Milena Michiko Flasar
Gebundenes Buch
Herr Kato spielt Familie
Versandkostenfrei!
Nicht lieferbar
Weitere Ausgaben:
Die Tage dehnen sich, und zugleich schnurrt die Zeit zusammen. Die Uhr läuft ab, dabei könnte es gerade erst losgehen. Ob ein kleiner weißer Spitz daran etwas ändern würde?Den ehemaligen Kollegen hat er immer beneidet. Um den Ruhestand, das Motorrad und die neue Freiheit. Doch jetzt steht er selbst frisch verrentet auf den bemoosten Treppen vor seinem Haus und weiß nicht wohin. Eine Krawatte braucht er nicht mehr, zu Hause ist er im Weg, die Kinder sind längst ausgezogen. Ob die junge Frau, die er jüngst auf dem Friedhof getroffen hat, ihm nur etwas vormacht, vermag er nicht zu sagen. ...
Die Tage dehnen sich, und zugleich schnurrt die Zeit zusammen. Die Uhr läuft ab, dabei könnte es gerade erst losgehen. Ob ein kleiner weißer Spitz daran etwas ändern würde?Den ehemaligen Kollegen hat er immer beneidet. Um den Ruhestand, das Motorrad und die neue Freiheit. Doch jetzt steht er selbst frisch verrentet auf den bemoosten Treppen vor seinem Haus und weiß nicht wohin. Eine Krawatte braucht er nicht mehr, zu Hause ist er im Weg, die Kinder sind längst ausgezogen. Ob die junge Frau, die er jüngst auf dem Friedhof getroffen hat, ihm nur etwas vormacht, vermag er nicht zu sagen. Er ist aus der Übung. Und dennoch nimmt er ihren Vorschlag an, lässt sich von ihrer Agentur »Happy family« mal als Opa, mal als Exmann, dann wieder als Vorgesetzter engagieren und trifft auf fremde Menschen und Schicksale. Er spielt seine Rollen gut, und seine Frau bekommt von alledem nichts mit. Sie hat wieder angefangen zu tanzen ...Ein nachdenkliches Buch über Erinnerungen und unerfüllte Träume, über Glücksmomente und Wendepunkte. Milena Michiko Flasar zeichnet mit wenigen Strichen, beredten Bildern und unnachahmlicher Wärme ein ganz gewöhnliches, ganz einzigartiges Leben.
Milena Michiko Flaar, geboren 1980 in St. Pölten, hat in Wien und Berlin Komparatistik, Germanistik und Romanistik studiert. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters, lebt als Schriftstellerin in Wien und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Für 'Ich nannte ihn Krawatte' erhielt sie den Literaturpreis Alpha 2012. Im österreichischen Residenz Verlag sind zwei Bücher von ihr erschienen: 'Ich bin' (2008) und 'Okaasan - Meine unbekannte Mutter' (2010).
Produktdetails
- Quartbuch - Literatur
- Verlag: Wagenbach
- 4. Aufl.
- Seitenzahl: 169
- Erscheinungstermin: 2. Februar 2018
- Deutsch
- Abmessung: 221mm x 142mm x 20mm
- Gewicht: 322g
- ISBN-13: 9783803132925
- ISBN-10: 3803132924
- Artikelnr.: 50257693
Herstellerkennzeichnung
Wagenbach Klaus GmbH
Emser Strasse 40/41
10719 Berlin
030 2351510
Leben wie Loriot in Japan
Bonsai umtopfen: Milena Michiko Flasars Roman "Herr Kato spielt Familie"
Ein Mann geht zum Arzt und bekommt keine Diagnose. Das Ergebnis wirft ihn aus der Bahn. Sollte er nicht wenigstens ein bisschen krank sein? Etwas gefährdet? Oder zumindest arm dran? Zum Beispiel in den Augen seiner Frau, die neuerdings das Tanzen wieder für sich entdeckt hat. Ein fast schon unschickliches Hobby. So viel Leidenschaft, ein Tanzlehrer, der das alles in ihr entfacht, rote Wangen - in ihrem Alter!
