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Nominiert für den Deutschen Buchpreis - Was geschieht, wenn die eigenen Eltern sterben? Wenn aufgefundene Briefe und Aufzeichnungen ein neues Licht auf Vater und Mutter werfenDie Beschäftigung mit dem Nachlass seines verstorbenen Vaters ruft im Erzähler von Frank Witzels autobiografischem Roman Erinnerungen an eine Kindheit wach, in der das Fernsehen den Vorabend erfindet. Eine Kindheit voller Disziplinierungsmaßnahmen wie Hausarrest, Tonband- und Fernsehverbot, in der die Eltern ihrem Kind unwissentlich den Schrecken der einst selbst erlittenen Trennung als unentwegte Drohung weitergeben....
Nominiert für den Deutschen Buchpreis - Was geschieht, wenn die eigenen Eltern sterben? Wenn aufgefundene Briefe und Aufzeichnungen ein neues Licht auf Vater und Mutter werfen
Die Beschäftigung mit dem Nachlass seines verstorbenen Vaters ruft im Erzähler von Frank Witzels autobiografischem Roman Erinnerungen an eine Kindheit wach, in der das Fernsehen den Vorabend erfindet. Eine Kindheit voller Disziplinierungsmaßnahmen wie Hausarrest, Tonband- und Fernsehverbot, in der die Eltern ihrem Kind unwissentlich den Schrecken der einst selbst erlittenen Trennung als unentwegte Drohung weitergeben. Eine Kindheit, in der ein Sonntag klar strukturiert, die Kittelschürze für die Hausfrau unabdingbar und die von Erwachsenen erdachte Mondfahrt Peterchens ein Horrorszenario ist wie das der Mainzer Fastnacht.
Mit »Inniger Schiffbruch« zeigt sich Frank Witzel einmal mehr als ein so nahbarer wie begnadeter Erzähler, dem es gelingt, über das Persönliche die Verfasstheit einer Nachkriegsgesellschaft in der neuen BRD zu erfassen.
Die Beschäftigung mit dem Nachlass seines verstorbenen Vaters ruft im Erzähler von Frank Witzels autobiografischem Roman Erinnerungen an eine Kindheit wach, in der das Fernsehen den Vorabend erfindet. Eine Kindheit voller Disziplinierungsmaßnahmen wie Hausarrest, Tonband- und Fernsehverbot, in der die Eltern ihrem Kind unwissentlich den Schrecken der einst selbst erlittenen Trennung als unentwegte Drohung weitergeben. Eine Kindheit, in der ein Sonntag klar strukturiert, die Kittelschürze für die Hausfrau unabdingbar und die von Erwachsenen erdachte Mondfahrt Peterchens ein Horrorszenario ist wie das der Mainzer Fastnacht.
Mit »Inniger Schiffbruch« zeigt sich Frank Witzel einmal mehr als ein so nahbarer wie begnadeter Erzähler, dem es gelingt, über das Persönliche die Verfasstheit einer Nachkriegsgesellschaft in der neuen BRD zu erfassen.
Frank Witzel, geboren 1955, lebt und arbeitet in Offenbach. Für seinen Roman 'Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969' bekam er den Robert-Gernhardt-Preis und den Deutschen Buchpreis 2015. Für das gleichnamige Hörspiel gewann er den Deutschen Hörspielpreis 2017. Für seinen Roman 'Direkt danach und kurz davor' war er nominiert für den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2017.
