Andrea Camilleri, Die Flügel der Sphinx, Lübbe 2009, 271 Seiten, ISBN 978-3-7857-2378-4
Die Serienkommissare der gegenwärtigen Krimiliteratur kommen ins Alter, begegnen der Midlife-Crisis und haben schwer mit Beziehungskrisen zu kämpfen. Bei Ake Edwardsons Erik Winter und seinen Teamkollegen ist
das so im gerade vorgelegten neunten Band der Reihe mit dem Titel „Toter Mann“ und bei Andrea…mehrAndrea Camilleri, Die Flügel der Sphinx, Lübbe 2009, 271 Seiten, ISBN 978-3-7857-2378-4
Die Serienkommissare der gegenwärtigen Krimiliteratur kommen ins Alter, begegnen der Midlife-Crisis und haben schwer mit Beziehungskrisen zu kämpfen. Bei Ake Edwardsons Erik Winter und seinen Teamkollegen ist das so im gerade vorgelegten neunten Band der Reihe mit dem Titel „Toter Mann“ und bei Andrea Camilleris Salvo Montalbano treibt die Krise im aktuellen Band „Der Flügeln der Sphinx“ auf einen allerdings wieder einmal nicht aufgelösten Höhepunkt zu.
Montalbanos schon jahrzehntelang dauernde (Fern) -beziehung zu Livia ist in den letzten Jahren merklich abgekühlt. Seit beide vor langer Zeit die Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließen, gemeinsam Eltern eines Kindes zu werden, hat sich ihre Beziehung verändert, sie ist weniger leidenschaftlich und verbindlich geworden. Nicht dass Montalbano den durchaus vorhandenen Angeboten des zarten Geschlechts abgeneigt wäre, aber seit einer bösen Erfahrung mit einer jungen Frau im vorletzten Fall hat er offenbar abstinent gelebt.
Sein Appetit auf die wunderbaren Speisen, die ihm seine Haushälterin Adelina oder Enzo in seiner Stammtrattoria servieren, ist nach wie vor ungezügelt, doch seine Spannkraft scheint nachzulassen. Mitte fünfzig, sind seine Lebensperspektiven auch recht unklar. Mit Livia scheint so gar nichts mehr ins rechte Lot zu kommen, und auch das früher lockere Verhältnis zu seinen Kollegen, insbesondere dem sympathischen Fazio, ist spürbar gespannt. Montalbano weiß nicht wohin, wer treibt von Fall zu Fall, aber außer dem Genuss von Essen und Trinken und seinem regelmäßigen Bad im Meer erfreut ihn nichts mehr.
Seiner Arbeitsmotivation hat diese ausgewachsenen Krise bislang nicht geschadet und so sieht er sich auch im neuen Fall einer Interessengemeinschaft aus Kirchenleuten, Politikern und Kriminellen gegenüber, wie so oft in Sizilien.
Eine junge Frau ist ermordet worden. Es gibt keinerlei Hinweise auf die Identität des Opfers, weil der Mörder ihr Gesicht vollkommen zerstört hat. Einzig ein Schmetterlingstattoo auf ihrer linken Schulter, das dem Buch seinen Titel gab, könnte weiterführen. Montalbano wittert sofort große Zusammenhänge, und tatsächlich findet er heraus, dass die Tote zu einer Gruppe von Russinnen gehörte, alles ehemalige Prostituierte, die von einer Organisation namens „Der Gute Wille“ nach Italien und Sizilien gelockt worden sind. Der dem Commissario sofort verdächtige Vorsteher dieses mysteriösen Clubs gibt an, man hätte die Mädchen aus christlichen Motiven vor der Prostitution in ihren Herkunftsländern retten wollen.
Doch das ist, wie sich herausstellt, nur die Oberfläche eines kriminellen und scheinheiligen Interessen- und Beziehungsgeflechts, in das Montalbano nun immer tiefer eindringt. Was er dabei zu Tage fördert, ist skandalös, aber an diese sizilianischen Zustände hat man sich bei Camilleri mittlerweile gewöhnt. Während etwa Roberto Saviano unter Lebensgefahr die Mafia beschreibt, hat sie bei Camilleri etwas von Lokalfolklore, die mir nicht immer gefällt.
Das Buch ist wie immer eine unterhaltsame Lektüre nicht nur wegen der erheiternden Dialoge zwischen Montalbano und Fazio, erst recht aber mit Catarella. Unterhaltsam und spannend – so müssen Krimis sein.