Herr Kato und seine Frau leiden unter dem Retired Husband Syndrome. So steht es in dem schmalen Roman von Milena Michiko Flasar, die in Österreich lebt, japanische Wurzeln hat und deren
Bonsai umtopfen: Milena Michiko Flasars Roman "Herr Kato spielt Familie"
Ein Mann geht zum Arzt und bekommt keine Diagnose. Das Ergebnis wirft ihn aus der Bahn. Sollte er nicht wenigstens ein bisschen krank sein? Etwas gefährdet? Oder zumindest arm dran? Zum Beispiel in den Augen seiner Frau, die neuerdings das Tanzen wieder für sich entdeckt hat. Ein fast schon unschickliches Hobby. So viel Leidenschaft, ein Tanzlehrer, der das alles in ihr entfacht, rote Wangen - in ihrem Alter!
Herr Kato und seine Frau leiden unter dem Retired Husband Syndrome. So steht es in dem schmalen Roman von Milena Michiko Flasar, die in Österreich lebt, japanische Wurzeln hat und deren
Mehr anzeigen
Überraschungserfolgsroman "Ich nannte ihn Krawatte" ebenfalls im heutigen Japan spielte. Die Festung der Arbeitswelt steht für Herrn Kato mit dem Eintritt ins Rentenalter nicht mehr zur Verfügung. Neue Betätigungsfelder wollen gefunden werden. Gerne im ureigenen Wirkungsbereich der Hausfrau. Man kennt das aus dem Loriot-Spielfilm "Pappa ante portas", in dem der frisch pensionierte Ehemann mit absurden Einkaufsaktionen den Unmut seiner Gattin weckt. Palettenweise wird Senf angeliefert, um den Massenrabatt einstreichen zu können. Die Frau steht fassungslos daneben.
In Herrn Katos Fall: "Er hat es sich auf seiner Liste notiert. Ganz oben: mit den Kindern telefonieren. Sie fragen, wie es ihnen geht. Danach: das Radio reparieren. Die Schallplatten ordnen, wobei er noch unschlüssig ist, ob nach Alphabet oder musikalischem Genre. Den Bonsai umtopfen. Aber damit kennt er sich nicht aus. Also: sich zuerst einlesen, wie man das macht. Weiter unten: ein Geschenk. Er hat nicht dazugeschrieben: für meine Frau, stattdessen: ohne Anlass, weil er gehört hat, in der Fernsehsendung, die er eigentlich gar nicht schaut, dass das die beste Art des Schenkens ist, jemanden zu überraschen, einfach so, ohne sich selbst als den Schenkenden in den Vordergrund zu stellen, was bei den meisten, bei etwa fünfundneunzig Prozent, leider der Fall sei."
Das sind aber alles nur Pläne, und so leben die Katos desinteressiert aneinander vorbei. Bis eine junge Schauspielerin auftaucht, die Herrn Kato für ihre Stand-in-Agentur rekrutiert. Offenbar ein Geschäftszweig, der in Japan tatsächlich floriert: Schauspieler, die für private Familienlügentheater gebucht werden. Als Opa eines Jungen zum Beispiel, dessen echter Opa nichts von ihm wissen will. Oder als Ehemann einer untergebutterten Dame, die Herrn Kato in einem ausgelagerten Racheritual die Scheidungspapiere auf den Tisch knallt. Das Ganze bleibt nicht ohne Eindruck auf Herrn Kato.
Die junge Schauspielerin sieht an der Dienstleistung ihrer Agentur nichts Anrüchiges. "Wir springen ein", sagt sie, "wo man uns braucht, und ersetzen den eigentlichen Darsteller, denn auch der, den wir spielen, stellt sich die meiste Zeit dar und ist somit ein Schauspieler. Ja, es gibt Leute, die sind noch im Schlaf nicht sie selbst. Beklemmend, oder?" Flasars Roman handelt also nur vordergründig von der Altersdepression eines japanischen Rentners. Im Hintergrund lauern die Fragen einer jeden Existenz. Ist sie aufrichtig oder verlogen? Und wenn sie verlogen ist, wie groß ist das Maß der Verlogenheit? Und wenn es groß ist, who cares?
Auf beiläufige Weise gelingen Flasar in ihrem dritten Roman Problemskizzen des modernen Zeitgeists am Beispiel der japanischen Wirklichkeit. Sowohl der Sohn als auch die Tochter der Katos scheinen beispielsweise via Reproduktionsmedizin am ersehnten Nachwuchs zu arbeiten. Nichts scheint in Herrn Katos Leben mehr seinen natürlichen Gang zu gehen. Die Menschen haben den Überblick über richtig und falsch verloren. Vielleicht sind diese Zuordnungen auch kaum sinnvoll in einer Welt, die zwischen Maßlosigkeit und Machbarkeit nicht nur für Senioren ihre Substanz zu verlieren droht.
