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3 Kundenbewertungen

»Eine Pause im Irrsinn. Noch eine Anstrengung, das Aussterben zu verhindern, in einer seltsamen Entschlossenheit vereint. Es ist der letzte Versuch.«
Sibylle Bergs neuer Roman setzt da an, wo GRM endet - in unserer neoliberalen Absurdität, in der der Einzelne machtlos scheint. Der Kapitalismus ist alternativlos geworden. Das beste aller Systeme hat wenigen zu absurdem Reichtum verholfen und sehr vielen ein menschenwürdiges Dasein genommen. Die Krise ist der Normalzustand, Ausbeutung heißt nicht mehr »Kolonialismus« sondern »Förderung strukturschwacher Länder«. Inflation, Seuchen, Kriege,…mehr

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Produktbeschreibung
»Eine Pause im Irrsinn. Noch eine Anstrengung, das Aussterben zu verhindern, in einer seltsamen Entschlossenheit vereint. Es ist der letzte Versuch.«

Sibylle Bergs neuer Roman setzt da an, wo GRM endet - in unserer neoliberalen Absurdität, in der der Einzelne machtlos scheint. Der Kapitalismus ist alternativlos geworden. Das beste aller Systeme hat wenigen zu absurdem Reichtum verholfen und sehr vielen ein menschenwürdiges Dasein genommen. Die Krise ist der Normalzustand, Ausbeutung heißt nicht mehr »Kolonialismus« sondern »Förderung strukturschwacher Länder«. Inflation, Seuchen, Kriege, Diktatoren, Naturkatastrophen, Müllberge. Und die Menschheit vereint nur noch in ihrer Todessehnsucht. Die Lage scheint ausweglos. Aber in einem abhörsicheren Container brennt noch Licht. Fünf Hacker programmieren die Weltrettung.

Manchmal gibt es diese historischen Momente, in denen Mauern eingerissen werden, Frauen studieren und wählen dürfen, Rassismus nur noch in einigen Köpfen existiert, Geschlechter keine Rolle mehr spielen, in denen verschwindet, was Menschen für hundert Jahre für ein Naturgesetz hielten.
Autorenporträt
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.05.2022

Abfuck für alle

Sibylle Berg setzt in "RCE" ihre Trilogie über den real existierenden Horror fort und spielt dabei mit den Mitteln der Verschwörungserzählung. Kann das gut gehen?

Vor drei Jahren veröffentlichte Sibylle Berg ihren Monsterroman "GRM", ein Buch, das einerseits die Geschichte von vier gequälten Teenagern erzählt, die aus der trostlosen nordenglischen Industriestadt Rochdale nach London ziehen und dort im Schatten eines totalen Überwachungsstaates versuchen, etwas zu tun, was man halbwegs leben nennen könnte. Und in dem andererseits diese Handlung ziemlich zweitrangig war, eher das Gerüst einer 634 Seiten langen Suada über eine Gesellschaft, die nur so weit in der Zukunft angesiedelt ist, dass man die Schrecken einer Gegenwart besser erkennen kann, die eigentlich kaum noch eine Zukunft hat, höchstens noch das Versprechen ereignislosen Wohlstands für wenige Kapitalismusgewinner. Die einzige Hoffnung, die es darin gab, war die hyperaktive Energie der Rap-Spielart Grime, die dem Buch seinen Titel gab.

Nächste Woche erscheint nun die Fortsetzung "RCE", der zweite Band einer angekündigten Trilogie, und wenn die Welt von "GRM" schon der real existierende Horror war, ist in "RCE" alles noch ein Stück apokalyptischer. Das ganze Leben ist gnadenlos privatisiert, sämtliche Unternehmen sind in den Händen von ein paar multinationalen Investmentfirmen, deren Algorithmen alles kaputtoptimieren, was zu wenig Profit ergibt. Die Menschen, die noch Jobs haben, machen die Drecksarbeit, für die Maschinen zu teuer oder zu intelligent sind, zerlegen mit chinesischen Antibiotika vollgestopfte Schweine für den chinesischen Markt oder programmieren gleichgültig bedeutungslose Apps.

