Aron Boks
Gebundenes Buch
Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat
'Empathisch, kritisch, feinfühlig.' Lukas Rietzschel, Autor des SPIEGEL-Bestsellers 'Raumfahrer'
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Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt?Willi Sitte - Künstler, überzeugter Kommunist, Funktionär, Machtmensch. Er gilt als einer der einflussreichsten und umstrittensten Maler der DDR. Aron Boks ist sein Urgroßneffe und hat sich bisher kaum für seinen berühmten Verwandten interessiert. Bis bei einem Familientreffen plötzlich ein Gemälde auftaucht: Die Heilige Familie. Aron beginnt, Fragen zu stellen: Wer war Willi Sitte wirklich, was trieb ihn an?Das Gemälde wird zum Ausgangspunkt seiner biografischen Recherche, die ihn mit Geschehnissen während und nach dem Zweiten Weltkri...
Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt?
Willi Sitte - Künstler, überzeugter Kommunist, Funktionär, Machtmensch. Er gilt als einer der einflussreichsten und umstrittensten Maler der DDR. Aron Boks ist sein Urgroßneffe und hat sich bisher kaum für seinen berühmten Verwandten interessiert. Bis bei einem Familientreffen plötzlich ein Gemälde auftaucht: Die Heilige Familie. Aron beginnt, Fragen zu stellen: Wer war Willi Sitte wirklich, was trieb ihn an?
Das Gemälde wird zum Ausgangspunkt seiner biografischen Recherche, die ihn mit Geschehnissen während und nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders mit den Jahren vor und nach der »Wende« konfrontiert. Irgendwann wird ihm klar, dass die Beschäftigung mit seiner Familie und der DDR auch zu einer Beschäftigung mit sich selbst wird. Aron sammelt, fragt nach und fügt Ereignisse zusammen, die Willi Sitte auf seinem Lebensweg prägten. Zu den Zeitzeugen, mit denen er spricht, gehören neben Ingrid Sitte auch Wolf Biermann, Gerhard Wolf und Volker Braun.
Für Aron, der die DDR selbst nicht mehr erlebt hat, zeigt sich der Maler Willi Sitte als Mensch in all seiner Zerrissenheit. Zwischen Ideologie und Idealismus, Ruhm, Macht, Kunst und Anerkennung. Eine Suche, die uns zu den wichtigsten Fragen der jüngsten Vergangenheit Deutschlands führt.
»Eine Spurensuche, bei der Aron Erinnerungen von Zeitzeugen und aktuelle Ereignisse dokumentarisch miteinander verwebt. Dabei herausgekommen ist seine ganz eigene Geschichte. Eine großartige Annäherung an ein Land, das es nicht mehr gibt, aber unsere Gegenwart weiterhin prägt.«
Alexander Kluge
»Es gibt viele Bücher Nachgeborener über die DDR, viele Bücher über die Suche nach diesem untergegangenen Land und der Frage danach, was das mit der eigenen Biografie zu tun hat. Aron Boks gelingt, was viele nur vortäuschen: Er hat ernsthaftes Interesse. Empathisch, kritisch, feinfühlig legt er die Ambivalenzen offen, die sich ergeben, wenn man sich mit 'der DDR' beschäftigt. Chapeau!«
Lukas Rietzschel, Autor des Bestsellers Raumfahrer
Willi Sitte - Künstler, überzeugter Kommunist, Funktionär, Machtmensch. Er gilt als einer der einflussreichsten und umstrittensten Maler der DDR. Aron Boks ist sein Urgroßneffe und hat sich bisher kaum für seinen berühmten Verwandten interessiert. Bis bei einem Familientreffen plötzlich ein Gemälde auftaucht: Die Heilige Familie. Aron beginnt, Fragen zu stellen: Wer war Willi Sitte wirklich, was trieb ihn an?
Das Gemälde wird zum Ausgangspunkt seiner biografischen Recherche, die ihn mit Geschehnissen während und nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders mit den Jahren vor und nach der »Wende« konfrontiert. Irgendwann wird ihm klar, dass die Beschäftigung mit seiner Familie und der DDR auch zu einer Beschäftigung mit sich selbst wird. Aron sammelt, fragt nach und fügt Ereignisse zusammen, die Willi Sitte auf seinem Lebensweg prägten. Zu den Zeitzeugen, mit denen er spricht, gehören neben Ingrid Sitte auch Wolf Biermann, Gerhard Wolf und Volker Braun.
Für Aron, der die DDR selbst nicht mehr erlebt hat, zeigt sich der Maler Willi Sitte als Mensch in all seiner Zerrissenheit. Zwischen Ideologie und Idealismus, Ruhm, Macht, Kunst und Anerkennung. Eine Suche, die uns zu den wichtigsten Fragen der jüngsten Vergangenheit Deutschlands führt.
»Eine Spurensuche, bei der Aron Erinnerungen von Zeitzeugen und aktuelle Ereignisse dokumentarisch miteinander verwebt. Dabei herausgekommen ist seine ganz eigene Geschichte. Eine großartige Annäherung an ein Land, das es nicht mehr gibt, aber unsere Gegenwart weiterhin prägt.«
Alexander Kluge
»Es gibt viele Bücher Nachgeborener über die DDR, viele Bücher über die Suche nach diesem untergegangenen Land und der Frage danach, was das mit der eigenen Biografie zu tun hat. Aron Boks gelingt, was viele nur vortäuschen: Er hat ernsthaftes Interesse. Empathisch, kritisch, feinfühlig legt er die Ambivalenzen offen, die sich ergeben, wenn man sich mit 'der DDR' beschäftigt. Chapeau!«
Lukas Rietzschel, Autor des Bestsellers Raumfahrer
ARON BOKS wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Autor, Slam Poet und Moderator in Berlin-Charlottenburg. 2019 erhielt er den Klopstock-Förderpreis für Neue Literatur. Seit 2021 schreibt er vor allem für die taz und die taz.FUTURZWEI-Kolumne 'Stimme meiner Generation'. 2023 erschien sein Buch 'Nackt in die DDR', in dem er sich auf die Lebensspuren seines Urgroßonkels, dem Künstler und Funktionär Willi Sitte begibt. Das Buch fand großes Medienecho. Aron Boks selbst hat die DDR nie erlebt. Die Recherche und Arbeit am Buch bedeuteten für ihn auch den Zugang in die verstärkte Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Geschichte und ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Neben seiner Schreibtätigkeit moderiert Boks zu diesem Thema Literatur- und Gesprächsveranstaltungen mit Nachwendekindern aus Ost- und Westdeutschland.