Doch für Herrn Kato gibt es doch ein bisschen Hoffnung. Bei der Hochzeit einer todkranken Braut empfindet er plötzlich mehr als bei der seiner eigenen Tochter. Und so ist er auf einmal, stimuliert durch die echten falschen Gefühle, in der Lage, einen schönen großen Blumenstrauß zu kaufen. Den stellt er seiner Gattin ins Wohnzimmer. Und dann schlägt das vermeintliche Happy Ending doch noch einen surrealen Haken. Denn die tanzende Gattin behauptet einfach, den Strauß hätte ihr eine Freundin vorbeigebracht. Wer träumt sich hier eigentlich was zusammen? Sind wir Menschen dazu verdammt, aneinander vorbeizusymbolisieren? Und auf einmal sticht es im Herzen. Das Ende wird nicht verraten. Aber die etwas banale Einsicht, dass ein Herz entweder schlägt oder eben nicht, scheint auch in Herr und Frau Kato etwas in Bewegung zu bringen.
KATHARINA TEUTSCH.
Milena Michiko Flasar: "Herr Katô spielt Familie". Roman.
Wagenbach Verlag, Berlin 2018. 169 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Herrn Katos Fall: "Er hat es sich auf seiner Liste notiert. Ganz oben: mit den Kindern telefonieren. Sie fragen, wie es ihnen geht. Danach: das Radio reparieren. Die Schallplatten ordnen, wobei er noch unschlüssig ist, ob nach Alphabet oder musikalischem Genre. Den Bonsai umtopfen. Aber damit kennt er sich nicht aus. Also: sich zuerst einlesen, wie man das macht. Weiter unten: ein Geschenk. Er hat nicht dazugeschrieben: für meine Frau, stattdessen: ohne Anlass, weil er gehört hat, in der Fernsehsendung, die er eigentlich gar nicht schaut, dass das die beste Art des Schenkens ist, jemanden zu überraschen, einfach so, ohne sich selbst als den Schenkenden in den Vordergrund zu stellen, was bei den meisten, bei etwa fünfundneunzig Prozent, leider der Fall sei."
Das sind aber alles nur Pläne, und so leben die Katos desinteressiert aneinander vorbei. Bis eine junge Schauspielerin auftaucht, die Herrn Kato für ihre Stand-in-Agentur rekrutiert. Offenbar ein Geschäftszweig, der in Japan tatsächlich floriert: Schauspieler, die für private Familienlügentheater gebucht werden. Als Opa eines Jungen zum Beispiel, dessen echter Opa nichts von ihm wissen will. Oder als Ehemann einer untergebutterten Dame, die Herrn Kato in einem ausgelagerten Racheritual die Scheidungspapiere auf den Tisch knallt. Das Ganze bleibt nicht ohne Eindruck auf Herrn Kato.
Die junge Schauspielerin sieht an der Dienstleistung ihrer Agentur nichts Anrüchiges. "Wir springen ein", sagt sie, "wo man uns braucht, und ersetzen den eigentlichen Darsteller, denn auch der, den wir spielen, stellt sich die meiste Zeit dar und ist somit ein Schauspieler. Ja, es gibt Leute, die sind noch im Schlaf nicht sie selbst. Beklemmend, oder?" Flasars Roman handelt also nur vordergründig von der Altersdepression eines japanischen Rentners. Im Hintergrund lauern die Fragen einer jeden Existenz. Ist sie aufrichtig oder verlogen? Und wenn sie verlogen ist, wie groß ist das Maß der Verlogenheit? Und wenn es groß ist, who cares?
Auf beiläufige Weise gelingen Flasar in ihrem dritten Roman Problemskizzen des modernen Zeitgeists am Beispiel der japanischen Wirklichkeit. Sowohl der Sohn als auch die Tochter der Katos scheinen beispielsweise via Reproduktionsmedizin am ersehnten Nachwuchs zu arbeiten. Nichts scheint in Herrn Katos Leben mehr seinen natürlichen Gang zu gehen. Die Menschen haben den Überblick über richtig und falsch verloren. Vielleicht sind diese Zuordnungen auch kaum sinnvoll in einer Welt, die zwischen Maßlosigkeit und Machbarkeit nicht nur für Senioren ihre Substanz zu verlieren droht.
