Medikament? Seine Verzweiflung ist groß, auch wenn Marie sagt, es wäre nicht schlimm.
Verena, Schwimmerin und ehemalige Olympiasiegerin nimmt am “Rentnerrennen” in Athen teil. Ihre Zeit für die 100 Meter Freistil ist jedoch so gut, dass ihr der internationale Schwimmverband Doping vorwirft. Liegt es an dem neuen Medikament, was ihr verordnet wurde?
Wenger, ein schwerkranker Immobilienhändler gesundet auf wundersame Weise und seine Erben sind nicht nur erfreut. Auch seine geliebte Frau Mathilde weiß nicht mit der Situation umzugehen und Wenger überlegt zum ersten Mal, was er mit seiner geschenkten Zeit anfangen möchte.
Jenny, eine Frau, die nach vielen klinischen Versuchen ihren Kinderwunsch begraben hatte, wird plötzlich schwanger.
Der Wissenschaftler und sein alternder Hund nehmen auch das Medikament und stellen eine Verjüngung fest.
Die Öffentlichkeit erfährt von dieser Neuigkeit und nicht nur moralische und ethnische Fragen werden gestellt. Wer darf dieses Medikament erhalten und spielt Geld und Macht eine Rolle?
Der Forscher wird durch Aktivisten auf die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft aufmerksam gemacht und doch stellt sich ihm immer wieder sein Ehrgeiz und sein Erfolg in den Weg, die Dinge im Außen objektiv zu betrachten. Seine Welt befindet sich im Labor und sein größter Erfolg liegt vor ihm …
Der Autor beschreibt humorvoll und zugleich sehr ernst die Problematik der eigenen und gesellschaftlichen Sichtweise auf den Verjüngungsprozess.
Was bedeutet dies für den einzelnen Probanden und für die Gesellschaft? Große Fragen werden gestellt und von verschiedenen Seiten beleuchtet; nicht alle Antworten werden gegeben und doch bleibt dieser Roman sehr lange in Erinnerung.
Kann der Mensch diese Verjüngung uneingeschränkt genießen, wie stark beeinflusst es sein derzeitiges Leben und ist es wirklich von Vorteil eine junge DNA und einen reifen Geist zu besitzen?
Nicht jeder der Probanden kommt mit dieser geschenkten Zeit und körperlichen Veränderung klar, die Endlichkeit ist uns vorgegeben und ist es nicht ethisch unverantwortlich in dies einzugreifen?
Die Gedankenmuster, was es für Auswirkungen auf die jetzige und künftige Generation haben würde , auf die gesamte Menschheit, ihre Fortpflanzung und Lebensqualität auf Erden, sind unglaublich gut ausgearbeitet.
Maxim Leo zieht uns in ein Gedankenexperiment, welches uns sehr nachdenklich zurücklässt. Er zeichnet liebevoll die Charaktere und deren Problematik mit ihrer gewonnenen Lebenszeit. Mitfühlend und verständnisvoll geht man als Leser mit den ethnischen Fragen um.
Der Autor zeigt uns die vier Teilnehmer mit ihren Erlebnissen innerhalb eines Jahres auf und ihre ungewisse Reise wird authentisch dargestellt.
Positive und negative Ereignisse gehen Hand in Hand und der Autor beschreibt in einzelnen Kapiteln das Leben und die Empfindung der Probanden.
Mit einer Prise Humor begleitet er die Charaktere durch die turbulente Zeit und zeigt auf, dass Veränderung nicht für jeden geeignet ist.
Der flüssige und geradlinige Schreibstil geben dem Roman seine ganz eigene Note.

Bewertung vom 15.02.2024
Maunzi
Rechl, Christine

Maunzi


ausgezeichnet

“Maunzi” Eine Katze erklärt die Welt von Christine Rechl ist ein kleines Büchlein für alle Katzenliebhaber und Katzenfreunde. Das Hardcover-Büchlein mit seinen bezaubernden
Illustrationen auf 80 Seiten ist im Pattloch Geschenkbuch-Verlag erschienen.

Humorvoll und mit wunderschönen Illustrationen hinterlegt, erklärt uns die Katze die Welt.
Oder besser gesagt: Ihre Welt!