Produktdetails
- Verlag: HarperCollins Hamburg / HarperCollins Hardcover
- 1. Auflage
- Seitenzahl: 400
- Erscheinungstermin: 21. Februar 2023
- Deutsch
- Abmessung: 211mm x 142mm x 35mm
- Gewicht: 499g
- ISBN-13: 9783365003107
- ISBN-10: 336500310X
- Artikelnr.: 66015067
Herstellerkennzeichnung
HarperCollins Hardcover
Valentinskamp 24
20354 Hamburg
vertrieb@harpercollins.de
»Boks gelingt es [...], seines Urgroßonkels künstlerischen und politischen Weg sehr plastisch nachzuzeichnen. Dazu tragen die aufschlussreichen Gespräche mit Zeitzeugen bei, die er ausfindig gemacht hat.« Andreas Montag Mitteldeutsche Zeitung 20230221
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Ein großer Künstler, aber ein kleiner Mensch", so beschrieb Wolf Biermann den Künstler Willi Sitte, von dessen Leben, der Kunst und der DDR Rezensent Michael Hametner bei Aron Boks lesen kann. Der Autor, zugleich Urgroßneffe des Porträtierten, zeigt diese Spannung, diese Ambivalenzen auch in seinem Buch, das zwischen Erzählung und Sachbuch changiert, freut sich Hametner. Ihm gefällt, wie behutsam und doch genau Boks als Nachgeborener den Vermächtnissen eines untergegangenen Staates und eines tief mit ihm verwobenen Künstlers umgeht, der viele Debatten und Spannungen auszuhalten hatte. Ein besonderes, lesenswertes Buch, weil es Vereinnahmungen widersteht, resümiert der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Großer Künstler, kleiner Mensch
Aron Boks begibt sich
in "Nackt in die DDR" auf die Suche nach
seinem prominenten
Urgroßonkel, dem
umstrittenen Maler
Willi Sitte.
Zwei Gründe heben Aron Boks' Buch "Nackt in die DDR" aus dem Fluss der Bücher heraus. Zum einen ist es der Versuch, die Ambivalenzen im Maler- wie im Funktionärsleben von Willi Sitte möglichst gerecht darzustellen, und zum anderen die Annäherung eines Sechsundzwanzigjährigen an die DDR. Als eine Kollegin in seiner Redaktion einen Artikel über die DDR schreibt, fragt sich Boks, ob der Text nicht eine höhere Authentizität besäße, wenn er ihn verfasste. Er recherchiert zwar erst seit ein paar Monaten zu dieser
Aron Boks begibt sich
in "Nackt in die DDR" auf die Suche nach
seinem prominenten
Urgroßonkel, dem
umstrittenen Maler
Willi Sitte.
Zwei Gründe heben Aron Boks' Buch "Nackt in die DDR" aus dem Fluss der Bücher heraus. Zum einen ist es der Versuch, die Ambivalenzen im Maler- wie im Funktionärsleben von Willi Sitte möglichst gerecht darzustellen, und zum anderen die Annäherung eines Sechsundzwanzigjährigen an die DDR. Als eine Kollegin in seiner Redaktion einen Artikel über die DDR schreibt, fragt sich Boks, ob der Text nicht eine höhere Authentizität besäße, wenn er ihn verfasste. Er recherchiert zwar erst seit ein paar Monaten zu dieser
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Zeit, aber ist im ostdeutschen Harzstädtchen Wernigerode geboren. Ganz nebenbei erscheint unausgesprochen das Thema kultureller Aneignung. Sie wurde von westdeutschen Historikern und Journalisten bei der Suche nach einem Bild von der DDR ohne Skrupel praktiziert, von manchen bis heute. Nur nannte man diese Übergriffigkeiten gleich nach der Wiedervereinigung noch nicht so.
Warum sich in "Nackt in die DDR" für den Autor das Interesse an der DDR mit dem an Willi Sitte verbindet, ist leicht erklärt: Aron Boks ist Sittes Urgroßneffe. Nun hat Willi Sitte mit seinen "Fleischbergen" und großflächigen Propagandabildern beim Publikum schon in der DDR nicht durchgehend Gefallen produziert, weshalb der Spruch entstand: Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt. Um das Bild des Präsidenten des Künstlerverbands, dem Willi Sitte vierzehn Jahre lang vorstand, steht es noch um einiges schlechter. Man sah in ihm den Gralshüter des sozialistischen Realismus, ein Amt, das er sich als Mitglied der Volkskammer und des ZK der SED autorisieren ließ. Man hätte freilich sehen können, dass Sittes Bilder nie im Stil eines platten Realismus gemalt waren, sondern eher expressiv und mit dickem Farbauftrag. Realistisch durchaus, aber eher von der Art, die keine Tabus kennt. Sitte lehnte die Idealisierung und Verschönerung der natürlichen Nacktheit ab.
Aron Boks' "Nackt in die DDR" ist Erzählung und Sachbuch zugleich. Der Titel spielt darauf an, dass der Autor bei seiner Recherche den historischen Raum DDR nackt, also so gut wie ohne Vorwissen betrat. Er will wissen, "was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat", der er weder die DDR noch Willi Sitte kennengelernt hat. Das stimmt zuversichtlich, weil es zeigt, dass nachfolgende Generationen an dieser Erzählung mitschreiben wollen. Interessant, dass die Großmutter zur Kronzeugin wird, während die Mutter, die im Jahr der Wiedervereinigung Abitur gemacht hat, sich den Fragen des Sohnes vehement entzieht: "Meine Mutter sagt, es gibt heute nichts mehr zu sagen." Als wiederhole sich das Schweigen nach Krieg und Vertreibung.
Die Materialsammlung, die Boks für sein Sitte-Bild aufbietet, ist imponierend. Fällt ein Begriff aus der DDR-Geschichte - Bitterfelder Weg, das berüchtigte 11. Kulturplenum, die Petition gegen die Ausbürgerung Biermanns von 1976 -, gibt es eine Fußnote. Sitte habe sich "außerordentlich beunruhigt über die eingetretene Situation durch das Auftreten von Wolf Biermann in der BRD" gezeigt. Kein halber Satz zur Verteidigung, dabei hatte Sitte den Sänger mehrfach zu Konzerten in die Hochschule nach Halle eingeladen. Da sich hier eine der Ambivalenzen im Sitte-Bild zeigte, versuchte Boks ein Gespräch mit Wolf Biermann zu bekommen und erhielt von ihm eine souveräne Antwort: "Nun, dein Urgroßonkel war ein großer Maler, ein großer Künstler, aber ein kleiner Mensch."