Doch für Herrn Kato gibt es doch ein bisschen Hoffnung. Bei der Hochzeit einer todkranken Braut empfindet er plötzlich mehr als bei der seiner eigenen Tochter. Und so ist er auf einmal, stimuliert durch die echten falschen Gefühle, in der Lage, einen schönen großen Blumenstrauß zu kaufen. Den stellt er seiner Gattin ins Wohnzimmer. Und dann schlägt das vermeintliche Happy Ending doch noch einen surrealen Haken. Denn die tanzende Gattin behauptet einfach, den Strauß hätte ihr eine Freundin vorbeigebracht. Wer träumt sich hier eigentlich was zusammen? Sind wir Menschen dazu verdammt, aneinander vorbeizusymbolisieren? Und auf einmal sticht es im Herzen. Das Ende wird nicht verraten. Aber die etwas banale Einsicht, dass ein Herz entweder schlägt oder eben nicht, scheint auch in Herr und Frau Kato etwas in Bewegung zu bringen.
KATHARINA TEUTSCH.
Milena Michiko Flasar: "Herr Katô spielt Familie". Roman.
Wagenbach Verlag, Berlin 2018. 169 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Einen großen Liebesroman und eine wunderbare Übersetzungsleistung sieht Frederic Jage-Bowler in diesem Roman der österreichisch-japanischen Autorin Milena Michiko Flasar. Sie erzählt darin von dem im Alter etwas einsam gewordenen Herr Kato, der von einer jungen Schauspielerin auf eine neue Idee gebracht wird: Familie spielen. Sie übernehme Rollen als Schwester, Tochter oder Tante, da könne er doch den Großvater übernehmen? Der Witz an dieser Geschichte besteht für den Kritiker nicht nur darin, dass dieses Geschäftsmodell in Japan tatsächlich existiert, sondern dass Flasar dem auch Gutes abgewinnen kann. Der westlichen Kultur der brachialen Aufrichtigkeit etwas feinsinnige Verstellung entgegenzusetzen, um den "kalten Krieg der Seelen" zu mildern, das hat was, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Carpe diem
Seit seiner Pensionierung weiß Herr Kato nichts mit sich anzufangen. Zuhause mäkelt er ständig an seiner Frau herum, weshalb sie froh ist, wenn er Spaziergänge unternimmt und sie das Haus für sich allein hat. Auf einem dieser Spaziergänge lernt er eine …
Mehr
Carpe diem
Seit seiner Pensionierung weiß Herr Kato nichts mit sich anzufangen. Zuhause mäkelt er ständig an seiner Frau herum, weshalb sie froh ist, wenn er Spaziergänge unternimmt und sie das Haus für sich allein hat. Auf einem dieser Spaziergänge lernt er eine junge Frau, Mie, kennen, die ihm das Angebot macht, für sie zu arbeiten. Sie hat eine Agentur für „Stand-Ins“, bei der man Familienangehörige, Chefs, Verlobte...“mieten“ kann. Nach kurzer Bedenkzeit lässt sich Herr Kato auf das Angebot ein und bekommt sofort den ersten Auftrag, in dem er einen Großvater mimt.
Er genießt es, einen Tag lang in die Haut eines anderen zu schlüpfen und ist viel netter, als er es normalerweise zu Hause ist. Es macht ihm großen Spaß, mit seinem „Enkel“ den Tag zu verbringen. Etwas seltsam finde ich, dass seine Ehefrau abends überhaupt nicht nachfragt, wo er den ganzen Tag war. Die beiden scheinen nur noch eine reine Zweckgemeinschaft zu haben.
Auch die nächsten beiden Aufträge sind interessant. Für eine Ehefrau mit geschwätzigem Ehemann gibt er einen Tag lang den einsilbigen Zuhörer, im darauffolgenden Engagement spielt er den Chef des Bräutigams, eine Rolle, die er sehr genießt, da er im wirklichen Leben nie Chef war.
Herr Kato beginnt langsam, sich zu verändern, sein harter Panzer bekommt Risse. In Rückblenden erfahren wir von seinen eigenen Kindern und der ersten Zeit mit seiner Frau. Es ist ein Buch der leisen Töne, mit wenigen Worten und Halbsätzen wird viel gesagt. Insgesamt ist es ein sehr melancholisches Buch. Man hat das Gefühl, Katos Leben vor der Pensionierung drehte sich einzig und allein um die Arbeit, Freizeit, Hobbys, Familie kamen zu kurz. Seinen Plan, mit seiner Frau nach Paris zu fahren, sobald er nicht mehr arbeitet, wird er wohl nicht mehr umsetzen, auch wenn er sich minutiös auf den Trip vorbereitet hat und seine Frau sogar damit beginnt, Französisch zu lernen.
