Jonas Lüscher
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Kraft
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- Verlag: Frankfurt am Main ; Zürich ; Wien : Büchergilde Gutenberg
- ISBN-13: 9783763269617
- Artikelnr.: 50284367
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Kann die Literatur mehr als die Wissenschaft?
Der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher will mit seinem Roman "Kraft" genau das beweisen. Gelingt es ihm?
Dieser Roman ist ein Befreiungsschlag. Er ist das Resultat eines langen zähen Kampfes mit dem erkenntnistheoretischen Hegemonialanspruch der Wissenschaft. Das Eingeständnis einer Niederlage, durchaus auch ein Dokument des Scheiterns und doch gleichzeitig und vor allem ein geglückter Ausbruch aus den Gefängnismauern der Dogmatik, ein Triumph der freien Erzählung über die streng abgesicherten Tastversuche der kritischen Analyse.
Ursprünglich wollte Jonas Lüscher eine Dissertation schreiben über die Frage, wie sich mit Hilfe von Literatur komplexe soziale
Der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher will mit seinem Roman "Kraft" genau das beweisen. Gelingt es ihm?
Dieser Roman ist ein Befreiungsschlag. Er ist das Resultat eines langen zähen Kampfes mit dem erkenntnistheoretischen Hegemonialanspruch der Wissenschaft. Das Eingeständnis einer Niederlage, durchaus auch ein Dokument des Scheiterns und doch gleichzeitig und vor allem ein geglückter Ausbruch aus den Gefängnismauern der Dogmatik, ein Triumph der freien Erzählung über die streng abgesicherten Tastversuche der kritischen Analyse.
Ursprünglich wollte Jonas Lüscher eine Dissertation schreiben über die Frage, wie sich mit Hilfe von Literatur komplexe soziale
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Probleme beschreiben lassen. Am Lehrstuhl für Philosophie bei Michael Hampe in Zürich hatte er ein Stipendium bekommen und an der Beweisführung seiner zentralen These gearbeitet: der literarische Blick auf die Welt ist der wissenschaftlichen Sichtweise überlegen. Drei Jahre lang forschte er, suchte nach Referenzen und Theorieansätzen, ging auf Tagungen, las die Schriften des Philosophen Odo Marquard und flog nach Stanford, um das Ganze mit dem dort lehrenden Hans Ulrich Gumbrecht zu besprechen. Aber statt an einem weiteren "Werkstattbericht" zu arbeiten, streifte er durch das Silicon Valley und besuchte ein Seminar über Hiob. Und langsam, sehr langsam begann er zu begreifen, dass kein Mensch und kein Theorie-Gott ihm bei der Untermauerung seiner These helfen würde, sondern er selbst den Beweis führen müsste, indem er praktisch das tat, was er theoretisch zu belegen suchte: Einen Roman schreiben, in dem die Komplexität der Welt besser eingefangen wird als in den tausend Fußnoten einer wissenschaftlichen Abhandlung. Das war der hochgelegene Ausgangspunkt von Lüschers Unternehmung. Die Luft war dabei von Anfang an dünn und der Aufstieg steil, deshalb gab er seinem Buch und Protagonisten einen autosuggestiven Namen: "Kraft".
Richard Kraft ist ein renommierter Rhetorikprofessor in Tübingen auf dem Lehrstuhl von Walter Jens. Seine Ehe ist unglücklich, aber sein Geld zu knapp, um eine weitere Scheidung zu finanzieren. Die Ausschreibung einer hochdotierten Preisfrage, die ihm Ivan - ein alter Studienfreund - weiterleitet, bietet da eine unerwartete Fluchtmöglichkeit. Aus Anlass des 307. Jahrestages eines Leibniz-Essays zur Theodizee stellt ein verrückter Silicon-Valley-Investor eine Million Dollar für denjenigen Forscher in Aussicht, der in einem achtzehnminütigen Kurzvortrag in Stanford am überzeugendsten auf die Frage antwortet: "Warum alles, was ist, gut ist und wir es trotzdem verbessern können?"
Kraft fliegt also nach Amerika, setzt sich im Lesesaal des Hoover Towers einem Rumsfeldporträt gegenüber und beginnt nach einer überzeugenden Argumentationsstrategie zu suchen, um das Übel der Welt schönzureden. Aber so sehr er sich auch um Konzentration bemüht, immer wieder drängen sich die Erinnerungen an sein eigenes Leben dazwischen, in dem bisher eigentlich nichts gutgegangen ist und das wie eine große, hämische Antithese über seiner geplanten Theoriebildung schwebt.
Weder im Politischen noch im Privaten haben nämlich Krafts Verbindungen gehalten: Die Hinwendung zum Thatcherismus, die er als arroganter Jungakademiker aus Distinktionsgier behauptet hatte, seine wirtschaftsliberale Überzeugung und Bewunderung für starke Männer hat sich mit der Zeit ebenso abgenutzt wie die Beziehungen zu den Frauen an seiner Seite. Auf die hat er meist so lange eingeschwafelt, bis sie Kinder mit ihm zeugten, die ihm dann allerdings schnell egal wurden. Ebenso wie seine Freundschaften.