So klingt das dann: "Im Großraumbüro im Süden der Stadt arbeiteten fidele junge Programmierer, zwei Frauen mitgemeint, denen es komplett egal war, was sie hier taten. Und warum sie welchen Bereich des Lebens modifizierten. Hauptsache, die Kantine war angenehm. Hauptsache, es gab organische Pampe, denn Leute, die in solchen Läden arbeiteten, legten großen Wert auf ihren Organismus, und all die neuen Arbeitsplätze hatten Kantinen, die Smoothie-Lounge hießen und ein Chill-Sofa hatten, auf dem keiner saß. Die Programmiertrottel hatten Anspruch auf fünfzehn Minuten Pause, in denen sie veganen Brei in sich hinein stopften."

In ihrer Freizeit kaufen sie im Internet Zeugs, von denen ihre Profildaten glauben, sie könnten es brauchen, und selbst während sie es bestellen, arbeiten sie an ihrer eigenen Abschaffung, indem sie Künstliche Intelligenzen trainieren ("Zeig, dass du kein Roboter bist"). Mit der guten alten Warengesellschaft hat das nicht mehr viel zu tun: Der Postkapitalismus funktioniert ohne Konsum, den sich eh keiner mehr leisten kann. Auch deshalb sind nach den Menschen auch die Shoppingmalls aus den smarten Innenstädten verschwunden, dort wohnen nur noch juristische Personen, in den Straßen patrouillieren Robocops und Robocop-Hunde. Nur tagsüber kommen ein paar Leute zum Putzen oder Anlageberaten.

Und natürlich gibt es auch keine Gemeinschaft mehr, nur noch einsame Individuen mit digital genau erfassten Identitäten, die einsam vor sich hinklicken: "Da gehörte keines" (so Bergs niedliche Form des Genderns, die sie mit herrlicher Inkonsequenz einstreut) "zu irgendwas. Außer zur großen Klasse der Betrogenen. (. . .) Im wundervollen Internet verbanden sie sich mit Avataren, redeten mit Chatbots, starrten auf die Oberflächen ihrer Rechner und hatten den Wettbewerb auf einem Level verinnerlicht, das nur mit 'Wunsch zur Selbsttötung' überschrieben werden konnte."

Alle sind dauererregt und reizüberflutet - und gleichzeitig müde und ruhiggestellt, was vor allem den erfolgreichen Appellen an die Solidarität der Bürger zu verdanken ist, die an die Stelle der abgeschafften Sozialsysteme getreten sind und Selbstdisziplinierung und Verzicht zur Rettung des Planeten predigen. Natürlich werden trotzdem weiterhin Steuern erhoben, damit der Staat notfalls die Banken retten kann. Ach ja: Kultur und Geisteswissenschaften gibt es auch nicht mehr, keine Subventionen und keine Nischen, nur noch von Spotify gepushte Casting-Bands, Games oder Reise-Influencing.

700 Seiten geht das im Wesentlichen so weiter, ein einziger undifferenzierter Rant, eine Tirade auf die herrschenden Verhältnisse. Dass man nach 70 oder 100 Seiten erst einmal genug davon hat, liegt nicht nur daran, dass die Türen, die Berg in "RCE" einrennt, sehr viel offener sind, als sie es bei "GRM" waren: Wo sie ihre Leserinnen und Leser damals in den Mikrokosmos eines britischen Post-Brexit-Prekariats mitnahm, weitet sie diesmal ihren Schauplatz ins Globale aus. Und kommt, auch wenn sie diese mit ihrem ganz eigenem Spott beschreibt, nicht immer an der handelsüblichen Kritik am Plattform-Kapitalismus und seinen Auswüchsen vorbei. All deren Klischees finden sich auch in "RCE": die Selbstausbeutung im Homeoffice, die Milliardäre, die ins All fliegen, die Manipulation durch Nudging, die Idee, dass irgendeine Form des guten Lebens offline und durch Entschleunigung zu finden wäre.