Aron Boks hat mit der Entdeckung seines Verwandten erst kurz vor dessen hundertstem Geburtstag begonnen, als auch andere nach der Wahrheit über den 2013 gestorbenen Willi Sitte suchten. Vor allem die beiden Kuratoren der großen Retrospektive 2021 in der Moritzburg-Galerie in Halle, Thomas Bauer-Friedrich und Paul Kaiser, besaßen einen Vorsprung. Boks wollte sich aus dem Bannkreis der Kunstwissenschaftler heraushalten und nimmt kein einziges Sitte-Bild oder Foto in sein Buch auf. Er geht anderen Spuren nach. Beispielsweise zu den drei Brüdern von Sitte, alle gläubige Kommunisten nach dem Vorbild des Vaters: Rudolf, Professor für baubezogene Kunst in Dresden; Franz, der vom Glashersteller zum Hersteller von Leuchten werden wollte; Ernstl, der einer LPG vorstand. Der Autor geht der Frage nach, was bei Sitte Überzeugung eines Kommunisten und was Anpassung war. Wann wurde aus einem, der für die Freiheit seiner Kunst kämpfte, der Staatsmaler einer Diktatur?
Es ist für das Sitte-Bild nicht unwichtig, wann der Maler aus der deutschen Wehrmacht in Italien desertierte und sich dem Widerstand anschloss. Obwohl Boks viel Zeit und Kraft aufwendet und in Italien vor Ort recherchiert, gelingt ihm keine klare Antwort. Ist Sitte schon seit Oktober 1944 im Widerstand, oder ist er erst am 2. April 1945 zu den Partisanen übergelaufen? Dass er, der 1946 seine erste Ausstellung in Mailand hatte und dabei gleich alle Bilder verkaufte, dann doch in die sowjetische Zone kam, spricht dafür, dass es ihm mit seinem kommunistischen Glauben ernst war. Dass er später wegen seiner Anleihen bei Picasso und Léger in die Mühlen der Formalismusdebatte kam, war sicher kein Spaß, nahm Sitte aber nichts von seiner Überzeugung. In den Sechzigerjahren ist die Rede von zwei Selbstmordversuchen, hinter denen das anhaltende Missverständnis seiner Kunst stand, aber wohl auch eine unglückliche Liebe.
Zwar verspricht Aron Boks im Prolog, "unvoreingenommen" über Willi Sitte schreiben zu wollen, aber immerhin schreibt er über ein Familienmitglied. Doch er stellt neben den Urgroßonkel immer den Künstler, neben den Künstler immer den Funktionär. Darüber kommt die ganze Zwiespältigkeit und Zerrissenheit Sittes in Boks' Darstellung: Er, der sich in seiner Kunst zu den Arbeitern bekannte, wurde von ihnen am meisten missverstanden. Im Amt des Verbandspräsidenten verstand er es, sich Privilegien zu verschaffen, von denen er bald glaubte, dass sie ihm zustünden - etwa ein italienischer Koch für "sein" Gästehaus.
Ambivalenzen gibt es viele in Aron Boks' "Nackt in die DDR". Weil er nicht nur seinen Urgroßonkel sucht, sondern auch ein Verständnis für die DDR, entgeht ihm nicht der Gedanke, dass der Streit um den Staatskünstler Willi Sitte eine reale und in ihrer Heftigkeit eine Stellvertreterdebatte ist. So wie Christa Wolf es Anfang der Neunzigerjahre in der Literatur erlebte, als ihre Erzählung "Was bleibt" eine deutsch-deutsche Literaturdebatte auslöste, verhält es sich mit Willi Sitte für die bildende Kunst der DDR. Je mehr sie demontiert werden konnte, desto besser fühlten sich die Sieger. Auch davon ist bei Boks zu lesen. MICHAEL HAMETNER
Aron Boks:
"Nackt in die DDR".
Verlag Harper Collins, Hamburg 2023.
400 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum sich in "Nackt in die DDR" für den Autor das Interesse an der DDR mit dem an Willi Sitte verbindet, ist leicht erklärt: Aron Boks ist Sittes Urgroßneffe. Nun hat Willi Sitte mit seinen "Fleischbergen" und großflächigen Propagandabildern beim Publikum schon in der DDR nicht durchgehend Gefallen produziert, weshalb der Spruch entstand: Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt. Um das Bild des Präsidenten des Künstlerverbands, dem Willi Sitte vierzehn Jahre lang vorstand, steht es noch um einiges schlechter. Man sah in ihm den Gralshüter des sozialistischen Realismus, ein Amt, das er sich als Mitglied der Volkskammer und des ZK der SED autorisieren ließ. Man hätte freilich sehen können, dass Sittes Bilder nie im Stil eines platten Realismus gemalt waren, sondern eher expressiv und mit dickem Farbauftrag. Realistisch durchaus, aber eher von der Art, die keine Tabus kennt. Sitte lehnte die Idealisierung und Verschönerung der natürlichen Nacktheit ab.
Aron Boks' "Nackt in die DDR" ist Erzählung und Sachbuch zugleich. Der Titel spielt darauf an, dass der Autor bei seiner Recherche den historischen Raum DDR nackt, also so gut wie ohne Vorwissen betrat. Er will wissen, "was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat", der er weder die DDR noch Willi Sitte kennengelernt hat. Das stimmt zuversichtlich, weil es zeigt, dass nachfolgende Generationen an dieser Erzählung mitschreiben wollen. Interessant, dass die Großmutter zur Kronzeugin wird, während die Mutter, die im Jahr der Wiedervereinigung Abitur gemacht hat, sich den Fragen des Sohnes vehement entzieht: "Meine Mutter sagt, es gibt heute nichts mehr zu sagen." Als wiederhole sich das Schweigen nach Krieg und Vertreibung.