Mit Ivan, bei dem Kraft jetzt in Stanford unterkommt, hatte er in den achtziger Jahren in einer West-Berliner Wohngemeinschaft gelebt. Als Provokationsduo waren sie in den Hörsälen der Freien Universität und auf der Zuschauertribüne des Bonner Parlaments aufgetreten, hatten Reagan zugejubelt und "Kommunistenweibern" den Kampf angesagt. Eine von ihnen hatte Ivan - der sich als ungarischer Dissident ausgab, in Wahrheit aber nur zufällig von seiner Schachmannschaft in einem Berliner Hotel vergessen worden war - im Juni 1982 mit einer Gerbera so heftig ins Gesicht geschlagen, dass sein halbes Augenlicht dran glauben musste. Ein misslicher Zwischenfall, der Kraft aber nicht davon abhielt, mit der temperamentvollen Kunststudentin ins Bett zu gehen. Loyalität war für ihn schon immer nur ein theoretischer Wert. Als am Abend des Mauerfalls sein bis dahin unbekannter sechsjähriger Sohn auftaucht und Ivan auf diese Weise vom Betrug erfährt, bleibt immer noch Zeit für einen geschichtsphilosophischen Grundsatz: "Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, als finde dieses Jahrzehnt sein Ende nicht; aus der Vergangenheit drang eine Kraft in dieses Dreieck und wollte die Körper weit auseinandertreiben, aber es gab kein Entkommen."
Es ist ein Leben voller Flüchtigkeitsfehler, auf das Kraft ohne Rührung oder Reue zurückblickt. Mit einer Cola Light in der Hand und einer Polemik gegen Slavoj Zizek auf den Lippen lässt sich das Ganze bis auf weiteres ertragen. Erst ganz am Schluss verliert Kraft sein Selbstbewusstsein und stürzt in die Tiefe.
Eine der Besonderheiten dieses dramaturgisch so außergewöhnlich präzise gearbeiteten Buches ist die Erzählhaltung. Lüscher hat einen ganz eigenen Ton der distanzierten Nähe gefunden, der sich nicht plakativ an seine Figuren ranschmeißt und doch eine dichte Beschreibung von ihnen liefert. Obwohl auf jeder Seite von Kraft die Rede ist, erfährt man von seiner Persönlichkeit im Grunde recht wenig. Und was man erfährt - dass er ohne Vater aufwuchs, ein manischer Schwafler ist, einer der sich selbst gefallen möchte und dem seine Kinder und Frauen egal sind -, nimmt einen nicht gerade für ihn ein. Trotzdem ist man auf den letzten, sehr traurigen Seiten dann doch sein Verbündeter geworden und hat den Impuls, ihn gegen den Erzähler, der sich immer wieder gegen seine Hauptfigur wendet, sich über ihn mokiert und ihm Ratschläge "zurufen" möchte, in Schutz zu nehmen.
Gekonnt springt Lüscher auch zwischen den Schauplätzen hin und her, ohne dass man je den Anschluss verlöre. Eben noch ein David-Hasselhoff-Konzert auf der Berliner Mauer, jetzt ein Barbesuch im Financial District von San Francisco - die Orte und Zeiten wechseln rasant, aber der Ton bleibt immer gleich und zieht einen mit seiner unaufgeregten Hochgeschwindigkeit in den Erzählstrom hinein.
Und dann staunt man auch immer wieder über besonders gelungene Szenen: Etwa wenn Kraft, ein Skeptiker des digitalen Fortschritts ("Weder für das Verfassen der Odyssee noch von Eschenbachs Parzival oder gar Hölderlins Hyperion, so argumentiert Kraft gerne, habe es einen Computer gebraucht"), nach einem Kanubootunfall nackt, mit aufgeschlagenen Knien vor den funkelnden Türmen des Silicon Valleys steht und vom "Motor des Fortschritts" niedergerungen wird. Oder wie der junge Kraft im Bonner Plenarsaal nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt den Söhnen von Helmut Kohl gegenübersitzt, die nicht klatschen, sondern nur leise und ungläubig den Kopf schütteln: "Kraft hatte die Befürchtung, die gesamte Familie Kohl habe dem Patriarchen im Augenblick seines größten Triumphes die charakterliche Eignung für das eben erreichte Amt abgesprochen." In Lüschers Buch geht es ständig zwischen bundesdeutscher Historienfiktion und amerikanischer Gegenwartsdystopie hin und her, laufen Ansätze eines Wenderomans in Anfänge einer Milleniumsfarce über. Zusammengehalten wird alles von einer lakonischen Melancholie über das Ende einer alten und den Beginn einer neuen Zeit.
"Kraft" ist aber auch und vor allem ein Buch über den Wissenschaftsbetrieb und seine absurden Ausformungen. Der vorauseilende Gehorsam einer statussüchtigen Forschergeneration, die immer gerade dahin forscht, wo sie das meiste Geld vermutet, wird darin ebenso aufs Korn genommen wie die Webtechnik persifliert, mit der hier schamlos Theorieversatzstücke zusammengewoben werden, als handele es sich bei Wissenschaft um einen Handarbeitskurs im regionalen Kulturzentrum: "Für die Anschlussfähigkeit ein roter Faden vom späten Heidegger, Nietzsche oder Schopenhauer, dann zur Abgrenzung ein paar Randmaschen aus der dichten Unterwolle Huntingtons, aus dem Querfaden heraus ein paar rechte Maschen eines obskuren, vermutlich zu Recht in Vergessenheit geratenen chilenischen Ökonomen aus der Chicagoer Schule, eine halbe Nadellänge Finkelkraut für die Empörung, eine halbe Nadellänge Hölderlin fürs Gemüt und zur ironischen Imprägnierung, aber auch als vorsorglich offen gehaltener Fluchtweg, ein paar Maschen Karl Kraus."