Produktdetails
- Verlag: btb
- Seitenzahl: 355
- Erscheinungstermin: 14. Juni 2023
- Deutsch
- Abmessung: 184mm x 122mm x 25mm
- Gewicht: 297g
- ISBN-13: 9783442771356
- ISBN-10: 3442771358
- Artikelnr.: 66343758
Herstellerkennzeichnung
btb Taschenbuch
Neumarkter Straße 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
»Mitunter hinreißend komisch, dann wieder bitter traurig - und es ist eine grandiose Lektüre.« Carolin Emcke, SZ
Gemischter Gefühlshaushalt
Frank Witzels "Inniger Schiffbruch" mit Nashorn
Die Situation der überstandenen Katastrophe, wie sie im Laufe der Geschichte von Autoren immer wieder aufgegriffen und je nach Standpunkt variiert wird, ist für Hans Blumenberg eine zentrale philosophische Ausgangserfahrung. Daher ist es schlüssig, dass Frank Witzel in seinem autofiktionalen Erinnerungsbuch "Inniger Schiffbruch" schon im Titel auf das bekannteste Werk des Philosophen, "Schiffbruch mit Zuschauer", verweist. Bei Witzel sind es der Tod der Eltern und die eigene Unfähigkeit zu trauern, die ihm zum gedanklichen Auslöser werden für seine Auseinandersetzung mit den Eltern, seiner Kindheit und der Familie in den sechziger Jahren
Frank Witzels "Inniger Schiffbruch" mit Nashorn
Die Situation der überstandenen Katastrophe, wie sie im Laufe der Geschichte von Autoren immer wieder aufgegriffen und je nach Standpunkt variiert wird, ist für Hans Blumenberg eine zentrale philosophische Ausgangserfahrung. Daher ist es schlüssig, dass Frank Witzel in seinem autofiktionalen Erinnerungsbuch "Inniger Schiffbruch" schon im Titel auf das bekannteste Werk des Philosophen, "Schiffbruch mit Zuschauer", verweist. Bei Witzel sind es der Tod der Eltern und die eigene Unfähigkeit zu trauern, die ihm zum gedanklichen Auslöser werden für seine Auseinandersetzung mit den Eltern, seiner Kindheit und der Familie in den sechziger Jahren
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der Bundesrepublik. Historisches Milieu und eigene Träume, Erinnerungen, Briefe und Aufzeichnungen der Eltern sowie die aus dem Alltag überlieferten Mythen und Legenden lässt er nahtlos ineinanderfließen. Zugleich reflektiert er immer auch, was er da tut.
Heraus kommt nicht nur eine intensive Beschäftigung mit der jungen Bundesrepublik aus Kinderperspektive. Witzel ist Jahrgang 1955 und wurde in Wiesbaden geboren, jener bürgerlichen Stadt am Rhein mit ihren geraden Alleen, die seine Eltern alsbald verließen, um sich im ländlicheren Biebrich mit seinen krummen Gassen niederzulassen. Da hat der Vater seine Träume, Pianist und Komponist zu werden, längst fahrenlassen, um die Familie als Musiklehrer zu ernähren.
"Inniger Schiffbruch" ist eine analytische Durchdringung der elterlichen Verhaltensweisen, die sich, so unterschiedlich sie bei Vater und Mutter dem Autor als Kind und Jugendlichen gegenüber auch ausfallen, doch gleichermaßen und bis ins hohe Alter geprägt sind von der Urkatastrophe des Zweiten Weltkriegs, die sie selbst als Kind erlebten, womit wir wieder bei Blumenberg wären. Die Familie des Vaters wurde in Frankfurt ausgebombt. Die Mutter stammte aus Polen und musste vor den einrückenden Sowjets fliehen. Doch wenn Frank Witzel Szenen vom Zuhause seiner Kindheit rekonstruiert, ist vom Gefühlshaushalt der Eltern kaum etwas zu bemerken.
Die elterlichen Traumata werden in Gegenwart des Kindes nicht angesprochen, sondern übergegangen und überspielt. Der Vater hat zu Kriegsende, als er gerade vierzehn ist, ein Resümee seines Lebens geschrieben, auf das sich der Sohn stützt und das durch seine vermeintliche Normalität beschäftigt. Die Hilflosigkeit der Mutter gegenüber den erlittenen Erfahrungen drückt sich hingegen in ihrem Schweigen aus. Wie sie als junges Mädchen aus dem damaligen Oberschlesien vertrieben wurde, hat sie zeitlebens nicht thematisiert. Die Leerstellen und Fragen, die das angesichts des Todes der Eltern zwangsläufig hinterlässt, füllt Frank Witzel mit Suchbewegungen in der Literatur. Neben Blumenberg gibt er Lektüreeindrücke aus Prousts Romanen und Benjamins "Berliner Kindheit" wieder und beschreibt Träume, für die er nicht zuletzt durch eine Psychoanalyse aufmerksam ist. Darin taucht als zentrales Motiv unter anderen toten und verletzten Tieren auch ein sterbendes Rhinozeros auf, von dem der Autor während der Abschrift des Buchs ein ums andere Mal träumt. Natürlich kommt ihm Ionescos Theaterstück "Rhinocéros" den Sinn, worin der rumänische Dramatiker anhand einer sich in Nashörner verwandelten Stadtgesellschaft den Totalitarismus thematisiert.