Die Materialsammlung, die Boks für sein Sitte-Bild aufbietet, ist imponierend. Fällt ein Begriff aus der DDR-Geschichte - Bitterfelder Weg, das berüchtigte 11. Kulturplenum, die Petition gegen die Ausbürgerung Biermanns von 1976 -, gibt es eine Fußnote. Sitte habe sich "außerordentlich beunruhigt über die eingetretene Situation durch das Auftreten von Wolf Biermann in der BRD" gezeigt. Kein halber Satz zur Verteidigung, dabei hatte Sitte den Sänger mehrfach zu Konzerten in die Hochschule nach Halle eingeladen. Da sich hier eine der Ambivalenzen im Sitte-Bild zeigte, versuchte Boks ein Gespräch mit Wolf Biermann zu bekommen und erhielt von ihm eine souveräne Antwort: "Nun, dein Urgroßonkel war ein großer Maler, ein großer Künstler, aber ein kleiner Mensch."
Aron Boks hat mit der Entdeckung seines Verwandten erst kurz vor dessen hundertstem Geburtstag begonnen, als auch andere nach der Wahrheit über den 2013 gestorbenen Willi Sitte suchten. Vor allem die beiden Kuratoren der großen Retrospektive 2021 in der Moritzburg-Galerie in Halle, Thomas Bauer-Friedrich und Paul Kaiser, besaßen einen Vorsprung. Boks wollte sich aus dem Bannkreis der Kunstwissenschaftler heraushalten und nimmt kein einziges Sitte-Bild oder Foto in sein Buch auf. Er geht anderen Spuren nach. Beispielsweise zu den drei Brüdern von Sitte, alle gläubige Kommunisten nach dem Vorbild des Vaters: Rudolf, Professor für baubezogene Kunst in Dresden; Franz, der vom Glashersteller zum Hersteller von Leuchten werden wollte; Ernstl, der einer LPG vorstand. Der Autor geht der Frage nach, was bei Sitte Überzeugung eines Kommunisten und was Anpassung war. Wann wurde aus einem, der für die Freiheit seiner Kunst kämpfte, der Staatsmaler einer Diktatur?
Es ist für das Sitte-Bild nicht unwichtig, wann der Maler aus der deutschen Wehrmacht in Italien desertierte und sich dem Widerstand anschloss. Obwohl Boks viel Zeit und Kraft aufwendet und in Italien vor Ort recherchiert, gelingt ihm keine klare Antwort. Ist Sitte schon seit Oktober 1944 im Widerstand, oder ist er erst am 2. April 1945 zu den Partisanen übergelaufen? Dass er, der 1946 seine erste Ausstellung in Mailand hatte und dabei gleich alle Bilder verkaufte, dann doch in die sowjetische Zone kam, spricht dafür, dass es ihm mit seinem kommunistischen Glauben ernst war. Dass er später wegen seiner Anleihen bei Picasso und Léger in die Mühlen der Formalismusdebatte kam, war sicher kein Spaß, nahm Sitte aber nichts von seiner Überzeugung. In den Sechzigerjahren ist die Rede von zwei Selbstmordversuchen, hinter denen das anhaltende Missverständnis seiner Kunst stand, aber wohl auch eine unglückliche Liebe.
Zwar verspricht Aron Boks im Prolog, "unvoreingenommen" über Willi Sitte schreiben zu wollen, aber immerhin schreibt er über ein Familienmitglied. Doch er stellt neben den Urgroßonkel immer den Künstler, neben den Künstler immer den Funktionär. Darüber kommt die ganze Zwiespältigkeit und Zerrissenheit Sittes in Boks' Darstellung: Er, der sich in seiner Kunst zu den Arbeitern bekannte, wurde von ihnen am meisten missverstanden. Im Amt des Verbandspräsidenten verstand er es, sich Privilegien zu verschaffen, von denen er bald glaubte, dass sie ihm zustünden - etwa ein italienischer Koch für "sein" Gästehaus.
Ambivalenzen gibt es viele in Aron Boks' "Nackt in die DDR". Weil er nicht nur seinen Urgroßonkel sucht, sondern auch ein Verständnis für die DDR, entgeht ihm nicht der Gedanke, dass der Streit um den Staatskünstler Willi Sitte eine reale und in ihrer Heftigkeit eine Stellvertreterdebatte ist. So wie Christa Wolf es Anfang der Neunzigerjahre in der Literatur erlebte, als ihre Erzählung "Was bleibt" eine deutsch-deutsche Literaturdebatte auslöste, verhält es sich mit Willi Sitte für die bildende Kunst der DDR. Je mehr sie demontiert werden konnte, desto besser fühlten sich die Sieger. Auch davon ist bei Boks zu lesen. MICHAEL HAMETNER
Aron Boks:
"Nackt in die DDR".
Verlag Harper Collins, Hamburg 2023.
400 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Interessanter Blickwinkel auf die DDR!
Bisher hat sich Aron Boks wenig mit seinem berühmten Urgroßonkel Willi Sitte befasst, der ein bekannter und umstrittener Maler aus der DDR war. Als in seiner Familie jedoch dann ein Bild von Willi Sitte auftaucht, ist Aron interessiert und beginnt …
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Interessanter Blickwinkel auf die DDR!
Bisher hat sich Aron Boks wenig mit seinem berühmten Urgroßonkel Willi Sitte befasst, der ein bekannter und umstrittener Maler aus der DDR war. Als in seiner Familie jedoch dann ein Bild von Willi Sitte auftaucht, ist Aron interessiert und beginnt mehr über Willi Sitte und seine Familiengeschichte nachzuforschen.
In Nackt in die DDR ist es dem Autor gelungen, eine wirklich interessante Betrachtung der DDR verfasst zu haben. Im Vordergrund steht das Thema der Kunst in der DDR, welches anhand von Willi Sitte und damit der persönlichen Familiengeschichte des Autors erläutert wird. Aron Boks hat die DDR selbst nicht erlebt, schafft es aber während des Buches einen sehr differenzierten Blick auf die Geschichte der DDR und Willi Sitte zu werfen. Durch die dazu kommende persönliche Verbindung des Autors zu dieser Geschichte, entsteht eine ganz einzigartige Betrachtung dieses Abschnitts deutsch-deutscher Geschichte, die es sich definitv lohnt zu lesen!