Lüscher ironisiert nicht leichtfertig, nicht überheblich. Dafür hat er sich zu intensiv mit dem beschäftigt, was er hier in seiner ganzen hoffnungslosen Verirrung vorführt. Er zeigt viel eher, wie sehr der Geisteswissenschaft ihr Ethos abhandengekommen ist, wie sie sich darauf verlässt, dass die Welt mit mathematischen Modellen angemessen beschrieben werden kann und sich so selbst all ihrer narrativen Kraft beraubt. Manche werden Lüscher vorhalten, dass sein Roman nur das persönliche Scheitern an den Anforderungen der Wissenschaft überspiele, dass er die Erzählung heroisiere, weil ihm für die kritische Theorie die Geduld nicht reichte. Sollen sie nur! Sollen sie weiter nach strategischen Erklärungen suchen, wo er schon dichte Beschreibungen gefunden hat. Bilder, Szenen, Dialoge, die viel wissen lassen von dem, worum es in der Welt geht.
Jonas Lüscher, der 2013 mit "Frühling der Barbaren", einer Novelle über den Irrsinn der Finanzkrise, erstmals Beachtung fand, hat für seinen ersten Roman den richtigen Titel gewählt: Kraft ist nicht nur der Name der Hauptfigur, sondern auch das Wesen seiner Erkenntnis: Die Kraft der Erzählung gegenüber der Schwäche von Wissenschaft, die hat er mit diesem Buch jedenfalls eindrücklich bewiesen.
SIMON STRAUSS
Jonas Lüscher: "Kraft". Roman. C. H. Beck, 237 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Richard Kraft ist ein renommierter Rhetorikprofessor in Tübingen auf dem Lehrstuhl von Walter Jens. Seine Ehe ist unglücklich, aber sein Geld zu knapp, um eine weitere Scheidung zu finanzieren. Die Ausschreibung einer hochdotierten Preisfrage, die ihm Ivan - ein alter Studienfreund - weiterleitet, bietet da eine unerwartete Fluchtmöglichkeit. Aus Anlass des 307. Jahrestages eines Leibniz-Essays zur Theodizee stellt ein verrückter Silicon-Valley-Investor eine Million Dollar für denjenigen Forscher in Aussicht, der in einem achtzehnminütigen Kurzvortrag in Stanford am überzeugendsten auf die Frage antwortet: "Warum alles, was ist, gut ist und wir es trotzdem verbessern können?"
Kraft fliegt also nach Amerika, setzt sich im Lesesaal des Hoover Towers einem Rumsfeldporträt gegenüber und beginnt nach einer überzeugenden Argumentationsstrategie zu suchen, um das Übel der Welt schönzureden. Aber so sehr er sich auch um Konzentration bemüht, immer wieder drängen sich die Erinnerungen an sein eigenes Leben dazwischen, in dem bisher eigentlich nichts gutgegangen ist und das wie eine große, hämische Antithese über seiner geplanten Theoriebildung schwebt.
Weder im Politischen noch im Privaten haben nämlich Krafts Verbindungen gehalten: Die Hinwendung zum Thatcherismus, die er als arroganter Jungakademiker aus Distinktionsgier behauptet hatte, seine wirtschaftsliberale Überzeugung und Bewunderung für starke Männer hat sich mit der Zeit ebenso abgenutzt wie die Beziehungen zu den Frauen an seiner Seite. Auf die hat er meist so lange eingeschwafelt, bis sie Kinder mit ihm zeugten, die ihm dann allerdings schnell egal wurden. Ebenso wie seine Freundschaften.
Mit Ivan, bei dem Kraft jetzt in Stanford unterkommt, hatte er in den achtziger Jahren in einer West-Berliner Wohngemeinschaft gelebt. Als Provokationsduo waren sie in den Hörsälen der Freien Universität und auf der Zuschauertribüne des Bonner Parlaments aufgetreten, hatten Reagan zugejubelt und "Kommunistenweibern" den Kampf angesagt. Eine von ihnen hatte Ivan - der sich als ungarischer Dissident ausgab, in Wahrheit aber nur zufällig von seiner Schachmannschaft in einem Berliner Hotel vergessen worden war - im Juni 1982 mit einer Gerbera so heftig ins Gesicht geschlagen, dass sein halbes Augenlicht dran glauben musste. Ein misslicher Zwischenfall, der Kraft aber nicht davon abhielt, mit der temperamentvollen Kunststudentin ins Bett zu gehen. Loyalität war für ihn schon immer nur ein theoretischer Wert. Als am Abend des Mauerfalls sein bis dahin unbekannter sechsjähriger Sohn auftaucht und Ivan auf diese Weise vom Betrug erfährt, bleibt immer noch Zeit für einen geschichtsphilosophischen Grundsatz: "Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, als finde dieses Jahrzehnt sein Ende nicht; aus der Vergangenheit drang eine Kraft in dieses Dreieck und wollte die Körper weit auseinandertreiben, aber es gab kein Entkommen."
Es ist ein Leben voller Flüchtigkeitsfehler, auf das Kraft ohne Rührung oder Reue zurückblickt. Mit einer Cola Light in der Hand und einer Polemik gegen Slavoj Zizek auf den Lippen lässt sich das Ganze bis auf weiteres ertragen. Erst ganz am Schluss verliert Kraft sein Selbstbewusstsein und stürzt in die Tiefe.