In Witzels Traum hingegen, der sich in einem dieser bungalowähnlichen Einfamilienhäusern zuträgt, wie sie typisch waren für die sechziger Jahre in Straßen mit Wendehammer und mit Blauzedern vor der Tür, stellt das keine Bedrohung dar, sondern Bedürftigkeit. Erschöpft und abgemagert, starrt das Nashorn den Träumenden an. "Keinerlei Geräusche waren zu hören", und auch das Rhinozeros selbst "verharrte eigenartig still und unbeweglich vor mir, fast, als habe es nur so lange ausgeharrt, um nun vor meinen Augen zu verenden", erinnert sich der Erzähler.
Obwohl er verstört aufwacht, reagiert er auf die verrätselten Nachtbilder mit Verweigerung, nicht zuletzt, weil er das "billige Effekthascherische" des Traums augenblicklich erkennt, die aufdringliche Symbolik des Tieres und die filmische Inszenierung des ganzen Settings, das ihn glauben lässt, einem "fremden Traum" beigewohnt zu haben. Nicht zuletzt an der Beschreibung dieser kurzen Sequenz, die den Schriftsteller den eigenen Traum redigieren lässt wie ein um seinen Autor bekümmerter Lektor, der diesem kein Klischee durchgehen lassen will, zeigt sich die Meisterschaft Frank Witzels.
Nach seinem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" ist ihm mit "Inniger Schiffbruch" aufs Neue eine augenöffnende bundesrepublikanische Mentalitätsgeschichte geglückt, die sich zwischen realistischem Erzählen und Phantastik bewegt.
SANDRA KEGEL
Frank Witzel: "Inniger Schiffbruch". Roman.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020. 360 S., geb. 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heraus kommt nicht nur eine intensive Beschäftigung mit der jungen Bundesrepublik aus Kinderperspektive. Witzel ist Jahrgang 1955 und wurde in Wiesbaden geboren, jener bürgerlichen Stadt am Rhein mit ihren geraden Alleen, die seine Eltern alsbald verließen, um sich im ländlicheren Biebrich mit seinen krummen Gassen niederzulassen. Da hat der Vater seine Träume, Pianist und Komponist zu werden, längst fahrenlassen, um die Familie als Musiklehrer zu ernähren.
"Inniger Schiffbruch" ist eine analytische Durchdringung der elterlichen Verhaltensweisen, die sich, so unterschiedlich sie bei Vater und Mutter dem Autor als Kind und Jugendlichen gegenüber auch ausfallen, doch gleichermaßen und bis ins hohe Alter geprägt sind von der Urkatastrophe des Zweiten Weltkriegs, die sie selbst als Kind erlebten, womit wir wieder bei Blumenberg wären. Die Familie des Vaters wurde in Frankfurt ausgebombt. Die Mutter stammte aus Polen und musste vor den einrückenden Sowjets fliehen. Doch wenn Frank Witzel Szenen vom Zuhause seiner Kindheit rekonstruiert, ist vom Gefühlshaushalt der Eltern kaum etwas zu bemerken.
Die elterlichen Traumata werden in Gegenwart des Kindes nicht angesprochen, sondern übergegangen und überspielt. Der Vater hat zu Kriegsende, als er gerade vierzehn ist, ein Resümee seines Lebens geschrieben, auf das sich der Sohn stützt und das durch seine vermeintliche Normalität beschäftigt. Die Hilflosigkeit der Mutter gegenüber den erlittenen Erfahrungen drückt sich hingegen in ihrem Schweigen aus. Wie sie als junges Mädchen aus dem damaligen Oberschlesien vertrieben wurde, hat sie zeitlebens nicht thematisiert. Die Leerstellen und Fragen, die das angesichts des Todes der Eltern zwangsläufig hinterlässt, füllt Frank Witzel mit Suchbewegungen in der Literatur. Neben Blumenberg gibt er Lektüreeindrücke aus Prousts Romanen und Benjamins "Berliner Kindheit" wieder und beschreibt Träume, für die er nicht zuletzt durch eine Psychoanalyse aufmerksam ist. Darin taucht als zentrales Motiv unter anderen toten und verletzten Tieren auch ein sterbendes Rhinozeros auf, von dem der Autor während der Abschrift des Buchs ein ums andere Mal träumt. Natürlich kommt ihm Ionescos Theaterstück "Rhinocéros" den Sinn, worin der rumänische Dramatiker anhand einer sich in Nashörner verwandelten Stadtgesellschaft den Totalitarismus thematisiert.