Das Ende empfand ich als etwas unbefriedigend, da vieles, das angesprochen wurde, nicht zu Ende geführt wird. Trotzdem ist es ein empfehlenswertes Buch, das Emotionen auslöst und nachdenklich macht.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
„Mit großen Schritten geht er los, als ob dort, wohin er geht, jemand warten würde und es von höchster Dringlichkeit wäre, rechtzeitig hinzugelangen.“ (Zitat Seite 9)
Inhalt:
Seit Herr Kato im Ruhestand ist, hat er plötzlich viel Zeit. Wie schon die Jahre …
Mehr
„Mit großen Schritten geht er los, als ob dort, wohin er geht, jemand warten würde und es von höchster Dringlichkeit wäre, rechtzeitig hinzugelangen.“ (Zitat Seite 9)
Inhalt:
Seit Herr Kato im Ruhestand ist, hat er plötzlich viel Zeit. Wie schon die Jahre zuvor, kontrolliert er penibel, wie seine Frau die anfallenden Arbeiten im Haushalt erledigt und er merkt genau, wie wenig sie sich im Grunde zu sagen haben. Da trifft er Mie, eine junge Frau, deren Agentur „Happy Family“ Personen als perfektes Double für fehlende Familienmitglieder vermittelt. Die Einsätze sind kurz, für die Dauer eines Besuches oder einer Feier, professionell, aber unverbindlich. In seinem ersten Auftrag spielt er Herrn Kato, den Großvater eines Jungen. Es folgen weitere Einsätze, die ihn langsam verändern.
Thema und Genre:
Dieser Roman skizziert einen kurzen Zeitraum im Leben des Protagonisten, ergänzt durch Rückblenden in Form seiner Gedankengänge. Es ist ein kritisches Gesellschaftsbild, das uns die Autorin hier schildert, als unpassend empfundene oder abwesende Familienmitglieder werden durch perfekt agierende Doubles ersetzt. Kernthema ist der Ruhestand und die Auswirkungen auf das Umfeld am Beispiel eines langjährigen Ehepaares in Japan. Im traditionellen Rollenbild war der Mann der in seinem Beruf aufgehende Erwerbstätige, während die Aufgabe der Frau daraus bestand, den Mann zu Hause perfekt zu umsorgen. Plötzlich war der Ehemann im Ruhestand rund um die Uhr zu Hause, eine neue Situation, die zu Problemen führen konnte.
Charaktere:
Herr Kato – seinen richtigen Namen erfährt der Leser nicht – war gewohnt, dass sich die Familie immer nach seinen Wünschen richtete. Diese Haltung verstärkt sich im Ruhestand, seine Gedanken drehen sich hauptsächlich um die eigenen Befindlichkeiten und kritisch kontrolliert er jeden Handgriff seiner Frau im Haushalt. Erst als er durch seine Stand-In-Auftritte gezwungen ist, sich mit Problemen fremder Menschen zu beschäftigen, beginnt er, auch sein eigenes Leben zu überdenken. Dennoch kein besonders sympathischer Charakter. Die anderen Personen kommen ins Bild, wenn sie für eine Episode und als Vergleich dienen, um dann die Handlung wieder zu verlassen. Interessant ist es, wie die Ehefrau zeitgleich mit dem Ruhestand des Ehemannes langsam beginnt, eigene Wege zu gehen.
Handlung und Schreibstil:
Die personale Erzählperspektive schildert dem Leser die Ereignisse aus Sicht von Herrn Kato. Auf insgesamt 164 Seiten fügt die Autorin kurze Episoden und bruchstückhafte Einblicke in Ereignisse im Leben von Herrn Kato aneinander, ergänzt durch zahlreiche Rückblenden in Form von langen gedanklichen Selbstgesprächen des Hauptprotagonisten. Auch viele der Dialoge finden nur im Kopf von Herrn Kato statt, während in der Realität geschwiegen wird.
Herausragend ist die Sprache dieses Romans, intensive Schilderungen der einzelnen Stimmungen und Gedanken des Herrn Kato wechseln zu beinahe stichwortartigen Halbsätzen, sobald es um wirkliche Gespräche geht.