Eine der Besonderheiten dieses dramaturgisch so außergewöhnlich präzise gearbeiteten Buches ist die Erzählhaltung. Lüscher hat einen ganz eigenen Ton der distanzierten Nähe gefunden, der sich nicht plakativ an seine Figuren ranschmeißt und doch eine dichte Beschreibung von ihnen liefert. Obwohl auf jeder Seite von Kraft die Rede ist, erfährt man von seiner Persönlichkeit im Grunde recht wenig. Und was man erfährt - dass er ohne Vater aufwuchs, ein manischer Schwafler ist, einer der sich selbst gefallen möchte und dem seine Kinder und Frauen egal sind -, nimmt einen nicht gerade für ihn ein. Trotzdem ist man auf den letzten, sehr traurigen Seiten dann doch sein Verbündeter geworden und hat den Impuls, ihn gegen den Erzähler, der sich immer wieder gegen seine Hauptfigur wendet, sich über ihn mokiert und ihm Ratschläge "zurufen" möchte, in Schutz zu nehmen.
Gekonnt springt Lüscher auch zwischen den Schauplätzen hin und her, ohne dass man je den Anschluss verlöre. Eben noch ein David-Hasselhoff-Konzert auf der Berliner Mauer, jetzt ein Barbesuch im Financial District von San Francisco - die Orte und Zeiten wechseln rasant, aber der Ton bleibt immer gleich und zieht einen mit seiner unaufgeregten Hochgeschwindigkeit in den Erzählstrom hinein.
Und dann staunt man auch immer wieder über besonders gelungene Szenen: Etwa wenn Kraft, ein Skeptiker des digitalen Fortschritts ("Weder für das Verfassen der Odyssee noch von Eschenbachs Parzival oder gar Hölderlins Hyperion, so argumentiert Kraft gerne, habe es einen Computer gebraucht"), nach einem Kanubootunfall nackt, mit aufgeschlagenen Knien vor den funkelnden Türmen des Silicon Valleys steht und vom "Motor des Fortschritts" niedergerungen wird. Oder wie der junge Kraft im Bonner Plenarsaal nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt den Söhnen von Helmut Kohl gegenübersitzt, die nicht klatschen, sondern nur leise und ungläubig den Kopf schütteln: "Kraft hatte die Befürchtung, die gesamte Familie Kohl habe dem Patriarchen im Augenblick seines größten Triumphes die charakterliche Eignung für das eben erreichte Amt abgesprochen." In Lüschers Buch geht es ständig zwischen bundesdeutscher Historienfiktion und amerikanischer Gegenwartsdystopie hin und her, laufen Ansätze eines Wenderomans in Anfänge einer Milleniumsfarce über. Zusammengehalten wird alles von einer lakonischen Melancholie über das Ende einer alten und den Beginn einer neuen Zeit.
"Kraft" ist aber auch und vor allem ein Buch über den Wissenschaftsbetrieb und seine absurden Ausformungen. Der vorauseilende Gehorsam einer statussüchtigen Forschergeneration, die immer gerade dahin forscht, wo sie das meiste Geld vermutet, wird darin ebenso aufs Korn genommen wie die Webtechnik persifliert, mit der hier schamlos Theorieversatzstücke zusammengewoben werden, als handele es sich bei Wissenschaft um einen Handarbeitskurs im regionalen Kulturzentrum: "Für die Anschlussfähigkeit ein roter Faden vom späten Heidegger, Nietzsche oder Schopenhauer, dann zur Abgrenzung ein paar Randmaschen aus der dichten Unterwolle Huntingtons, aus dem Querfaden heraus ein paar rechte Maschen eines obskuren, vermutlich zu Recht in Vergessenheit geratenen chilenischen Ökonomen aus der Chicagoer Schule, eine halbe Nadellänge Finkelkraut für die Empörung, eine halbe Nadellänge Hölderlin fürs Gemüt und zur ironischen Imprägnierung, aber auch als vorsorglich offen gehaltener Fluchtweg, ein paar Maschen Karl Kraus."
Lüscher ironisiert nicht leichtfertig, nicht überheblich. Dafür hat er sich zu intensiv mit dem beschäftigt, was er hier in seiner ganzen hoffnungslosen Verirrung vorführt. Er zeigt viel eher, wie sehr der Geisteswissenschaft ihr Ethos abhandengekommen ist, wie sie sich darauf verlässt, dass die Welt mit mathematischen Modellen angemessen beschrieben werden kann und sich so selbst all ihrer narrativen Kraft beraubt. Manche werden Lüscher vorhalten, dass sein Roman nur das persönliche Scheitern an den Anforderungen der Wissenschaft überspiele, dass er die Erzählung heroisiere, weil ihm für die kritische Theorie die Geduld nicht reichte. Sollen sie nur! Sollen sie weiter nach strategischen Erklärungen suchen, wo er schon dichte Beschreibungen gefunden hat. Bilder, Szenen, Dialoge, die viel wissen lassen von dem, worum es in der Welt geht.
Jonas Lüscher, der 2013 mit "Frühling der Barbaren", einer Novelle über den Irrsinn der Finanzkrise, erstmals Beachtung fand, hat für seinen ersten Roman den richtigen Titel gewählt: Kraft ist nicht nur der Name der Hauptfigur, sondern auch das Wesen seiner Erkenntnis: Die Kraft der Erzählung gegenüber der Schwäche von Wissenschaft, die hat er mit diesem Buch jedenfalls eindrücklich bewiesen.