In Witzels Traum hingegen, der sich in einem dieser bungalowähnlichen Einfamilienhäusern zuträgt, wie sie typisch waren für die sechziger Jahre in Straßen mit Wendehammer und mit Blauzedern vor der Tür, stellt das keine Bedrohung dar, sondern Bedürftigkeit. Erschöpft und abgemagert, starrt das Nashorn den Träumenden an. "Keinerlei Geräusche waren zu hören", und auch das Rhinozeros selbst "verharrte eigenartig still und unbeweglich vor mir, fast, als habe es nur so lange ausgeharrt, um nun vor meinen Augen zu verenden", erinnert sich der Erzähler.
Obwohl er verstört aufwacht, reagiert er auf die verrätselten Nachtbilder mit Verweigerung, nicht zuletzt, weil er das "billige Effekthascherische" des Traums augenblicklich erkennt, die aufdringliche Symbolik des Tieres und die filmische Inszenierung des ganzen Settings, das ihn glauben lässt, einem "fremden Traum" beigewohnt zu haben. Nicht zuletzt an der Beschreibung dieser kurzen Sequenz, die den Schriftsteller den eigenen Traum redigieren lässt wie ein um seinen Autor bekümmerter Lektor, der diesem kein Klischee durchgehen lassen will, zeigt sich die Meisterschaft Frank Witzels.
Nach seinem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" ist ihm mit "Inniger Schiffbruch" aufs Neue eine augenöffnende bundesrepublikanische Mentalitätsgeschichte geglückt, die sich zwischen realistischem Erzählen und Phantastik bewegt.
SANDRA KEGEL
Frank Witzel: "Inniger Schiffbruch". Roman.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020. 360 S., geb. 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Sandra Kegel hält Frank Witzels neues Buch für doppelt geglückt. Als Mentalitätsgeschichte der alten Bundesrepublik wie als persönliche Rückschau auf die eigene Kindheit und die Kriegstraumata der Eltern. Witzels selbstkritische, mit allerhand Gewährsleuten von Walter Benjamin bis Hans Blumenberg bestückte, zwischen Realismus und Fantastik changierende Annäherungsweise an Literatur, eigene Träume, Alltagsmythen und den elterlichen Bungalow scheint Kegel sympathisch und erkenntnisträchtig - für den Autor selbst, aber auch für die geneigte Leserin.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
In »Inniger Schiffbruch« kommt nicht ein Satz aufgeblasen oder hochtrabend daher. Dieser Roman ist so komplex, weil Erinnern so komplex ist, weil es sich nur so darstellen lässt. Diese Form macht ihn zu etwas Besonderem in der gefälligen Gegenwartsliteratur, die viel zu oft nur Antworten geben will. Bei diesem Roman sind jedoch die Fragen das weit wichtigere Mittel. Ein Roman, der seine Leser lange beschäftigen wird. Björn Bischoff Nürnberger Nachrichten 20200516
Gebundenes Buch
Grandios gescheitert
Als ein Erzählexperiment der besonderen Art erweist sich Frank Witzels neuer Roman «Inniger Schiffbruch», wirkt darin doch die psycho-therapeutische Aufarbeitung seiner eigenen Kindheit direkt auf den eigentlichen Schreibprozess zurück, er kommentiert …
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Grandios gescheitert
Als ein Erzählexperiment der besonderen Art erweist sich Frank Witzels neuer Roman «Inniger Schiffbruch», wirkt darin doch die psycho-therapeutische Aufarbeitung seiner eigenen Kindheit direkt auf den eigentlichen Schreibprozess zurück, er kommentiert sich permanent selbst. In ständigen Selbstzweifeln wird in dieser kaum fiktionalisierten Autobiografie immer wieder auch die Frage nach der Erzählbarkeit dessen aufgeworfen, wovon der Autor in Form einer breit angelegten Vergangenheits-Bewältigung berichtet. Die Figur des von Selbstzweifeln geplagten Ich-Erzählers in dieser literarischen Psychoanalyse vereint also Therapeut und Patient in einer Person. Ein schwieriges Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist, und prompt erleidet der Autor denn auch literarisch «innigen Schiffbruch» mit seiner seelischen Tiefenlotung. Statt ‹Roman› nämlich, der als Narrativ ohne jede Handlung nur falsche Erwartungen weckt, wäre ‹Sachbuch› die angemessene literarische Form gewesen für diesen intellektuell recht anspruchsvollen und zudem auch interessanten Stoff.