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Das Gemälde „Die heilige Familie“ von Willi Sitte ist der Auslöser für Aron Boks, sich mit dem Leben und Werks seines Urgroßonkels zu befassen. Dieser war ein erfolgreicher und oft umstrittener Maler in der DDR. Bei seiner Reise in die Vergangenheit trifft Boks auf …
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Das Gemälde „Die heilige Familie“ von Willi Sitte ist der Auslöser für Aron Boks, sich mit dem Leben und Werks seines Urgroßonkels zu befassen. Dieser war ein erfolgreicher und oft umstrittener Maler in der DDR. Bei seiner Reise in die Vergangenheit trifft Boks auf Verwandte, Freunde, Künstlerkolleg*innen und Bekannte des Malers, die er zu Willi Sitte und den damaligen Verhältnissen befragt. So entsteht aus vielen Puzzleteilen ein komplexes Bild, aus dem / der Leser*in nicht nur viel über Sitte und sein Werk, sondern auch eine Menge über die jüngste deutsche Vergangenheit erfährt.
Besonders interessant fand ich die Passagen, in denen Broks erzählt, wie die Kulturpolitik der DDR funktionierte, welchen Zwängen die einzelnen Künstler*innen ausgesetzt waren und wie Sitte damit umging. Viele Fußnoten, Anmerkungen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis belegen, wie umfänglich der Autor recherchiert hat. Künstlerbiographie, Familiengeschichte, Sachbuch, Geschichtswerk – das vorliegende Buch verbindet aufs Geschickte verschiedene Bereiche und formt sie zu einer rundum gelungenen Geschichte. Hinzu kommt der sehr angenehme Stil des jungen, 1997 geborenen, hochtalentierten Autors. Er hat bereits mehrere Auszeichnungen erhalten und das meiner Meinung nach ganz zu Recht.
Eine kleine Anmerkung: Es wäre schön gewesen, wenn die in dem Buch besprochenen Bilder auch abgedruckt gewesen wären. Aber natürlich kann man sie sich auch problemlos im Internet zusammensuchen.
Alles in allem: Ein absolut empfehlenswertes Buch, das ich mit großem Vergnügen und Gewinn gelesen habe.
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Familiengeschichte
Schon beim Titel und Cover lässt sich erahnen, dass es sich in dem Buch um Kunst handelt. Der Autor, Aron Boks hat in diesem Buch seine ganz eigene Familiengeschichte verfasst. Zu Besuch bei seiner Oma entdeckt er ein Gemälde eines früheren Familienmitglieds. Er …
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Familiengeschichte
Schon beim Titel und Cover lässt sich erahnen, dass es sich in dem Buch um Kunst handelt. Der Autor, Aron Boks hat in diesem Buch seine ganz eigene Familiengeschichte verfasst. Zu Besuch bei seiner Oma entdeckt er ein Gemälde eines früheren Familienmitglieds. Er beginnt über seinen Vorfahren zu recherchieren. Sein Urgroßonkel, Willi Sitte war ein bekannter Maler in der DDR. Nicht jedes Gemälde von ihm war in diesem sozialistischen Staat gern gesehen. Ein Trip durch die DDR, wo wir mehr über das Leben zu dieser Zeit, den Beruf als Maler und der Politik kennen lernen.
Das Buch ist sachlich, nüchtern und vorurteilsfrei geschrieben. Mir persönlich fehlt etwas Spannung oder lustige Szenen. Ich hatte eher das Gefühl ich würde eine reine Informationslektüre lesen. Dennoch wird das Leben und die Kultur der DDR sehr gut dargestellt. Zu dieser Zeit war es fast unmöglich etwas derartig Neues beziehungsweise gewagtes, so wie Willi Sitte es mit seinen Bildern machte, hervorzubringen, ohne dass es vorab verboten wurde. Ein paar abgedruckte Bilder, wenn auch nur schwarz-weiß, hätte ich in diesem Buch sehr schön und interessant empfunden. Der Schreibstil ist angenehm und gut lesbar. Historische Ereignisse sind mit Fußnoten und Quellen unterlegt, was auf eine gute Recherche hindeutet.
Eine Leseprobe vor Kauf des Buches ist zu empfehlen, ein Grundwissen über die DDR wird benötigt, um allen Geschehnissen folgen zu können.
Ein gelungenes Buch, welches sich für Historie- und DDR-Liebhaber sehr empfehlen lässt.
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Inhalt:
Aron Boks, der Urgroßneffe des überzeugten Kommunisten und umstrittensten Maler der DDR "Willi Sitte" begibt sich auf die Spuren dessen. Wer war Willi Sitte, was trieb ihn an, welche Folgen hatte dies für Aron Boks und gelingt es ihm das Geheimnis des …
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Inhalt:
Aron Boks, der Urgroßneffe des überzeugten Kommunisten und umstrittensten Maler der DDR "Willi Sitte" begibt sich auf die Spuren dessen. Wer war Willi Sitte, was trieb ihn an, welche Folgen hatte dies für Aron Boks und gelingt es ihm das Geheimnis des Gemäldes "Die heilige Familie" zu lüften?
Meine Meinung:
Ich fand das Cover recht interessant, die Leseprobe ebenso. Deswegen habe ich mich dazu entschlossen zu diesem Buch zu greifen. Doch leider wurde ich regelrecht enttäuscht. Im Verlauf der Literatur geht es vorwiegend nur um Politik und deren Machtgehabe in der Vergangenheit. Zudem war ich leicht genervt vom Hin und Her des Autors; ich musste mich sehr konzentrieren um überhaupt verstehen zu können was er mir mitteilen wollte. Da sich die Geschichte um Willi Sitte derart zog, verlor ich schon früh das Interesse weiter zu lesen und habe mich schlussendlich dazu entschlossen, das Ganze zu beenden.
Ich hatte absolute Schwierigkeiten den Geschehnissen zu folgen und die Figuren auseinander zu halten. Die vielen Erörterungen der Politikgeschichte und die Fussnoten haben mich zudem noch das Gefühl geben lassen, dass ich doch keinerlei Ahnung habe von dem was ich gerne gehabt hätte. Ich kam mir überfordert vor und da macht das Eintauchen in ein Buch gar keinen Spaß mehr.
Der Schreibstil an sich war ganz angenehm, dennoch konnte ich mich nicht in die Geschichte hineinfallen lassen und schlug diese Literatur mit schlechtem Gewissen zu.