SIMON STRAUSS
Jonas Lüscher: "Kraft". Roman. C. H. Beck, 237 Seiten, 19,95 Euro
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"Jonas Lüscher erzählt mit Furor, Sinn für Komik und düsterer Wucht (...) Er zeigt, wie eindringlich Literatur sein kann."
Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24. September 2017
"Neben seiner Klugheit ist 'Kraft' auch noch ein überaus witziges Buch."
Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 23. September 2017
"Lüscher's sense of humour and willingness to poke fun at his characters combined with his skill as a writer make this novel that is both intellectually challenging and a pleasure to read."
New Books in German Nr. 41.1, 2017
"Das Buch der Stunde, das Buch zu unserer Zeit."
Dina Netz, Deutschlandfunk, 07. März 2017
"Ein großer Wurf mit philosophischen Exkursen und umwerfend
Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24. September 2017
"Neben seiner Klugheit ist 'Kraft' auch noch ein überaus witziges Buch."
Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 23. September 2017
"Lüscher's sense of humour and willingness to poke fun at his characters combined with his skill as a writer make this novel that is both intellectually challenging and a pleasure to read."
New Books in German Nr. 41.1, 2017
"Das Buch der Stunde, das Buch zu unserer Zeit."
Dina Netz, Deutschlandfunk, 07. März 2017
"Ein großer Wurf mit philosophischen Exkursen und umwerfend
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komischen Szenen."
Karin Großmann, Sächsische Zeitung, 11. Februar 2017
"Eine kühl-heitere Gelehrtensatire mit Zeitgeistkritik."
Welt am Sonntag kompakt, 12. Februar 2017
"Jonas Lüschers fulminantes Romandebüt 'Kraft' erzählt vom Clash zwischen Old Europe und New Economy [...] Die kühle Intellektualität dieses Autors ist ein schöner Fremdkörper in einer Zeit, in der Reflexionsprosa nicht allzu hoch im Kurs steht."
Süddeutsche Zeitung, 04. Februar 2017
"Ein ironisch gebrochener intellektueller Diskurs und eine spannende, sinnliche Geschichte."
Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 4. Februar 2017 Platz 1 der SWR-Bestenliste Februar 2017
"Jonas Lüschers neuer Roman 'Kraft' gehört zum Besten, was die Schweizer Literatur seit Jahren zu bieten hat."
Peter Bruni, Basler Zeitung, 31. Januar 2017
"Eine Geschichte über einen Mann und eine Million Dollar, die einen gleich mit Haut und Haar ergreift und regelrecht hineinsaugt in die existentielle Bredouille unseres Helden."
Denis Scheck, Das Erste "druckfrisch", 29. Januar 2017
"Es ist die Mischung aus Pfeifenraucherjargon und vor fast nichts zurückschreckender Ironie, die 'Kraft' zu einem jener Bücher macht, nach dessen Lektüre man intuitiv nach Platz sucht im Regal, nicht nur für dieses, sondern auch für alle anderen, die von Lüscher noch kommen."
Sebastian Hammelehle, LiteraturSPIEGEL, 28. Januar 2017
"Bilder, Szenen, Dialoge, die viel wissen lassen von dem, worum es in der Welt geht."
Simon Strauss, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29. Januar 2017
"Ein aufregender, komischer und vor allem hoch politischer Roman (...) Ein Glücksfall."
Heide Soltau, NDR Kultur, 26. Januar 2017
"Lüscher erweist sich auch in diesem Roman als außergewöhnlich präziser Beobachter, der mehrschichtig ein Psychogramm mit der Zeitgeschichte und dem Zeitgeist verbindet."
Hansruedi Kugler, St. Galler Tagblatt, 26. Januar 2017
"Nach 'Frühling der Barbaren' hat man Großes von Jonas Lüschers erstem Roman erwartet. Er liefert es."
Martin Ebel, Der Bund, 27. Januar 2017
"Ein hochintelligenter Lesegenuss, der an vielen Stellen sogar saukomische Wendungen bereithält."
Holger Ehling, Buchkultur, Februar/März 2017
"Dieses Buch wird für Furore sorgen."
Anne-Sophie Scholl, Berner Zeitung, 22. Januar 2017
"Lüscher is a perceptive commentator on Silicon Valley's heady and hubristic ideological climate, with its smug boasts of 'disruption' and death-denying (or rather 'posthuman transtheotechnist') longings."
The New York Times, Rob Doyle
Karin Großmann, Sächsische Zeitung, 11. Februar 2017
"Eine kühl-heitere Gelehrtensatire mit Zeitgeistkritik."
Welt am Sonntag kompakt, 12. Februar 2017
"Jonas Lüschers fulminantes Romandebüt 'Kraft' erzählt vom Clash zwischen Old Europe und New Economy [...] Die kühle Intellektualität dieses Autors ist ein schöner Fremdkörper in einer Zeit, in der Reflexionsprosa nicht allzu hoch im Kurs steht."
Süddeutsche Zeitung, 04. Februar 2017
"Ein ironisch gebrochener intellektueller Diskurs und eine spannende, sinnliche Geschichte."
Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 4. Februar 2017 Platz 1 der SWR-Bestenliste Februar 2017
"Jonas Lüschers neuer Roman 'Kraft' gehört zum Besten, was die Schweizer Literatur seit Jahren zu bieten hat."