Der Aufbau der Handlung entspricht der in kleinen Schritten wahrnehmbaren positiven Veränderung des Hauptprotagonisten, er muss „lernen mit dem ganzen Körper zu lächeln“.
Fazit:
Sprachlich ein Lesevergnügen, ist dieser Roman auch thematisch interessant. Allerdings wirkt die hier beschriebene Problematik des Eintritts in den Ruhestand in der heutigen Zeit der ebenfalls berufstätigen Frauen auf mich etwas veraltet. Dies mag daran liegen, dass der Roman in Japan spielt, wo das Arbeitsleben tatsächlich einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Trotz einiger skurriler Szenen überwiegt für mich der negative Grundtenor und die Handlung und ihre Personen konnten mich nicht vollkommen überzeugen. Ein Buch für Leser mit Interesse an neuer deutscher Literatur.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Broschiertes Buch
Irgendwann ist es soweit: der lang ersehnte Ruhestand! Aber vielleicht ist er doch nicht so sehr ersehnt? Für die namenlose Hauptfigur dieses Buches ist es eine Zäsur, denn von einem Tag auf den anderen ist er ein Niemand. Eine unwichtige Person, die von niemandem gebraucht wird. Seine …
Mehr
Irgendwann ist es soweit: der lang ersehnte Ruhestand! Aber vielleicht ist er doch nicht so sehr ersehnt? Für die namenlose Hauptfigur dieses Buches ist es eine Zäsur, denn von einem Tag auf den anderen ist er ein Niemand. Eine unwichtige Person, die von niemandem gebraucht wird. Seine Frau schickt ihn aus dem Haus, damit er aus dem Weg ist; im Büro ruft er nicht an aus Angst, man könne sich nicht an ihn erinnern. Für die Dinge, die er sich vorgenommen hat (Radio reparieren, Plattensammlung sortieren), fehlt ihm der Elan; vielleicht auch, weil er keinen Sinn darin sieht. Doch am Meisten erschreckt ihn die Beziehungslosigkeit, in der er lebt. Seine Ehe ist schon lange ein Neben- statt ein Miteinander, mit seinen Kindern hat er kaum Umgang, und außer zu einem Obdachlosen in der Nachbarschaft gibt es keine regelmäßigen Kontakte. Doch er sucht die Ursachen dafür nicht bei sich, sondern versucht mit Disziplin eine Regelmäßigkeit in sein Leben zu bringen, das ihm wieder Sinn verleiht - ohne Erfolg. Erst als er der jungen Mei begegnet, die ihm das Angebot macht, in ihrer Agentur als Familienmitglied für Andere kurzzeitig vermittelt zu werden, beginnt sich seine Einstellung und damit auch sein Leben zu ändern.
Es ist eine kleine Geschichte (nicht einmal 160 Seiten), die dennoch einige der Schwierigkeiten, mit denen viele Menschen zu kämpfen haben, überdeutlich macht. Die Konzentration auf die Arbeit (das scheinbar Wichtigste), die keine Zeit lässt, sich noch mit Anderem zu beschäftigen; die daraus entstehende Gleichgültigkeit selbst gegenüber den nächsten KollegInnen (man hat ja keine Zeit); die Problematik, Gefühle zuzulassen, nachdem man selbst schwer verletzt wurde; zu leben ohne dass es immer einen Sinn machen muss, einfach weil es schön ist. Das Buch bietet keine Lösungen an, sondern zeigt in einer liebenswerten Form, wie sich aus kleinsten Veränderungen der Einstellung oder Sichtweise Dinge beginnen, sich anders zu entwickeln als auf die sonst gewohnte Art.
Der Schreibstil der Autorin ist etwas ungewohnt: Der Protagonist erzählt nicht einfach das Geschehene, sondern als Lesende folgt man meist seinen Gedanken, die, wie Gedanken nun mal so sind, nicht immer chronologisch daherkommen, sondern mal hierhin, mal dorthin springen; mal in kurzer, mal in langer Form. Ich habe mich schon nach wenigen Seiten ohne Schwierigkeiten daran gewöhnt und finde diesen Stil im Nachhinein sehr gelungen.
Eine kleine feine Geschichte, die auf gelungene Weise unter anderem so Manches im (vielleicht eigenen?) Leben ganz behutsam in Frage stellt.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Andere Kunden interessierten sich für