Fazit:
Für Politikliebhaber und die, die gerne angehauchte Biographien lesen möchten, kann ich dieses Werk empfehlen. Man muss sich aber wirklich darauf einlassen und höchst konzentriert dabei bleiben. Wer sich für Willi Sitte interessiert und was damals geschehen ist, der darf gerne zu "Nackt in der DDR" greifen. Für mich leider eine große Enttäuschung und daher kann ich es für mich selber nicht empfehlen. Ich hatte keinen Spaß beim Lesen und auch keinen Nutzen gewonnen und deswegen vergebe ich auch nur
2 Sterne !!
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Ein Inhalt, der überzeugt
Willi Sitte s Urgroßneffe Aron Boks beschreibt in diesem Buch nicht nur das Leben von seinem Vorfahren Willi (28. Februar 1921 geboren in Kratzau, Tschechoslowakei; gestorben am 8. Juni 2013 in Halle (Saale)), sondern auch die (Lebens)Umstände in der DDR. …
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Ein Inhalt, der überzeugt
Willi Sitte s Urgroßneffe Aron Boks beschreibt in diesem Buch nicht nur das Leben von seinem Vorfahren Willi (28. Februar 1921 geboren in Kratzau, Tschechoslowakei; gestorben am 8. Juni 2013 in Halle (Saale)), sondern auch die (Lebens)Umstände in der DDR. Als Künstler, als Mensch, der aneckte, jahrelang bespitzelt wurde und in seinem Tun und Denken heute (auch) sicherlich ein Großer wäre.
Ich bewundere die akribische Nachforschung des Autors von nur ca. 1,5 Jahren anhand von Fotos und Erzählungen, aber auch seinen Schreib- bzw. Erzählstil. Treffend und wortgewandt ohne abgehoben zu wirken, ehrlich ohne anzupragern.
Der Titel sprach mich persönlich zunächst nicht sofort an, aber ich gab der Leseprobe eine Chance und wurde nicht enttäuscht.
Mir persönlich war der Maler Willi Sitte vor dem Lesen des Buches zudem völlig unbekannt, allerdings ist die Kunst auch nicht unbedingt mein Steckenpferd.
Anderen ist er vielleicht ein Begriff, wurden ihm zu DDR-Zeiten höchste Ehrungen zu teil. Nach der Wende geriet der "Staatsmaler" jedoch in Verruf und durch sicherlich in Vergessenheit.
Anhand von Fußnoten werden Begriffe und Ereignisse näher erklärt, so dass man als Leser einen guten Lesefluss hat.
Einzig Bilder haben mir persönlich in dem Buch gefehlt, eben weil es doch um einen Maler geht und auch die Recherche des Autors größtenteils mittels Bildern erfolgte. Schade.
Die 400 Seiten haben mich gut unterhalten und so bekommt das Buch von mir 4 von 5 Sternen.
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Aron Boks, 1997 geboren, entdeckt bei seiner Großmutter ein Bild seines Urgroßonkels Willi Sitte: „Die Heilige Familie“ und stellt fest, dass ihm keiner der darauf abgebildeten Menschen irgendwie vertraut ist. Der Maler selbst ist der Bruder seines Urgroßvaters und auch …
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Aron Boks, 1997 geboren, entdeckt bei seiner Großmutter ein Bild seines Urgroßonkels Willi Sitte: „Die Heilige Familie“ und stellt fest, dass ihm keiner der darauf abgebildeten Menschen irgendwie vertraut ist. Der Maler selbst ist der Bruder seines Urgroßvaters und auch von dem hat er bislang nur wenig gehört.
Er beschließt sich auf die Suche zu machen und den Spuren zu folgen, die Willi Sitte hinterlassen hat.
Er befragt Verwandte, recherchiert aber auch in Italien, am Geburtsort Willi Sittes Kratzau im heutigen Tschechien, in Halle, seinem langjährigen Wohnort und an anderen Orten seines Wirkens. Zunächst einmal erweitert diese Recherche Arons Horizont beträchtlich. Er lernt viele Verwandte kennen, die ihm vorher vollkommen fremd waren. Und er spricht mit Weggenossen, mit Künstlerkollegen, Schülern, mit Schriftstellern und mit ehemaligen Freunden, die die DDR verlassen haben. Er ergründet das Werk seines Vorfahren ohne Vorurteile. Weder stören ihn die Verwicklungen seines Urgroßonkels in die Politik der DDR noch ist er Kunstkenner und könnte die Bilder von einem künstlerischen Standpunkt aus begutachten. Er geht also sehr offen an die ganze Geschichte heran.
So taucht er doch unverhofft in die Kulturpolitik der DDR in den Jahren zwischen 1950 und 1990 ein. Offenbar war Willi Sitte in seinen jungen Jahren lange nicht so angepasst, wie man es ihm später nachgesagt und angelastet hat. Obwohl überzeugter Kommunist und auch aus einer kommunistischen Familie stammend tat er sich schwer mit den Vorgaben und hätte sich zumindest in den 50er und Anfang der 60er Jahre sehr viel mehr künstlerische Freiheiten und Interpretationsspielraum gewünscht. Später dann nutzte die Schlupflöcher, die sich ihm auftaten. Wie offenbar die meisten DDR-Bürger. Man kannte jemanden mit Einfluss und warum sollte man die Kontakte nicht für sich nutzen. Und wenn man geschickt war, konnte man sich selbst einen Bereich aufbauen, in dem man selbst Einfluss hatte und Dinge entscheiden konnte.
Unsere heutige Sicht auf die Dinge ist im Westen stark von der langen Berichterstattung der Medien während der Zeit der Trennung der beiden dt. Staaten in BRD und DDR geprägt. Es war nicht der Geschichtsunterricht, denn die Politik träumte ja immer noch von einer Wiedervereinigung und entsprechend hörte Geschichte mit dem Dritten Reich auf. Offenbar war es auch später noch so, auch Arons Kollegin Ruth berichtet von zwei Stunden Unterricht über 40 Jahre der Teilung.
Es ist nicht einfach, Menschen, die ein ganzes Leben an das System geglaubt haben und mit dem System gelebt haben, vor den Kopf zu stoßen und ihnen zu verkünden, dass ihr Leben umsonst war. Und die Wiedervereinigung war für viele auch nicht die Lösung, die sie sich erhofft hatten. Sie wollten eine runderneuerte DDR, sie wollten Reisefreiheit, sie wollten das verknöcherte Regime loswerden, sie wollten einen anderen Sozialismus aber sie wollten nicht unbedingt wiedervereinigt werden.