Dass Sibylle Bergs wütende Litanei heute so anders klingt als noch vor drei Jahren, liegt aber auch daran, dass zwischen "GRM" und "RCE" eine Pandemie die Welt erschütterte, nach der man durchaus Gründe haben kann, anders auf Themen wie Überwachung und digitale Kontrolle zu blicken. Was nicht heißt, dass Wachsamkeit und Kritik überflüssig geworden seien, schon gar nicht, wenn es um die Profiteure dieser Krise geht. Aber man sollte, selbst wenn man seine Worte unter dem Vorbehalt der Literatur herausschreit, schon aufpassen, dass sie nicht wie das reaktionäre Geschrei klingen, das man zuletzt so leicht gratis bekam. Womit wir gewissermaßen beim Kern von "RCE" wären.

Sich der Mittel der Verschwörungstheorie zu bedienen ist nämlich genau der Plan der fünf Figuren, die Berg diesmal als Schachtelteufel dienen, um ihrer Abhandlung die Form eines Romans zu geben. Ben, Kemal, Maggy, Pjotr und Rachel, eine Gruppe von Hackern, die sich als "die Freunde" bezeichnen, obwohl sie als astreine Asperger-Nerds keine Ahnung haben, was das eigentlich ist, haben eine internationale "Brigade" junger Revolutionäre rekrutiert. Man kennt "die Freunde" schon aus "GRM", wo es ihnen zwar gelingt, die Bilder des staatlichen Überwachungssystems zu entlarven und dessen Bilder auf die öffentlichen Bildschirme zu spielen, die Social-Media-geschädigten Menschen dadurch aber leider nicht zum gewünschten Aufstand motiviert werden. Trotzdem wollen sie jetzt noch einmal wissen, wie man diese verkommene Welt sabotieren kann, diesmal mit einem groß angelegten Plan, für deren Verwirklichung sie nicht nur andere Hacker aus ganz Europa gewinnen können, sondern auch, durch Überzeugung oder Bestechung, so einflussreiche Leute wie einen berühmten deutschen Moderator, den Generalkommissar der französischen Nationalpolizei, die Direktorin der Schweizer Nationalbank und einen polnischen Erzbischof.

Auch die Hauptfiguren von "GRM" sind wieder dabei. Ihr Job ist es, die Propaganda für den Umsturz zu übernehmen, und zwar indem sie sich die Tricks von Verschwörungsexperten wie QAnon aneignen. Die Strategie ist, ihre "Wahrheiten" in Foren für einsame Incels zu streuen, die begierig jede neue Welterklärungstheorie aufsaugen und sie dann über Gamer-Kanäle und Tiktok in den Mainstream tragen. Nun soll das Ganze, so die Idee, zur Abwechslung eben mit Fakten über ein tatsächliches Komplott gelingen - alles nur eine Frage des Inputs.

Bergs literarisches Programm ist von dieser Methode nicht weit entfernt: Wie "GRM" setzt auch "RCE" auf kompromisslose Überwältigung, ballert den Leser zu mit Wissen und Halbwissen über die Ab- und Hintergründe des Betriebssystems unserer Gegenwart, die sich wie eine beflissene Bestandsaufnahme des ganz normalen Wahnsinns dieser Tage lesen. Von Elon Musk bis Peter Thiel, von Spotify bis Blackrock, von Predictive Policing bis zu den Cum-ex-Deals fährt sie alle Figuren und Motive auf, die dazu beitragen, die Welt ein bisschen unmenschlicher zu machen.

Ob das Literatur ist oder eher eine Art Empörungsjournalismus, ist eine Frage, die Sibylle Berg wohl als völlig unzeitgemäß zurückweisen würde. Was sonst als einen solchen Ausbruch, müsste man vielleicht besser fragen, kann man der immer noch absurd erfolgreichen Weltverbesserungsrhetorik der Digitalfürsten des Neofeudalismus entgegensetzen? Wie anders könnte man zeigen, dass diese unfassbare Wirklichkeit keine Fiktion ist, wenn nicht in Form einer solchen Fiktionalisierung?