Peter Bruni, Basler Zeitung, 31. Januar 2017
"Eine Geschichte über einen Mann und eine Million Dollar, die einen gleich mit Haut und Haar ergreift und regelrecht hineinsaugt in die existentielle Bredouille unseres Helden."
Denis Scheck, Das Erste "druckfrisch", 29. Januar 2017
"Es ist die Mischung aus Pfeifenraucherjargon und vor fast nichts zurückschreckender Ironie, die 'Kraft' zu einem jener Bücher macht, nach dessen Lektüre man intuitiv nach Platz sucht im Regal, nicht nur für dieses, sondern auch für alle anderen, die von Lüscher noch kommen."
Sebastian Hammelehle, LiteraturSPIEGEL, 28. Januar 2017
"Bilder, Szenen, Dialoge, die viel wissen lassen von dem, worum es in der Welt geht."
Simon Strauss, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29. Januar 2017
"Ein aufregender, komischer und vor allem hoch politischer Roman (...) Ein Glücksfall."
Heide Soltau, NDR Kultur, 26. Januar 2017
"Lüscher erweist sich auch in diesem Roman als außergewöhnlich präziser Beobachter, der mehrschichtig ein Psychogramm mit der Zeitgeschichte und dem Zeitgeist verbindet."
Hansruedi Kugler, St. Galler Tagblatt, 26. Januar 2017
"Nach 'Frühling der Barbaren' hat man Großes von Jonas Lüschers erstem Roman erwartet. Er liefert es."
Martin Ebel, Der Bund, 27. Januar 2017
"Ein hochintelligenter Lesegenuss, der an vielen Stellen sogar saukomische Wendungen bereithält."
Holger Ehling, Buchkultur, Februar/März 2017
"Dieses Buch wird für Furore sorgen."
Anne-Sophie Scholl, Berner Zeitung, 22. Januar 2017
"Lüscher is a perceptive commentator on Silicon Valley's heady and hubristic ideological climate, with its smug boasts of 'disruption' and death-denying (or rather 'posthuman transtheotechnist') longings."
The New York Times, Rob Doyle
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Gebundenes Buch
Kraft, eigentlich erfolgreicher Professor in Tübingen, braucht dringend Geld. Seine zweite Ehe steht kurz vorm endgültigen Scheitern, vier Kinder und zwei (Ex)-Ehefrauen müssen versorgt werden. Und die teure Wohnung ist auch noch nicht abbezahlt. So nimmt er sich in den USA bei seinem …
Mehr
Kraft, eigentlich erfolgreicher Professor in Tübingen, braucht dringend Geld. Seine zweite Ehe steht kurz vorm endgültigen Scheitern, vier Kinder und zwei (Ex)-Ehefrauen müssen versorgt werden. Und die teure Wohnung ist auch noch nicht abbezahlt. So nimmt er sich in den USA bei seinem ehemals besten Freund Ivan zwei Wochen Auszeit, um sich auf eine Preisfrage vorzubereiten, die als Gewinn eine Million Dollar bietet. Doch eine mögliche Antwort fällt ihm deutlich schwerer als er es sich vorgestellt hat.
Während sich Kraft in der Gegenwart mühsam mit der Beantwortung der Frage 'Why whatever is, is right und why we still can improve ist?' abmüht, wird parallel dazu sein Leben geschildert, das sich hauptsächlich an 'seinen' Frauen ausrichtete. Kraft ist ein Schwafler sondergleichen, was sich in seinem Berufsleben bislang eher positiv auswirkte, in seinem Privatleben hingegen verheerend. Obwohl in Wissenschaftskreisen seine Person hochgeschätzt wurde und wird, bleiben im Rückblick (so erschien es mir nach der Beendigung des Romans) in erster Linie für sein Leben seine Beziehungen bestimmend, die durchweg nicht glücklich endeten - seine Schwafelei hatte vermutlich keinen kleinen Anteil daran.
Der gesamte Roman ist in einem solch schwafelnden Tonfall geschrieben, wobei er durchaus mit einer Menge Ironie versehen ist wie in diesem Textauszug, als Kraft den Stanfordcampus durchquert, während dort ein Attentäter unterwegs sein soll:
"Andererseits, so rechnet er (Kraft) sich aus, wird er, wenn alles gut geht, den Schuss gar nicht mehr hören. Kraft versteht zwar nichts von Ballistik, aber er ist sich doch sicher, dass die Kugel schneller sein wird als der Schall ... Überlegungen dieser Art anstellend, gelangt er zum Shopping Center, um etwas enttäuscht festzustellen, dass dort reger Betrieb herrscht und der Alarm für diese Gegend nicht gilt … Allerdings so muss er zugeben, wäre es für seine Biographie kein besonders würdiger Schlusspunkt, zwischen Victorias Secret und einem Dunkin' Donut zu verbluten, zumindest wesentlich unpassender als der Tod auf einem Universitätscampus."
Doch irgendwann nutzt sich dieser Tonfall ab und die endlos langen Schachtelsätze (teilweise deutlich länger als eine Seite) wirkten trotz aller Ironie und Spott nur noch ermüdend. Schade, denn dem Autor gelingt es ohne jede Gehässigkeit zu zeigen, dass nicht hinter jedem erfolgreichen Start-up und Jungmillionär auch ein großer Geist steckt. Selbst in Silicon Valley findet sich jede Menge hohles Geschwätz und Geschwafel.