Als Familiengeschichte ist das Buch gut zu lesen, es ist nicht trocken, obwohl eine Auseinandersetzung zwischen Realismus und Kubismus in der Kunst schon mal recht abstrakt werden kann.
Das Titelbild ist einem der Bilder Willi Sittes entnommen, mit dem Titel fremdele ich noch ein wenig. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass Willi Sitte mit Vorliebe nackte Menschen gemalt hat und dafür an den zahlreichen FKK-Stränden Anschauungsunterricht nahm.
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Faszinierende Person, gewöhnungsbedürftiger Zugang
Eine Biographie über die Persönlichkeit Willi Sitte, von dem ich zugegebenermaßen bisher sehr wenig wusste, und dessen Rolle in der Geschichte der DDR, sowie in der Familiengeschichte, aus der Sicht seines …
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Faszinierende Person, gewöhnungsbedürftiger Zugang
Eine Biographie über die Persönlichkeit Willi Sitte, von dem ich zugegebenermaßen bisher sehr wenig wusste, und dessen Rolle in der Geschichte der DDR, sowie in der Familiengeschichte, aus der Sicht seines Urgroßneffen entdeckt - ein sehr spannendes Konzept, dass ich direkt äußerst interessant fand.
Von einem zugegebenermaßen recht naiv-ahnungslosen Ausgangspunkt eines Nachwendegeborenen (sage ich als jemand, der gerade einmal 10 Jahre älter ist) lässt sich sehr gut der Weg der Recherche des Autors verfolgen, ruft allerdings auch etwas Verwunderung hervor – spricht die Vereinfachung und Offensichtlichkeit (muss beispielsweise wirklich erklärt werden, wer Hermann Göring war?) einiger der Fußnoten und Anmerkungen vor allem für den Kenntnisstand der angedachten Zielgruppe oder den des Autors? Für Lesende, die nicht sozusagen nackt und völlig ohne Vorwissen in die DDR starten, ist hier einiges redundant; wie es auf Lesende der nachfolgenden Generation wirkt kann ich nicht einschätzen.
Die Selbstreflektion des Autors "…und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat" und sein Blick über den Bubble-Rand sowie die persönlich erzählte Annäherung an das unbekannte Familienmitglied Willi Sitte, inklusive zum Teil doch sehr subjektiver Beschreibungen der Gesprächspartner und besuchten Orte, hätte wahrscheinlich als Podcast, Reportage, Vlog oder in einem ähnlich informellerem Medium sehr gut funktioniert und wäre auch äußerst interessant gewesen, in einem Buch, welches ein ausgewachsenes Sachbuch mit Fußnoten sein möchte, wirkt sie leider etwas fehl am Platz.
Zu Herangehensweise und Sicht des Autors konnte ich nicht leicht Zugang finden; für meine Wahrnehmung hat seine eigene Einschätzung, noch nicht genug zu wissen, um Aussagen zu treffen - "Als wäre man ein Typ, der gerade sein erstes Wochenende in Berlin wohnt und gleich einem Haufen Freunden "seine Stadt zeigen soll", dabei aber doch nur völlig überfordert über den Alexanderplatz irrt und es für eine gute Idee hält, stundenlang vorm Berghain anzustehen, um am Ende natürlich doch nicht reinzukommen." - durch die Lektüre hinweg leider größtenteils gefehlt. Dazu kommen einige unangenehme Anklänge von Mansplaining und Youthsplaining gegenüber den Gesprächspartnerinnen aus der Familie. Vor dem gefühlten Bestreben, "journalistisch harte" Fragen zu stellen, wurde eine Offenheit und Unvoreingenommenheit gegenüber den Antworten vernachlässigt.
Was ich aber wirklich nicht verstehe - für mich der größte Kritikpunkt am Buch - ist wie eine Künstlerbiographie mit dem Fokus darauf, wie sich die Bildsprache und künstlerische Ausdrucksweise im Spiegel von gesellschaftlichen, historischen und politischen Ereignissen und Einflussnahmen entwickelt und verändert hat, gänzlich ohne Abbildungen der besprochenen Werke veröffentlicht wird. Eine Darstellung und Gegenüberstellung der jeweiligen Bilder, die in der DDR-Öffentlichkeit für so viel Aufregung gesorgt haben, hätte die Geschichte Sittes und die vielen zitierten Meinungen doch sehr viel nachvollziehbarer gemacht.
Auch ein Lebenslauf und ein Stammbaum der Familie Sitte wäre eine hilfreiche Ergänzung gewesen, um bei den verschiedenen Geschwistern und Generationen sowie einigen Zeitsprüngen und Ortswechseln den Überblick besser zu behalten.
Interessantes, gut recherchiertes Portrait eines faszinierenden Künstlers und Menschen, sowie ein spannender Einblick in die Kunst- und Kulturgeschichte und –politik der DDR, allerdings mit einigen Schwächen in der Umsetzung.
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Ich muß gestehen, bis dato kannte ich diesen Künstler überhaupt nicht. Durch dieses Buch habe ich jetzt auch seine Werke kennengelernt, die ich sehr interessant finde, insbesondre seinen Malstil in den späteren Jahren. Sein Urgroßneffe Aron Boks hat nun nach den Spuren …
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Ich muß gestehen, bis dato kannte ich diesen Künstler überhaupt nicht. Durch dieses Buch habe ich jetzt auch seine Werke kennengelernt, die ich sehr interessant finde, insbesondre seinen Malstil in den späteren Jahren. Sein Urgroßneffe Aron Boks hat nun nach den Spuren gesucht und so ist eine Familienbiografie oder soll ich lieber sagen ein Sachbuch entstanden. Als Aron das Gemälde "Die Heilige" Familie bei seiner Großmutter sah, erwachte in ihm das Interesse für seinen Urahnen. Boks selbst ist im Westen aufgewachsen und erst geboren, als es die DDR nicht mehr gab. Er macht sie nun auf den Weg in die ehemalige DDR, um dort nach Zeitzeugen zu suchen, Zeitungsberichten, Hörfunkaufnahmen und dergleichen. Sitte wird hier als ein widersprüchlicher Mensch dargestellt, immer auf der Suche, Funktionär, Künstler, Kommunist und Machtmensch. Die Urgroßeltern kamen einst aus Tschechien und siedelten sich im Osten Deutschland neu an. Sitte entstammt einer großen Familie mit mehreren Geschwistern. Teilweise wird im Buch kurz auf diese hingewiesen. Wir nehmen sehr großen Einblick in die Machenschaften und das Leben in der DDR. Jedoch muß ich hier bemängeln, dass sehr viele Stellen sehr sachlich und politisch dargestellt werden, so dass es hier manchmal etwas langatmig und langweilig wird, andere Passagen, z.B. das Leben von Sitte, sehr anschaulich und interessant dargestellt werden. Was mir auch fehlt, sind die Gemälde, die hier erklärt werden. Jedesmal muß man bei Google nachschlagen, um das Geschriebene verstehen zu können. Hier hätte ich schon ein paar Abbildungen im Buch erwartet. Sitte (1921 - 2013 war ein sehr zerrissener Mensch und hatte zeitlebens mit seinen Zweifeln zu kämpfen, ließ sich aber nie unterkriegen. Jedenfalls hat mir das Buch jetzt einen weiteren Künstler nähergebracht und ich gerne seine Gemälde betrachten werden. Einzig und allein das Cover ziert ein Bild Sittes, jene kraftvolle und starke Menschen mit besonderen Ausdruck, für die er berühmt wurde.