Den stärksten Effekt hat Bergs Roman, wenn man nicht mehr unterscheiden kann, ob es sich bei ihren Anekdoten um Realität oder Spinnerei handelt. Gibt es das wirklich alles: die "mobile Vergasungskapsel" namens "Sarco", in der Sterbewillige selbstbestimmt ihrem Leben ein Ende setzen können; die libertäre Siedlung in New Hampshire, deren Bewohner eine Gegengesellschaft aufbauen wollen, ohne Steuern und mit dem Recht, sich mit Waffen zu duellieren; Roboterpolizeihunde; eine Steuervermeidungsstrategie namens "Double Irish with a Dutch Sandwich"? Kann man tatsächlich Wasser an der Börse handeln? Und hat der Vorstandsvorsitzende von Blackrock im Ernst gesagt, dass Märkte totalitäre Regierungen lieber mögen als Demokratien?

In Momenten solcher Irritation wirft man, genau wie es Bergs Helden im Buch kalkulieren, die Suchmaschine seines ungerechtfertigten Vertrauens an ("Recherche ist der sinnstiftende Lebensinhalt von Millionen Menschen, deren Dasein relativ überraschungsfrei ist"). Und wäre danach vielleicht doch dabei, wenn die Revolution an die Tür klopft.

Wie diese ausgeht, steht vielleicht im nächsten Band. "Fortsetzung folgt", verspricht der letzte Satz. Es kann eigentlich alles nur noch schlimmer werden. HARALD STAUN

Sibylle Berg: "RCE. #RemoteCodeExecution". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 704 Seiten, 26 Euro. Erscheint am Donnerstag.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.05.2022