Sehr liebenswert und witzig wird das Leben mit den Menschen und deren Eigenarten beschrieben. Unhöflich, nicht gerade klug, aber doch nicht gänzlich untauglich wird der Mensch beschrieben. Die Beziehung zwischen Katze und Mensch zeigt auf, wie originell die Sichtweise der Katze ist. Auch ihre Geduld mit dem geliebten Menschen wird hervorgehoben.

Das einzigartige Wesen der Samtpfoten, wird in diesem kleinen Buch charmant und lustig offenbart. Die Farbgestaltung und die Weisheiten zu den unglaublich schönen Illustrationen begeistern mich als Leser.

Ein entzückendes Büchlein, welches sich wundervoll als Geschenk eignet.
Eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 14.02.2024
Kleine Dinge wie diese
Keegan, Claire

Kleine Dinge wie diese


ausgezeichnet

“KLEINE DINGE WIE DIESE” von Claire Keegan, gesprochen von Stefan Wilkening handelt von einem Kloster in Irland in welchem Mädchen gelitten haben und einem Familienvater, der vor der Wahl steht zu schweigen oder mit seinem schlechten Gewissen weiterleben zu müssen.


Das Kloster beinhaltet eine Wäscherei und wird von einflussreichen Nonnen geführt . Man munkelt in der Stadt, dass sich hinter den verschlossenen Toren und dicken Mauern viele Mädchen aufhalten, die in Ungnade gefallen sind.
Diese sollen von früh bis spät arbeiten, nur wenig zu essen erhalten und einige sind unter diesen grausamen Umständen wohl zugrunde gegangen.
Man nimmt ihnen ihre Babys weg und gibt diese zur Adoption frei. Niemand kennt die genauen Umstände und niemand möchte sich mit der einflussreichen Kirche auseinandersetzen.

Claire Keegan erzählt in ihrem Buch über das Schicksal der jungen Frauen der Magdalenen-Wäschereien in Irland. Ohne auf das Grauen hinter den Mauern im Detail einzugehen, erzählt sie die Geschichte von dem bescheidenen Kohlenhändler und seinem Gewissen.
Die Autorin beschreibt sehr intensiv die Umstände zur damaligen Zeit. Die Charaktere wurden sehr gut ausgearbeitet und man wird mit auf eine Reise genommen, die mit gutem Gewissen und Nächstenliebe nichts gemein hat.

Mitschuld trägt auch der Ignorant.


Im Jahr 1985 beliefert der Kohlenhändler Billy Furlong u.a. auch das Kloster in der nahen Umgebung. Sein Geschäft geht in dieser schweren Zeit gut und er kann seine Frau und fünf Mädchen gut versorgen. Kurz vor Weihnachten ist er sehr früh mit seiner Lieferung beim Kloster und macht eine erschütternde Entdeckung.

Verstört fährt er nach Hause.

Die Nonnen bezahlen ihn immer gut und auch Weihnachten geben diese etwas mehr Geld.
Billy wird von einigen Bewohnern “gewarnt”, die Nonnen sind sehr einflussreich und er müsse an seine Familie denken. Was auch immer er gesehen hat, gilt es zu vergessen.

Jedoch ist Weihnachten, ein Fest der Nächstenliebe und Billy denkt an seine Jugend zurück.
Eine Witwe hat seiner ledigen Mutter und ihm geholfen, als die kleine Familie in Not war.
Was wäre aus ihnen geworden, wenn sich die Dame nicht ihrer angenommen hätte?
Kann er einfach wegsehen? Was wird es für Konsequenzen haben, sollte er sich als einzelner und unbedeutender Mann in die Geschehnisse im Kloster einmischen?

Claire Keegan zieht uns mit ihrem besonderen Schreibstil in den Bann. Auf wenigen Seiten holt sie uns in eine andere Welt und zeigt uns viele kleine Dinge wie diese auf.
Mitreißend und mitfühlend erzählt sie uns eine Geschichte, mit einfühlsamen und schlichten Worten bringt uns die Autorin ein Drama nahe, welches uns noch lange beschäftigt.
Der Sprecher konnte dieses Kleinod sehr feinfühlig und berührend umsetzen.

Absolute Empfehlung für diese Kurzgeschichte.