Nach dem Tod des Vaters ist der Sohn mit dessen Nachlass beschäftigt, die Mutter war schon zwei Jahre zuvor verstorben. Er sichtet einen Riesenbestand an Fotoalben, Diakästen, Super8-Filmspulen, Briefen, Tagebüchern und anderem mehr, wozu auch bis zu vier, jahrzehntelang parallel geführte, Kalender des pedantischen Vaters gehören. Bei dieser Recherche wird eine Unzahl an Erinnerungen geweckt, die nicht nur auf den materiellen Nachlass gestützt sind, sondern ergänzend auch auf Erzählungen der Eltern und Großeltern. Beide Eltern waren vom Krieg traumatisiert, die aus wohlhabendem Hause stammende Mutter wurde als 16Jährige aus Schlesien vertrieben, der Vater machte nach dem Krieg notgedrungen eine Lehre als Kaufmann. Er wandte sich dann jedoch der Musik zu, musste aber seine Hoffnungen auf eine Karriere als Pianist und Komponist schon bald aufgeben, wurde Musiklehrer und fungierte außerdem auch als Organist und Chorleiter seiner Kirche. Das Elternpaar ist auf seine Weise also nazigeschädigt und verdrängt in den Jahren des Wirtschaftswunders, wie so viele andere auch, die unrühmliche Vergangenheit. Fast alle Erinnerungen des Autors beziehen sich auf den ebenso bigotten wie strengen Vater mit seinem brutalen Erziehungsterror, die Mutter hat kaum verwertbare Spuren für seine Erinnerungsarbeit hinterlassen, und auch sein Bruder kommt so gut wie gar nicht vor. Auffällig ist zudem die scheinbare Bindungslosigkeit des Autors, Frauen werden allenfalls mal in einem Halbsatz erwähnt. Äußerst befremdlich, aber zudem auch symptomatisch erscheint seine Feststellung, dass er einfach nicht trauern könne um seine Eltern, er kommt ihnen auch posthum nicht nahe.
Eine Stärke dieses zutiefst meditativen Buches ist die anschauliche Beschreibung der Lebenswirklichkeit in der BRD, die materiell mit dem Stichwort ‹Nierentisch› und kulturell mit ‹Beatclub› umschrieben werden kann. Ergänzend zu seinen zahlreichen Träumen und endlosen Grübeleien zieht der Autor auch jede Menge Sekundärliteratur heran, seine Zitierliste umfasst 22 Bücher von Adorno bis Vittorini, und auch der Buchtitel ist ein Zitat aus Rilkes Übersetzung von Leopardis berühmtem Gedicht «L’infinito».
Auf seiner rastlosen Suche nach dem Unausgesprochenen, dem schamhaft Verdrängten im Labyrinth der Vergangenheit, verwendet der Autor eine Technik, bei der er eigene Erinnerungssplitter assoziativ mit materiell gespeicherten Memorabilien vermischt. Dabei werden allerlei Diskrepanzen zu Tage gefördert, Erinnerungen lassen sich nun mal nicht objektivieren. Durch das ständig wiederholte Hinterfragen, das letztendlich ja zu nichts hinführt, wird die Lektüre nicht nur beschwerlich, sondern allmählich auch immer langweiliger. Und viele der Details und Assoziationen, in die er sich verliert, mögen für Frank Witzel wichtig sein, nicht aber für den geplagten Leser. Dieser Roman ist als solcher grandios gescheitert!
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Gebundenes Buch
Ausgehend von einem Traum über das Haus seiner vor 2 Jahren verstorbenen Eltern durchdenkt der Autor Frank Witzel verschiedene Erinnerungen und Reflexionen über die Familie. In den Kindheitserinnerungen entsteht ein Bild der vergangenen Zeit mit all seinen Merkmalen.
Dabei gibt es einige …
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Ausgehend von einem Traum über das Haus seiner vor 2 Jahren verstorbenen Eltern durchdenkt der Autor Frank Witzel verschiedene Erinnerungen und Reflexionen über die Familie. In den Kindheitserinnerungen entsteht ein Bild der vergangenen Zeit mit all seinen Merkmalen.
Dabei gibt es einige wirklich gute Formulierungen, auch originelle literarische und philosophische Bezüge, z.B. Proust, Barthes, Thomas Bernhard, Walter Benjamin, Imre Kertész, Adorno.
Hinzu kommen psychotherapeutische Einsprengsel.
Ich habe das mit Interesse gelesen.