Hypernervös
Schrille Sätze, Pointen ohne Unterlass, Bilder des Ekels und des Grauens:„RCE“ ist ein großer Abgesang auf den Tech-Kapitalismus geworden
Manchmal scheitert eine Revolution daran, dass die Menschen nicht gerettet werden wollen. So war es in „GRM Brainfuck“, Sibylle Bergs letztem Roman, erschienen 2019, in der eine Gruppe verarmter Digitalnerds in London den Endgeräten den Stecker zog, und gegen die Komplettüberwachung der Post-Brexit Gesellschaft mobilisierte. Nur waren da ihre Mitbürger schon dran gewöhnt, ihr Leben von Regierung und Megakonzernen mitgeschnitten zu bekommen und sogar ein bisschen froh, dass überhaupt einer zusah. Wenn aber keiner mitmacht, ist es keine Revolution.
In einem der Interviews, das Sibylle Berg zu „RCE“, der Fortsetzungs-Dystopie gegeben hat, sagte sie jüngst, dass sie es nicht dabei habe belassen können, den Aufstand so sang- und klanglos scheitern zu lassen. Deshalb jetzt „RCE“, „#RemoteCodeExecution“, und das heißt: die jungen Hacker starten einen zweiten Angriff auf den Kapitalismus. Mit einem Super-Hack von Bankenplattformen bis Mama-Blogs soll alles ins Chaos stürzen.
Eine Revolution kommt im Dreierschritt: Analyse, Propaganda, Massenunruhen. Auf inhaltlicher Ebene wäre damit der Roman grob beschrieben. Für das sprachliche Rezept von „RCE“ passt auch der Untertitel des letzten Buches, also von „GRM“. Wieder bekommt man die Geschichte der revolutionierenden Freunde als „Brainfuck“ geliefert: schrille, spitze Sätze, eilige Elipsen, Pointen ohne Unterlass, Bilder des Ekels und des Grauens, eifrig aneinandergereihte Schlaglichter auf einen Turbo-Kapitalismus, in dem auch das letzte Restchen Sozialstaat wegprivatisiert wurde und selbst Totkranke nur mit Bots kommunizieren, während sie zum Live-Erklärvideo selbst operativ die Hand an sich legen.
Der Roman spielt in einer europäischen Post-Bankencrash-Gegenwart, wesentliche Akteure sind aus der Realität übernommen. Peter Thiel risikokapitalisiert auch hier, Elon Musk hat zwar noch nicht Twitter, aber dafür eine ganze Menge anderer Dinge gekauft und Bill Gates Anlagestrategie hat ihn zum größten Grundbesitzer Amerikas gemacht. Überhaupt lassen sich die meisten der mit Vornamen genannten Investoren auf der Forbes-Liste recherchieren und wer es ganz genau wissen will, kann auch im angehängten Glossar von „Aladdin“, dem Datenanalysesystem des BlackRock-Unternehmens, bis „Wirecard“ das Alphabet des Tech- und Finanzkapitalismus nachschlagen.
In Bergs apokalyptischem Finanzfeudalismus haben nur manche Menschen einen juristischen Personenstatus, die anderen vegetieren mit Fußfesseln an den Rändern der Stadt, „Massen, die noch spuckend: Wettbewerb, Wettbewerb murmelten, wenn sie sich abends um die besten Pappunterlagen für ihre Nachtruhe stritten“. Ein paar Runden Steuererhöhungen für die Armen und Steuerfreiheit für die Reichen, die Pulverisierung des Sozialetats und aller sozialen Sicherungssysteme haben die Tagelöhnergesellschaft potenziert. Wobei fünf Millionen der Depravierten bereits an Unterversorgung gestorben sind. „Die Menschen hatten die Übersicht über ihre Toten verloren. Die Leichen, die bei Fluchten, Erdrutschen, Hurrikanen, Bürgerkriegen, durch Kältewinter und Hitzesommer, durch Krankenhauskeime entstanden“. Zwischen diesen Katastrophen jetten die Investoren, die Vorstände und Konzernbesitzer durch die Welt, wenn sie nicht gerade ihre sehnigen Körper trainieren oder Pornos mit Tieren gucken.
Inmitten der Szenen aus der kaputtkapitalisierten Gesellschaft gibt es aber auch eine Art Handlung: Geplant und ausgeführt wird eine groß angelegte Hackerstrategie, eine Gegenwehr der noch jüngeren, noch digital smarteren Cracks gegen die Kapital-Cracks. Ob die „Freunde“ damit erfolgreich sind, wird sich im nächsten Buch der als Trilogie angelegten Reihe zeigen müssen, denn dieses bricht kurz nach dem „Ereignis“ ab. Statt neuer Weltordnung schildert „RCE“ die Planung zum Umbruch, „Peer-to-Peer-Mixnet“-Strategien, Plattformanalysen, verklausulierten Abhörverfahren und so einiges, das sich nur mit viel Selbststudium nachvollziehen lässt.
Aber wer im Nacherzählen versucht, eine Ordnung in die Dinge zu bringen, verpasst den Kern und damit den Grund, warum „RCE“ kein mit Nerd-Vokabular getunter gewöhnlicher Revolutionsroman ist. Denn wie anders als in dieser scheppernden Überwältigungsästhetik soll sich Literatur zu einer unüberschaubaren Gemengelage verhalten, zu Crashs, die scheinbar niemand vorhersah und zu einem unumstrittenen ökonomischen Dogma, dass Wachstum immer ins Gute führt, während einem die Krisen um die Ohren fliegen?
Die Finanzökonomie hat einen fiktionalen Charakter. Die Kurswerte einer Aktie reagieren auf Erwartungen und Erwartungen sind Vorhersagen, die sich auf eine Erzählung, auf Fiktion stützen. Die Kunst, die Literatur, sie antwortet darauf mit einer Fiktionalisierung der Finanzwelt, mit einer Ästhetisierung des Zahlenkonkretismus. Elfriede Jelinek hat das so gemacht, als sie in „Die Kontrakte des Kaufmanns“ Endlosmonologe über Finanzströme assoziativ verband, oder das Performance-Kollektiv „Rimini Protokoll“, das zur Hauptversammlung der Daimler AG einlud.
Sibylle Bergs Literatur hatte immer schon eine stark theatrale Schlagseite, sie hat nicht nur 27 Theaterstücke geschrieben, auch viele ihrer Romane lesen sich, als wären sie von Anfang an für die Bühne bestimmt. In „RCE“ wirken die Pointenreiterei, die krasse Überbilderung und die gefühlten 500 Szenenwechsel mitunter albern oder größenwahnsinnig. Aber das ändert nichts daran, dass gerade die Überforderung das hypernervöse Gegenwartsgefühl nicht schlecht trifft. Nur, was macht man nun mit den Erkenntnissen aus dem Roman? Es gibt kein Licht im Dunkel, nur Tod, Vernichtung, nicht einmal die Revolutionäre kriegen es hin, eine Freundschaft zu führen. Wahrscheinlich ist es so wie bei allen funktionierenden Tech- und Finanzdystopien: Man gruselt sich ein wenig, löscht vielleicht die ein oder andere App, installiert sie aber bald doch wieder. Mit anderen Worten: Im besten Fall, ja, das wäre was, verleiht eine sehr wichtige Universität der Autorin die Ehrendoktorwürde für ihre Verdienste um Krisenökonomie und angewandte Katastrophenpsychologie. Was wiederum eine drastische Steigerung des kulturellen Kapitals von Sibylle Berg wäre, die dann gleich wieder weiterschreiben und auch diese Episode bei bester Laune genauso wahnwitzig erzählen könnte, wie es die sogenannte Realität eben ist.
MIRYAM SCHELLBACH
Scheppernde Überwältigungsästhetik: Sibylle Berg.
Foto: Soeren Stache/dpa
Sibylle Berg: RCE –
#RemoteCodeExecution. Roman. Kiepenheuer
& Witsch, Köln 2022.
704 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Torben Kessler und Lisa Hrdina sprechen abwechselnd herrlich trocken die beißende Satire über einen entfesselten Kapitalismus, der schon fast nicht mehr Science-Fiction ist.« Helmut Schneider VORMagazin 20220901