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„Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millennium“ – diese Fragestellung ist es, die den Rhetorikprofessor Richard Kraft aus seiner finanziellen Not retten soll. In einer guten Viertelstunde soll in der ehrwürdigen Stanford Universität von den Bewerbern die Frage …
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„Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millennium“ – diese Fragestellung ist es, die den Rhetorikprofessor Richard Kraft aus seiner finanziellen Not retten soll. In einer guten Viertelstunde soll in der ehrwürdigen Stanford Universität von den Bewerbern die Frage erörtert werden, dem Sieger winkt eine Million Dollar gestiftet von einem Internet Milliardär. Da er sich in seinem Tübinger Zuhause nicht in der Lage sieht, angemessen konzentriert an die Arbeit zu gehen, fliegt Kraft schon zwei Wochen vor der Veranstaltung nach Kalifornien und wohnt dort bei seinem Freund István, mit dem er einst in der Westberliner Enklave das Leben studierte und die Politik diskutierte. Bei der Suche nach der Frage, weshalb alles, das ist auch notwendigerweise gut ist, kehrt Kraft gedanklich auch immer wieder in seine Vergangenheit zurück und lässt seine Zeit mit István ebenso Revue passieren, wie die Zeit mit den drei Frauen, die sein Leben geprägt haben. Je näher der Tag der Präsentation rückt, desto weiter entfernt sich Kraft von der Überzeugung, dass in seinem Leben und in der Welt alles zum Besten steht.
Der Roman des Schweizer Autors Jonas Lüschers ist vom Feuilleton direkt nach Erscheinen begeistert aufgenommen worden. Es ist vermutlich die erstaunliche Verbindung, die Lüscher in „Kraft“ schafft zwischen der philosophischen Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, der politischen Lage eines geteilten Deutschlands, das dem angloamerikanischen Neoliberalismus zu Beginn der 80er Jahre nur Helmut Kohl entgegensetzen kann, den weltbeherrschenden Internetgiganten des Silicon Valley und dem Leben eines einzelnen Mannes, der immer dann beruflich auf der Karriereleiter emporsteigt, wenn gleichzeitig die Frau an seiner Seite den Abstieg hinnehmen muss. Hierin Sinn zu finden und zu begründen, dass dies die bestmögliche aller Welten ist – kein leichtes Unterfangen, wie der Protagonist zunehmend verzweifelt feststellen muss.
Der sprechende Name des Protagonisten dient hervorragend als Ausgangspunkt zur Dekonstruktion des Romans. Richard Kraft – steht der Vorname für die Eigenschaften reich, mächtig und stark, fügt der Nachname diesen Einfluss, Wirkungsfähigkeit und Veränderungsfähigkeit hinzu. Sieht man sich die Figur an, so ist Kraft zunächst einmal finanziell abgebrannt. Zwei Ehen und vier Kinder haben ihn ruiniert, er ist dringend auf eine Geldspritze angewiesen. Macht und Stärke hat er eigentlich qua Profession, er war im frisch vereinten Deutschland eine Größe auf seinem Gebiet, scheint aber seine große Zeit hinter sich zu haben und nur wenige ergiebige Gedanken produzieren zu können. Mit dem Vortrag in Stanford erhält er die Chance seinen Einfluss geltend zu machen, eine positive Wirkung auszuüben und etwas an den bestehenden Verhältnissen zu ändern. Doch statt in der Ferne neue Gedanken zu kultivieren, sinkt er Grübelei und hängt der Vergangenheit nach. Eine Lücke klafft zwischen dem, was ist und dem, was sein könnte; ein Riss, der den Protagonisten selbst durchläuft und sehr passend auch auf dem Cover stilisiert ist.
Der eigentlich leistungsstarke und intelligente Mann wird überrollt – so wie in seinen Gedanken San Francisco von einer mörderischen und zerstörerischen Welle erfasst und zerstört wird, kann auch er den globalen Trends gesteuert durch die Ökonomie der Internetfirmen nichts entgegensetzen. Hat Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen, so erschafft nun der Mensch den Roboter, der alsbald droht die Macht zu übernehmen und als das bessere Wesen zu regieren. An dieser Stelle wird Kraft zum Sinnbild des modernen Menschen, der sich machtlos ausgeliefert fühlt und für den sich nicht erschließt, weshalb diese Welt, die bestmögliche sein soll.
Ein starker Roman, der sich nicht einfach nebenbei weglesen lässt, sondern immer wieder komplexe Diskurse mit dem Leser führt und ihn so mit der Ausgangsfrage konfrontiert.
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Gebundenes Buch
Ich will hier keine Inhaltsangabe mehr geben. Die Stärke dieses Buches liegt im Scheitern. Im Scheitern der Liebesverhältnisse des Hauptdarstellers Richard Kraft. Gescheitert ist auch manch ein Lebensentwurf, etwa der seines Freundes Istvas, der als Hemdwäscher einer ungarischen …
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Ich will hier keine Inhaltsangabe mehr geben. Die Stärke dieses Buches liegt im Scheitern. Im Scheitern der Liebesverhältnisse des Hauptdarstellers Richard Kraft. Gescheitert ist auch manch ein Lebensentwurf, etwa der seines Freundes Istvas, der als Hemdwäscher einer ungarischen Schachmannschaft im Hotel vergessen wurde und notgedrungen in den Westen flüchtet.
Gescheitert ist letztlich auch der Held selbst an der Millionenaufgabe, zu erklären, warum diese Welt die beste sei. Doch gerade hier liegt der kleine Schwachpunkt dieses Buches. Das Theodizee-Problem, das zu einem Oikodizee-Problem gewandelt wird enthält zu wenig Spannung.