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Gebundenes Buch
enttäuschendes Missverständnis
Vorweg empfehle ich der Leserin sich vor dem Kauf im Buchladen die ersten beiden Textseiten mit dem Rhinozerostraum zu lesen. Wem dies gefällt, der möge das Buch auch kaufen. Ich kann damit wenig anfangen. So fehlt mir in diesem Buch, das nicht …
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enttäuschendes Missverständnis
Vorweg empfehle ich der Leserin sich vor dem Kauf im Buchladen die ersten beiden Textseiten mit dem Rhinozerostraum zu lesen. Wem dies gefällt, der möge das Buch auch kaufen. Ich kann damit wenig anfangen. So fehlt mir in diesem Buch, das nicht gerade von einer durchgehenden Handlung strotzt, auch noch der Bezugspunkt.
Ich wollte dieses Buch lesen, weil der Autor bei den Heidelberger Literaturtagen zu Gast war, doch dann habe ich die Lesung doch nicht besucht. Dann hoffte ich, dass ich ähnliche Geschichten wie von Annie Ernaux lese, doch waren Witzels Anekdoten für mich langweilig.
Ich hoffte noch auf das zweite Kapitel, doch die Angst vor Kugelblitze auf S.49 (die man sicher auch metaphorisch sehen kann, doch wenn die erste Ebene nicht stimmt, nutzt auch die zweite Ebene nicht) und die seitenlange Analyse von Peterchens Mondfahrt, kurz unterbrochen von den Eulenspiegel der Mainzer Fasnacht überzeugten mich nicht.
Als Schachspieler freut mich aber, dass ich nach genau 64 Seiten dieses Werk zur Seite legen konnte. Und so endet meine Schiffbruchsepisode mit Blumenberg und Witzel enttäuschend. 1 Stern
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eBook, ePUB
Nach dem Tod der Eltern sichtet der Autor deren Nachlass und ihm kommen viele Erinnerungen an die Kindheit. Aber auch Träume bringen ihn zum Nachdenken und in einem spielte ein Nashorn eine große Rolle. Daher auch das Cover. Er denkt an viele Verbote, die er wegen …
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Nach dem Tod der Eltern sichtet der Autor deren Nachlass und ihm kommen viele Erinnerungen an die Kindheit. Aber auch Träume bringen ihn zum Nachdenken und in einem spielte ein Nashorn eine große Rolle. Daher auch das Cover. Er denkt an viele Verbote, die er wegen „Verfehlungen“ hinnehmen musste. Aber auch Erinnerungen an die Kittelschürze der Mutter, die Kirchgänge am Sonntag und immer gleiche Rituale, wie das Bad am Samstag, erinnert er. Fotoalben und Dias gibt es ebenfalls noch und im Album sind keineswegs Schnappschüsse zu sehen. Die wurden ausgesondert. Es musste alles perfekt sein. „Unser Kind“ zum Vorzeigen und verewigt in einem hellblauen Album.
Viele Parallelen zu meiner Kindheit las ich und denke, dass es den meisten Nachkriegskindern so geht. Man war wieder wer und wollte nur noch in die Zukunft schauen. Sich etwas leisten und die Gräuel des Krieges schlicht und einfach vergessen. Die Kittelschürze meiner Mutter gehörte zu ihrem Outfit wie die Dauerwelle und der Kirchenbesuch am Sonntag. Ausdrücke wie : „vom anderen Ufer“ oder „der Jud“, hörte ich ebenfalls. Ist es ein Wunder, dass viele Kinder auch mit der emotionslosen und teilweise sogar kalten Kindheit nicht zurecht kamen und bis heute darunter leiden. Auch der Autor erlebt seit 30 Jahren Selbstzweifel und beschreibt seine Besuche bei der Therapeutin.
Zu den erwähnten Filmen in „Inniger Schiffbruch“ „dbp20“ kann ich nichts sagen, wir hatten kein Fernsehen. Interessant, dass dieses Gerät bei den Wenzels in einen Raum unters Dach verbannt wurde. Ja, und dann die Erziehungsbücher der „uneinsichtigen Nazitante“ Johanna Haarer. Sie starb 1988 und ihre schriftlichen Ausschweifungen gibt es zum Glück nicht mehr. Von wegen, das Baby muss schreien, da es sonst Macht über die Mutter bekommt. Ja, es gab etliche Eltern, die sich daran hielten. Wie gut, dass das Erziehungsprogramm heute keine Anwendung mehr findet. Das Buch wurde nicht ohne Grund für die Longlist des „dbp20“ ausgewählt. Mir war aber das Hin und Her bei den kurzen Stippvisiten in Kindheit und Jugend des Autor zu wenig. Ich empfehle es aber trotzdem und ich denke, dass drei Sterne immer noch für ein gutes Buch stehen.
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