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Katharina Teutsch ist ordentlich desillusioniert und ermattet nach dem Lesen von Sibylle Bergs neuem Roman. Da fährt Berg jede Menge Personal und Rechercheergebnisse auf, um ein Menetekel nach dem anderen loszulassen betreffs unsere degenerierte, durchkapitalisierte Gesellschaft, aber am Ende hat Teutsch (aus Selbstschutz?) schon gleich fast alles wieder vergessen. So hässlich Berg den Verlust einer freien Kunst und Kultur und die neue Arbeitswelt aus Tagelöhnern zeichnet, so sehr empfindet Teutsch den Overkill des Schlimmen, und die Kassandra-Erzählerin trifft bald auf müde Ohren. Teutsch mag lieber Joseph Vogl lesen, da wird das "Gespenst des Kapitals" fundierter dargestellt, findet sie.

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»Mit Wucht, schonungsloser Anklage und zornigen Anschlägen auf einer glühenden Tastatur legt Berg ein Gesellschaftspanorama vor, das weder an Groteske noch an Schauerlichkeit zu überbieten ist.« Björn Hayer neues deutschland 20220721
Rezensentin Katharina Teutsch ist ordentlich desillusioniert und ermattet nach dem Lesen von Sibylle Bergs neuem Roman. Da fährt Berg jede Menge Personal und Rechercheergebnisse auf, um ein Menetekel nach dem anderen loszulassen betreffs unsere degenerierte, durchkapitalisierte Gesellschaft, aber am Ende hat Teutsch (aus Selbstschutz?) schon gleich fast alles wieder vergessen. So hässlich Berg den Verlust einer freien Kunst und Kultur und die neue Arbeitswelt aus Tagelöhnern zeichnet, so sehr empfindet Teutsch den Overkill des Schlimmen, und die Kassandra-Erzählerin trifft bald auf müde Ohren. Teutsch mag lieber Joseph Vogl lesen, da wird das "Gespenst des Kapitals" fundierter dargestellt, findet sie.

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