Die Geschichte der Bonner Wende ist oft genug erzählt. Das Lambsdorff-Papier wurde erst unter dem Verräter Schröder umgesetzt, aber ist das neu?
Heute, 2017, könnte die Linkspartei mit dem Slogan „Wir wollen die Kohlzeit zurück!“ Werbung machen. Das steht nicht im Buch, muss es auch nicht, wir wissen es auch so.
Also die Hauptgeschichte leidet unter zu wenig Spannung, der Rest ist ohne Fehl und Tadel, grandios auch die Verbindung zwischen dem Provinzkaff Tübingen und der Weltstadt San Francisco.
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Skeptische Gelehrtensatire
Nach seinem Anfangserfolg mit der Novelle «Frühling der Barbaren» hat der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher heuer, vier Jahre später, seinen ersten Roman unter dem Titel «Kraft» veröffentlicht. Aus seiner …
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Skeptische Gelehrtensatire
Nach seinem Anfangserfolg mit der Novelle «Frühling der Barbaren» hat der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher heuer, vier Jahre später, seinen ersten Roman unter dem Titel «Kraft» veröffentlicht. Aus seiner dreijährigen Arbeit an einer Dissertation sei «leider nichts geworden, dafür ist nun der vorliegende Roman entstanden, in den einiges eingeflossen ist, über das ich im Rahmen meiner wissenschaftlichen Tätigkeit nachgedacht habe», heißt es in der Danksagung am Ende des Buches. Bei dieser Vorgeschichte ist es nahe liegend, dass der so entstandene Debütroman als wissenschaftsskeptische Gelehrtensatire angelegt ist, in der Fortschrittsglaube und Kapitalismus ebenso karikiert werden wie überholte Strukturen in Universität und Gesellschaft.
Protagonist des Romans ist Prof. Richard Kraft, Nachfolger von Walter Jens auf dem Lehrstuhl für Rhetorik in Tübingen. Der brillante Wissenschaftler steht vor den Trümmern seiner zweiten Ehe mit Heike, zudem plagen ihn Geldsorgen, denn die großzügige Versorgungsregelung für seine Exfrau Ruth und die beiden Kinder frisst fast sein gesamtes Einkommen als Hochschullehrer auf. Als er von einem Freund an der Stanford Universität zur Teilnahme an einem wissenschaftlichen Wettbewerb im Silicon Valley aufgefordert wird, bei dem ein Preisgeld von einer Million Dollar ausgesetzt ist, sieht er darin die Lösung aller seiner Probleme, auch Heike rät ihm, unbedingt teilzunehmen. Dem Problem der Theodizee von Leibnitz folgend, sollen die Konkurrenten in einem höchstens 18minütigen Vortrag vor einer Jury eine schlüssige Antwort auf die Preisfrage geben: «Warum alles, was ist, gut ist, und wie wir es trotzdem verbessern können».
Während einer dreiwöchigen Vorbereitungsphase, im Lesesaal des Hoover Tower auf dem Campus von Stanford sitzend, sucht Kraft vergeblich nach einer zündenden Idee; ihm fehlt jedwede Inspiration, der von ihm zu begründende Zukunftsoptimismus überfordert ihn als Skeptiker. Immer wieder verliert er sich in Grübeleien über sein Leben, denkt an seine frühen Studententage und seine politischen Jugendsünden als neoliberaler Wirrkopf. Er rekapituliert seine wissenschaftliche Karriere, sinniert über sein permanentes Scheitern bei Frauen, bedauert die fehlende familiäre Bindung. Der Autor wartet mit einem Feuerwerk von Ideen auf, verarbeitet gekonnt die jüngere Zeitgeschichte in klug ausgewählten Episoden, deren interessanteste für mich das konstruktive Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt war. Er spart jedenfalls nicht mit beißender Gesellschaftskritik, die auch den ausufernden Digitalismus unserer Tage einschließt. Der Theodizee stellt er beispielsweise für die Finanzmärkte den von Joseph Vogl geprägten Begriff der Oikodizee gegenüber, die Entzauberung und damit allfällige Bändigung der Finanzmärkte. In einer furiosen Traumsequenz malt er schließlich sehr realistisch das Inferno eines schweren Erdbebens in San Franzisko aus, ein düsteres Szenario, in dem er trickreich das Schicksal seines gescheiterten Helden spiegelt.
Jonas Lüscher ist ein sehr genauer Beobachter, er schreibt hier äußerst leichtfüßig, aber aus kritischer Distanz, im Modus Modestiae, dem Autorenplural, uns Leser damit einbeziehend in seine Betrachtungen. Bei denen dann sein Held, satirischer Inbegriff des intellektuellen Schwaflers, so gar nicht gut wegkommt. Die Fülle an Gedanken, die da vor uns ausgebreitet werden, ist beeindruckend, viele kluge Reflexionen und philosophische Exkurse sind trotz des mokanten Erzähltons, in dem sie vorgetragen werden, zweifellos ernst gemeint und durchaus bereichernd. Mit einem bildungssatten Schreibstil in langen Schachtelsätzen unterstreicht Lüscher süffisant seinen ironischen Duktus. Auch wenn er dabei so manches Klischee bedient, wird er zu Recht als hochaktuelle Stimme gelobt, die ihresgleichen nicht hat in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Auf den Leser wartet ein anregendes, amüsantes und zweifellos auch intellektuelles Lesevergnügen.
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