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Ambivalnz trägt manchmal mhr zum Verständnis bei als Eindeutigkeit
In seinem Buch „Nackt in die DDR“ geht der Autor Aron Boks den Spuren seines berühmten Urgroßonkels, Willi Sitte, Maler und Parteifunktionär der DDR, nach. Im Bemühen, dessen umstrittene …
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Ambivalnz trägt manchmal mhr zum Verständnis bei als Eindeutigkeit
In seinem Buch „Nackt in die DDR“ geht der Autor Aron Boks den Spuren seines berühmten Urgroßonkels, Willi Sitte, Maler und Parteifunktionär der DDR, nach. Im Bemühen, dessen umstrittene Person zu verstehen, begibt er sich nicht nur tief in seine eigene Familiengeschichte, sondern schildert auch das Leben in der DDR, zusammen mit historischen und kulturpolitischen Hintergründen, die den Autor, selbst erst nach der Wende geboren, immer wieder fordern, sich zu den Entwicklungen zu positionieren und eine eigene Haltung zur DDR zu erforschen.
Ganz besonders spannend ist die Person Willi Sittes aufgrund ihrer Ambivalenz: Auf der einen Seite steht seine feste Überzeugung, einen idealen Staat im Sinne des Sozialismus aufbauen zu können und die Kunst in dessen Dienst zu stellen. Auf der anderen Seite stellt er sich und seine Kunst in den Dienst eines Systems, das die sozialistische Idee korrumpiert und, je schlechter der Zustand des Staates, desto härtere Mittel auffährt, ihr System aufrecht zu erhalten. Lange sieht er sich dem Druck und der Missachtung „der Partei“ ausgesetzt, doch er arrangiert sich und mit zunehmendem Einfluss weiß er das System für sich, aber auch für seine Schützlinge zu nutzen.
Der Autor zeichnet ein differenziertes, facttenreiches Bild von Willi Sitte. Auch wenn er auf der Suche nach einem Urteil über seinen Vorfahren ist, schließt er sich doch nicht einer der vielen Wertungen über Sitte an, sondern hält die Ambivalenz bis zum Schluss hin aus: Es gibt eben nicht nur Gute und Böse. Was eben auch zählt, ist die Idee, nicht nur ihre Realisierung.
Bei seiner Schilderung bezieht der Autor einen ganzen Chor von Stimmen ein. Zunächst einmal die seiner zahlreichen Verwandtschaft. Dabei entsteht ein umfassendes Familienporträt mit spannenden Personen und Familiengeschichten, die auch Sinnbild für das Leben in der DDR sind.
Da der Autor selbst zuvor kaum einen Bezug zur DDR hatte, obwohl seine Familie daher kommt – ein Umstand, der seine Neugier noch beflügelt -, erschließt er sich einen sehr persönlichen Zugang zu der Geschichte dieses Landes. Damit gelingt ihm eine spannende und sehr lebendige Darstellung der historischen, politischen und kulturellen Hintergründe, die gerade für jüngere Leser, die auch zur „Nachwendegeneration“ gehören, eine lohnendere Lektüre sein dürfte, als so manches Schulbuch.
Ein packendes Buch über Menschen und über die Geschichte unseres Landes, das zeigt, dass in der DDR nicht alles besser, aber bei weitem auch nicht alles schlechter war, und das wichtig ist, wenn wir uns – im doppelten Sinne – besser verstehen wollen.
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Reise in die DDR-Kunstgeschichte
Das Cover wirkt sehr professionell mit dem dicken pinken Farbstreifen, der diagonal über ein Gemälde Sittes verläuft.
Die Idee, die hinter dem Buch steckt gefällt mir. Der junge Aron Boks (Jahrgang 1997, also aus der Postwendezeit) entdeckt, …
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Reise in die DDR-Kunstgeschichte
Das Cover wirkt sehr professionell mit dem dicken pinken Farbstreifen, der diagonal über ein Gemälde Sittes verläuft.
Die Idee, die hinter dem Buch steckt gefällt mir. Der junge Aron Boks (Jahrgang 1997, also aus der Postwendezeit) entdeckt, dass ein Gemälde seines Urgroßonkels Willi Sitte, sich noch in Familienbesitz befindet. Es handelt sich um das Werk "Die heilige Familie". Nach Befragung der älteren Familienmitglieder möchte Aron Bols weitere Nachforschungen über den Maler und dessen Werdegang in der DDR anstellen und begibt sich auf Recherchereisen, die ihn bis nach Italien führen. Es entsteht eine Biographie aus heutiger Sicht und mit vielen Aha-Effekten. Soweit ich das beurteilen kann, ist diese Biographie sehr gut recherchiert und in Einzelheiten dokumentiert. Viele Anmerkungen und Literaturhinweise runden das Werk ab.
Leider fehlt mir ein tabellarischer Lebenslauf, an dem man dich entlanghangeln kann. Und es fehlen mir ganz schmerzlich Abbildungen von Gemälden, historische Fotos und ein Werkverzeichnis. Leider fällt es mir extrem schwer, den trockenen Stoff ohne Abbildungen zu lesen.
Dazu kommt, daß mir persönlich die Bilder nicht zusagen, die ich mir im Internet herausgesucht habe. Das ist aber mein persönlicher Bilder-Geschmack.
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